Fashion shows be like
„Drama Baby, Drama!“ ertönt die betörende Stimme von Ex-GNTM-Jurymitglied Bruce Darnell im Hinterkopf, wenn man dem auf den Fiji-Inseln lebenden Comedian Shaheel Shermont Flair (@shermont_22) bei der Inszenierung seiner ganz persönlichen Fashion Show auf TikTok zusieht. Wenn er die Gehhilfe seiner Großmutter über den Schultern, das verrostete Wellblech vom Dach um die Hüften, oder seine kleine Schwester unter dem Arm anmutig, bestimmt und ein wenig lasziv über die Zufahrt zu seinem Wohnhaus trägt, ist man sofort im Catwalk-Mood. Zumal er die Videos musikalisch mit einem Remix des Justin Timberlake-Klassikers „Sexy Back“ unterlegt.
Weiterlesen: High-Low-Wendeschleifen – Mode, Kunst und kulturelle AneignungWer nicht in die Codes von Kunst und High Fashion eingeweiht ist, dem dürften manche Outfits als Skurrilität erscheinen. Die Videos von Shaheel Shermont Flairs sind aus dieser Perspektive gedreht und damit eine Parodie auf die Laufstege der internationalen Mode-Elite. Nicht ganz zufällig gingen die Clips parallel zur Haute Couture-Woche in Paris im Juli dieses Jahres auf den Newsfeeds von TikTok und Instagram viral. Innerhalb kürzester Zeit wurden sie millionenfach geliked, geteilt und unter dem Slogan und gleichlautenden Hashtag „Fashion shows be like“ zum Meme.
Schließlich repostete auch der Kunstkritiker Jerry Saltz eine Kompilation von Shaheels TikToks mit dem Untertitel „Better than most Biennial art. Better than most fashion shows“ auf seinem Profil, was wiederum von Stardesignern wie Marc Jacobs mit „It’s so good better than what’s seen on many runways. for sure.“ kommentiert wurde und bei weiteren Followern den Wunsch auslöste, er solle Flair doch für eine richtige Fashion Show engagieren. Dass das passieren könnte, ist wiederum keinesfalls abwegig. Es würde sich perfekt in die vorherrschenden Mechanismen permanenter gegenseitiger kultureller Aneignungen und Behauptungen einfügen, die – einst aus der Bildenden Kunst bekannt – nun durch die Sozialen Medien so etwas wie eine Alltagspraxis geworden sind.
Shaheel Shermont Flairs Videos führen satirisch bereits die gängigen Aneignungsstrategien vom Ready Made bis zum Zitat in der High Fashion vor Augen. Wie Marcel Duchamp einst den Flaschentrockner ins Museum stellte, so brachten Vetements das DHL-T-Shirt oder Balenciaga die Ikea-Tasche auf den Laufsteg, womit immer auch ein Prestige- und Wertanstieg einhergeht. Etwas vermeintlich kulturell Wertloses wird durch ein Label und eine extreme Preiserhöhung aufgewertet. Das muss nicht immer so explizit sein, wie im mittlerweile historischen Beispiel des DHL-Shirts, sondern kann auch allgemeinere Formen annehmen, man denke nur an Pantoletten, die neben Ugly Sneakers nun von fast allen Luxusbrands vertrieben werden und damit nicht mehr nur 3,50 Euro, sondern – zum Beispiel bei Gucci – 350 Euro kosten und somit nicht mehr nur noch praktischer Alltagsgegenstand sind, sondern von einem ,Je ne sais quoi‘ umweht werden.
Diese Aufwertung betrifft allerdings nur das Produkt – z.B. die Pantolette – nicht diejenigen, aus deren sozialen und kulturellen Kontext das Produkt entnommen wurde. DHL-Mitarbeiter:innen dürften keinen Prestige-Gewinn durch die Adaption ihrer Arbeitsuniform durch Vetements erfahren haben, einige ‚Rich Kids of Instagram‘ hingegen schon. Um das DHL-Shirt überhaupt als künstlerisches Produkt sichtbar werden zu lassen, ist der soziale Kontext wichtig. Ohne den Porsche in der Einfahrt würde man eben doch nur wie der Postbote aussehen.
