Der Tampon in der geballten Faust – Personal Essay

von Any Woman

Während ich schreibe zieht der Schmerz am hinteren Bein entlang bis in den Fuß. Er kommt unterwartet und wirft meinen Atem aus seinem Rhythmus. Ich mag nicht Luftholen, will nur warten, dass er sich verzieht, dieser Schmerz, der ruhelos durch meinen Körper wandert. Ich liege im Bett, im Rücken eine Wärmflasche, eine auf dem Bauch, zwei Paracetamol und einen Krampflöser im Magen, ich habe trotzdem Schmerzen. Meine Brüste tun wegen der Wassereinlagerungen schon seit Tagen weh. Dann diese Müdigkeit, das Gefühl, jemand drücke langsam die Luft aus mir heraus, wie aus einem labbrigen Ballon, der im Gebüsch vor dem Standesamt auf sein Ende wartet.

Dazu kommen die extrem starken Blutungen. Ich benutze die größten Tampons, die es gibt, häufig reichen sie dennoch nicht, dann wache ich in einer Blutlache auf. Neuerdings wecken mich an schlimmen Tagen meine Schmerzen auf, manchmal auch mehrfach in einer Nacht. Ich bin Menstruations-Profi, ich kenne alle Tricks der Schmerzbekämpfung, besitze eine Ansammlung von Wärmflaschen, für den Notfall habe ich Tabletten vom Hexenschuss aufgespart, die den Schmerz nicht an das Gehirn melden. Ich weiß auch genau, wann das Zeitfenster ist, wenn Selbstbefriedigung den Schmerz lindert und Krämpfe löst. Das Glück, sich für einen Moment von der dauernden Anspannung zu lösen. Manchmal muss man dafür teuer mit neuen, intensiveren Krämpfen bezahlen.

Nach zwei bis drei Tagen normalisiert sich alles wieder, die Wassereinlagerungen verschwinden. Meine Menstruation ist so verlässlich wie unzuverlässig. Sie richtet sich nicht nach der Norm von 28 Tagen und ob ich am dritten Tag wieder mein Leben, mein Arbeiten wieder aufnehmen kann, entscheidet sich spontan. Heute ist der dritte Tag und ich möchte eigentlich nur schlafen und kitschige Filme gucken. Seit einiger Zeit beginnen die Blutungen gerade dann, wenn ich sie gar nicht brauchen kann: unmittelbar vor Vorträgen, an wichtigen Arbeitstagen, bei Familientreffen und natürlich bei Dates. Verlässlich sind nur die wiederkehrenden Schmerzen, die Mengen an Blut, die Muskelbewegungen aus meinem Körper pressen. Verlässlich ist auch die Sorge, der Tampon, die Menstruationstasse sei voll, der Weg zur nächsten Toilette zu weit. An den ärgsten Tagen bin ich am liebsten in der Nähe meiner eigenen. Seit einigen Jahren arbeite ich in einem neuen Gebäude mit neuen, sauberen Toiletten, zum ersten Mal in meiner über 30jährigen Menstruationskarriere.

Als der Hausarzt vor einiger Zeit Eisenmangel bei mir feststellt, schickt er mich ohne Absprache zu einer Magen- und Darmspiegelung. Meine Großmutter hatte Darmkrebs, ich bin panisch. Mit dem Darm ist alles in Ordnung, aber meine Monatsblutungen sind in den letzten Monaten noch viel extremer. Ich schlafe nachts mit einem Handtuch zwischen den Beinen. Danach fragt mich meine Hausarzt aber nicht, obwohl es bei Eisenmangel bei Frauen meines Alters absolut naheliegend ist. Mein neuer Hausarzt will später wissen, warum ich in meinem Alter denn schon eine Magen- und Darmspiegelung hinter mir habe. Als ich ihm den Grund nenne, zuckt er mit den Achseln, die Menstruation hätte man eben nicht so im Blick. Jede vierte Person auf der Welt menstruiert regelmäßig, also im Schnitt auch ein*e von vier Patient*innen. Wieso hat man das als Allgemeinmediziner nicht im Blick?

Ich brauche schnell einen Termin und gehe zur Vertreterin meiner Gynäkologin. Nach der Untersuchung sieht sie ratlos aus, denn in meiner Gebärmutter haben sich mehrere Myome ausgebreitet. Sie sind für die starken Blutungen verantwortlich. Krebs könne sie weitgehend ausschließen, um sicher zu sein, müsse man aber ein MRT machen, sagt sie. Dafür bekomme ich frühestens in drei Monaten einen Termin. Ich entscheide mich für eine Operation. Bis zur OP sieben Wochen später begleitet mich die Aussicht auf Krebs, ich schiebe sie weg. Die neue privaten Krankenversicherung stuft mich derweil als Risikopatientin ein: wegen der Myome und wegen der Magen- und Darmspiegelung.

Die Myome lasse ich mir in einer Klinik entfernen, die auf Spätgebärende spezialisiert ist, denn ich will meine Gebärmutter behalten. Dafür muss ich kämpfen, denn ich bin Mitte 40 und da braucht man die Gebärmutter ja nicht mehr. Mit einer Hysterektomie sind Frauenärzte noch immer nicht zimperlich, der angeblich inklusive Begriff „Menschen mit Uterus“ hat medizingeschichtlich einen höchst bitteren Beigeschmack und braucht ganz dringend Ersatz. Myome sind gutartige Gewächse, sie wachsen besonders in der fünften Lebensdekade, man muss ihretwegen keine Organe entsorgen, die keineswegs nur einer Schwangerschaft dienlich sind.

