„Wer lacht noch über Zonen-Gaby?“ – Ein Buch entschuldigt sich bei Ostdeutschland

von Matthias Warkus

Als ich 1988 eingeschult wurde, gab es in meiner ca. 30-köpfigen Grundschulklasse im winzigen Westpfälzer Kreisstädtchen Kusel (damals etwa 5700 Einwohner und bereits seit einiger Zeit schrumpfend) nach meiner Erinnerung drei Schüler*innen mit einem Migrationshintergrund. Ein Junge mit türkischen Namen, über den man nicht viel wusste; ein Sohn einer der vielen amerikanischen Familien, die im Zusammenhang mit der gewaltigen NATO-Truppenkonzentration in der Gegend um Kaiserslautern und Ramstein lebten; und die Tochter eines kanadischen Arztes zwei Dörfer weiter, in die ich vom ersten Tag an hilflos verliebt war.

Es gab dann auch Kinder mit polnischen und russischen Namen, die man, wenn man überhaupt mit ihnen sprach, „Polen“ und „Russen“ nannte, auch wenn die Erwachsenen mit irritiertem Unterton erklärten, sie wollten zum Beispiel Schlesier genannt werden oder man müsste eigentlich „Aussiedler“ sagen. Und in unsere Klasse kamen später noch zwei Jungen, von denen mindestens einer Kurde war und schon Bartwuchs hatte. Ihre Ankunft in Deutschland hatte irgendetwas mit Irak und Krieg zu tun.

Zwischendrin gab es diese beiden Termine, an denen unsere Klassenlehrerinnen uns Vorträge hielten. Beim zweiten Mal durfte man lange aufbleiben, mit Feuerwerk im Fernsehen. Und zwischen den beiden Terminen, 1989 oder 1990, kamen noch zwei neue Jungen in unsere Klasse, die geradezu erschreckend gut zeichnen und schönschreiben konnten, nur dass sie die Großbuchstaben und das kleine t in der Schreibschrift anders schrieben als wir „Einheimischen“, was uns damals sehr bewegte, aber zu Tadel und Punktabzug führte, wenn man es aus Neugier nachmachte. Ich erinnere mich noch, dass wir bei einem von ihnen, der kaum redete, mit Selbstverständlichkeit davon ausgingen, er müsse auch „Russe“ sein. (Beide sind heute übrigens Softwareentwickler in leitender Funktion.)

Die Öffnung der innerdeutschen Grenze wurde für uns Pfälzer Dorfkinder also erstmals dadurch konkret, dass Kinder zu uns kamen, die wir mit großer Selbstverständlichkeit sofort als völlig fremd markierten, wie wir auch vorher „den Türken“, „die Amis“, „die Polen“, „die Russen“ als fremd markiert hatten. Man wusste, dass „Ausländerfeindlichkeit“ irgendwie falsch und auf jeden Fall verboten war, man war jedes Mal energisch zurechtgewiesen worden, wenn man den äthiopischen Zwillingen im Kindergarten wieder einmal durch die Haare gewuschelt hatte, aber man hinterfragte nicht, dass es einen Unterschied zwischen „uns“ und allen anderen gab, die nicht so waren wie „wir“, ob sie nun aus Kurdistan kamen oder aus dem Bezirk Gera.

In der Folge erschienen nicht nur in unserem tief westdeutschen Alltag ostdeutsche Zuzügler*innen, sondern auch im gesamtdeutschen Fernsehen tauchten mehr oder minder schlagartig zahlreiche Ostdeutsche auf, und zwar unter zwei Aspekten: einmal als ostentative „Ost-Importe“ wie Wolfgang Lippert, Karsten Speck, Gunther Emmerlich oder der eine Weile geradezu ubiquitäre Wolfgang Stumph (wenn es gesetzter wurde, war Kurt Masur und Ludwig Güttler kaum zu entgehen); aber eben auch und vor allem als Gegenstand von Spott und Häme. Das Lachen über und der mehr oder minder gespielte Hass auf „Ossis“ war ebenso verboten-frivol, aber geduldet und allgegenwärtig wie die Witze über Mantafahrer, Blondinen und Schlimmeres.

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In Ihrem Buch „Wer lacht noch über Zonen-Gaby?“ (Tropen Verlag 2022) schreibt Nicole Zepter, die fünf Jahre älter ist als ich, genau darüber, was ich eben meinem lückenhaften Kindheitsgedächtnis zu entlocken versucht habe: über „die Wende“ aus westdeutscher Sicht; und daran anschließend: über den westdeutschen Blick auf „den Osten“.

Ihre mehrfach in unterschiedlich pathetischen Formulierungen wiederholte Grundthese ist dabei: „Es hätte ein Wunder sein können – eines, von dem wir heute noch zehren“ (S. 31). Für sie stellen „Wende“, Wiedervereinigung und die Transformation seither eine verpasste Chance dar. Der Untertitel des Bandes, „Ein Vorschlag zur Versöhnung“, drückt seine Absicht aus: Das Buch soll einer Entfremdung abhelfen.

Zwischen Erinnerungen an ihr eigenes Leben, als Privatperson ebenso wie als Journalistin, schaltet Zepter dazu immer wieder Abschnitte ein, die historische Ereignisse rekapitulieren, reportage- und portraithafte Passagen, lange Zitate, etwa von Zeitzeugen wie Bärbel Bohley und Wissenschaftlern wie Ilko-Sascha Kowalczuk, aber auch Kommentare aus Onlineforen und Ähnliches. Der Treuhand-Experte Marcus Böick wird auf 13 Seiten ausführlich interviewt. Leider lässt das Buch durch diesen Aufbau ein wenig den Zusammenhang vermissen und wirkt, als würde eine lockere Serie von Zeitschriftenartikeln nachgedruckt. Dabei ist es mit 188 kleinformatigen Seiten (von denen noch 37 Seiten Anhänge, Vakatseiten und Titelei abgehen) für sein großes Anliegen ohnehin sehr kurz geraten. 

Die Ursache dafür, dass das mögliche „Wunder“ nicht geschehen ist, dass die Chance verpasst wurde, ist für Zepter in den Einstellungen und dem Verhalten der Westdeutschen unmittelbar nach dem Mauerfall zu suchen, die den übersiedelnden oder auch nur zu Besuch kommenden Noch-DDR-Bürgern und späteren Ostdeutschen mit Geringschätzung, Misstrauen, Desinteresse, Sozialstaatschauvinismus oder aber erniedrigender Gönnerhaftigkeit begegneten. Hiermit beschäftigen sich die ersten vier Kapitel. Die eingeschalteten Bezüge auf die Gegenwart sollen zeigen, dass die geschilderten Einstellungen sich erhalten haben – „Wir Westdeutsche sind alle ein bisschen Sophie Passmann“ (46), schreibt Zepter mit Bezug auf Passmanns vieldiskutierten verächtlichen Spiegel-Text über Eisenach von Anfang 2018, der inzwischen depubliziert wurde. 

Der folgende Mittelteil verhandelt verschiedene Facetten des West-Blicks auf Ostdeutschland: die verbreitete Unterstellung von „Opfermentalität“ und „Gejammer“; einen klischeegeprägten Blick auf die DDR bei gleichzeitiger Abwesenheit echten Interesses; Aspekte persönlicher und struktureller Verstrickung Westdeutscher in das Negative, was 1989 und im Folgenden geschah. Das letzte Fünftel des Buchs widmet sich nach ausführlicher Symptombeschreibung Versuchen der Ursachenforschung. Das Kapitel „Die Unsouveränen“ beschäftigt sich mit dem widersprüchlichen und verquälten Selbstverhältnis der Westdeutschen in den 80er Jahren. Anschließend wird u.a. auf gerade einmal sieben Seiten die Frage „Wer sind wir als Deutsche?“ abgehandelt.

Zepter schließt ihr Werk mit persönlichen Bekenntnissen und klaren Handlungsempfehlungen. Ihr Vorschlag ist ganz direkt – die Westdeutschen müssen historische Verantwortung für das übernehmen, was sie 1989 und danach getan haben; sie müssen die Ostdeutschen um Verzeihung bitten, wie die Autorin es selbst tut:

Ich möchte mich entschuldigen für die Herablassungen, Diskriminierungen und das Ausgrenzen von Menschen mit ostdeutscher Biographie. Für meine eigenen Bewertungen, genauso für meine Versäumnisse, für das, was ich nicht sehen konnte oder wollte. Ich möchte mich entschuldigen für die Generation meiner Eltern und Großeltern, die über ihre Art des Erzählens Menschen bewerten, herabsetzen und diffamieren. (167)

Den Vorspann zu diesen Vorschlägen und diesem Bekenntnis bildet ein direkter und ausführlicher Bezug auf den afroamerikanischen Juristen und Bürgerrechtsaktivisten Bryan Stevenson. Hier wird der zwiespältige Charakter von Zepters Nachdenken über strukturelle Benachteiligung im Ost-West-Verhältnis deutlich. Den Alltagsrassismus im Westen der 80er und die kalte Umstandslosigkeit, mit der die ab 1989 im Westen auftauchenden Ostdeutschen mit anderem Fremdem zusammen subsumiert wurden, habe ich zu Anfang dieses Texts versucht zu skizzieren. Darauf hinzuweisen halte ich für richtig und geboten. 

Zepter erlaubt sich aber leider immer wieder und ausführlich die Gleichsetzung der Ost-West-Differenz mit klar rassifiziert gezogenen Trennlinien, etwa wenn sie schreibt: „In den USA gibt es mittlerweile die Black-Lives-Matter-Bewegung […]. Über Ostdeutsche darf immer noch gewitzelt werden“ (91). Ob sie sich auf Stevenson beruft, auf Naika Foroutans These, Ostdeutsche seien Migranten, oder ob sie Theorien, die zur Beschreibung der rassistischen Unterschiede in der amerikanischen Gesellschaft entwickelt wurden, auf den Ost-West-Unterschied anwendet – sie kommt immer wieder auf diesen Vergleich zurück.

Mir scheint aber für ein gelingendes Reden über Ost- und Westdeutschland vor allem wichtig zu sein, stets präsent zu halten, wo die Parallelen zu Chauvinismus, Kolonialismus und rassistischer Diskriminierung eben aufhören, und das schon alleine aus Angemessenheits- und Geschmacksgründen. Westdeutsche haben keinen Ostdeutschen die Bürgerrechte genommen wie Weiße Schwarzen in den USA; Ostdeutsche wurden nicht von Westdeutschen zu Tode gefoltert und verbrannt.

Um noch einmal zum Anfang zurückzukehren, nach Kusel 1989: Dass für uns Schulkinder „die Ossis“ in dieselbe Schublade gehörten wie „die Polen“ und „die Amis“, lässt sich nicht abstreiten, genauso wenig der allgegenwärtige Wohlstandschauvinismus oder der koloniale Anstrich im Sprechen und Handeln vieler westdeutscher Elitenangehöriger gegenüber ostdeutschen Subalternen nach 1990. (Die Frage, wie etabliert die Verachtung z.B. von Arbeitslosen 1989/90 im Westen war und wie sehr „die Ossis“ unter bestehende Abwertungsmuster fielen, haben Peter Neumann und ich hier vor einigen Jahren, neben vielem anderem, diskutiert.)

Eine westdeutsche Attitüde, die man in gewisser Hinsicht als kolonial umschreiben kann, macht aber aus Ostdeutschland immer noch keine Kolonie und aus Ostdeutschen immer noch keine rassifizierten Opfer. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Nachwendezeit eine Welle tatsächlicher rassistischer Gewalt hervorbrachte, erscheint eine solche Sichtweise verharmlosend und geschichtsklitternd. Man könnte auf die Idee kommen, die Gewalt, die weiße Deutsche in Ost und West als Fremde Markierten antaten, sollte durch Diskussion dieser Binnendifferenz wegprojiziert und relativiert werden.

Zepters Buch ist nicht uninteressant und streckenweise durchaus schlüssig, aber ein wenig disparat und, wie eben gezeigt, nicht ohne Probleme. Dasselbe trifft auf Dirk Oschmanns Buch „Der Osten – eine westdeutsche Erfindung“ zu, das Peter Hintz bereits ausführlich für 54books besprochen hat und das ich hier nur erwähnen möchte, weil es zu Zepters Buch gewissermaßen das Pendant darstellt. Oschmann schiebt in seiner Wutrede aus weitgehend autobiographischer Perspektive dem Westen die Verantwortung für die Konstruktion „des Ostens“ und einen ganzen Katalog struktureller Missstände zu; Zepter nimmt genau diese Verantwortung auf sich und entschuldigt sich persönlich. Beide Bücher haben einen Hang zur steilen These, wenngleich Zepter immerhin anders als Oschmann darauf verzichtet, eine mehr oder minder selbstbewusst postfaktische Polemik hinzulegen.

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Es gibt zweifellos viele Kontinuitäten im westdeutschen Blick auf Ostdeutschland, für die gerade bestimmte Humorpraktiken gute Beispiele bieten (weswegen der Titel von Zepters Buch, der auf eine legendäre TITANIC-Titelseite verweist, auch so passend ist). Solche Kontinuitäten zeigen sich, um nur ein ganz kleines Schlaglicht zu nennen, darin, dass Mundstuhl mittlerweile seit über 20 Jahren ungerührt „Peggy und Sandy“ aus Zeulenroda auf die Bühne bringen. Das Problem beim Reden über Kontinuitäten ist jedoch, dass eine Verbindungslinie gerne als Beleg dafür gesehen wird, etwas sei sich gänzlich gleich geblieben. Dies gilt gerade in einer medialen Öffentlichkeit, für die die Behauptung, in irgendeiner Hinsicht habe sich „rein gar nichts geändert“ oder es sei „überhaupt nichts passiert“, eines der abgenutztesten Werkzeuge im Kasten ist.

Oschmanns Buch stellt, wie Peter Hintz in seiner Rezension herausgearbeitet hat, eine Zusammenfassung von über 30 Jahren Diskurs dar. Dazu passt, dass er Vorurteile, die im Westen unmittelbar nach dem Mauerfall und insbesondere in der „Übersiedlerzeit“ der Monate danach am präsentesten waren, als unverändert virulent darstellt. Dass Westdeutsche Ostdeutsche heute wie vor 33 Jahren immer noch ungebrochen als „faule Ossis“ mit dem Gepäck einer kollektivistischen und hochpolitisierten Sozialisation sähen, wäre erst einmal zu belegen. Auch Zepter sieht den Schlüssel zu allem, was seitdem geschehen oder unterlassen worden ist, in der Umbruchzeit 1989/90; die Zeit seither gilt ihr vor allem als Schauplatz einer Stagnation, eines Unterlassens. Das Bild, das sie zeichnet, hat etwas Mythisches: Die Westdeutschen haben den Kairos verpasst, sich ihren Brüdern und Schwestern zu öffnen, und so liegt Ostdeutschland jetzt unerlöst herum, bis die Reue des Westens es wachküsst.

Nach jedem empirischen Maß ist Ostdeutschland seit 1989/90 aber gerade keine stagnierende, sondern eine hochdynamische Region, in der sich einige der einschneidendsten gesellschaftlichen Veränderungen abgespielt haben, die je ein Industrieland erlebt hat. Dazu gehören natürlich Strukturwandel, Abwanderung und ein vermutlich beispiellos schneller und gründlicher Elitenwechsel; dazu gehört allerdings ebenso, dass der Arbeitskräftemangel die Massenarbeitslosigkeit mittlerweile als strukturelles Problem abgelöst hat, weil die Region mit großen Industrieansiedlungen überzogen wird; dazu gehört das An- und Abschwellen rechter Gewalt und Organisationsformen. 

Das Plattenbauviertel Jena-Winzerla, in dem sich der NSU gründete und in dem ich seit 2017 sehr gut lebe, war in den 90er Jahren eine Zone, in der Jagd auf „Ausländer“ und Langhaarige gemacht wurde. An der Ecke Johannisstraße/Jenergasse in der Innenstadt lauerten Glatzen und schlugen willkürlich Passant*innen zusammen, nur wenige Meter von dem Lokal, wo heute die internationale akademische Bevölkerung der vor Geschäftigkeit summenden High-Tech-Boomtown Jena die besten Cocktails Thüringens serviert bekommt. Und natürlich gibt es noch mehr außer Ökonomie, Nazis und Wendefolgen. Wie Peter Hintz zu Recht anmerkt, ist Ostdeutschland auch (und wie könnte es anders sein?) ein Ort kultureller Phänomene und Dynamiken, die sich nicht völlig unter das Gefolge von 1989/90 subsumieren und schon gar nicht als durchweg marginalisiert oder abgewertet darstellen lassen. Ja, „der Osten“ hat Kraftklub, Rammstein, Tilo Jung und Uwe Tellkamp hervorgebracht, aber eben auch Voland&Quist, Miku Sophie Kümel, Badmómzjay und Erik Leuthäuser.

Betrachtet man Aspekte wie Wertschöpfung, Löhne, Transferleistungen, Lebenserwartung, Infrastruktur, Erhaltung von Baudenkmälern und Kulturgütern, Umwelt- und Naturschutz, kann kaum ein Zweifel daran herrschen, dass die Wiedervereinigung und die Transformation seither einen Erfolg darstellen. Rein demoskopisch sind die allermeisten Deutschen zumal nachweislich froh über die Wiedervereinigung und zufrieden mit ihrer Lebenssituation. Die ökonomischen Unterschiede zwischen Ost und West sind hartnäckig und tendieren entgegen langjähriger Erwartung nicht dazu, sich von selbst einzuebnen, verblassen aber gegenüber den regionalen Ungleichheiten in anderen europäischen Staaten wie Italien oder dem Vereinigten Königreich, insbesondere, wenn man berücksichtigt, wie dünn besiedelt Ostdeutschland im Vergleich zum Westen ist. „Gescheitert“, nicht im Sinne der politisch-journalistischen Rhetorik, sondern im Wortsinne, also: wirklich zu einem katastrophal und irreversiblen Ende gelangt, ist die Transformation seit 1990 ausschließlich im Vergleich zu den Ansprüchen, es hätte sich ein „Wunder“ ereignen sollen.

Dass es dennoch einen gesamtdeutschen, die politischen Richtungen übergreifenden, geradezu selbstverständlichen Konsens gibt, die Erfolgserzählung sei eine Lüge, und historische sowie gesamteuropäische Einordnungen der Nachwendegeschichte kaum jemanden interessieren, verweist auf den Punkt, an dem Zepter, Oschmann und viele andere tatsächlich Recht haben: Fragen nach unwägbarer und teils schwer fassbarer subjektiver Anerkennung und Wertschätzung spielen inzwischen faktisch (und vielleicht zu Recht) die weit größere Rolle im Ost-West-Diskurs als materielle Tatbestände.

Problematisch wird es dort, wo Wertschätzung mit dem Unterschreiben fragwürdiger Weltdeutungen gleichgesetzt wird. Die Überzeugung, dass Ostdeutsche etwa in der Ministerialbürokratie oder in Hochschulleitungen skandalös unterrepräsentiert sind und sich das zügig ändern sollte, ist etwas ganz anderes als die Überzeugung, Ostdeutsche würden durch Westdeutsche in einer Weise diskriminiert, die Vergleiche mit der Gesellschaft der amerikanischen Südstaaten zur Zeit der Rassentrennung nahelege. Ich möchte doch gerne weiter Ersteres für wahr und zugleich Letzteres für eine Entgleisung halten dürfen.

Es schadet niemandem, wenn Westdeutsche darüber nachdenken, was Westdeutsche 1989/90 hätten anders machen können. Ob man gleich gemäß Zepters Vorschlag öffentlich auf die Knie fallen und sich dafür entschuldigen muss? Was kann man als Wessi persönlich auf sich nehmen? Dass man z.B. nicht schon viel früher mal ein langes Wochenende in Stralsund statt in Travemünde verbracht hat? Ich weiß nicht, ob es dafür eine Entschuldigung braucht. Es schadet sicherlich nicht, muss aber nicht sein. Nur hinfahren, das muss man.

Bild: Josep Renau, Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik; Foto: „SpreeTom“ bei Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

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