Shaheels Einfahrt ist hingegen so ganz und gar nicht glamourös, sondern zeugt von tendenziell prekären Lebensumständen. Er ist nicht Teil einer finanziellen oder kulturellen Elite. Sein Fashion-Show-Zitat entzieht sich dem erwarteten demütigen Verhältnis gegenüber einem genialen (Mode-)Schöpfer, offenbart Banales im sonst als bedeutungsvoll Angesehenen. Genau darin besteht die gelungene Parodie. Die Entthronung ist zwar nur ein erfrischendes Augenzwinkern, der Ausdruck von Befremdung gegenüber einer Welt, zu der man keinen Zugang hat – allerdings ist sie auch sehr ernst gemeint.
Und Jerry Saltz? Der nutzt die Videos seinerseits für eine kleine Erfrischung. Indem er die Verwunderung Shaheels teilt, suggeriert er, dass er sich selbst und das Kunst- bzw. High Fashion-Milieu nicht so ernst nimmt. Es dient ihm demnach als Selbstinszenierung. Seine Aneignung ist zudem eine Rückaufwertung. Hat Shaheel die Fashion Show zunächst von High zu Low transferiert, importiert Saltz sie nun wiederum in den hochkulturellen Raum. Auf die anfängliche Entkunstung folgt eine erneute Verkunstung. Denn die Einstellung gegenüber dem Originalvideo verändert sich mit dem neuen Kontext. Nachdem das Video auf dem Account des bekanntesten US-amerikanischen Kunstkritikers veröffentlicht wurde, stellt sich plötzlich die Frage: Ist es vielleicht doch nicht ‚nur‘ ein witziges TikTok-Video, sondern als ‚high culture‘ anzusehen? Sollte Shaheel in der kommenden Saison bei Balanciaga mitlaufen, könnte sich diese Perspektive durchgesetzt haben. Gerechtfertigt wäre es allemal. Oder er könnte für JW Anderson posieren, sollten diese sich erneut entscheiden, Fahrradlenker und Skateboards in ihre Knitwear einzuarbeiten.
Cultural Appropriation
Appropriation ist bekanntermaßen in der Mode gang und gäbe: vom Ready Made übers Zitieren, Variieren und Remixen. Dabei geht es immer um Distinktion, die ständig verfeinert und ersetzt wird. Sie basiert einerseits auf dem Prinzip der „Nachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung“, gleichzeitig befriedigt sie aber auch das „Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sich-Abheben“.[1] Wie in der Bildenden Kunst findet dabei immer auch eine Kontextverschiebung statt.
Da mit Mode kulturelle und soziale Hierarchien ausgehandelt werden, sind die meistens mit Kopien verbundenen Kontextverschiebungen im Allgemeinen kein leichtes Unterfangen. Eine etablierte Kritik lautet etwa, dass durch die Aneignung und Vereinnahmung jugend- und subkultureller Codes die ursprünglich provokativen Impulse entwaffnet oder zumindest entschärft werden. Diana Weis hat in diesem Zusammenhang einmal vom „Stil als kultureller Kriegsführung“[2] gesprochen und darauf hingewiesen, dass vor dem Hintergrund gegenwärtiger Diskurse um Identität und soziale Ungleichheit auch Modetrends ethische und politische Fragen aufwerfen, die eine Antwort erforderlich machen.
Das ist insbesondere unter dem Schlagwort „Cultural Appropriation“ bereits vielfach geschehen. Einer ganzen Reihe von Luxuslabels wurde in den letzten Jahren vorgeworfen, sich aus anderen Kulturen zu bedienen, um ihren eigenen Profit und Gewinn zu erzielen, dann aber wenig zurückgegeben. Gucci sah sich etwa nach seiner Herbstshow 2018, bei der weiße Models Turbane trugen, mit dem Vorwurf konfrontiert, damit die nordindische Religionsgemeinde der Sikhs auszubeuten, die ebensolche Kopfbedeckung tragen. Die Anschuldigungen verschärften sich, als die Marke den Turban bei Nordstrom für 790 Dollar zum Verkauf anbot. Während Nordstrom das Produkt wieder aus seinem Shop nahm und sich auf Twitter entschuldigte, bleibt eine Reaktion von Gucci bisher aus.
In der Debatte um Cultural Appropriation ging es immer wieder um die Frage, wann es sich um eine Würdigung der kulturellen Herkunft handelt und damit um eine Wertsteigerung (denn davon geht man offenbar immer aus: dass mit dem Transport in einen hochkulturellen Bereich zwangsläufig eine Aufwertung verbunden ist), und wann um Diebstahl oder die Unsichtbarmachung der ursprünglichen Produzent:innen und ihrer Arbeit. Besonders kritisch ging man mit der Bezugnahme auf afrikanische Mode ins Gericht. Zahlreiche Designer wie Jean Paul Gaultier, Donna Karan und Dolce & Gabbana hatten sich hier bedient. Doch während deren Kollektionen weltweit Beachtung fanden, wurde afrikanischen Designer:innen nicht das gleiche Rampenlicht zuteil. Sie müssen zuschauen, wie etablierte westliche Luxuslabels ihre Stoffe, Schnitte und Muster verwenden.
