Eine Studie in Scharlachrot – Jonathan Yeos HM King Charles III

von Christina Dongowski

Alles, was die Royal Family so macht, ist Instant Meme Material für Social Media, selbst wenn sie eigentlich nichts macht, zum Beispiel wochenlang kein Foto der Prinzessin von Wales veröffentlichen. Aber manche Tage – wie der 15. Mai 2024 – sind dann doch etwas Besonderes in der symbiotischen Beziehung zwischen Social Media und britischem Königshaus. An diesem Tag enthüllte König Charles III im Buckingham Palace und auf den royalen Social Media Accounts gemeinsam mit Königin Camilla sowie dem Maler Jonathan Yeo dessen Porträt von Charles. Ein großes Raunen ging durchs Netz: Auf das, was Jonathan Yeo da als erstes offizielles königliches Porträt nach der Krönung abgeliefert hatte und der König freundlich-ungelenk präsentierte, war wohl niemand so recht vorbereitet.

Ein riesiges, überlebensgroßes Gemälde, zirka 2,60 x 2 Meter. Man starrt auf einen wilden Farbtumult aus Rottönen, aus dem sich der Kopf des Königs und seine Hände ziemlich realistisch gemalt herausheben. Dann sieht man die schwarze Silhouette eines Schmetterlings über der linken Schulter des Königs und erkennt, dass der König eine Parade-Uniform trägt, dekoriert mit Orden und Aiguilette. Connaiseurinnen des britischen Königshauses oder britischer Militaria identifizieren schnell die Uniform des Royal Colonel of the Regiment der Welsh Guards. Aber auch wenn der König hier in einem traditionellen zeremoniellen Aufzug steht, nichts an diesem Bild hat etwas mit den langweiligen, mehr oder weniger fotorealistischen Gemälden zu tun, die seit Königin Viktoria das Genre „Herrscherporträt“ im Vereinigten Königreich dominieren.

Für Social Media war dieses Gemälde natürlich ein Geschenk: Die einen assoziierten Charles im Höllenfeuer – wahlweise als Höllenfürst selbst oder als Strafe für seine persönlichen Untaten oder die des Empires, dessen Symbol er ist. Viele sahen das Blut der Opfer des Imperialismus aus der Leinwand treten, manche erinnerten sich an Charles’ unverkrampftes Verhältnis zu Tampons. Metal-Cover wurden aus dem Bild gebastelt, die Textur des Bildes über Han Solo in Karbonat gelegt oder „Bloody Charles“ als neuer Endboss in Elden Ring-Screenshots montiert. Ältere Semester polierten ihre monarchie-kritischen Credentials mit dem fleißigen Posten des Porträts von Vigo the Carpathian aus Ghostbusters II als Vorbild für das Königsporträt. Ob das Gemälde unfreiwillig „böse“ geraten sei oder ob Yeo hier eigentlich Kritik an der Monarchie übe, und die Windsors einfach zu beschränkt seien, um das zu begreifen; wie Königin Camilla das Bild habe absegnen können oder ob sie sich damit für ihre jahrzehntelange Zurücksetzung räche – dazu wird in Social Media engagierte diskutiert und geshitpostet.

Dass die außergewöhnliche zeitgenössische Ästhetik des Porträts, besonders seine Farben, heftige Reaktionen auslösen würden, war sicher auch den Beteiligten klar. In seinem Statement zum Bild geht der Maler Jonathan Yeo natürlich auch auf die Farbe ein:

„The vivid colour of the glazes in the background echo the uniform’s bright red tunic, not only resonating with the royal heritage found in many historical portraits but also injecting a dynamic, contemporary jolt into the genre with its uniformly powerful hue / providing a modern contrast to more traditional depictions.“

(Die lebhaften Farbschichten im Hintergrund nehmen die kräftige rote Farbe der Uniformjacke auf und stimmen so mit der königlichen Tradition zusammen, die man in historischen Porträts findet. Mit der vereinheitlichenden Farbgebung geben sie der Gattung aber auch einen dynamischen zeitgenössischen Stoß, wodurch ein moderner Kontrast zu eher traditionelleren Darstellungen entsteht.)

Porträts – eine sehr englische Kunst

Wie rot das tatsächlich alles werden wird, konnte sich Charles wahrscheinlich nicht vorstellen, als man 2020 Jonathan Yeo mit dem Porträt beauftragte. Dass er von Yeo kein Standardbild bekommt, das dann in Amtstuben und auf Briefmarken widerstandslos im Hintergrund verschwindet, war ihm aber sicher auch klar. Aber dafür ist das Bild auch nicht gedacht. Es ist, im Gegensatz zu den Official Portraits, meistens Fotos, die für die Amtsstuben, Botschaften und für den Royal Merchandise verwendet werden, für einen ganz spezifischen Ort und zu einem ganz spezifischen Anlass gemalt worden. Das Bild feiert zwanzig Jahre Mitgliedschaft von Charles in der Drapers’ Company, einer der ältesten und reichsten mildtätigen Stiftungen Großbritanniens. In deren prunkvollen Drapers’ Hall wird es auch ab Ende August hängen, als neuester Zugang in einer langen Reihe von Herrscherporträts, alle überlebensgroß.

Aber auch hier wird das Bild auffallen – und das soll es wohl auch. Schließlich hat das britische Königshaus bereits einige Erfahrungen mit Jonathan Yeo und seiner Art des Porträtierens gemacht: 2008 hat Yeo den Vater von Charles, den Herzog von Edinburgh, gemalt und 2014 Camilla, die damals noch Herzogin von Cornwall war. Beide Porträts sind im Vergleich zum Porträt des Königs kleiner und auch konventioneller gemalt, aber gerade mit ihrem kleinen Format verstoßen sie gegen die Konventionen solcher Porträts. Darüberhinaus präsentiert Yeo die Herzogin von Cornwall in quasi informeller Haltung. Die geringe Distanz zur Betrachterin, der abgewandte Blick der Porträtierten und die gedämpften Blau- und Grau-Töne des Bildes verleihen dem Bild eine Form von „Privatheit“, die zu der Öffentlichen Person, die wir zu kennen meinen, in Spannung steht. Gleichzeitig erfährt man nicht wirklich etwas über diese ältere Dame – außer vielleicht durch ihre kräftigen, zupackenden Hände.

Das Porträt von HRH Duchess of Cornwall zeigt die Qualitäten besonders gut, die Yeo zum vielleicht wichtigsten Porträtisten der britischen Gesellschaft gemacht haben. Er hat eine Ästhetik und malerische Technik entwickelt, mit der millionenmal abgebildete und gesehene Gesichter wieder so etwas wie eine persönliche Aura oder eine charismatische Ausstrahlung bekommen. Und er lässt Menschen, die über Macht und Einfluss verfügen, charismatisch, zumindest aber voller Charakter wirken. Ein Effekt, der schon bei Yeos Porträt von Tony Blair (2007) zu sehr geteilten Reaktionen führte. Malt Yeo hier einen Kriegsverbrecher zum Getriebenen um oder decouvriert er hier das Gesicht der Macht? Wenn Yeo selbst über diesen Effekt seiner Porträts spricht, verwendet er dafür die Tropen, die seit dem 19. Jahrhundert in der Porträtmalerei gängig sind: Er male, um den Charakter seines Gegenübers sichtbar zu machen. Deswegen bestehe er auch immer darauf, zumindest einige Zeit mit den Porträtierten zu verbringen und male nie allein nach Fotos.

Nach Fotos zu malen ist eigentlich eine übliche Praxis in der Porträtmalerei, besonders bei Porträts von Menschen mit sehr engen Terminkalendern. Dass Yeo darauf bestehen kann, dass selbst ein Wirtschaftsmagnat wie Rupert Murdoch oder eben der König für ihn tatsächlich „sitzt“, zeigt seinen Status. Yeo wird nicht als Dienstleister engagiert, sondern er ist der Künstler, dessen ästhetischer Kompetenz sich der Machtmensch unterordnet. Damit sich die Nachwelt an eine Person erinnern wird, die mehr war als einfach nur sehr reich oder mächtig oder, wie im Fall der vielen Filmstars, die Yeo bereits gemalt hat, sehr gutaussehend. (Sehr interessant ist die Differenz in den Stilen, die Yeo für seine weiblichen Star- oder Modell-Porträts nutzt, und die Art, wie er alle Männer und die Frauen malt, deren Beruf nicht das Angeschaut-werden ist. Die weiblichen Stars malt er in einem ganz ähnlichen Stil wie die Frauen in seiner Plastic Surgery-Serie. Anschauen kann man sich Yeos Bilder hier.

