von Simon Sahner
Freizeitparks oder Ausstellungen, in denen fiktive Welten und Wesen aus Büchern und Filmen zum vermeintlichen Leben erweckt werden, sind heute ebenso wie Merchandise ein etablierter Teil der Entertainment-Industrie. Davon zeugen Verkleidungen und Accessoires aus der Harry Potter-Welt ebenso wie die Wizarding World of Harry Potter oder das Disneyland Paris und dort insbesondere auch die Attraktionen zu Fluch der Karibik. Bei diesen erlebnisgewordenen Fantasiewelten handelt es sich um Produkte großer fiktionaler Fantasy-Narrative, die eine Welt entwerfen, die von unserer Alltagsrealität so weit entfernt ist, dass wir als Rezipient*innen darin aufgehen können. Wie aufregend, wenn es möglich ist, diese Fiktionen für ein paar Stunden zu betreten oder man sich zum Beispiel durch einen Spielzeugzauberstab seinen Fantasieheld*innen näher fühlen kann.
Es gibt Fiktionen, die sich besonders eignen in einen Freizeitpark verwandelt zu werden, oder zumindest bestimmte Objekte daraus in Merchandise-Produkte, die man erwerben kann. Bei anderen Erzählungen ist das weniger erwartbar. Es erscheint etwa irritierend, dass es im Zuge der Publikation des neuen Romans von Sally Rooney Beautiful world, where are you Anfang September Ähnliches zu beobachten gab, und diese Phänomene treten nicht erst jetzt auf. Schon seit der Serienverfilmung des Vorgängerromans Normal People ist beispielsweise die Halskette, die die Figur Connell trägt, ein beliebtes Accessoire, wird unter der Bezeichnung Connell Chain zum Verkauf angeboten und hat sogar einen eigenen Instagram-Account.
Während die Begeisterung für die Kette auf die Fans zurückgeht, gab es nun einen offiziellen Bucket-Hat mit dem Schriftzug des Romantitels und Fans haben eine Modemarke entdeckt, die sich zufällig mit dem Kleidungsstil der Autorin deckt, Cosplay für Rooney-Fans sozusagen. Auf die Spitze trieb es ein Sally-Rooney-Pop-Up-Store, den der Verlag Faber & Faber organisiert hatte. Für drei Tage konnten Fans der Autorin in Shoreditch, London in einem Laden den neuen Roman und Bücher, die Rooney empfohlen hat, kaufen, Workshops besuchen, außerdem wurden Kalligraphie- und Kerzenherstellungskurse angeboten. Das alles im Herzen eines Londoner Stadtteils, der bis vor wenigen Jahren als Hochburg der Millenial-Hipster-Kultur galt.
Harry Potter für Erwachsene
Was im Kontext einer Fantasy-Romanreihe für Kinder und junge Erwachsene wie eine logische Erweiterung der literarischen Fantasiewelt wirkt, erscheint bei den Romanen einer Autorin, die für ihre realitätsnahe Schilderung der Millenial-Generation bekannt ist, seltsam überflüssig. Sollten die Leser*innen nicht gerade all das, die Mode, die Ästhetik und die Erfahrungen in ihrer eigenen – von Rooney so vermeintlich treffend geschilderten – Lebensrealität wiederfinden? Die Marketingabteilung des Verlags warb für den Pop-up-Store mit einem „einzigartigen Erlebnis“. Was aber ist so einzigartig an einem Themenshop, der letztlich das Erlebnis erzeugen soll, das die Leser*innen von Rooneys Romanen für gewöhnlich in ihrem eigenen Leben machen.
Eine Erklärung für das Auftreten dieser Phänomene ist vielleicht ein Vergleich, der durch die englischsprachige Literaturpresse geisterte seit der neue Roman als das literarische Ereignis des Jahres erwartet wurde: Sally Rooneys Romane sind Harry Potter für Erwachsene. Romane also, die zehntausende Leser*innen in eine Welt versetzen, in der sie mit Sorgen, Problemen und Freuden konfrontiert werden, die sie kennen, Figuren kennenlernen, die ihnen ähneln und ähnliche Emotionen erleben wie sie selbst, aber all das noch ein wenig aufregender, noch ein wenig interessanter als im eigenen Leben, vor allem aber mit einem versöhnlichen Ende. Eine Realität, wie man sie selbst gerne erleben würde, aber die man eben doch so nicht kennt.