Dass sich Gucci nicht zu den Vorwürfen geäußert hatte, ist vor diesem Hintergrund signifikant, denn die Designer würden wahrscheinlich beide Perspektiven ablehnen. Viel zu stark sind Kreativdirektoren wie Alessandro Michele einem westlichen Kunstbegriff verhaftet und sehen sich und ihre Methoden in der Tradition von Ready Made, Pop Art und Appropriation Art. Dieser basiert auf einer Freistellung vom ursprünglichen Kontext und ist oft verbunden mit der Zurschaustellung des Kopierakts selbst. Appropriation Art wird als Reflexion über künstlerische Strategien und künstlerisches Schaffen, die Dialektik von Original und Kopie, oder als Infragestellung der Kunst an sich angesehen. Das kopierte Objekt selbst spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Allen ‚Filterbubbles‘ zum Trotz findet Mode heute jedoch nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt, nicht mehr nur auf den Laufstegen oder in Modemagazinen, sondern wie alles andere auch in den Sozialen Medien. Und die Sozialen Medien sind eben kein Laufsteg, Theater oder Museum. Sie sind kein Ort, an dem sich etwas freistellen und ohne den Herkunftskontext betrachten lässt. Sie sind zudem kein Ort für gezielte Adressierung. Verletzungen können so schwer umgangen werden.
Poverty & Class Appropriation
In den letzten Jahren tauchten auf den Laufstegen zudem immer wieder Anspielungen auf Berufe der Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht auf: OP-Oberteile bei Prada, Feuerwehrjacken bei Calvin Klein, eine kastenförmige Off-White-Jacke, die an die Uniform eines Tankwarts denken lässt. Und nicht zu vergessen das gelb-schwarz gestreifte Baustellen-Absperrband, das bevorzugt von Off White und Balenciaga zum Einsatz gebracht wird.
Wenn es auch deutlich seltener thematisiert wird als Cultural Appropriation, wird doch hin und wieder in solchen Fällen von „Class Appropriation“ gesprochen. Auch die Adaption klassenspezifischer Codes wird als Ausbeutung betrachtet. Man denke etwa an das kleine Schwarze von Chanel, das – wie heute nur Wenige wissen – aus den Reihen der Arbeiterklasse stammt: Im späten 19. Jahrhundert wurde das düstere Kleidungsstück zur umstrittenen, aber obligatorischen Uniform für eine neue städtische Klasse von Hausangestellten und Verkäuferinnen. Einige Jahrzehnte später war die Assoziation zwischen dem schwarzen Kleid und arbeitenden Frauen sogar derart gefestigt, dass es schließlich bei Chanel sowohl als vornehm als auch als subversiv angesehen werden konnte. Das kleine Schwarze von Chanel wurde für die Kundinnen zur Rebellion gegen das Korsett, zum Ausdruck von Ermächtigung und Stärke – und zwar indem sie sich als Dienstmädchen verkleideten, die zuvor unter eben diesem Kleidungsstück gelitten hatten.[3]
Hierzulande hatte vor nicht allzu langer Zeit eine Tasche für Aufregung gesorgt, die Lars Eidinger in Kooperation mit dem Designer Philipp Bree entworfen hatte: Sie appropriierten die ikonische ALDI-Tüte im Design von Günter Fruhtrunk, nur in gedeckteren Farben, aus hochwertigem Leder und in limitierter Auflage für jeweils 550 Euro. Selten wurde ein Modeobjekt so einhellig abgelehnt. Nur in ausgesprochen wenigen Fällen wurde honoriert, dass die Tasche in ihrer Dekadenz gerade vor Augen führen könnte, wie in der Großstadt Armut und Reichtum zusammenkommen. In allen anderen Fällen lautete der Vorwurf: „Klassismus“. Da kein anderer Discounter so prominent für „billig“ und „low“ steht, könne man hier tatsächlich sogar von „Poverty Appropriation“ sprechen, eine Formulierung, die 2015 von der Journalistin July Westhale in einem Artikel über luxeriöse Tiny Houses geprägt wurde.[4]
Auch unter modischen Gesichtspunkten war die Eidinger/Bree-Tasche eine eher langweilige Nachahmung jener Label, die sich immer wieder und variantenreich mit der Kopie und dem Kopieren beschäftigen, Pro-Fake-Brands wie Vetements und Balenciaga unter Demna oder Off-White unter dem mittlerweile verstorbenen Virgil Abloh. 2017 hatte Demna die allseits bekannte und beliebte blaue IKEA-Tragetasche appropriiert. Sie wurde für 1400 Euro verkauft. Nun ist IKEA nicht mit Armut assoziiert, aber es überrascht dennoch, dass diese Tasche insgesamt sehr positiv aufgenommen wurde.
