von Nicole Seifert
Am 21. September erscheint im Arche Verlag das Buch Krawall und Kekse von Shirley Jackson. Übersetzt hat es Nicole Seifert, deren Nachwort wir hier veröffentlichen.
„Ich bin eine gutherzige Mutter, die sich ständig mit dem Bösen befasst.“ Dieser Satz einer ihrer Figuren könnte sich auch auf Shirley Jackson selbst beziehen. Die Autorin, deren Werk hierzulande der Horrorliteratur zugerechnet wird, scheint mit ihren komischen Texten über ihr Familienleben gewissermaßen aus der Rolle zu fallen. Düstere Erzählungen über Gefühle des Gefangenseins, über Mord, über Ängste und Zwänge auf der einen Seite, witzige Szenen aus dem Alltag mit Kindern auf der anderen.
Die in Krawall und Kekse versammelten Texte schrieb Shirley Jackson in den späten Vierziger- und Fünfzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts ursprünglich für Zeitschriften wie Good Housekeeping, Mademoiselle oder Harper’s. Für das Buch, das 1953 unter dem Originaltitel Life Among the Savages erschien, wurden die Geschichten chronologisch angeordnet und durch weitere ergänzt, sodass sie sich als Roman lesen lassen. Über die literarische Qualität dieser Texte äußerte Shirley Jackson selbst sich eher abwertend, für sie waren es potboiler – minderwertige Lohnarbeit, etwas ganz anderes als ihre literarischen Erzählungen und Romane. Sicher fürchtete sie auch – völlig zu Recht, wie sich zeigen sollte –, dass ihr Erfolg mit Texten über so weiblich konnotierte Themen wie Kinder und Haushalt negative Auswirkungen darauf haben würde, wie die überwiegend männliche Literaturkritik ihr „richtiges Schreiben“ wahrnähme.
Aber die Magazine zahlten gut, so gut, dass sie Jackson in die Lage versetzten, sich in Ruhe diesem „richtigen Schreiben“ widmen zu können, wenn sie pro Monat einen komischen Text verkaufte. So bot ihr die Zeitschrift Good Housekeeping 1949 ein hohes Fixhonorar für acht Storys pro Jahr – ein sehr lukrativer Deal, der belegt, dass Shirley Jackson zu den führenden Autorinnen dieser Art Texte gehörte. Auch andere schätzten Jacksons potboiler positiver ein als sie selbst. Die massenhaften Fanbriefe, die Jackson erhielt, zeigen, dass ihre Leserinnen sich und ihr Leben in diesen Geschichten wiedererkannten. Sie mochten die Stimme und die Person, die Jackson da entworfen hatte: eine nahbare, liebevolle Mutter, die in Gedanken manchmal woanders ist, die das Chaos akzeptiert, sich von ihm aber nicht unterkriegen lässt. Im Grunde habe Jackson erfunden, was heute die „Mami-Blogs“ tun, so ihre Biografin Ruth Franklin: intelligente Beobachtungen, die das Familienleben humorvoll und im Plauderton auf den Punkt bringen, ohne dass der Nachwuchs oder das Leben als Mutter idealisiert würden – so hatte bis dahin noch niemand über das Leben mit Kindern geschrieben.
Die 1916 in San Francisco geborene Shirley Jackson gehörte zu der Generation von Frauen, deren Lebensweise Betty Friedan in ihrem internationalen Bestseller The Feminine Mystique 1963 beschrieben hatte, der drei Jahre später unter dem Titel Der Weiblichkeitswahn auchauf Deutsch erschien: Frauen, die während oder kurz nach dem Ersten Weltkrieg geboren worden waren und in den Vierziger- und Fünfzigerjahren Kinder bekamen und großzogen – also deutlich bevor die Frauenbewegung wieder an Bedeutung gewann. Es war eine Zeit, in der für Frauen ein Leben als Hausfrau und Mutter, jedoch keine Erwerbsarbeit oder künstlerische Tätigkeit vorgesehen war, ein Leben, das auf Gedeih und Verderb an das des Ehemanns gebunden war.
