Heterowelten? Queere Repräsentation in frühen Teenie-Serien

von Isabella Caldart

Obwohl mit der kurzlebigen, aber noch immer beliebten Serien „Willkommen im Leben“ bereits im Jahr 1994 ein schwuler Protagonist im Hauptcast einer High-School-Serie war, hatten es queere Figuren nicht leicht in den Teenie-Serien der neunziger und nuller Jahre. Bei jenen, in denen homo-, bisexuelle oder angedeutet trans/non-binary Figuren eine Rolle spielten, zeigt sich bei kritischer Betrachtung in der Gegenwart, dass die Repräsentation zweischneidig ist: Einerseits wurden gesellschaftliche Tabus gebrochen und der Diskurs somit vorangetrieben, andererseits war die Darstellung der queeren Charaktere oft eindimensional, stereotyp oder gar queerfeindlich. Ein Rückblick, der zeigt, dass wir trotz vieler Backlashes gesellschaftlich doch einige Schritte nach vorne gemacht haben.

Erste schwule Protagonisten

„Melrose Place“ (1992-1999), eine Serie, die sich um das glamouröse Leben reicher Twentysomethings drehte, hatte mit Matt Fielding (Doug Savant) bereits ab Folge eins eine schwule Figur. Ihm wurde aber insgesamt sehr viel weniger Screentime zugestanden als den anderen Protagonist*innen; im neunzigminütigen Auftakt etwa beschränkt sich sein Auftritt auf nur 90 Sekunden. Auch ein Kuss von ihm und einem anderen Mann wurde 1994 kurzerhand vom Network FOX gestrichen, aus Angst, man würde bei Ausstrahlung der Szene 1 Million US-Dollar Verlust an Werbeeinnahmen machen. Im Verlauf der sechs Staffeln, in denen Matt Fielding Teil von „Melrose Place“ war, hat er weniger Handlungsstränge als die anderen Protagonist*innen und seltener Love Interests, bis er schließlich bei einem Autounfall ums Leben kommt – und somit zu einem ganz typischen Opfer der „Bury Your Gays“-Trope wird, laut der homo- und bisexuelle Figuren in Serien, Filmen und Literatur sehr viel öfter sterben als heterosexuelle.

Wenige Jahre nach „Melrose Place“ und „Beverly Hills, 902010“ (1990-2000) startete 1994 „Willkommen im Leben“, auch bekannt unter dem Originaltitel „My So-Called Life“, das mit seiner grungy Ästhetik, zweifelnden Teenagern und sozialen Themen ein Gegenentwurf zu diesen populären Serien war, die sich auf das Leben der Reichen und Schönen konzentrierten. Erstaunlicherweise gab es nur eine Staffel; noch heute gilt „My So-Called Life“ als zeitloser Kult. Mit der Figur des 15-jährigen Rickie Vasquez, der von Wilson Cruz gespielt wurde, gab es auch den ersten schwulen Protagonisten, der von einem offen schwulen Schauspieler gespielt wurde und noch dazu of Color ist.

Rickie darf in „My So-Called Life“, auch das war neu, Eyeliner und farbenfrohe Klamotten tragen. Autorin und Produzentin Winnie Holzman sagte später über die Figur, dass sie sich von der Doku „Paris Is Burning“ (1990) habe inspirieren lassen, die Drag Queens und die Ballroom-Kultur der achtziger Jahre  in New York City zeigt. Auch wenn sich Rickie als schwul outet, sollte er eigentlich genderqueer und generell „nicht so leicht zu kategorisieren“ sein. 1995 wurde „Willkommen im Leben“ bei den fünf Jahre zuvor ins Leben gerufenen GLAAD Media Awards, die Medien für ihre LGBTQ-Repräsentation auszeichnen, in der Kategorie herausragende Dramaserie prämiert.

Meilenstein dank „Dawson’s Creek“

Die zwei erfolgreichsten und einflussreichsten Teenie-Serien der ausklingenden neunziger und beginnenden nuller Jahre waren ohne Zweifel „Buffy“ (1997-2003) und „Dawson’s Creek“ (1998-2003). In beiden wird jeweils vom Leben einer schwulen beziehungsweise lesbischen Figur erzählten. (Auch die College-Serie „Felicity“, die zeitgleich lief [1998-2002] hatte mit Javier einen schwulen Protagonisten.)