Zum einen von den Fans der Marke und ihrer Community selbst, die sich erfreut über die positiven Erinnerungen zeigte – und zwar unabhängig davon, ob man sie sich leisten kann oder sie nur als eine Art Happening im Social Web rezipiert. Zum anderen aber auch von IKEA, die gewissermaßen auf Augenhöhe reagierten, indem sie eine Werbekampagne in Form eines Memes mit dem Slogan „Hier bekommen sie das Original für 50 Cent!“ zirkulieren ließ. Auch andere Eigenkreationen aus IKEA-Beuteln gingen viral – String-Tanga, Gasmaske, Baseball-Kappe, Turnschuhe. In dieser positiven und humorvollen Reaktion auf die Mode-Appropriation wird deutlich, was solche Interventionen bestenfalls bewirken: Sie sind inspirierend, anregend. Gerade in ihrer Einfachheit, hinter der man wie auch beim Readymade in der Kunst so einiges an Theorie und Selbstreflexion verborgen glaubt, besteht ihr großer Effekt: eine Art intellektuelles ASMR.
Aufsteigerperspektive
Manchmal ist es schon erstaunlich, wie sensibel die Öffentlichkeit für Kontexte sein kann. Dass Fans von Pro-Fake-Brands wie Balenciaga nostalgische Gefühle entwickeln, lässt vermuten, dass unter ihnen viele sind, die eine Aufstiegsbiografie besitzen. Wer als Kind mit den Eltern zu Ikea ging, kann sich nun selbst eine 1,4k-Tasche leisten. Für Demna und auch für Virgil Abloh trifft das jedenfalls zu. Demna floh als Kind mit seiner Familie während des Georgisch-Abchasischen Krieges 1992/93 nach Deutschland. Abloh wanderte mit seiner Familie aus Ghana in die USA aus.
Die Schriftstellerin Taiye Selasi beschreibt in einem Essay in dem Catalogue raisonné “Artwork’ Virgil Abloh 1980-2019” Ablohs Aufwachsen als Einwanderer in den USA. Für Afro-Amerikaner ist diese Zeit voller Zugangsbeschränkungen: HipHop war zwar erlaubt, ist es doch das, was ohnehin alle von einem Schwarzer Teenager erwarten, doch Skaten – eine „Domäne der Weißen“ – wurde bereits als Akt der Rebellion angesehen. Da er ständig mit dem Druck konfrontiert gewesen sei, einem bestimmten kulturellen Stereotyp entsprechen zu müssen, sei es ihm zu einem intrinsischen Anliegen geworden, selbst wählen zu können, wer man ist, was man konsumiert, welcher Subkultur man angehört. Und auch scheinbar Widersprüchliches zu vereinen. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass sich dieses Empowerment durch Mode und Konsum in seiner Arbeit als Designer widerspiegelte – nicht zuletzt in eben jenen Grenzüberschreitungen zwischen den Milieus.
Was an der ALDI-Tasche von Eidinger und Bree für Widerstand gesorgt hatte, war nicht unbedingt die Tasche selbst, sondern mehr noch die dazugehörige Kampagne, in der sich Eidinger mit Obdachlosen und als Obdachloser inszenierte, obwohl er höchstwahrscheinlich keine eigene Erfahrung mit Armut hat. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man bestimmte Erlebnisse gemacht hat – oder sie nur aus Erzählungen kennt. So sind die Ikea-Tasche oder das DHL-Shirt nicht entwürdigend, eine ALDI-Tasche, die man mit Obdachlosen bewirbt, denen diese niemals zugute kommen wird, hingegen schon.