Bei der OP werden sie zertrümmert, in einem von tausend Fällen ist es doch Krebs, dessen Zellen man dann im ganzen Körper verteilen würde, werde ich vorab informiert. Ob ich nicht doch eine Hysterektomie vorzöge. Auch die mich behandelnde Ärztin mault beim post-operativen Gespräch, was der Erhalt denn solle, bei der Diagnose. Das nächste Mal müsse sie dann aber raus, raunt sie. Das nächste Mal, denke ich, bin ich privat versichert und dann operiert mich deine Chefin. Erst nach Weihnachten erfahre ich, dass der histologische Befund unauffällig ist. Die ersten drei Perioden nach dem Eingriff sind erfreulich unauffällig, danach ist alles wieder beim Alten und schlimmer.

Ich hätte gern ein Gesetz wie in Spanien, das Krankheitstage für Menschen mit Hypermenorrhoe und anderen starken Menstruationsbeschwerden vorsieht. Dann müsste ich nicht immer vortäuschen, an etwas anderem erkrankt zu sein, wenn ich vor Schmerzen kaum aus dem Bett komme oder panisch bin, bei der Arbeit so starke Blutungen zu haben, dass ich es nicht mehr bis in die nächste öffentliche Toilette schaffe, es alle mitbekommen. Ich würde gern sagen können: ich kann nicht zur Arbeit kommen, weil ich mich vor Schmerzen winde, nicht zuhören kann und mich fühle, als rausche die ganze Welt durch mich hindurch. Stattdessen melde ich mich zwei Tage krank, am dritten dann wieder gesund, dann benötige ich keinen Nachweis und keinen Arzt. Das tun zu können, Zugang zu Hygieneprodukten, Schmerzmitteln und Krankentagen zu haben, ist ein Privileg, ich weiß.

Überhaupt fällt es so schwer, Worte zu finden für das Menstruieren, in ein Gespräch über dessen Beschwerlichkeiten zu kommen. Wie oft habe ich von Frauen gehört „Damit habe/hatte ich ja keine Probleme“, wenn ich gesagt habe, es geht mir nicht gut. Es ist mir unangenehm, deshalb bei der Arbeit zu fehlen. Ich bin ja eigentlich nicht krank, müsste das doch aushalten können. Andere gehen dann schließlich zum Bouldern. Öffentlich macht uns das Menstruieren ja allen nichts aus, wir sind leistungsstark und machen in dieser Zeit Sport und alles andere wie immer, so will es das Werbenarrativ der Hygieneindustrie. Ich freue mich für alle, denen es so geht. Ich aber bin jedes Mal erleichtert, wenn ich am Wochenende menstruiere, wenn es privat ist, in meiner Komfortzone.

Das Thema ist so voller Scham, nur ein funktionierender Unterleib ist ein erzählbarer Unterleib. Dem erhofften Liebhaber kann ich nicht sagen, dass meine Gebärmutter voller Myome steckt, obwohl ich es ihm gern sagen können würde. Wie ich gerade das Organ verteidigen muss, mit dem ich ihn gern in entfernte Berührung brächte, warum ich mehr behalten will, als nur meinen Gebärmutterhals. Der wird nämlich auch deshalb stehen gelassen, damit er den Beckenboden stabilisiert. Einem anderen guten Freund kann ich nie sagen, wie es mir wirklich geht, beschreiben, was mit mir passiert, stattdessen fasele ich von „Frauenleiden“ oder „Wärmflaschentagen“ und bin wütend auf mich selbst. Nur mit den engen Freundinnen war und ist es anders.

Die weitgehende Sprachlosigkeit begleitet mich schon seit Periode Eins. Meine erste Monatsblutung habe ich im Krankenhaus, nach einer Routineoperation erlebt. Vollkommen unerwartet wache ich im Bett voller Blut auf, es dauert ewig, bis ich frische Kleider und neue Bettwäsche bekomme. Ich bekomme Krankenhausbinden, die ständig verrutschen. Niemand redet mit mir, fragt mich, wie es mir geht. Ich habe mir das schon gedacht, sagt die Krankenschwester bedeutungsvoll zu meiner Mutter, als sei sie eine Expertin für meinen Körper. Ich bin bei meiner ersten Periode schon 14 und spät dran. In der Schule hat fast niemand Worte für das, was jeden Monat mit uns allen passiert, was einige von uns aus der Bahn wirft, quält.

Ich hatte lange nicht verstanden, warum man nicht schwimmen oder beim Sport mitmachen kann, weil die Tante zu Besuch ist, warum das Wort Periode oder Menstruation so unaussprechlich ist, selbst in der Mädchenumkleide. Tampons reichen wir uns heimlich weiter, in der geballten Faust oder hinter dem Rücken, so als würden wir Drogen verticken. Wenn wir eines brauchen, flüstern wir miteinander. Rollt der Tampon auf den Klassenfußboden, dann sind das Momente größter Scham, sogar heute ist es mir noch peinlich, wenn es mir etwa im Zug passiert.

Wären Tampons in meiner Schule, an meiner Uni einfach auf den Toiletten öffentlicher Institutionen verfügbar gewesen, so wie es heute immer üblicher wird, hätte das meiner Generation vielleicht viel Scham erspart, ein anderes Sprechen ermöglicht, nicht nur in mit der besten Freundin, der das Gerede von der Tante zu Besuch auch zu blöd war. Dennoch: Ich habe diesen Text im Ordner privat gespeichert, ich habe ihn voll Sorge einer Freundin zum Lesen geschickt, ob sie meine Aufzeichnungen vielleicht völlig unpassend findet. Mein Name steht nicht darüber, denn ich will schließlich nicht vor allem die sein, die schlimm menstruiert. Vorerst bleibt der Tampon in der geballten Faust.

Titelfoto von Josefin

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner