World Beyond – Yolo oder das Ende der Welt

von Katharina Hartwell

 

2020, das Jahr der Lockdowns und unfreiwilligen Heimurlaube, stellte viele vor Herausforderungen, so auch die Streaming-Dienste. Im März 2020 während des ersten strengen Lockdowns sah der Anbieter Netflix sich gar genötigt, die eigene Streamingqualität zu drosseln, um der erhöhten Nachfrage gerecht zu werden. Allerdings sind exzessives Bingen und nicht ganz unberechtigte Eskapismusgelüste wohl nicht vordergründig die Nebenwirkung eines globalen Virus, sondern ein allgemeineres Symptom der Zeit und Gesellschaft, in der wir leben. Fest steht: Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon und Sky müssen liefern, und zwar am besten Serien, die uns gleich mehrere Stunden in ferne Galaxien, Paralleluniversen oder vergangene Epochen katapultieren. Bei der Suche nach überzeugenden – also quotenreichen – Geschichten hat sich das Spin-off als Strategie bewährt, und das, obwohl die wahren Erfolgsgeschichten bisher eher ausbleiben.

Je größer der Erfolg der Originalserie, umso größer scheinen der Druck, die Hoffnungen und Erwartungen für den parasitären Nachkommen. So zeigt es sich gerade eindrucksvoll beim einstigen Quotenwunder Game of Thrones. Über die, freundlich gesprochen, ambivalent rezipierte finale Staffel ließe sich ein eigener Text schreiben, an dieser Stelle soll nur kurz auf das dramatische Ringen um einen würdigen Nachfolger verwiesen werden. Gleich mehrere Spin-Offs hatte HBO bereits in Auftrag gegeben, noch bevor sich das vorläufige Schicksal Westeros’ im pompösen Serienfinale entschied. Ein Prequel mit Naomi Watts preschte immerhin bis zum abgedrehten Piloten voran, wurde dann aber vom Sender gecancelt. Nachdem sich über eine Millionen aufgebrachte Fans digital zusammengerottet hatten, um per Petition nach einem Neudreh der letzten Staffel zu verlangen (dieses Mal unter kompetenter Leitung!), wollte man sich bei HBO wohl keinen weiteren Fehltritt leisten.

Weitaus entscheidungsfreudiger ging es da beim Konkurrenzsender AMC zu, sodass wir im apokalyptisch anmutenden Jahr 2020 treffsicher mit einem weiteren Spin-Off des langlebigen Zombiespektakels The Walking Dead beglückt werden.

Auch hier steht einiges auf dem Spiel. Eine millionenfach unterschriebene Petition dräut zwar nicht am Horizont, doch auch auf Walking Dead – World Beyond lastet ein gewisser Erwartungsdruck, denn die dümpelnde Quoten der Ursprungsserie lassen diese ähnlich lebendig wie ihre untoten Antagonist*innen erscheinen. Die nervenzerreißende Spannung der ersten Staffeln ist bei vielen Zuschauer*innen längst müdem Ekel gewichen. Nun scheint fraglich, ob es nach Fear the Walking Dead aus dem Jahre 2015 ein weiterer Ableger wird richten können.

Ein erster Blick auf den Trailer von World Beyond legt zumindest eine gewisse Strategie nahe: Im Walking Dead-Imperium soll für jeden etwas dabei sein! Zombies in allen Geschmacksrichtungen. World Beyond schlägt also einen grundsätzlich anderen Ton an als die Originalserie, der man vieles vorwerfen kann, aber keinen befremdlichen Feelgood-Charakter. Der Cast in World Beyond ist auffällig jung, der Ton eher dramatisch als rau. High School oder vielleicht College, denkt man, erste Liebe, Pubertät. Die vereinzelt herumtorkelnden Zombies wirken wie Fremdkörper.

Aber World Beyond möchte nicht bloß ein paar launige Coming-of-Age-Geschichten erzählen, und daran lässt schon der Trailer keinen Zweifel. Gesellschaftsrelevant geht es zu in dieser besonderen Zombieapokalypse. Man wendet sich hier an und berichtet gleichzeitig von Generation Z, einer Generation junger Menschen, Erb*innen des Anthropozäns, Bewohner*innen einer real prekären Welt, die sich in diesem Jahr ganz besonders in Endzeitstimmung befindet. In jedem Fall ist die Apokalypse (ob nun durch Zombies, den Klimanotstand oder ein Virus) für die Generation Z ein sehr viel weniger abstrakteres Konzept als noch für die Generation vor ihr. 

