von Jasper Nicolaisen
Was macht eigentlich ein Buch schwierig? Warum haben manche Texte, manche Autor:innen generell den Ruf, „schwierig“ zu sein?
Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, wie man meint, aber ich glaube, dass sie nicht ausschließlich mit individuellen Vorlieben oder Abneigungen zu erklären ist. Ich vermute, dass es schon so etwas wie einen Kern dieser Zuschreibung des „Schwierigen“ in der Literatur gibt, und dass es sich lohnen könnte, ihn versuchsweise genauer zu bestimmen. Dass ein Text „schwierig“ sei, das wird oft als Begründung für mangelnde Wahrnehmung des Textes herangezogen, auch als Abwehr gegen Formen der Literatur, die als verordnet, lebensfern oder verschult, also als Zumutung gelten, aber vor allem als Grund, einen Text gar nicht erst zu lesen beziehungsweise gar nicht erst zu veröffentlichen. Ich glaube, dass unbestimmte Vorstellungen davon, was „schwierig“ oder „zu schwierig“ ist, den Buchmarkt, die Bibliodiversität mit prägen, und insofern ist der Begriff von allgemeinem Interesse.
Ich komme zu diesem Begriff als Leser, der immer schon – das heißt: wirklich seit der Kindheit – eine Vorliebe für das so genannte „Schwierige“ gehabt hat und der zunächst gar nicht begreifen konnte, was andere an den Büchern, die mich begeisterten, so quälend fanden. Vielleicht ist es ganz erfolgversprechend, bei diesem Moment der Abgrenzung zu bleiben. Mein Ringen mit dem Schwierigen (ich lasse die Anführungszeichen im Folgenden weg, es ist langsam klar, dass der Begriff als zu Untersuchendes hier steht) war auch ein Ringen um Gemeinsamkeiten mit anderen, ein Hin- und Hergerissen sein zwischen menschlichen Freund:innen und solchen, die aus textlichen Stimmen bestanden. Wie konnte es sein, dass ich beide liebte, sie sich aber so wenig miteinander vertrugen? Dass wir durchaus gemeinsame Freund:innen hatten, also Bücher, für die wir uns gemeinsam begeistern konnten?
Abgrenzung: schauen wir, was mit schwierig in diesem Fall nicht gemeint ist. Es ist nicht der reine Umfang gemeint, die zu bewältigende Textmenge. Von Liebesschnulzen über Historienschinken bis hin zu den schier endlosen Epen der Fantasy kennt die populäre, millionenfach verkaufte Literatur die opulentesten Werke. Gleichzeitig gilt zum Beispiel Franz Kafka, von dem gleich noch die Rede sein wird, als äußerst schwierig, ohne dass eines seiner Werke besonders umfangreich wäre.
Es geht ebenfalls nicht grundsätzlich um Komplexität; der „Herr der Ringe“ oder „Harry Potter“ erfordern schon einige Geduld hinsichtlich des Figurenarsenals, des Spezialvokabulars und der inneren Bezüge. Auch hier kann Kafka als gutes Gegenbeispiel herhalten. Seine Romane sind hinsichtlich des Personals sehr überschaubar, sie spielen im Wesentlichen in einer Welt, die uns, trotz einiger zeitlicher Distanz, noch sehr vertraut vorkommt, und die Grundkonflikte mögen ungewöhnlich sein, aber sie sind sehr klar und nachvollziehbar geschildert. Meistens geht es schlichtweg um eine Hauptfigur, die sich unversehens in einer misslichen Lage befindet – Ärger mit den Behörden, auf dem Weg zum Kunden verfahren, wegen einer Sexgeschichte von der Familie ausgebootet, morgens aufwachen und sich nicht so gut fühlen. In Ordnung, das mit der Verwandlung in ein Insekt kann eine Herausforderung sein, ja, aber das sollte für ein Publikum, das sich gleich mehrere Kunstsprachen aus einer fiktiven Welt auftischen lässt, kein allzu großes Problem darstellen, zumal es ja, wenn man das geschluckt hat, alles sehr nachvollziehbar seinen Gang geht, wie alle bestätigen können, die Familien und Arbeitgeber haben.
Sprache spielt eine gewisse Rolle, aber keine so große, wie man meinen könnte. Von den als „schwierig“ geltenden Werken und Autor:innen verlassen nur sehr wenige die Grenzen des allgemein verständlichen Sprechens. „Finnegan´s Wake“ von James Joyce ist der erklärte Versuch, eine Traumsprache zu entwerfen, deren Bedeutung nicht mehr an der Oberfläche liegt, gut, das ist tatsächlich auch für die geübtesten Leser:innen eine Herausforderung. Aber schon „Ulysses“ ist sprachlich wieder zugänglicher – da rauschen zugegeben viele sprachliche Ebenen durcheinander, aber man kann eigentlich nicht behaupten, dass nicht klar wäre, worum es geht. Es gibt erkennbare Figuren, es gibt Handlungsorte, Leute erleben etwas, es ist sogar streckenweise wirklich witzig und es geht auch viel um Sex.
„Der Mann ohne Eigenschaften“? Ein Typ schludert so durch sein Leben, bis er durch die Beziehungen seines Vaters in einer Gruppe reicher Leute landet, die zu viel Zeit haben, und darum viel Energie auf die Planung eines Nationalfeiertages verwenden. Nebenbei erfährt man eine Menge über Österreich. Kann man machen, kann man lesen.
„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? Jemand beißt in ein Gebäckstück und erinnert sich an sein Leben. Auch hier. Figuren, Orte, Konflikte, Entwicklungen, alles da.
„Der Zauberberg“? Eine Krankenhausgeschichte, wer kennt es nicht.
Hier nun freilich der bekannte Einwand: die berühmten Schachtelsätze. So schwierig. Das kann ich ehrlich gesagt von Leuten, die sich von Tolkien Landschaftsbeschreibungen am laufenden Band servieren lassen, nicht ganz ernst nehmen. Aber gut, gestehen wir zu, dass Sprache gelegentlich eine Hürde darstellt. Wir können uns vielleicht darauf einigen, dass sie, von den erwähnten Extremen abgesehen, eine grundsätzlich zu bewältigende darstellt. Wenn man will, kann man sich in Thomas Mann einlesen. Das ist nicht schwieriger, als zu lernen, wie man einen Fahrradschlauch wechselt. Sich in Arno Schmidt einlesen: das Erlernen einer Programmierumgebung wie, sagen wir, Excel.
Aber dies scheint mir – unversehens, wie der bürokratische Behördenkampf bei Kafka – der Kern des Ganzen zu sein. Die Frage lautet: warum?
Warum sollte ich mich entschließen, mich für diesen Text zu interessieren? Dies hängt unmittelbar damit zusammen, wie die Begegnung von potenziellen Leser:innen mit den Autor:innen abläuft. Ein Text ist, oder wird zumindest wahrgenommen als eine Begegnung mit einem Gegenüber, das mir etwas erzählt. Und die Frage, die sich immer drängender stellt, je länger der sehr korrekte Herr, der nach eigener Auskunft bei einer Versicherung arbeitet, mir an der Bushaltestelle seine Insektengeschichten aufnötigt, lautet: Warum wird mir das erzählt?
Mein Vorschlag zur Bestimmung dieser ominösen „Schwierigkeit“ (nun doch wieder die Anführungszeichen, er ist launisch und unentschieden, dieser Autor) lautet, dass es um ein irritierendes Offenbleiben des „warum“ geht. Ich verstehe schon, was mir da gesagt wird, aber warum wird es mir gesagt? Warum soll ich dabei bleiben, was bringt mir das?
Zu dieser Irritation trägt dann gerade die grundsätzliche Verständlichkeit der schwierigen Texte bei, die ich oben noch (hinterhältig, schwierig, warum macht er das?) als Anknüpfungspunkt für den Alltagsverstand verkaufen wollte.
Ja doch, ich kapiere schon, was der Typ in „Ulysses“ den ganzen Tag in Dublin macht und dass die sich da am Strand einen runterholt, ja, er redet mit seiner Katze und brät sich Nieren in der Pfanne, aber warum, zur Hölle? Tage meines Lebens, hunderte von Seiten.
Ein schwuler Typ muss beim Kuchenessen losheulen, weil ihm wieder einfällt, wie seine Mutti ihn immer getröstet hat, wenn er nicht schlafen konnte. Ich verstehe, was mir da gesagt wird, ich bin ja nicht naiv, aber: warum?
Ein Teenager wird nach Amerika geschickt und merkt bei der Landung, dass er seinen Koffer vergessen hat, und als er ihn holen will, freundet er sich mit dem Heizer an – was soll das?