Was Yeos Porträts gegenüber Vanity Culture-Standardware auszeichnet, ist der offensive Anspruch auf den Status als Gemälde und als Kunstwerk, den sie formulieren. Diesen Status können sie aber nicht einfach durch realistisch-idealistische Virtuosität erreichen, wie sie beispielsweise von den zahllosen rechten Kunst- und Kultur-Accounts auf Social Media zelebriert wird. Yeos Gemälde performen stattdessen intensiv ihre Gemaltheit – und damit ihren Kunststatus. Dafür nutzt der Künstler die komplette Palette malerischer Gesten, die ihm die moderne Malerei bereitstellt: expressive, gestische Pinselstriche; sichtbar bleibende Leinwand; dick gespachtelte Farbschichten; Sichtbarlassen von Malhilfen, beispielsweise der Rasterung; Non-Finito-Oberflächen usw. Keines seiner Gemälde macht aber den Eindruck, als würde hier die Gefahr bestehen, dass der Maler sich im kreativen Prozess verliert und nur den Logiken von Farben und Formen folgte.

Yeo führt Malerei vor, er malt sehr reflektiert. Er weiß genau, welches malerische oder stilistische Mittel woher kommt, aber er scheint die kunsthistorischen Vorgänger, die beim Malen mit ihm im Atelier stehen, nicht als Belastung oder Heimsuchung zu empfinden. Im Gegenteil, Yeo stellt sich, zumindest in seiner Praxis als Porträtmaler, bewusst in die Tradition der englischen Malerei: Lucian Freud, Francis Bacon, John Singer Sargent, Reynolds und Gainsborough, Lawrence, Raeburn und George Stubbs – auf sie nimmt Yeo mehr oder minder deutlich Bezug. Seine Webseite wird geschmückt von einem Zitat von Damien Hirst, der Yeos Arbeitsethos und künstlerischen Anspruch mit dem William Turners vergleicht. (Das Vereinigte Königreich ist das einzige Land, dass eine National Portrait Gallery hat, Portraits sind – neben Landschafts-und naturkundlichen Aquarellen – eine nationale kunsthistorische Obsession.)

Warum ist hier so viel Rot?

Man kann die Karriere Yeos als eine von langer Hand geplante Bewerbung für genau den Auftrag lesen, der ihm dann 2020 tatsächlich erteilt worden ist: das Porträt des (zukünftigen, Charles war 2020 noch Prince of Wales) Königs für eine der traditionsreichsten und größten wohltätigen Einrichtungen des Königreichs zu malen – und sich selbst endgültig in die britische Kunstgeschichte einzuschreiben. Sein Platz dort wäre Yeo als Maler des ersten Porträts von König Karl III. auch ohne diese Bravura-Performance in Rot sicher gewesen, aber die Virtuosität des Gemäldes sichert dem Bild auch seinen Status als Kunstwerk, das über eine Auftragsarbeit weit hinausgeht. Der Aufschrei der Leute, die sich von den verschmierten Rottönen abgestoßen fühlen und das Bild deswegen für misslungen halten, fungiert hier eher als Bestätigung. Was weiß die Allgemeinheit schon von Kunst? Das Rot nur als Geste der Provokation zu lesen, markiert einen im Grunde schon als Banausin, die nichts weiß von dem riesigen historischen und kunsthistorischen Anspielungsraum, in den das Gemälde Charles stellt und dabei dessen persönliche Biographie und individuelle Interessen ins Historische überhöht und allegorisiert.

Dass Yeo das Porträt selbst allegorisch versteht, führt er in seinem Statement zum Schmetterling auf der Schulter des Königs vor. Es handelt sich beim Schmetterling um einen Monarch-Falter, dessen Namenspatron ein Vorgänger von Charles ist, König Wilhelm III. Der Falter selbst ist mittlerweile in seinen Beständen stark gefährdet und steht so für die Natur- und Umweltschutzinteressen des Königs. In der traditionellen Symbolik stehen Schmetterlinge für die Transformation, den Wandel von einem Zustand zum anderen, Yeo möchte damit auf die Verwandlung von Prinz Charles in König Charles verweisen. Eine Verwandlung, die in der Krönungszeremonie dargestellt und bezeugt wird. Zu Blut als naheliegender Assoziation für das viele Rot sagt Yeo nichts, aber als kulturelles Symbol ist Rot noch überdeterminierter als der Schmetterling.