Trotzdem begann Jackson bereits im College ernsthaft zu schreiben und machte 1948 Furore mit der Erzählung „The Lottery“, die im New Yorker erschien und so heftige Reaktionen auslöste, wie bis dahin noch keine dort veröffentlichte Erzählung. Vor Krawall und Kekse erschien 1951 der Roman Hangsaman (Der Gehängte, 1992), drei Jahre danach The Bird’s Nest (1954), beides intensive literarische Darstellungen psychischer Zusammenbrüche der weiblichen Hauptfiguren. Auch die Romane, mit denen Shirley Jackson berühmt werden sollte, The Haunting of Hill House (Spuk in Hill House) und We Have Always Lived in the Castle (Wir haben schon immer im Schloss gelebt), erschienen 1959 und 1962 (dt. 1993 und 1988), erzählen in der Tradition des American Gothic vom Unheimlichen und Irrationalen, von Schuld, Trauma und Bedrohung. Wie kann dieselbe Autorin einerseits so Abgründiges, Dunkles schreiben, und andererseits diese warmen, humorvollen Szenen aus dem Leben einer Hausfrau und Mutter?
Bei genauerem Hinsehen sind diese beiden Aspekte von Jacksons Schaffen viel enger miteinander verknüpft, als es der so unterschiedliche Ton vermuten lässt. Die Originaltitel der beiden autofiktionalen Bände, Life Among the Savages und Raising Demons, verweisen so deutlich aufs Horrorgenre wie der Titel von keinem ihrer Romane. Die Romane spielen ihrerseits im häuslichen Bereich, wie Häuser und die Vorstellung von einem Zuhause überhaupt eine zentrale Rolle einnehmen in Jacksons Erzählen. Und ganz frei ist auch das Haus mit den Säulen, das die Familie zu Beginn von Krawall und Kekse bezieht, nicht von dem Grusel, den Hill House im gleichnamigen Roman bei der Protagonistin Eleanor auslöst. Gleich zu Beginn wird erwähnt, dass die Erzählerin und ihr Mann in dieses chaotische Leben geraten sind, ohne es je vorgehabt zu haben. Jackson benutzt bezeichnenderweise eine Metapher, der zufolge sie sogar in der Falle sitzen: „So leben wir jetzt, mein Mann und ich, unfreiwillig, als wären wir in einen Brunnen gefallen und hätten, da wir sowieso nicht mehr herauskommen, beschlossen, dass wir genauso gut bleiben und einen Stuhl und einen Tisch und irgendeine Lampe aufstellen können.“
Auch als die Familie das Haus mit den Säulen besichtigt, ist das vorherrschende Gefühl bei der Erzählerin ein Fluchtimpuls, ausgelöst von dem Eisenherd, der sie zu erschlagen droht, von den „schrecklichen“ versteinerten Donuts und dem vom Küchentisch abgerückten Stuhl. So humorvoll Krawall und Kekse beginnt – es ist mehr als ein Hauch von Schrecken dabei.
Dass die Familie das Haus schließlich doch bezieht, wird als etwas Unausweichliches geschildert, nicht als etwas Freiwilliges: Ihr alter Vermieter hat ihre Wohnung neu vergeben, in der Stadt finden sie nichts; in Vermont kommt keins der anderen Häuser infrage, und bei diesem nötigt der Besitzer sie praktisch einzuziehen, indem er die Zusage gar nicht erst abwartet und schon präventiv mit der Miete runtergeht. Am Tag des Einzugs dann ist das Haus verändert: Es wurde geputzt, renoviert und frisch gestrichen – es ist schön. Diese Ambivalenz ist typisch für Jacksons Häuser, die oft zugleich fesseln und erschrecken. Nicht nur in den Gothic-Romanen und -Erzählungen, auch in Krawall und Kekse ist das Haus selbst ein fühlendes und handelndes Wesen.
So scheinen die Zimmer selbst zu entscheiden, welche Möbel sie aufzunehmen bereit sind und wo diese stehen sollen. Es ist ein Haus mit geradezu menschlichen Vorlieben und Abneigungen, und alle Versuche der neuen Bewohner, sich dagegen durchzusetzen, sind vergeblich. Hinter diesen vordergründig lustigen Beschreibungen verbergen sich dieselben Themen wie in Jacksons Horror-Romanen. Als die Erzählerin feststellt: „Es war tatsächlich ein gutes altes Haus“, steht die einzige andere Möglichkeit unübersehbar im Raum: die Möglichkeit, dass das Haus eben nicht gut ist, sondern böse – die Grundidee von Spuk in Hill House. Auch die immer schon alles wissenden Dorfbewohner finden sich hier wie dort. In Krawall und Kekse wirkt es komisch, wenn der Lebensmittelhändler nach einem Besuch von wenigen Tagen bereits die Namen und das Alter sämtlicher Kinder sowie das Einkommen des Ehemannes kennt und auch weiß, was die Besucher am Vorabend gegessen haben. In Wir haben schon immer im Schloss gelebt hat dieses genaue Hinsehen und Hinterherspionieren der Leute aus dem Dorf etwas Bedrohliches, Verurteilendes, erzeugt Missgunst und Hass.