Ein Typ fährt in eine Klinik auf dem Berg und verliebt sich in eine Russin, während ihn ein Italiener zutextet, dann sind alle völlig aus dem Häuschen, weil es Schallplatten gibt, einige Kapitel über Röntgenbilder, und dann ist erster Weltkrieg. WTF, Thomas Mann! Ich bin auch schon mal geröntgt worden. Mache ich einen Roman daraus? Eben.
Ob „Herr der Ringe“, „Harry Potter“ oder „Säulen der Erde“, das ist nicht meine Welt, aber das ist ja gerade das Gute daran. Die Frage, warum ich mich für das Schicksal von irgendwelchen Hexen und Zauberern in einer ausgedachten Welt interessieren soll, lässt sich relativ leicht beantworten: weil es Spaß macht. Es gibt da Sachen, die es bei mir nicht gibt, ich wäre vielleicht gern selbst Hexe oder Zauberer oder wenigstens Hobbit, und ich muss eine Weile mal gerade nicht an meinen Röntgentermin denken. Gut! In vielen Genretexten sollen die Autor:innen das Moment der Begegnung auf ein Minimum reduzieren. Beim Lesen soll ich möglichst vergessen, dass ich überhaupt lese, eine funktionale Sprache soll mir die Geschichte an die Wände meiner geistigen Höhle schattenspielern, als folgten meine Auge nicht gerade kleinen Bedeutungsameisen auf Papier, die mir jemand absichtsvoll dorthin gesetzt hat. Leider – aus der Sicht des Marktes – gelingt das nie ganz, aber als Ideal hat es Bestand.
Die Frage nach dem „warum“ der Texte, die die Antwort nicht offensichtlich vor sich hertragen, wird unseligerweise in der Schule dann noch oft mit dem Bonbonmodell der Literatur verpflastert. Das Bonbonmodell verkündet, dass die schwierige Oberfläche eines Textes gewissermaßen das Einwickelpapier für eine Botschaft darstellt, die den Kern des Buches ausmacht, und dass ein Buch zu verstehen bedeutet, eine Art Rätsel zu lösen, das Autor:innen, launisch und schwierig wie sie sind, auf vielen hundert Seiten ausgebreitet haben. Wenn Lesen die Begegnung mit einer fremden Stimme darstellt, dann bleibt bei vielen Schüler:innen der Eindruck zurück, dass Autor:innen Menschen sind, die unfähig zur normalen Kommunikation sind. Wenn es bei Kafka doch um die Entfremdungserfahrung der Moderne „geht“, warum sagt er das nicht einfach? Wenn Proust uns mitteilen möchte, dass früher alles besser war, aber die Vergangenheit leider Vergangen bleiben muss, warum ist das Buch nach diesem Satz nicht vorbei? Und „Ulysses“ soll sich anscheinend um die völlig verblasene Aufgabe drehen, in jedem Kapitel eine Farbe, einen Geruch, einen Planten und ein Geschlechtsorgan irgendwie in Beziehung zu setzen – wenn das schon unbedingt sein muss, kann Joyce das nicht für sich zuhause machen und wäre eine kleine Exceltabelle nicht praktischer gewesen?
Wo das Bonbonmodell nicht hinreicht, erfreut sich auch das Modell der falschen Diversität nach wie vor einiger Beliebtheit. In Kafkas Literatur soll sich wahlweise das Judentum aussprechen, die sprachliche und ethnische Gemengelage Prags, seine Familienkonflikte oder seine Lust und sein Leiden an der Bürokratie. Thomas Mann soll seine in einem erträumten Mittelmeer verschwimmende Sexualität in Literatur ergossen haben. Joyce soll eigentlich und wahrhaftig etwas über die moderne Medienwelt oder den irischen Befreiungskampf gesagt haben.
Das Fatale an dieser Hilfskonstruktion im Umgang mit „schwierigen“ Texten ist, dass sie immer auch etwas Wahres enthält, denn natürlich bleibt all diesen Autoren nicht anderes übrig, als sich teilweise auch über ihre Lebens- und Zeitumstände auszusprechen. Aber die „Diversität“ – um den Modebegriff, wo er ein reiner Modebegriff ist, noch einmal zu diskreditieren -, die sich hier ausspricht, das Nachvollziehenkönnen einer nicht eigenen Erfahrung durch Literatur, wird durch diese Verengung der Warum-Frage geradezu abgewürgt. Nicht die platte Schilderung eines biographischen oder politischen Umstands macht ja das Wertvolle an der echten Diversität aus, sondern das Anerkennen der Tatsache, dass Äußerungen von einem spezifischen Standpunkt unweigerlich beeinflusst sind, sich aber niemals darin erschöpfen.