Der Anspruch, die Zombie-Apokalypse neu zu erzählen, ist zunächst ein löblicher. Hier ist das Potenzial, jene ernst zu nehmen, die sich der Rebellion gegen die eigene Auslöschung anschließen oder Freitag um Freitag für mehr Zukunft demonstrieren. Man kann davon ausgehen, dass sich diese potentiellen Zuschauer*innen einen reflektierten Umgang mit Fragen nach Zukunft, dem Planeten, Gesellschaft und Überleben, Verantwortung und dem Menschsein wünschen. Man mag gleichzeitig bezweifeln, dass sie in erster Linie nach Action, Torture Porn und überholten Geschlechterbildern lechzen. World Beyond versucht auch gar nicht erst, es ihnen anzudrehen.

Man scheint sich dezidiert an die politisch interessierten Erb*innen der Millennials zu wenden. Kaum eine Szene, in der nicht irgendwer schreit: „We are the future!“ Oder: „We will fight for the future!“ Oder: „I live for the future!“ Auch ein flüchtiger Blick auf die Protagonist*innen zeigt, dass die Serienmacher*innen zumindest oberflächliche Marker gesetzt haben, um uns wissen zu lassen: Diese Serie erzählt im Hier und Jetzt und für eine neue Generation. Im Zentrum stehen die beiden Schwestern Iris und Hope, beide PoC, beide toughe, selbstständige Mädchen, deren Stärke sich auf unterschiedliche Weise ausdrückt. Hope ist die anarchisch Wilde, die heimlich Alkohol brennt, sich im Laderaum eines Busses aus der gesicherten Kolonie schmuggelt und ihren Glauben an die Zukunft aufgegeben hat.

Ihre Schwester Iris wird als „Madam President“ eingeführt, tatsächlich ist sie die Präsidentin der Schülervertretung in der sogenannten Campus Kolonie. Nicht ganz unwichtig vielleicht, dass die Serie ihren Lauf in einem quasi akademischen Milieu beginnt. Von Soldat*innen vor der roughen Realität jenseits der Campus Kolonie behütet, hat Feingeist Iris mit Zombies zunächst noch nicht allzu viel am Hut. Sie zieht es vor, Plakate mit aufbauenden Botschaften zu malen, sich im politischen und gesellschaftlichen Leben der Campus Kolonie einzubringen, voller Idealismus zu ihren MitschülerInnen zu sprechen und Reden über die Zukunft zu halten.

Im Walking Dead-Universum allerdings gilt: Reden ist Silber, Zombies töten Gold. Durch ein längeres Gespräch zwischen Iris und ihrer Therapeutin Dr. K., einer an die Sauerstoffflasche angeschlossenen Boomerin in den letzten qualvollen Atemzügen, erfahren wir, dass Iris sich mit ihren Plakaten und Reden auf dem Holzweg befindet. Hier scheinen Dr. K., der altersklugen Repräsentantin einer welterfahreneren Generation, Weisheiten in den Mund gelegt, die zentral für World Beyond sind. In dem wohl entscheidendsten Satz der Therapiestunde mahnt Dr. K.: „Your head is so far up the future’s ass, you’ve completely abandoned the now!“ Es sei schön und gut, über den Wiederaufbau der Gesellschaft in dieser neuen postapokalyptischen Welt nachzudenken, doch statt sich weiter für die Bewohner der Campus Kolonie aufzuopfern, solle Iris sich lieber auch um sich selbst kümmern. Malen! Auf Dates gehen! Einfach die Seele baumeln lassen.

Nach Dr. K.s Tod kurze Zeit später muss Iris einsehen, dass die Therapeutin ihr zu recht den Kopf gewaschen hat. Schluss mit dem Aktivismus, Schluss mit Plakaten und vertrauensvollen Gesprächen mit den Schüler*innen der Campus Kolonie. Iris zieht es nun hinaus, ins Zombieland, wo sie kurz vor Ende der ersten Folge endlich einem Zombie gegenüber tritt. Die selbst gebastelte Machete in der Hand, einen euphorischer Ausdruck im Gesicht wendet sie sich scheinbar an uns Zuschauer*innen und erklärt: „[…] I’m finally living for me in the now. Searching for my own truth […] It feels good.“

Im Jetzt zu leben und sich gut zu fühlen, ist erstmal das Wichtigste – ob Iris’ Suche nach ihrem Vater, der von der geheimnisvollen Civic Republic gefangen gehalten wird, nun irgendwo hin führt oder nicht, ist sekundär. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, dass Zombies töten ein Empowerment- und Feelgood-Moment sein kann. Ein wenig überraschend offenbart sich World Beyonds eigentliche Botschaft: Es geht um Selfcare! Und so lässt sich das vorherrschende Sentiment der gefühlvollen Zombieserie gut mit einem Akronym beschreiben, das ähnlich überholt wie die Serie selbst scheint: Yolo! Oder wie die weise Dr. K sagt: „You don’t want to end up in my position and realise you haven’t used the years for yourself.“ Kein größerer Schrecken als der, am Ende seines Lebens plötzlich festzustellen, dass man nicht primär für sich gelebt hat.

Ist die Zielgruppe der Serie also etwa doch nicht jene aktivistische Generation Z, sondern all die traurigen Millennials, die vielleicht auch lieber einen Malkurs belegen oder Zombies töten würden, statt immer nur über die Klimakatastrophe, amerikanische Politik, Politik überhaupt, strukturellen Rassismus und Sexismus oder den Corona-Virus nachzudenken? Dummerweise sind gerade jene Millennials aber, die sich für mutmachenden Botschaften und einen allgemeinen Feelgood-Vibe erwärmen, tatsächlich eher im Malkurs oder lesen Eckhart Tolle, statt eine Serie, in der es doch vorgeblich um Zombiegemetzel gehen soll, zu bingen.

Wer also einigermaßen erzürnt vor dem Bildschirm sitzt, sind die Stammzuschauer*innen der ursprünglichen Walking Dead-Serie, angelockt allein durch die namentliche Anbindung von World Beyond an das Walking Dead-Universum und das Versprechen von Mooszombies. Groß ihr Unmut, wenn sie schließlich feststellen, dass World Beyond ungefähr so spannend ist wie ein ASMR Video.

Dass es AMC spektakulär misslungen ist, den Erwartungsspagat zu meistern, zeigen die diversen aufgebrachten Amazon-Rezensionen (die Serie läuft aktuell nur dort), die aus gleich mehreren Gründen mindestens so spannend sind wie ihr Referenztext. Die Gesamtwertung bezieht sich zurzeit (Stand Oktober 2020) auf zwei von fünf Sternen. Einen ersten Einblick in die kollektive Unzufriedenheit liefert die am höchsten bewertete schlecht bewertende Rezension (!) von Smackx mit dem unheilkündenden Titel: „Eine recht FEMINISTISCH wirkende Welt …“

 Zum Glück für uns Leser*innen mit eher begrenzter Aufmerksamkeitsspanne verrät uns Smackx gleich in der Überschrift den wahren Schrecken von World Beyond. Nicht Zombies, sondern „recht FEMINISTISCHE“ Protagonist*innen werden uns kalte Schauer den Rücken herunterjagen: „Starke, taffe dargestellte Frauen in Führungsrollen und eine verweichlichte, sich unterordnende Männerwelt, also wenn das nicht feministisch wirkend ist, was dann?“, fragt Smackx hier ganz kontemplativ.

Bemerkenswert ist, dass die Kritik sich auf einen Klischee-Vorwurf stützt (durchaus berechtigt, World Beyonds Figuren sind unterkomplex und überzeichnet), während sie selbst in eben diesem klischeehaften und genderstereotypischen Denken verhaftet bleibt. Die Männer sind „verweiblicht“, weil „verweichlicht“, „feminin“ weil „ängstlich“. Ein weiterer Rezensent mutmaßt gar, ihnen sei „das Testosteron ausgegangen“.

Auch von der gefürchteten „politischen Korrektheit“ ist in den aufgebrachten Rezensionen oft die Rede. Diese wird wohl primär an den beiden Hauptfiguren Iris und Hope (beide PoC), dem vorwiegend weiblichen Cast und dem schwulen Soldaten Felix (dessen frappierende Ähnlichkeit zu Walking Deads Rick Grimes das vielleicht Bemerkenswerteste an der ganzen Serie ist) festgemacht. Hier findet nun eine bedauerliche Überlappung von gesellschaftlicher, politischer Haltung und narrativer Qualität statt: Der Umstand, dass feministisch, „politisch korrekt“ erzählt wird, gilt als Beweis für die mangelnde Qualität der Serie. Tatsächlich bedingt sich diese aber bloß narrativ und strukturell. Die Figuren sind Typen, die Dialoge flach. Das hat aber nichts mit politischer Korrektheit zu tun. Auch ein schwuler Soldat, eine Schwarze Schulsprecherin, ein nerdiger Junge im Cordanzug kann und sollte komplex gezeichnet und erzählt sein. Auch diese Figuren kann man als Serienmacher*in überraschend agieren und sprechen lassen. Die Entscheidung, dies nicht zu tun, sondern in Karikaturen verhaftet zu bleiben, hat nichts mit „politischer Korrektheit“ und viel mit einem Unverständnis für ebenjene Individuen und Gruppen zu tun, die hier vorgeblich porträtiert werden sollen.