Am ausgeprägtesten ist diese Ambivalenz in Jacksons Werk beim Thema Mutterschaft. Keine der Protagonistinnen der Horror-Romane ist selbst Mutter, und die Mütter, die vorkommen, sind entweder tyrannisch oder tot. Die einzige durchgehend liebevolle, humorvolle, zugewandte Mutter ist die in Krawall und Kekse, das immer wieder als Memoir bezeichnet wurde. Das Buch versammelt jedoch Texte, die sich zwischen Fakt und Fiktion bewegen, das haben Interviews mit Jacksons Kindern bestätigt. Die Texte sind „autobiografisch, aber nicht notwendigerweise wahr“, um eine Formulierung von Jacksons Biografin Ruth Franklin zu benutzen, denn Jackson wusste sehr gut, dass ein genauer Bericht noch keine Geschichte ergibt, dass es dazu Dramaturgie braucht und kreative Freiheit.
Auffällig an der Erzählerin ist in diesem Zusammenhang, dass sie gar kein Innenleben zu haben scheint, denn ihre Ansichten und Gefühle spielen praktisch keine Rolle, genauso wenig wie ihr Beruf. Nur in einer einzigen Szene erfährt man, dass es sich um eine Frau handelt, die nicht nur Mutter ist, sondern auch Schriftstellerin, als nämlich im Krankenhaus in das Aufnahmeformular als Beruf „Hausfrau“ statt, wie von der Erzählerin gewünscht, „Schriftstellerin“ eingetragen wird. Niemals geht es in den geschilderten Szenen jedoch darum, dass die Erzählerin versucht, zwischen Einkaufen und Kochen, Aufräumen und Wickeln, Waschen und Kinderbetreuung Zeit zum Schreiben zu finden – was Jacksons eigenes Leben maßgeblich bestimmt hat, das belegen nicht zuletzt ihre Briefe. Und schon gar nicht geht es um das Schreiben selbst, um die dabei entstehenden Texte. Genauso wenig findet in Krawall und Kekse die Intellektuelle Eingang, die sich mit ihrem Mann und anderen austauscht und Persönlichkeiten wie Ralph Ellison, Bernard Malamud oder Gore Vidal zu Gast hat. Obwohl Shirley Jackson ihre unterschiedlichen Rollen im wirklichen Leben sehr erfolgreich zu vereinbaren wusste, entschied sie sich dagegen, in ihren Magazintexten über diesen Aspekt zu schreiben. Das mag ein Zugeständnis an die zeitgenössischen Leserinnen gewesen sein, die ihrerseits nicht berufstätig waren und sich – laut Ansage der Auftraggeber – mit der Erzählerin identifizieren können sollten.
Während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach hatten viele Frauen die häusliche Sphäre verlassen und in allen möglichen Bereichen die Aufgaben der Männer übernommen. In den Fünfzigerjahren übernahmen die Männer wieder und schickten die Frauen zurück an den Herd. Werbung, Politik und Medien propagierten das Bild des Frauchens, das zu Hause mit Haushalt und Kindern vollkommen glücklich ist. Der so um sich greifende „Weiblichkeitswahn“, demzufolge es das höchste Ziel einer Frau sein sollte, durch ein Leben als Ehefrau und Mutter ihre Weiblichkeit zu erfüllen, beruhte auf alten Vorurteilen und zweckdienlichen Konventionen. Frauen sollten es Männern nicht gleichtun wollen, sie nicht beneiden oder ihnen Konkurrenz machen, sondern ihre eigene „Natur“ akzeptieren und Befriedigung finden in sexueller Passivität, Unterordnung unter die männliche Vorherrschaft und im Ausleben mütterlicher Liebe. Die Hausfrau und Mutter war nun Vorbild und Modell für alle Frauen. „Hausfrau“ war zur Berufung geworden und damit zugleich zum Beruf.