Blut ist natürlich eine sinnvolle Lesart: Der Königstitel ist erblich. Seine Legitimität als König hängt von Charles Herkunft ab, nicht von seiner Beliebtheit beim Volk. Und natürlich ist die Geschichte des Königreichs von Blut getränkt. Daran zu erinnern ist eine der zentralen Aufgaben von Charles, die er bereits als Prince of Wales erfüllte. In der Uniform der Welsh Guards, die er auch für sein Porträt ausgesucht hat, hat er zahllose Paraden, Kranzniederlegungen, Veteranenehrungen und Gedenkveranstaltungen aus Anlass britischer Kriegseinsätze absolviert. Am 5. und 6. Juni wird er als König den 80. Jahrestag der Landung der Alliierten Truppen in der Normandie begehen. (Eines der wenigen anderen roten Bilder in Yeos Werk ist übrigens das Porträt des D-Day-Veteranen Geoffrey Pattinson, das er 2015 im Auftrag von Charles für die Royal Collection gemalt hat – im Rahmen der Ausstellung The Last of the Tide.)

Selbst wer die rötlichen Farbschlieren als das Blut der Opfer des Imperialismus erkennt, muss das Porträt nicht unbedingt gegen dessen Intention lesen. Royals haben im Rahmen von Staatsbesuchen der Untaten des Empires gedacht, die Monarchie ist dadurch nicht ins Wanken geraten. Dass Macht auszuüben auch ein blutiges Handwerk sein kann, gehört darüberhinaus zum Selbstverständnis jeden Staates. Seit Jahrhunderten fassen Bildende Kunst, Theater, Oper und Literatur den Gewaltcharakter von Macht als persönliche oder historische Tragik ihrer Träger*innen. Als grundlegende Kritik an dem Prinzip Macht, Souveränität oder Staatlichkeit ist das selten gemeint gewesen, und wurde von den Auftraggebenden auch selten so verstanden. Tatsächlich gibt es auch einige Interpretationen, die zum Schluss kommen, Yeo kritisiere mit der blutigen Farbwahl zumindest implizit das, wofür Charles steht, oder hier dränge sich unbewusst die Gewalt des Empires ins Bild, dessen Geschichte und Gegenwart Charles repräsentiert. Aber womöglich unterschätzen solche Interpretationen vor allem, wie präsent Mächtigen die ständige Möglichkeit der realen Gewaltausübung ist.

Wolfgang Ullrich hat 2016 in seinem Buch „Siegerkunst. Neuer Adel, neue Lust“ die transformativen Dynamiken beschrieben, die in der zeitgenössischen Kunst dadurch entstehen, dass sie sich so gut als Statussymbol und Lifestyle-Accessoires der Megareichen und Hyper-Kapitalisten eignet. Am Beispiel von Andreas Gurskys slicken Fotomontagen diskutiert er, wie ein Künstler, dessen Kunst die Perspektive der Mächtigen und der Macht beflissen repetiert, durch die Mobilisierung kritischer Diskurse über seine Kunst dem Status reinen Innenausstattungshandwerks zu entkommen sucht: „Nachdem bildende Kunst die längste Zeit ihrer Geschichte auf der Seite der Herrschenden stand, dann aber in der Moderne eine Gegenposition bezogen hat, ist die Beziehung zu einst hochentwickelten Traditionen der Repräsentation von Macht mittlerweile jedoch abgebrochen. Mit dem Aufkommen der Siegerkunst müssen Künstler aber neu lernen, wie sie ihren Kunden und Auftraggebern gefallen, ohne zugleich zu harmlosen Dienstleistern zu degenerieren.“

Jonathan Yeo braucht keine beflissenen Kritiker*innen- und Kurator*innen-Schar, die für seine dekorativen Arbeiten heftige theoretische Klimmzüge veranstalten, um ihnen den Geruch des Kritisch-seins zu verleihen, der aus Fototapeten erst zeitgenössische Kunst macht. Für einen virtuosen Maler wie ihn gehört die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Malerei zum Handwerk, und zu dem gehört eben auch, wie man als Maler seinem königlichen Auftraggeber entgegentritt. Die Aufnahme in den Order of the British Empire dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.

Titelmeme von @ZullieTheWitch

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