Bei „Dawson’s Creek“ ist es Jack McPhee (Kerr Smith), der in der zweiten Staffel nach Capeside kommt und zunächst mit Joey (Katie Holmes) zusammen ist, bevor er durch sein Gedicht, das er gegen seinen Willen der Klasse vorgelesen muss, zwangsgeoutet wird. Für eine Serie ihrer Zeit geht „Dawson’s Creek“ verhältnismäßig sensibel mit Jack um. Joey fragt ihn zwar, ob sie ihn „schwul gemacht“ habe, aber einer unsicheren Jugendlichen, die in den Neunzigern sozialisiert wurde, sei diese Frage gestattet. In einer hochdramatischen, starken Szene gesteht Jack seinem Vater, dass er schwul ist. Es braucht anderthalb Jahre – bis zum Finale der dritten Staffel – bevor Jacks Vater seinen schwulen Sohn akzeptiert.

In besagtem Finale, das am 24. Mai 2000 ausgestrahlt wurde, ist es sechs Jahre nach der nicht ausgestrahlten Kussszene von „Melrose Place“ auch endlich soweit: Mit Jack und Ethan (Adam Kaufman) wird der erste „romantische“ Kuss zwischen zwei Männern im Network-Fernsehen gezeigt. Drei Monate zuvor hatte es in „Will & Grace“ bereits einen Kuss zwischen zwei männlichen Figuren gegeben – in einer Szene, in der Jack (Sean Hayes) die fehlende Repräsentation von Schwulen im Fernsehen bemängelt und Will (Eric McCormack) dies kurzerhand ändert, indem er Jack vor laufender Kamera küsst. Im Unterschied zur Szene in „Dawson’s Creek“ wird dieser aber als komisch dargestellt.

Berichten zufolge musste „Dawson’s Creek“-Showrunner Greg Berlanti mit seiner Kündigung drohen, um den Kuss von Jack und Ethan beim Sender The WB durchzusetzen. Damals  konnte eine solche Storyline noch die Karrieren von Schauspieler*innen beeinflussen, weswegen Kerr Smith zunächst zögerte. Nachdem er sich für die Mitwirkung entschieden hatte, war  ihm aber auch klar, dass es ein „richtiger“ Kuss sein musste, kein einfaches Küsschen. Zwanzig Jahre später ist er immer noch stolz auf die Szene: „Every show has a gay character now. It’s no big deal, and that’s the way that it should be … We’re proud of what we did. We paved the way for the way things are today.”

Jack bekommt in der Serie übrigens ein Happy End: Er ist im Staffelfinale glücklich mit Doug Witter (Dylan Neal) zusammen und zieht mit ihm Jens Tochter auf.

Die unbekannte Spin-off: „Young Americans“

Was schon im Jahr 2000 eher wenige Fans interessierte und deswegen heute kaum noch bekannt ist: „Dawson’s Creek“ hatte mit „Young Americans“ eine kurzlebige Spin-off. Die in der dritten Staffel eingeführte Figur Will, ein alter Freund von Pacey, ist später einer der Protagonist*innen des Spin-offs. Nach einer Staffel mit acht Episoden wurde „Young Americans“ wieder abgesetzt. Obwohl die Serie ohne Einfluss blieb und zu recht vergessen wurde, starteten einige heute bekannte Schauspieler*innen dort ihre Karriere, darunter Ian Somerhalder („The Vampire Diaries“), Katherine Moennig („The L Word“), Charlie Hunnam („Sons of Anarchy“) und Matt Czuchry („Gilmore Girls“).

„Young Americans“ hat eine Storyline, die für damalige Verhältnisse progressiv und dennoch zugleich queerfeindlich ist. Hamilton und Jake verlieben sich ineinander. Bereits in der ersten Folge küsst Jake Hamilton kurz; einige Episoden später steht auch Hamilton zu seinen Gefühlen. Was er erst dann, in der Mitte der Staffel, erfährt, die Zuschauer*innen aber schon wissen – Jake ist eigentlich Jacqueline und „verkleidet“ sich nur als Junge.