Während Castro in Kuba die Revolution anführte und sich Männer darauf vorbereiteten, zum Mond zu fliegen, während in den Naturwissenschaften bahnbrechende Entdeckungen gemacht wurden, war die ideale Frau die, die sich tagsüber um die Kinder kümmerte und den Haushalt schmiss, dabei so viele elektrische Hilfsgeräte hatte, dass sie andere Hilfe nicht mehr brauchte, und die abends, wenn der Mann von der Arbeit kam, ein warmes Essen auf dem Tisch hatte und selbst bereits umgezogen, frisiert und geschminkt war, um ihm hübsch und adrett Gesellschaft zu leisten und sich nun um sein Wohlergehen zu kümmern. Eigene Wünsche, geistige Interessen gar, kamen in diesem Lebensentwurf nicht vor, man ging davon aus, dass Frauen sich für nichts außerhalb ihres Heims und ihrer Kinder interessierten. Von Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung, den Zielen der ersten Welle der Frauenbewegung wenige Jahrzehnte zuvor, war keine Rede mehr. Doch nicht wenige Hausfrauen klagten über ihr unausgefülltes Dasein, über ein Gefühl von Langeweile, Leere und Einsamkeit. Depressionen, Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit nahmen zu.
Auch Shirley Jackson war den zeittypischen Erwartungen an Haushaltsführung und Kindererziehung unterworfen und versuchte dem Idealbild halbwegs zu entsprechen, aber in einem entscheidenden Punkt wich sie rigoros davon ab: Sie hatte ihre Arbeit, ihr Schreiben, und sie trug zum Familieneinkommen damit meist mehr bei als ihr Mann. Und genau diese wichtige andere Seite ihres Lebens blendete sie in den Texten aus, die sich der Komik des häuslichen Alltags widmeten. Jackson selbst taucht in den Geschichten, die sie zumindest implizit als Porträt ihres eigenen Familienlebens verkaufte, nicht auf, jedenfalls nicht als Figur mit einem eigenen Innenleben, kritischen Gedanken und eigenen Interessen jenseits der Familie. Es wird eine Spaltung vollzogen zwischen Autorin und Erzählerin, um der Haupterwartung gerecht werden zu können, die an Frauen gestellt wurde: die Rolle der Hausfrau und Mutter perfekt auszufüllen und die eigene Subjektivität dafür zu vernachlässigen. Die Erzählerin in Krawall und Kekse mit Shirley Jackson gleichzusetzen, greift deshalb zu kurz; die Literaturwissenschaftlerin Rebecca Million sieht in ihr nicht einmal einen maskierten autobiografischen Charakter, sondern eine Figur, die genauso fiktiv ist wie die Figuren in Jacksons Romanen und Erzählungen. Folgerichtig scheint es daher sinnvoller, Krawall und Kekse als Roman zu betrachten und nicht als Memoir.
Betty Friedan urteilt in Der Weiblichkeitswahn kritisch über Shirley Jacksons Entscheidung, für die US-amerikanischen Magazine in einem humorvoll-leichten Ton über ihr Leben als Hausfrau und Mutter zu berichten und ihre Rolle als Autorin ganz auszublenden. Damit signalisiere sie den Leserinnen etwas, das alles andere als komisch sei: Wenn Sie mal wieder verzweifeln, weil Ihr Leben leer und langweilig und voller Sisyphos-Arbeiten ist – einfach drüber lachen. Wir sitzen alle zusammen in der Falle! – Aber tut Jackson nicht mehr, als zu resigniertem Lachen aufzufordern? Sie gewinnt dem täglichen Frust des Lebens als Hausfrau und Mutter Slapstick-Momente ab, ja, aber die Komik ergibt sich häufig gerade aus der großen Diskrepanz zwischen den Erwartungen, die an Frauen gestellt wurden (und werden), und der Realität, womit diese Erwartungen im Grunde ad absurdum geführt werden. Sie sind realistischerweise gar nicht zu erfüllen, sie sind zum Lachen! Wenn die Leserinnen das Gefühl haben, an diesen Erwartungen zu scheitern, handelt es sich also nicht um individuelles Scheitern, sondern um ein strukturelles Problem, das auf einem fragwürdigen Rollenbild beruht. Möglicherweise geht diese Interpretation über Jacksons bewusste Intention hinaus, die Texte lassen sie aber zu. Jacksons Humor spielt oftmals mit Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Werten und trägt mindestens das Potenzial in sich, ein Bewusstsein für diese Rollen und Werte zu wecken und sie zu hinterfragen.