Sally Rooneys Romane wären dann ein literaturgewordener Millenial-Theme-Park. Eine fiktionale Welt, in der weiße, europäische 20/30somethings, die größtenteils heterosexuell orientiert und oft kulturell engagiert sind und im Zweifel studiert haben, all das fühlen und erleben dürfen, was kollektive Narrative der letzten 20 Jahre an Lebenserfahrungen für dieses Generationenmilieu entworfen haben. Im Zentrum steht dabei nicht eine sorgenfreie Realitätskonstruktion, sondern eine letztlich konservativ-hoffnungsvolle Vorstellung davon, dass die eigene Zukunft in irgendeiner Form gut sein wird. Der letzte Satz in Beautiful World, where are you, den die Figur Eileen nach zahlreichen Verwicklungen ihrer Freundin Alice schreibt, ist die Quintessenz dieses Grundgefühls:
I know that it’s not the life you imagined for me, Alice – buying a house and having children with a boy I grew up with. It’s not the life I used to imagine for myself either. But it’s the life I have, the only one. And as I write you this message I’m very happy. All my love.
Rooneys Romane erzählen von der Suche nach und dem Ankommen in einem Leben, in dem letztlich – insbesondere in Beautiful World, where are you – jede Figur den Punkt erreicht, an den sie gehört, und dabei erstaunlich gut aussieht und erstaunlich intelligente Dinge denkt und sagt. Die Erfahrungen, die die Figuren auf dem Weg dorthin machen, sind manchmal herausfordernd, schließen manchmal auch existenzielles Leid mit ein, spielen sich aber selbst dann im malerischen Regen eines Herbstnachmittags an den Küsten Irlands ab.
Instagramästhetik als Literatur
An dieser Küste Irlands lebt im neuen Roman die junge, reiche Schriftstellerin Alice – deutlich angelehnt an die Autorin selbst – in einem großen leeren Haus, um sich von einem psychischen Zusammenbruch zu erholen, von dem die Leser*innen nur in der Rückschau erfahren. Etwas verloren, aber in ihrer zurückgezogenen Nachdenklichkeit reizvoll wirken die Lebensumstände der Figur. Fast möchte man selbst an grauen Tagen an der unruhigen See entlang spazieren und eines Tages, weil man aus Langeweile und Einsamkeit auf Tinder war, den jungen Mann treffen, der einen mit seiner schlichten Klugheit und seinem rauen Charme aus der Lethargie der verlorenen Jahre reißt. Oder man möchte mit Connell und Marianne aus Normal People in dem Landhaus von Mariannes Familie in Italien träge Sommertage verbringen, umgeben von braungebrannten, normschönen Körpern und einer selbst beim Lesen spürbaren sexuellen Spannung. Die Bilder, die in diesen Momenten entstehen könnten, sind instagramready – es ist ein großes Talent von Rooney, Situationen so zu beschreiben, dass man als social-media-affine*r Leser*in den Fotofilter gleich mitdenkt:
Um neun Uhr frühstückten sie gemeinsam in der Küche, mit Dampfwolken vom Wasserkocher, klappernden Tellern und Tassen, dem Sonnenlicht, das durch das Fenster zum Meer fiel. Danach Schritte die Treppe rauf und runter, und rufende Stimmen. Felix lehnte an der Motorhaube des Wagens, und Alice warf einen Strohkorb mit Strandtüchern in den Kofferraum, ihr feuchtes Haar mit der Sonnenbrille aus dem Gesicht geschoben. Er ging zu ihr und legt von hinten seine Arme um sie, küsste ihren Nacken, sagte ihr etwas ins Ohr, und sie lachte. Dann die Fahrt zu viert, die Fenster offen, der Geruch von heißem Plastik und schalem Zigarettenrauch, Thin Lizzy im Radio, statisches Rauschen. Simon auf dem Rücksitz, der zu Alice sagte: O Gott nein, ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr von ihr gehört. Eileens Gesicht am offenen Fenster, Wind, der ihr durchs Haar peitscht.
Die Ästhetik, die hier an der Beschreibung eines ausgelassenen Vormittags in Beautiful World entfaltet wird, erzeugt den Nostalgie-Chic, der sich in zahlreichen Instagram-Posts und seit geraumer Zeit auch in TikTok–Videos findet. In dem dampfenden Teekessel, dem Flechtkorb für das Picknick, der Musik der irischen 70er-Rockband Thin Lizzy und dem alten Auto verbinden sich Elemente, die zeichenhaft auf eine Zeit verweisen, die vergangen ist. Sie kreieren aber angesichts einer unsicheren Zukunft und einer Welt, die sich in ihrer Digitalität vom Menschen zu entfernen scheint, einen Sehnsuchtsort, an dem Gegenstände noch fassbar und echte Emotionen möglich sind. So wie Eileen es in einer ihrer E-Mails an Alice beschreibt:
Die Qualität unseres Lebens nimmt ab und damit einhergehend die Qualität der uns zugänglichen ästhetischen Erfahrungen. […] Unter diesen Umständen ist es schwer, nicht den Eindruck zu gewinnen, das moderne Leben schneide schlecht ab im Vergleich mit den alten Lebensweisen, die mehr und mehr für eine verloren gegangene Substanz stehen, eine tiefere Verbindung zur Essenz menschlicher Existenz.