Sieht man sich die genannten Pro-Fake-Brands an, wird deutlich, dass die soziale Situation, aus der eine Tasche oder ein Objekt kommt, nicht mitkopiert wird, weil es ihnen um die Grenzüberschreitung selbst geht. Diese gelingt übrigens nicht nur ausschließlich durch ein ‚Kopieren von unten‘. Die damit verbundene Stimulation, gelingt auch, wenn, wie im Fall von Balenciaga, als Referenz Gucci herhält – wie im „Hacker-Projekt“, das Ende letzten Jahres präsentiert wurde. Die Artikel basierten ganz offensichtlich auf den aktuellen Gucci-Totebags, -Handtaschen, -Clutches, -Geldbörsen, -Schals und -Konfektionsartikeln, mit Ausnahme von Schuhen, das Gucci-Doppel-GG wurde durch ein Doppel-BB ersetzt und auf so manch ein Produkt stand im Graffiti-Stil der Schriftzug „This Is Not A Gucci Bag“.
Was Demna aus dem IKEA-Store heraus auf den Laufsteg brachte, hat Abloh übrigens durch seine eigens für IKEA entworfene Kollektion aus der Hochkultur wieder zurück in die Markthalle des Möbelgeschäfts geführt. Zu den berühmtesten Mode-Stücken Off-Whites gehören Taschen, auf denen in großgeschriebenen Helvetica-Buchstaben „Sculpture“ in Anführungszeichen steht. In seiner Neuinterpretation der „Frakta“-Tasche hat Abloh dementsprechend das blaugelbe Kunststoffdesign durch einen papierartigen Stoff mit dem Aufdruck “Sculpture“ ersetzt. Sie hat dann zwar nicht mehr 50 Cent, aber trotzdem nur 10 Euro gekostet. Dass es darum ging, hier nun umgekehrt Kunst in die Alltagskultur zu bringen, wurde an der Inszenierung der Kollektion im Eingangsbereich von IKEA sichtbar: Dort wurden die einzelnen Objekte installativ angehäuft – ganz ähnlich, wie sie Abloh auch in seiner Ausstellung „Figures of Speech“ im Brooklyn Museum in New York präsentierte.
„The rich are openly mocking us“
Fast schon wie eine Reaktion auf die Fashion-Show-Parodie von Shaheel Shermont Flair wirkte die entschiedene Absage an den Laufsteg von Yeezy x GAP (dem Label von Kanye West), bei deren Release mit ihrer Balenciaga-Kooperation Ende Juli das sog. „Dumpster Diving“ alias Containern mal eben zum Lifestyle-Event erklärt wurde. Ein Hoodie kostet um die 300 Euro. Dass dort Menschen waren, die wirklich Containern gehen oder dies sogar müssen, ist demnach nicht nur unwahrscheinlich, sondern ausgeschlossen.
Ist Kanye hier zu weit gegangen? Zumindest in den Sozialen Medien zeigen sich bereits ausgesprochen zwiegespaltene Reaktionen: „The rich are openly mocking us and y’all happily participate“ oder „Support the poor little people instead.“ oder „Humiliating. The worst example of appropriation and glamorisation of poorness. Gross.“, lauteten Kommentare auf den Einblick von Highsnobiety auf TikTok.
Insgesamt war ein großes Unbehagen spürbar, angesichts der Fetischisierung von Armut durch den gutbürgerlichen, umstrittenen und superreichen Megastar Kanye West. Sie entsteht vor allem, wie auch schon bei der Obdachlosen-Inszenierung von Eidinger und Bree, durch das Kopieren einer sozialen Realität, deren Anblicke auch jene Menschen triggern wird, die wirklich einmal Containern mussten oder müssen, da sie sich kein Essen leisten können. Hier lässt sich nun wirklich von Poverty Appropriation sprechen.
[1] Simmel, Georg: Die Mode, in: Bovenschen, Silvia (Hg.): Die Listen der Mode, Frankfurt am Main 1986, S. 179 – 207, hier S. 181.
[2] Weis, Diana: In bester Parallelgesellschaft, in: Blumhardt, Olga/Drinkuth, Antje (Hg.): Traces. Fashion & Migration, Berlin 2017 – oder hierhin verlinken: http://dianaweis.com/publikationen/mode-migration-jugendkulturen/
[3] Shelley Puhak: The Underclass Origins of the Little Black Dress, in: https://www.theatlantic.com/technology/archive/2017/10/the-underclass-origins-of-the-little-black-dress/542910/
[4] https://medium.com/the-establishment/the-troubling-trendiness-of-poverty-appropriation-4d3681406320
Foto von jesse williams auf Unsplash