Von der Literaturkritik wurde Jackson, die zu Lebzeiten keinerlei Literaturpreise erhielt, nach ihrem frühen Tod 1965 als Horror-Autorin rezipiert, als „Hexe, die mit dem Besenstiel“ schrieb, und als „Virginia Werewolf“. Jacksons Biografin Ruth Franklin nennt zwei Gründe, warum deren Werk zunächst unterschätzt wurde: Es geht darin im Wesentlichen um das Leben von Frauen, und es lässt sich qua Thema als Genreliteratur abtun. Dass Shirley Jackson – selbst in ihren komischen Texten – auch unliebsame Wahrheiten erzählte, wird ebenfalls dazu beigetragen haben, dass ihr Werk jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Die akademische Auseinandersetzung mit Shirley Jacksons Schreiben blieb überschaubar, einige ihrer Romane nicht einmal mehr lieferbar. Erst in den letzten Jahren wurden ihre Bücher in der englischsprachigen Welt neu ediert und wiederentdeckt, während sie in den deutschsprachigen Ländern größtenteils noch unbekannt sind und nur ein kleiner Teil ihres Werks überhaupt in Übersetzungen vorliegt. Noch schwerer hatten es ihre komischen Texte über das Familienleben, die bis vor Kurzem – wenn überhaupt – als interessantes, aber relativ unbedeutendes Beiwerk zu ihren anderen Romanen betrachtet worden sind – eine Wahrnehmung, zu der Jacksons eigene herablassende Äußerungen über diese Texte beigetragen haben dürften.
Durch die jüngere literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Shirley Jackson hat sich diese Einschätzung inzwischen geändert. Ihre komischen Texte werden nun als entscheidender Teil ihres Schreibens ernst genommen, als Teil, der wichtig ist, um ihr Werk zu verstehen. Dass das Familienleben in Krawall und Kekse überwiegend als glückliches Miteinander dargestellt wird, widerspricht nicht den zahlreichen Hinweisen auf seine dunklen Seiten und auf die negativen Auswirkungen, die diese auf das Leben von Frauen haben. Oft stehen Glück und Verzweiflung mindestens andeutungsweise direkt nebeneinander, so wie das gute Haus die Möglichkeit des bösen Hauses mit sich bringt.
Die Themen, Motive und Metaphern sind hier dieselben wie in Jacksons Horror-Romanen, deren Schrecken immer auf einem psychologischen Level angesiedelt ist, begründet im Häuslichen und Familiären. Oder wie es Jacksons Biografin Ruth Franklin formulierte: Man muss die lustigen Familienszenen hier und da nur anstupsen, damit sie in Dunkelheit abgleiten. Betrachtet man Jacksons Werk, das auf den ersten Blick in zwei Teile zu zerfallen scheint, als ein Ganzes, fängt es die komplexen Widersprüche ein, denen Frauen (nicht nur) in den USA Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ausgesetzt waren. Ihr Werk erzählt von Überforderung und Unterforderung, von Abhängigkeit und Aufbruch, von Flucht und Gefangensein, vom Komischen wie von Angst und Dunkelheit, es erzählt die Geschichte der Frauen zu Jacksons Zeit.
Quellen
Ruth Franklin, Shirley Jackson, A Rather Haunted Life, New York: W. W. Norton & Company Ltd. 2016
Betty Friedan, The Feminine Mystique, New York: W. W. Norton & Company Ltd. 2001 (1963)
Rebecca Million, „Living an Aporia: Notes on Shirley Jackson’s Home Books and the Impossible-Possible of Motherhood“, in: Shirley Jackson, A Companion, hg. v. Kristopher Woofter, Oxford: Peter Lang Group 2021
Bernice M. Murphy, „Hideous Doughnuts and Haunted Housewives: Gothic Untercurrents in Shirley Jackson’s Domestic Humor“, in: Shirley Jackson and Domesticity: Beyond the Haunted House, hg. v. Jill E. Anderson und Melanie R. Anderson, London: Bloomsbury Academic 2020
Der Satz, mit dem das Nachwort beginnt, lautet im Original „i’m a kind-hearted mama who studies evil all the time“ und ist eine Anspielung auf Robert Johnsons „Kind Hearted Woman Blues“. Er wird von einer Figur in einer frühen Fassung von Come Along with Me geäußert, die Shirley Jacksons Biografin Ruth Franklin im Archiv eingesehen hat. Siehe hierzu die Biografie Shirley Jackson, A Rather Haunted Life, S. 260.