Aufräumphantasien – Kunst und Diversität unterm Spardiktat

von Cordula Kehr

„Es fehlen die ‚Alarmbegriffe‘, die leichter erkennbar machten, was politisch beabsichtigt ist“, schreibt Carolin Emcke 2016 in ihrem Buch Gegen den Hass. Sie charakterisiert damit ein Sprechen, das auf der Oberfläche gemäßigt daherkommt, untergründig jedoch eine Diskursverschiebung vornimmt, die Ausgrenzung und letztlich Gewalt den Weg bahnt. Ein solches Plädoyer für ein aufmerksames Hinhören, für ein Lauschen auf Zwischentöne scheint heute, knapp 10 Jahre später, beinahe nicht mehr nötig. Ob Migration oder Klima – der kürzlich beendete Bundeswahlkampf hat gezeigt, wie weit die Grenzen des Sagbaren sich verschoben haben und welche Alarmbegriffe inzwischen normalisiert wurden. Doch wie sieht es in der Kulturpolitik aus? Wird anders gesprochen, wenn es um Kunst, um imaginierte Welten und Ästhetik geht? Wird überhaupt über Kultur gesprochen, wenn kulturpolitisch gesprochen wird? Und welche Auswirkungen hat ein Sprechen ohne Alarmbegriffe aber mit Andeutungen darauf, welche Kunst möglich ist und welche zurückgedrängt wird?

Seit Ende November letzten Jahres Sparmaßnahmen die Berliner Kulturszene in eine schwere Krise gestürzt haben, wird viel darüber berichtet, wie einzelne Kulturinstitutionen mit der Situation umgehen und welche Auswirkungen die Kürzungen für Berlin und die Kultur haben. Aber es wird wenig reflektiert, wie kulturpolitisch und medial über die Kürzungen gesprochen wird und welche Narrative und Sprachbilder die Diskussion seither prägen. Dabei droht der Austeritätsdiskurs, künstlerische Ausdrucksformen einzuengen und Diversität im Kulturbetrieb zu verringern.

Unerhörter Luxus? Antworten auf den Vorwurf der Verschwendung

Das zentrale Narrativ jeder Spardebatte ist wohl das der Notwendigkeit. Dementsprechend überbieten sich die verantwortlichen Berliner Politiker in Interviews darin, die Sparmaßnahmen als alternativlos darzustellen. Die Sparmaßnahmen seien „dringend nötig“ (Bürgermeister Kai Wegner), „nicht zu vermeiden“ (Kultursenator Joe Chialo), nötig, weil die Ausgaben im Kulturbereich „über ein normales Maß“ gestiegen seien (Finanzsenator Stefan Evers). Was das genau ist, ein normales Maß der Kulturförderung, das bleibt offen. Schaut man in den Berlin Plan 2026 der CDU, der die drei Politiker angehören, heißt es da: „Staatliche Kulturförderung kann und soll nicht als flächendeckender Kulturarbeitgeber fungieren.“ Das wirft die Frage auf, ob die Berliner CDU öffentlicher Kulturförderung einen Wert beimisst oder sie nicht eher abschaffen möchte. In den Interviews wird jedenfalls eine deutliche Grenze gezogen: Hier die einhaltgebietende Politik, dort der maßlose, sich nicht an die Norm haltende Kulturbetrieb. Aber ist der öffentlich geförderte Kulturbetrieb, der laut Kultursenator Chialo in den letzten Jahren eine „Mittelexplosion“ erlebt hat, tatsächlich aber nur 2,1 Prozent des Berliner Gesamthaushalts ausmacht, wirklich so verschwenderisch?

Im Februar 2025, als erste Auswirkungen der Sparmaßnahmen im Kulturbetrieb spürbar wurden,  weil Kulturtätige ihre Arbeitsplätze verloren, manche Projekte nur eine Abwicklungsförderung erhalten haben und viele Häuser Teile ihres Programms streichen mussten, lässt sich Chialo für das ZEIT Magazin zum Thema „sexy“ porträtieren. Dort sagt er: „Sexy ist […] das Selbstbewusstsein, sich mehr zu trauen als die Allgemeinheit. So verstehe ich auch Politik: Für seine Ideen zu kämpfen, dem Gegenwind standzuhalten, ist sexy!“ Der Tagesspiegel greift das wie folgt auf: „Politisch ist er umstritten. Was man […] Chialo […] allerdings lassen muss: Sein Style sucht unter deutschen Politikern seinesgleichen.“

Der Style von Politiker*innen aber, man denke an Joschka Fischers Turnschuhe oder Angela Merkels Blazer, ist immer auch politisch. Wie also inszeniert sich Chialo? Er setzt – in eigenen Worten – auf „das Wagnis“, den „individuellen Stil“ und das „minimale Sprengen der Norm“. Er, der nicht verhindern konnte, dass der Kulturetat überproportional stark gekürzt wurde, sieht sich als unkonventionellen Kämpfer. Vielleicht ist das eine Selbstdarstellung, die gut ankommt unter Kreativen – die wohnen dann aber nicht in Berlin. Hier wirkte das im Februar gegebene Interview wie eine Farce. Während der Kulturbetrieb seit Monaten darauf eingestimmt wird, „den Gürtel enger zu schnallen“, spricht Chialo von seiner „goldenen Bomberjacke“. Auch wenn das in Berlin Tradition hat, ‚arm‘ und ‚sexy‘ zusammenzudenken, früher, so scheint es, war Berlin sexy, jetzt ist es nur noch der Kultursenator.