Die Bonbontheorie der Literatur und die falsche Diversität, auf die sich in ihrer Not Lehrpersonal und Schüler:innen stürzen, verschleiert das eigentlich irritierende, aber potentiell auch beglückende an der „schwierigen“/schwierigen Literatur. Die Frage nach dem „warum“ ist ihre Herausforderung, der wir uns als Leser:innen stellen müssen, aber auch dürfen. Sie breitet vor uns eine Welt aus, die sich stark mit unserer Alltagswelt überschneidet, sie aber so weit gegen sich selbst verschiebt, dass sie fragwürdig wird. Ein „schwieriger“/schwieriger Text lässt sich gerade nicht auf etwas vermeintlich „eigentlich“ Gemeintes reduzieren, er bietet uns gewissermaßen ein Bällebad an, in dem Herumzutollen an uns liegt. Ob dieses Bällebad eigentlich einen Grund hat, sprich: ob die Möglichkeiten des Umgangs damit endlos sind, das sollen Literaturwissenschaftler:innen entscheiden, sie werden schon wissen, warum sie sich damit befassen. Für uns Leser:innen reicht es, dass wir darin herumwühlen dürfen, bis wir wieder abgeholt werden.
Begegnung – darum geht es. Warum soll ich mich einem Text ausliefern, der mir wenig Anhaltspunkte gibt, warum er es wert sein sollte, gelesen zu werden? Ich muss, ich darf mich dazu entschließen, dieser zunächst fremden Stimme einen Vertrauensvorschuss zu geben. Wie bei jeder Begegnung mit einer zunächst fremden Person mag es Anhaltspunkte geben, die mich vermuten lassen, dass sich das Kennenlernen lohnen wird: sympathisches Äußeres, eine angenehme Stimme, Geruch, gemeinsame Freund:innen. Aber ich weiß es nicht mit Sicherheit. Der Verlauf der Begegnung kann durch Irritation geprägt sein. Der Grad der Zuneigung oder Zustimmung wird nicht gleich bleiben. Ich habe, als Leser:in wie als Begegnungsteilhaber:in, immer auch die Möglichkeit, mich mit bedauerndem Blick auf die Uhr zu verabschieden: sorry, ich muss dann auch wieder … Die Begegnung trägt ihren Wert, wenn sie gelingt, aber auch, wenn sie bloß nicht zu ärgerlich misslingt, in sich selbst. Ich war kurz woanders als bei mir. So einfach.
Eigentlich. Denn schwierige Literatur hat es immer schon schwer gehabt, aber unter den gegenwärtigen Marktumständen hat sie es noch mehr. Verlage sind zunehmend bloße Labels weniger Konzerne, für die Literatur in erster Linie eine Ware ist. Diese Konzentration führt zu großer Angst, etwas Anderes als einen Bestseller zu produzieren. Die Auswahl der angekauften Titel ist sehr häufig von der Furcht vor jeder Irritation geprägt, und Titel, die nicht sofort erklären, warum man ihnen seine Zeit widmen sollte, haben es schwerer als je zuvor. Viele Verlage begegnen dieser Furcht mit Werbung, die sich vorwiegend auf die falsche Diversität stützt. Im schlimmsten Fall führt das zu dem absurden Versprechen, in diesem oder jenem Buch würden wir endlich einmal erfahren, wie sich Frauen mittels Frauenfiguren über Frauenthemen aussprechen oder Schwarze Deutsche mittels Schwarzer Figuren über Schwarze Themen. Dass dies das Gegenteil einer überfälligen Stärkung ausgegrenzter Stimmen ist, dürfte auf der Hand liegen.
Ein guter Grund für eine stärkere Berücksichtigung anderer als männlicher, weißer Autoren ist der ganz materialistische, dass auch andere Leute etwas von der Kohle abbekommen, in Form von Vorschüssen, Lesungshonoraren, Stipendien und Preisgeldern. Wenn diese kurz gedachte Verkaufsstrategie dazu beiträgt, erfüllt sie wenigstens einen sinnvollen Zweck und ich bin Fan davon.
Aber das Großartige an den Büchern von Samuel R. Delany ist nicht, dass er natürlich in seinen fantastischen Weltentwürfen auch als Schwarzer, schwuler und mittlerweile ziemlich alter Amerikaner spricht, und meine Begeisterung für die Geschichten von Asja Bakić rührt nicht daher, dass sie als Frau eine spezifisch kroatische, postjugoslawische Erfahrung aufschreibt. Ich begeistere mich für die Szene, in der zwei Männer ihre Lust aneinander durch eine telepathische Drachenjagd feiern, in deren Verlauf sie die Paarung der Ungeheuer am eigenen Leib erleben. Ich erfreue mich am Unbehagen, das mich ergreift, wenn eine Erzählerin Besuch von einer anderen Frau bekommt, und dabei den Pullover eines Mordopfers trägt, dass beide Figuren gekannt haben, ohne dass ich als Leser sehr viel mehr darüber erfahre.
Weder Delany noch Bakić hätten diese Geschichten so schreiben können, wenn sie nicht diejenigen wären, die sie sind, aber das „warum“ dieser durchaus schwierigen Texte ist damit nicht ausgeschöpft. Es ergibt sich gerade aus ihrer Offenheit und der Weigerung, sich auf einen Bedeutungsvektor festzulegen, und ich bin jeder schreibenden Person dankbar, die mit so schwierigen Büchern kämpft, jedem Verlag dankbar, der es Menschen mit anderen Sprechweisen, anderen Herkünften, anderen Erfahrungen als meiner eigenen erlaubt, sich der tödlichen Eindeutigkeit zu verweigern.
„Bedeutungsvektor“ – ich rede schon wie der “schwierige” Proust. Was ich meine ist: ich danke allen Künstler:innen und Verlagen, die immer mehr und anderen Leuten die Becken schaufeln, in die sie ihre Bälle gießen dürfen. Warum soll ich darin eintauchen wie ein Maulwurf und es mir auf die Glatze prasseln lassen? Weil es Spaß macht.
Begegnung, das ist auch das „warum“ der Diversität in der Literatur. Für die Dauer des Lesens setzte ich mich freiwillig hin und höre erst mal zu. Meine Haltung muss sein: es ist okay, wenn ich erst mal nicht alles verstehe, wenn die Person für mich ungewohnt redet, wenn sie mir streckenweise auf die Nerven geht, wenn sie mich herausfordert, mich vielleicht sogar vor den Kopf stößt. Das ist nicht das Schlimmste, was passieren kann. Ein bisschen Verunsicherung hat noch keinem_keiner geschadet. Anders, als bei der falschen Diversität, die nur Anhängen an Trends und verzweifeltes Werbefischen in der Aufmerksamkeitsökonomie ist, gibt es hier nicht das absurde und für alle Beteiligten beleidigende Versprechen, für meine 16 Euro 90 X Einheiten Schwarzer Erfahrung oder soundsoviel Gramm lesbisches Empfinden eingeschenkt zu bekommen. Ich darf einer Stimme begegnen, die zumindest in dieser Begegnung frei ist wie ich, und die, unweigerlich gefärbt von dem Körper, aus dem sie dringt, und dem Ort, an dem sie entsteht, mindestens so viel zu bieten hat, wie ich.
Was übrigens auch erklärt, warum das in der Schule mit der „schwierigen“ Literatur so oft als Zumutung empfunden wird: weil es eine ist. Ohne gefragt zu werden, wird man quasi mit einer nicht mehr ganz frisch riechenden fremden Person in eine dunkle Kammer gesperrt, und soll sich dort auf eine Begegnung einlassen, deren Protokoll später zu Benotung einzureichen ist. Kein Wunder, dass es da verkrampft bleibt, wenn es auch selten einmal gelingt, unter diesen Umständen doch den Text fürs Leben oder wenigstens ein bisschen atemloses Hermann-Hesse-Gerubbel kennenzulernen.
Bücher, die Begegnungen ermöglichen, wie die mit dem komischen Typen an der Bushaltestelle und der zunächst einschüchternd strengen Person in der Kneipe. Bücher, die Spaß machen, weil sie uns endlich einmal nicht gleich die eigene Gebrauchsanleitung mitliefern (wie es die Welt ja eigentlich auch nicht tut) – das wär´s, das ist es, das wäre, das ist immer wieder etwas Einfaches, das „schwierig“ zu machen ist.
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