Autorschaft der Wahllosigkeit – Constantin Schreibers Kriminalroman “Kleopatras Grab”

von Peter Hintz

Constantin Schreiber, bekannt als Sprecher der Tagesschau und einer der Haupterben von Peter Scholl-Latours Nahost-Regalmeter in deutschen Thalia-Filialen, hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt Kleopatras Grab (Hoffmann und Campe 2024) und trägt die Genrebezeichnung “Ägypten-Krimi” auf dem Titelblatt. Es geht um “ein seit Jahrtausenden gehütetes Geheimnis” (Klappentext). Angekündigt wird das Buch als erster Teil einer ganzen Reihe.

Schreiber scheint in seinem Hauptberuf als Nachrichtenmoderator ähnlich unausgelastet zu sein wie zuvor Ulrich Wickert, Wolfgang Herles oder Peter Hahne, ebenfalls unermüdliche Verfasser unzähliger Bücher für ein großes deutsches Publikum – vom “Verlust der Werte” (Wickert 1994) über “Wie wir unsere Demokratie ruinieren” (Herles 2005) bis hin zum “Schluss mit Sprachpolizei und Bürokraten-Terror” (Hahne 2020). Beschreibungen des bürgerlichen Lebensgefühls schwanken in diesen Büchern kontinuierlich zwischen banal und reißerisch.

In Schreibers letztem Sachbuch, Glück im Unglück (Hoffmann und Campe 2023), ging es um die Frage “[w]ie ich trotz schlechter Nachrichten optimistisch bleibe”. Sein davor erschienenes Romandebüt Die Kandidatin (Hoffmann und Campe 2021) war dagegen eine Dystopie einer bevorstehenden Regierungsübernahme durch nicht weiße Migrant:innen in Deutschland. Es handelte von einer Kanzlerkandidatin mit libanesischem Migrationshintergrund, die unter dem Einfluss von Islamisten steht und auf die schließlich durch eine Polizistin ein Attentat verübt wird. Für diesen Roman, aber auch für Sachbücher wie Inside Islam (Econ 2017) oder Die Kinder des Koran (Econ 2019), war Schreiber scharfer Kritik ausgesetzt, er verbreite rechtspopulistische Klischees – unter anderem von 54books. Man schlägt also das neue Buch von Schreiber mit einer gewissen Beklemmung auf. Was hat der Autor der Kandidatin wohl zur berühmtesten Figur der ägyptischen Geschichte zu sagen?

Im Gegensatz zur Kandidatin handelt es sich um einen Genreroman, der den Stoff von Babylon Berlin und dem Da Vinci Code zu einer Verschwörungserzählung über die vermeintlichen Ursprünge patriarchaler Herrschaft verbindet. Der Roman verzichtet weitgehend auf die Spannung dieser Vorbilder, ist aber mit demselben überspannten welthistorischen Sendungsbewusstsein ausgestattet, mit dem Dan Browns Roman unter den Angestellten eines Pariser Museums die Urenkel von Jesus Christus entdeckt hatte.

Protagonistin von Kleopatras Grab ist die Kriminalkommissarin Theodora Costanda, für die deutschen Leser:innen “Theo” genannt, die aus der griechisch-orthodoxen Gemeinde Alexandrias stammt. Sie untersucht mehrere Mordfälle an christlichen Priestern in Alexandria, die in Verbindung zu einem ägyptischen Geheimbund stehen. Der Zufall will es, dass im selben Milieu gerade auch eine Gruppe von skrupellosen Archäologen aus Frankreich unterwegs ist. Denn eben jener Geheimbund, so lässt sich schon angesichts des Buchtitels relativ schnell kombinieren, bewacht das Grab der Kleopatra. Zum Glück wird im Sinne des Archäologie-Mysteryplots aber weiter recherchiert: “Wir können nun vielleicht endlich erfahren, was Fakt und was Fiktion ist!”

Es geht in Kleopatras Grab aber nicht nur um die antike Vergangenheit. Der Krimiplot spielt in der modernen ägyptischen Gesellschaft. Auch wenn die Ortsbeschreibungen des Romans zwischen Polizeipräsidium und Kirche erstaunlich an eine bayerische Tatort-Folge erinnern, geht es also generell darum, die sozialen Widersprüchlichkeiten eines Landes zu betonen, das zwar muslimisch dominiert ist, aber auch andere religiöse und kulturelle Strömungen vereint, die entweder als liberal oder als autoritär beschrieben werden.

Wie in Die Kandidatin geschieht diese literarische Soziologie in Schreibers neuem Buch durch einen ziemlich dick aufgetragenen ethnifizierenden Blick. So wurde die weibliche Hauptfigur im Vorgängerroman als “Kleopatra der deutschen Politik” charakterisiert, die eine “orientalische Erscheinung” hat, aber “modische Röcke, Schuhe und Kleider” trägt. Hier knüpft Kleopatras Grab an. Geboren ist Theodora Costanda trotz “ägyptischer Abstammung” in Belgien und “es ist der europäische Anteil in ihr, der von der Selbstbestimmung der Frau redet”. “Mit ihrer hellen Haut, ihren blauen Augen und den halblangen, gewellten braunen Haaren wirkt Theo auf die meisten Ägypter wie eine agnabija, eine Ausländerin.” Die Frauen unter den Archäologen sind ebenso stereotyp gezeichnet: “Untypisch für eine Archäologin” mag die im Westen ausgebildete Dr. Amira al-Fotouh “elegante Kleidung und hochhackige Schuhe und trägt ihr langes Haar meist offen”, “enge Jeans, die weiße Bluse mit dem offenen oberen Knopf und die schlichten Ballerinas dazu.”

Auf dem ersten Höhepunkt der Krimihandlung werden, spoiler alert, diese wiederkehrenden klischierten Frauenbeschreibungen mit historischer Bedeutung versehen: “Geheimnis” der Kleopatra, “[b]ewahrt für alle Zeit”, ist nämlich, dass die ägyptische Königin ebenfalls eine selbstbewusste und nicht weiße Frau gewesen sei! Im Roman wird dieses “Geheimnis” als so brisant beschrieben, dass es die ganze Weltgeschichte verändern könnte und daher vor der Öffentlichkeit geschützt wird:

“Alle Bilder, alle Büsten, das kulturelle Fundament der Kirche, gegründet auf falschen Tatsachen. Auf der falschen Hautfarbe! Auf der falschen Identität! Im Pantheon, in Filmen, in fast allen Kirchen dieser Welt hängen die falschen Bilder, stehen die falschen Skulpturen! […] Und mehr noch: Es herrschen die Falschen über die Gläubigen! Die Kirchen und ihre Macht gründen sich auf einer Hierarchie, einer Weltsicht, in der das Weiße, das Männliche ihren Anspruch begründet, zu führen. Dem Patriarchat!”

Das mag erstaunlich progressiv für ein Buch eines Autors wirken, dessen letzter Roman vor dem Untergang des Abendlandes und der Machtübernahme durch eine nicht weiße Kanzlerin warnte. Tatsächlich geht es bei Kleopatras Grab wohl auch darum, nach den heftigen Kritiken an Schreibers Vorgängerroman Die Kandidatin die Wahrnehmung des Tagesschau-Sprechers in eine andere politische Richtung umzulenken. So hatte Schreiber, nachdem er 2023 bei einer Lesung in Jena mit einer Torte attackiert worden war, angekündigt, sich nicht mehr öffentlich zum Islam äußern zu wollen. Entsprechend spielt der neue Roman fast ausschließlich innerhalb der christlichen Gemeinde Alexandrias.

Offenkundig soll das Buch in seiner kriminalliterarischen Ausgrabung der angeblich unterdrückten Identität einer berühmten Frauenfigur politische Aufgeklärtheit und historische Bildung simulieren; Quellen aus dem De Gruyter Verlag werden zitiert. Diese ‘protofeministische’ Kritik an Geschichtsschreibung erinnert allerdings ein bisschen zu sehr an Dan Browns Da Vinci Code. Darin verheimlicht die katholische Kirche die ‘wahre’ Lebensgeschichte von Jesus Christus, weil unter seinen Nachkommen auch Frauen gewesen seien.

In Schreibers Ägypten-Roman wird die Geschichte patriarchaler und rassistischer Gewaltherrschaft zum Mythos einer orientalischen Verschwörung zwischen Pyramiden, Grabhallen und Schlangenbeschwörung. So verschweigt der Roman etwa, dass Rassismus und Wahrnehmungen der vermeintlichen “Hautfarbe” Kleopatras keine antiken, sondern neuzeitliche Konstrukte sind. Es handelt sich dabei also nicht um “ein seit Jahrtausenden gehütetes Geheimnis” durch einen Orden von Ägyptern. Theodora Costanda meint aber, Kleopatras ethnische Identität “hätte doch in irgendeiner Quelle erwähnt werden müssen. Unzählige Menschen haben zu jener Zeit Kleopatra gesehen.” 

Und auch in anderer Hinsicht ist diese Identitätsfrage kein Geheimnis. Denn tatsächlich ist die Identität Kleopatras schon seit dem späten 19. Jahrhundert öffentlich umstritten, weil sowohl eine ‘weiße’ als auch die ‘schwarze’ Kleopatra für unterschiedliche politische Ziele reklamiert wird. So wurde Kleopatra etwa als afrikanische Königin von schwarzen amerikanischen Bürgerrechtlern und Intellektuellen entdeckt oder von der deutschen Altertumsforschung als griechische Vertreterin einer europäischen Hochkultur in Afrika in Dienst genommen. Nur in der fiktiven Welt des Romans sollte es also für Überraschung sorgen, wenn das vermeintliche Weißsein von Kleopatra in Zweifel gestellt wird, wie das Motto des Buchs suggeriert: “Was, wenn wir einen Schlüssel erhielten, die wahre Vergangenheit zu erkennen und unsere Herkunft zu verstehen? Was, wenn wir dann erkannten: Es war alles anders! Wir müssen alles neu begreifen!”

Natürlich ließe sich das alles als Teil eines fiktionalen Textes abtun, der eigentlich gar keinen Anspruch auf Faktualität erhebt, sondern eher zum politischen ‘Nachdenken’ anregen und dabei vor allem unterhalten will. Allerdings wirkt der Roman als Unterhaltungslektüre sprachlich so wenig durchdacht wie in seiner Fiktionalisierung von Geschichte.

Vom ersten Satz an verliert man sich als Leser immer wieder in anstrengenden Hypotaxen mit unklarem Subjekt: “Zuerst war er untergegangen in dem Lärm des Verkehrs, der unablässig über die Brücke geführt wird, aber dann hören sie ihn doch – den schrillen, hektischen Aufschrei.” Verwirrend schaltet der Text dann zwischen nicht ausreichend eingeführten Erzählperspektiven hin und her und Szenenwechsel werden abrupt angekündigt mit “ZUR SELBEN ZEIT AN EINEM ANDEREN ORT”. Neu entdeckte Gegenstände werden kurz und knapp als “exotisch, fremd” beschrieben, Figuren gucken sich “durchbohrend” an oder bekommen einen “versonnenen Gesichtsausdruck”.

Das Orient-Kolorit des Romans kann wie eine merkwürdige Mischung aus der Sprache der klassischen Abenteuerliteratur von Karl May und der deutschen Synchronisation von Indiana Jones klingen. So enthält der Roman folgendes “Lied der Kronenkönigin”, mit dem der Kleopatra-Geheimbund neue Ordensmitglieder einführt:

Heiße, Mächtige,

Starke, Flammengerüstete,

Herrin des Himmels, Herrscherin der beiden Länder,

Auges des Horus und seine Leiterin,

Feurige, Rote, deren Flamme schmerzt,

Schlange des Menschenlenkers,

Herrin der Flamme, Brennende, Fressende,

Feurige, die Tausende zertritt,

Gepriesene, Herrin der Ewigkeit

Ganz zum Schluss fragt sich Theodora: “In ihrer Kirche, in der Religion der meisten Einwohner ihres Landes, in ihrer Kultur ist die Frau das minderwertige Beiwerk des Männlichen. Und das soll sie jetzt anbeten? Und was passiert jetzt mit dem Geheimbund, der sich geschworen hat, das Geheimnis zu wahren?” Es gibt also eine ganze Reihe offener Fragen. Ein zweiter Teil von Schreibers Ägypten-Erzählung mit derselben Kommissarin als Hauptfigur ist allerdings schon für 2025 geplant. Das Buch trägt den Titel “Echnatons Fluch”.

Es bleibt der Eindruck einer Romanreihe, die sich völlig aus der Prominenz und dem großen Publikum des Autors speisen soll und bei der inhaltliche Qualität keine Rolle mehr spielt. Denn tatsächlich ist Constantin Schreibers neues Buch vor allem ein Symptom für die Verquickung einer naiven bürgerlichen Lust auf einen Orientalismus, der sich als aufgeklärt und zeitgemäß ausgibt, mit spätkapitalistisch anmutenden Auswüchsen einer verlagsstrategischen name economy.

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