Der Kulturbetrieb jedenfalls verliert unter dem Spardiktat schlagartig seinen Sexappeal. Konfrontiert mit dem Vorwurf der mangelnden „ökonomischen Eigenverantwortung“ (Chialo) und ermutigt, mehr auf Wirtschaftlichkeit zu achten (Wegner), spricht er plötzlich die Sprache des effizienten Managements. „Wir sind nicht naiv“, sagt beispielsweise der Intendant des Berliner Ensembles Oliver Reese in einem Interview und zählt dann detailliert auf, wo bereits gespart wird. „Wir handeln mit Sinn und Verstand“, protestiert auch der Geschäftsführende Direktor der Deutschen Oper Thomas Fehrle und beklagt, dass ausgerechnet die Häuser, die „in der Vergangenheit sorgfältig mit ihren Budgets umgegangen sind, bestraft werden“.

Natürlich ist es wichtig, dass alle, die öffentliche Förderung erhalten, verantwortungsvoll damit umgehen. Um das sicherzustellen, gibt es rechtliche Rahmenbedingungen wie die Landeshaushaltsordnung und Zuwendungsbescheide. Unter den Vorzeichen des Spardiskurses reicht es aber nicht, verantwortungsvoll zu handeln, man muss auch Effizienz performen. Aber bei allem Verständnis für das Verteidigungsgefecht der Intendanten: Dieses Spiel lässt sich nicht gewinnen. Wenn Kulturförderung grundsätzlich in Frage gestellt wird, sollte man lieber den Spardiskurs und die politische Priorisierung angreifen, als darum zu wetteifern, wer die schönste Excel-Tabelle hat. Wir brauchen Räume, in denen zumindest in Teilen andere Spielregeln gelten als diejenigen der Effizienz. Wir verlieren sonst das, was Kunst kann: frei sein, kritisch sein, faul sein, nutzlos sein, schön sein.

Aber nochmal zurück zu „arm, aber sexy”: Was Anfang der 2000er, als Wowereit dieses inoffizielle Motto der Stadt prägte, maßgeblich zu Berlins Aufschwung beitrug, waren die lebendige Kulturszene und das Bild von Berlin als wilder und diverser Stadt mit billigen Mieten. Einen Mythos der effizienten und ordentlichen Hauptstadt hat es nie gegeben.

Metaphorische Gewalten – reale Konsequenzen  

Es heißt, eine der Lieblingsvokabeln der Berliner CDU in kulturpolitischen Gesprächen sei ‚aufräumen‘. Das mag nicht überraschen bei einer Partei, die sich ‚Ordnung‘ und ‚Sicherheit‘ auf die Fahnen schreibt, aber in Bezug auf Kunst und Kultur lässt das Wort ‚aufräumen‘ doch stutzen. So stellt die Schriftstellerin Lea Streisand in ihrem Radiokommentar „Sparplan Motorsäge“ zu recht die Frage, ob Kunst überhaupt ordentlich sein könne, ob autoritäres Aufräumen nicht einfach heiße, alles platt zu machen, was man vorfinde, und Unliebsames wegzuschmeißen: „Ist das Kunst oder kann das weg? […] Und was ist eigentlich mit Leuten, die ‘ne Behinderung haben? Was ist mit Kindern oder Geflüchteten? Sind die ordentlich oder könn‘ die och weg?“

Das Bild des Aufräumens ist natürlich praktisch. Anders als beim Bild des „Kahlschlags“, das Finanzsenator Evers zurückweist, um stattdessen von „Normalisierung“ zu sprechen, geht es beim Aufräumen nicht um gewaltvolles sondern vernünftiges Handeln mit Augenmaß und darum, etwas wieder an seinen ursprünglichen Platz zu stellen. Die Aggression hingegen – so wird suggeriert – kommt von den anderen, den Kulturtätigen, die übertrieben emotional auf die Kürzungen reagieren. Er erlebe einen „Erregungstsunami“, eine „aggressive Stimmung“, berichtet Chialo in einem Interview, dabei wolle er die Kultur dahin bringen, nicht von „diesen Gezeiten abhängig“ zu sein.

Während Chialo sich also einerseits von Naturgewalten bedroht sieht, möchte er die Kultur andererseits vor ebendiesen Gewalten retten, indem er sie von der öffentlichen Förderung und dem damit einhergehenden „Paternalismus“ befreit. Mit dieser Metaphorik, die das Menschliche ausklammert und in Naturphänomenen spricht, verschleiert er aber, wer in der Kürzungsdebatte Entscheidungsmacht hat und wer die Konsequenzen dieser Entscheidungen trägt. Staatliche Kulturförderung, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, ist nicht bevormundend, Kulturtätige im Kampf um ihre Arbeitsplätze nicht ernst zu nehmen, allerdings schon.