Die Serie hat einerseits ein für die Zeit erstaunlich entspanntes Verhältnis zum Thema Homosexualität, wie sich inmehreren vermeintlich homoerotischen Szenen zeigt. Das funktioniert aber natürlich nur deswegen, weil wir bereits Kenntnis darüber haben, dass Jake kein „echter Junge“ ist. Jake wird sogar mit Binder gezeigt; in der heutigen Zeit wäre sie potentiell trans oder non-binary, damals aber war das nicht denkbar. Und somit ist der Moment, in dem Hamilton Jake küsst und glaubt, wirklich schwul zu sein, eine Art Froschkönig-Szene, denn genau dann outet sich Jake als Frau und die beiden können als heterosexuelles Paar zusammen sein.

Gender-bending und Homosexualität werden in „Young Americans“ somit thematisiert, aber nur als Hürde zum „Happy End“. Es war ungewöhnlich, um die Jahrtausendwende diese Motive überhaupt in eine Teenie-Serie einzubringen, was sie einerseits progressiv macht. Dass beide am Ende als Junge und Mädchen heterosexuell sein können, verleiht der Storyline aber trotzdem einen schwulen- und transfeindlichen Beigeschmack.

„Buffy“ und die „Bury Your Gays“-Falle?

Neben „Dawson’s Creek“ outete sich mit „Buffy“ in einer weiteren kulturell wichtigen und sehr beliebten Serie eine Figur aus dem Hauptcast im Verlauf der Handlung als homosexuell. Schon in frühen Folgen wird angedeutet, dass Willow (Alyson Hannigan) möglicherweise auf Frauen stehen könnte. Als Tara Maclay (Amber Benson) in der vierten Staffel (1999) nach Sunnydale kommt, verliebt sich Willow in sie. Bis dahin waren lesbische Frauen im Fernsehen immer eher unsexuell dargestellt worden; und auch Willow und Tara dürfen sich erst in der fünften Staffel von „Buffy“, ausgestrahlt im Jahr 2001, zum ersten Mal küssen.

Die Tatsache, dass Willow mit einer Frau zusammen ist, wurde organisch in die Serie eingebaut und von ihren Freund*innen nicht problematisiert; Tara und Willow werden von der Scooby Gang wie jedes andere Paar behandelt. Und trotzdem tappt auch die Serie „Buffy“ in eine klassische homofeindliche „Bury Your Gays“-Trope – in der Folge, in der Willow und Tara zum ersten Mal (aber immer noch auf nicht sexuelle Weise) zusammen im Bett gezeigt werden, wird Tara ermordet. Es gibt auch Einwände gegen diese Lesart: Ähnlich wie bei Marissa Cooper später kann bei Tara argumentiert werden, dass sie nicht aus homo- oder bifeindlichen Gründen sterben musste, sondern um Willows Storyline weiterzuentwickeln.

Erst in der finalen Staffel gibt es zwischen Willow und Kennedy (Ivari Limon) eine kurze Sexszene – ohne, dass dies mit dem Tod einer Figur bestraft wurde.

Quoten-Queere in den nuller Jahren vs. „O.C., California“

Viele Teenie-Serien, die nach „My So-Called Life“, „Dawson’s Creek” und „Buffy” liefen, griffen die ersten Schritte, die diese Serien gemacht hatten, nicht auf. In den nuller Jahren wurden queere Figuren wieder marginalisiert, durften höchstens als obligatorische Quoten-Queere in ein paar Episoden auftauchen. Das heißt die queeren Figuren waren weder Teil des Stammcasts noch konnten sie über mehrere Folgen oder Staffeln hinweg einen komplexen Charakter entwickeln.