Eindrucksvoll dargestellt wird dies etwa durch das von Smackx monierte „Comming Out“ (sic!) von Felix („Ohne Quote läuft wohl nichts mehr!“, klagt Smackx). Statt gekonnt das subversive Potenzial der Figur auszuschöpfen, ist die Umsetzung dieses vorgeblich klassischen Actionheldens wie so vieles in der Serie lieblos, altbacken, ein wenig peinlich. Felix’ Background-Geschichte etwa erfahren wir durch wenig subtil eingeflochtene Rückblenden. In der zweiten Folge von World Beyond sehen wir einen sehr jungen Felix, der nach Hause kommt und von seinem aggressiven Vater, der direkt aus einem Stephen King-Film der 90er-Jahre entsprungen zu sein scheint, zur Rede gestellt wird. Der Vater sitzt an einem Tisch, einen Stapel Papiere neben sich. Noch immer sichtlich unter Schock stehend erklärt er seinem Sohn und uns, dass er an dessen Computer auf eine Reihe schockierender E-Mails gestoßen sei. Wohl zur besseren Beweisführung hat er diese gleich ausgedruckt. Warum? Vermutlich, um verstört auf sie zu deuten und sie nachher vielleicht in einem Ordner abzuheften. Ein etwas aus der Zeit gefallener Konflikt nimmt seinen Lauf und der Vater schreit, wie schon unzählige andere Väter in unzähligen anderen Filmen und Serien in unzähligen Dekaden vor ihm: „Get out!“

Jetzt kann man der Serie vielleicht nicht einmal recht vorhalten, dass sie sich entschieden hat, sich der Diskriminierung Queerer Personen in einem denkbar konservativen Milieu zu nähern. Kann ja gut sein, dass irgendwo noch Väter die E-Mails ihrer Söhne ausdrucken und ihnen zurufen, sie sollten sich aus dem Haus scheren. Aber um die cutting-edge-Problemanalyse struktureller Diskriminierung, die man von einer Serie, die sich vorgeblich an ein junges Publikum richtet, erwarten würde, handelt es sich nicht gerade.

Und dennoch fühlt sich ein nicht unwesentlicher Anteil unzufriedener Amazon-KundInnen offensichtlich durch Felix und die anderen „testosteronlosen“ Männer überfordert. Wer sich mit der Serie und ihrer Rezeption auseinandersetzt, der stößt unweigerlich auf ein komplexes und ernüchterndes Problem, das uns zurzeit wohl in den unterschiedlichsten Kontexten, auf unterschiedlichen Kontinenten, in fiktiven oder sehr realen Zusammenhängen begegnet: Die Kluft wird größer. Was einem nicht unbeträchtlichen Publikum zu progressiv, zu fortschrittlich oder, in ihren Worten, zu „politisch korrekt“ erscheint, gestaltet sich für eine andere Gruppe bereits als überholt, flach, altbacken.

Betrachtet man die Amazon-Rezension fällt zudem ein interessanter Spiegeleffekt ins Auge: So wenig wie die Serie in der Lage ist, jene Phänomene, gedankliche Strömungen und Identitäten abzubilden, mit denen sie sich vorgeblich beschäftigt, und stattdessen geradewegs an dem vorbeierzählt, was eine neue Generation umtreibt, so wenig treffend beschreiben viele der negativen Amazon-Rezensionen die massiven strukturellen und qualitativen Unzulänglichkeiten der Serie und fokussieren sich primär auf das so wahrgenommene Problem des „politisch korrekten“ Erzählens.

Dass „politisch korrektes“ Erzählen natürlich qualitativ hochwertiges Erzählen sein kann, sein muss, und es wie im Falle von HBOs Watchmen oder Euphoria auch ist, gilt es nun scheinbar immer wieder neu zu beweisen. Und es steht mehr auf dem Spiel, als bloß ein paar erzürnte Amazon Rezension

 

 

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