Schmerzhafte Lücke – verschwindende Selbstverständlichkeit

Der Kulturtheoretiker Diedrich Diederichsen verteidigte Kulturförderung unlängst in einem Interview und begründete sein Plädoyer damit, dass Kunst „ein Archiv des Selbstverständlichen“ hervorbringe. Und ja, Kunst, die kultureller Teilhabe verpflichtet ist, kann genau das: eine eigene Wirklichkeit erzeugen, Menschen eine Stimme geben oder ihnen ermöglichen, sich in anderen Rollen zu sehen, als denen, die ihnen gesellschaftlich zugeschrieben werden. Genau diese Selbstverständlichkeit aber steht mit den Kürzungen auf dem Spiel, da sie besonders kleine Projekte treffen, die sich an ein marginalisiertes Publikum richten oder programmatisch Diversitätsthemen aufgreifen.

Diederichsen sieht hier eine Parallele zu den Sparmaßnahmen 2011 im niederländischen Kulturbereich, wo eine Zusammenarbeit wirtschaftsliberaler und rechtspopulistischer Politiker*innen dazu führte, dass in der Kultur überproportional stark gekürzt wurde und insbesondere kleine Projekte das Nachsehen hatten. „Große Institutionen werden dominieren, das Mittelfeld wird verwüstet sein und junge Künstler, die gerade ihren Abschluss besitzen, werden in Zukunft kaum mehr Arbeitsmöglichkeiten finden“, so beschrieb der Theaterkritiker Simon van den Berg damals die Auswirkungen der Kürzungen auf Nachtkritik. Und so auch in Berlin: Während einige Journalist*innen der schwarz-roten Regierungskoalition nach Erscheinen der ersten Sparlisten im November 2024 Ahnungslosigkeit attestieren und kritisierten, es sei mit der Heckenschere gekürzt worden, was sich eben auf kleine Projekte besonders negativ auswirke, stellten Kulturakteur*innen die Frage, ob die Kürzungen dazu dienten, politisch unliebsame Projekte loszuwerden. Selbst der Koalitionspartner SPD kritisierte die Sparpläne der CDU als „politisch motiviert“, als im Februar 2025 im Bildungsbereich schlagartig die Förderung von queeren Projekten und Projekten der politischen Bildung gestrichen wurde.

Wir schauen beunruhigt und empört auf die USA, wo gerade Wörter wie „trans“ und „queer“ von staatlichen Webseiten gelöscht werden; Trumps aggressive Rhetorik, die seine Sprachpolitik begleitet, macht es uns leicht, zu erkennen, wie menschenfeindlich diese Politik ist. Als Bürgermeister Wegner im Mai 2023, nur drei Wochen nach seinem Amtsantritt, betonte, er habe noch keinen Brief in „Gender-Sprache“ unterschrieben, und das scheinbar sachlich mit der Verständlichkeit für Zugezogene rechtfertigte, blieb die Kritik hingegen eher verhalten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die sich meist eher für eine konservative Sprachpolitik ausspricht, kritisierte Trumps Sprachpolitik beispielsweise als Zensur, im Zusammenhang mit Wegners Ablehnung gendergerechter Sprache griff sie hingegen auf eine unkritische Pressemeldung zurück.[1] Schließlich sah Wegner auch von einem offiziellen Verbot gendergerechter Sprache wie in Bayern ab und ließ den einzelnen Verwaltungen einen Ermessensspielraum – was jedoch kaum etwas am Ergebnis änderte: Unter seiner Regierung, das dokumentierte der Tagesspiegel, [2] verschwindet der Genderstern aus einem Großteil der Verwaltungskommunikation.

Es braucht nicht immer Verbote, um Selbstverständlichkeiten zu verändern. Manchmal reicht auch das Auslassen einer Zuwendung – einer empathischen Zuwendung zu Menschen mit anderen Lebensrealitäten als der eigenen oder einer finanziellen Zuwendung für Projekte, die kulturelle Teilhabe und demokratische Strukturen fördern. Spardiskurse eignen sich ausgezeichnet, um stillschweigend Selbstverständlichkeiten neu zu schreiben. Das aufmerksame Hinhören ist daher dringend notwendig.


[1] Bemerkenswert an Wegners Aussage ist auch, wie hier zwei marginalisierte Gruppen – queere Menschen und migrantisierte Menschen – gegeneinander ausgespielt werden. Sind es diesmal migrantisierte Menschen, auf die scheinbar Rücksicht genommen wird, sind es sonst häufig queere Menschen, die vermeintlich vor importierter Homophobie geschützt werden sollen.

[2] In den Pressemitteilungen der von Chialo geführten Kulturverwaltung wurde 2023 noch der Genderstern verwendet. Das scheint sich inzwischen geändert zu haben, wie ein Blick auf Pressemeldungen des Jahres 2025 zeigt.

Foto von Kyle Head auf Unsplash

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