Am offensivsten heterosexuell war wohl „Smallville“, eine Serie, die in ihren zehn Jahren (2001-2011) nur zwei kurze Gastauftritte queerer Figuren hatten, von denen eine (gespielt von Lizzy Caplan) auch noch der homofeindlichen „Psycho Lesbian Trope“ entspricht und nach zwei Folgen stirbt. Bei „Gilmore Girls“ (2000-2007) verkörpert Michel (Yanic Truesdale) zwar gefühlt jedes Schwulenklischee, das es auf dieser Welt gibt, offen schwul durfte er aber erst im Revival (2016) sein. „One Tree Hill“ (2003-2012) berührte das Thema in seinen neun Staffeln am Rande (die bisexuelle Anna Taggaro, dargestellt von Daniella Alonso, tritt in zwölf Folgen der zweiten Staffel auf) und in „The Vampire Diaries“ (2009-2017) gibt es erst in einer späten Staffel ein lesbisches Paar. Eine positive Ausnahme ist die Serie „Gossip Girl“ (2007-2012), in der mit Eric van der Woodsen (Connor Paolo), Serenas jüngerem Bruder, zwar kein Protagonist, aber wenigstens ein von Anfang an eingeführter Charakter schwul ist.

Interessanter ist da die Frage, wie es „O.C., California“ (2003-2007) mit ihren queeren Figuren hält. In der zweiten Staffel taucht die bisexuelle Alex Kelly (Olivia Wilde) in Newport Beach auf, die mit zwei Protagonist*innen, namentlich Seth Cohen (Adam Brody), dann Marissa Cooper (Mischa Barton) zusammenkommt. Alex wirkt cool, selbstbewusst, vielschichtig, sie fühlt sich wohl in ihrer Haut und schämt sich nicht für ihre Bisexualität, eine positiv dargestellte Figur – auch wenn die Storyline um Marissa und Alex abrupt abgebrochen wurde, weil der Sender FOX nervös wurde.

Besonders bei der Figur Marissa stellt sich die Frage, wie angemessen die Darstellung einer bisexuellen Person ist. Marissa, die davor und danach nur Männer datet, wirkt hier ein wenig wie das Vorurteil, das sich bisexuelle Frauen oft anhören müssen – sie wollten nur „experimentieren“, es sei nur „eine Phase“. Es gibt teilweise auch die Sicht, dass Marissas Tod bereits eine Staffel später unter die mehrfach erwähnte „Bury Your Gays“-Trope fällt. Ich würde dagegen argumentieren, dass Marissa war von Anfang an als tragische Figur mit viel Drama angelegt war, und ihr ultimatives Drama ist der Tod, ein fast zwangsläufiges Schicksal für sie, weil die anderen Storylines nicht mehr getoppt werden konnten. (Ein anderer Grund war, wie Showrunner Josh Schwartz sagte, dass Marissa von einigen lauten Kritiker*innen sehr gehasst wurde.)

Bis zu dem Zeitpunkt gab es nur sehr wenige Frauen, die sich im Mainstream-Fernsehen in den USA küssen durften. „I will say that when we were doing The O.C., I really thought we were doing a responsible thing by showing two, young, sweet girls, in a real relationship — not just having, like, a sorority girl splash happy makeout”, sagte Wilde 2015 darüber, warum der Kuss zwischen ihr und Mischa Barton ihr Lieblingskuss on screen ist. „It was a real, loving, sweet relationship, and it was two young women.”

Fortschritte

Es ist aufschlussreich darauf zurückzublicken, wie queere Figuren noch vor wenigen Jahren, Jahrzehnten in den Heterowelten der Teenie-Serien gezeigt wurden, besonders wenn man die Weiterentwicklung dieser Repräsentation in Fernsehserien betrachtet. Die neue Generation an Fernsehserien geht viel lockerer mit Queerness um, und ein Rückblick macht den gesellschaftlichen Fortschritt deutlich sichtbar. Oder, um es erneut mit Olivia Wilde zu sagen, die Anfang 2019 einen Throwback auf Instagram postete: „I’m so happy to see how far we’ve come as a society when I think about how sensational it was to play a queer woman on TV back then and now it seems almost quaint and young people are rejecting labels altogether and that is why they shall rule the earth and save us all.” Eine Empfindung, die durch die Zahlen der jährlichen Analyse „Where We Are on TV“ von GLAAD gestützt wird.

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