Diese Essenz menschlicher Existenz ist in Rooneys Romanen immer auch Sexualität, wobei trotz der Beziehung zwischen Frances und Bobbi in Conversations with Friends und der angedeuteten Bisexualität von Felix im neuen Roman, grundsätzlich heterosexuelle Erotik im Zentrum steht. Und nirgendwo wird das so deutlich, wie in Beautiful World, in dem das Sexualleben der zwei Protagonistinnen mit ihren jeweiligen Partnern detailliert geschildert wird. Fast schon aufdringlich normerotisch wirken die Beschreibungen:
Er schob seine Hand unter ihr Nachthemd und strich mit seinen Fingern über ihre Unterhose. Ihr Mund öffnete sich, und sie atmete hörbar aus. Sanft schob er seinen Zeigefinger in sie, und sie gab ein wimmerndes Geräusch von sich. Sein Gesicht war gerötet. Du bist so feucht, sagte er. Ihr Atem ging schnell und flach, ihre Augen waren noch immer geschlossen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe und sagte: Lass mich das für dich ausziehen. Sie setze sich etwas auf, und er zog sie aus. Danach zog er sich sein T-Shirt über den Kopf, und mit ihren Fingerspitzen berührte sie durch die Kleidung seine Erektion. Ich will das so sehr, sagte sie. Die oberen Enden seiner Ohren waren rot. Ja?, sagte er.
Sex ist – genau wie die meisten anderen Vorgänge – als ästhetisierte Handlung beschrieben, kaum eine unsichere Situation entsteht, die nicht durch die sanfte Berührung an der richtigen Stelle aufgelöst würde. Simon, als katholisch gläubiger Mensch – ohne dass sein Glaube ihn von einem freien Sexualleben abhalten würde – erscheint in seiner Zärtlichkeit und der perfekten Kombination von Dominanz und Sensibilität als der ideale Heterosexualpartner und Boyfriend. Selbst Felix, der entsprechend seiner stereotypisierten Charakterzeichnung als einfacher Lagerarbeiter, Pornos schaut, in denen Frauen erniedrigt werden, und Alice gegenüber betrunken fordernd wird, ist letztlich ein guter Liebhaber und ein zartfühlender Mann.
Vielleicht ist es mit dem Wissen, dass Normal People zur erfolgreichen Serie wurde und die Serie zu Conversations with Friends im nächsten Jahr erscheinen soll, kein Zufall, dass sowohl die Darstellung von Sex als auch die Momente am Morgen im Haus und viele andere in ihrer filmischen Dynamik, der requisitenhaften Ausstattung und der Körperlichkeit der Figuren wirken wie Beschreibungen von Filmszenen. Dabei lässt sich über die drei Romane eine erzählerische Bewegung weg vom Innenleben der Figuren beobachten.
Während in Conversations with Friends Frances aus der ersten Person erzählt und die Erzählinstanz in Normal People teilweise Einblicke in die Emotionen und Gedanken der Figuren besitzt, werden die Figuren in Beautiful World wie von einer distanzierten Kamera beobachtet (aufgebrochen durch die E-Mails, die sich Alice und Eileen schreiben). Dadurch wird jeder Satz, mit dem das lebhafte Treiben in der Aufbruchsszene erzählt wird, in sich zum Entwurf eines perfekten Bildes, die zusammengenommen entweder eine Slideshow auf Instagram oder eben eine Filmszene ergeben: Der Dampf des Teekessels im Licht der Morgensonne, der Picknickkorb – angehalten im Flug in den Kofferraum – , Felix der lässig an der Motorhaube lehnt, die Sonnenbrillen, Körper und das fliegende Haar im Fahrtwind – das Smartphone filmt und fotografiert ohne erwähnt zu werden.
Die Kulissen des Reichstums und soziale Fragen
Das alles sieht immer gut aus und es ist eine scheinbar praktische Fügung, dass in jedem dieser Romane mindestens eine Figur so reich ist, dass die anderen, die oft in prekären Verhältnissen leben, trotzdem ihre Beziehungen und Lebensfragen in einem Setting ausfechten können, in dem abends das Feuer im Kamin prasselt, genug Platz für gediegene Parties ist oder die Grillen in der Nacht über dem Pool zirpen. Diese sozio-ökonomische Spannung, die sich in allen drei Romanen findet, ist immer wieder Teil der Debatte über Rooneys Romane, nicht zuletzt weil die Autorin selbst oft darüber spricht, wie Marxismus und Sozialismus mit ihrem Schreiben zusammenhängen.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Konflikte, die aus dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher gesellschaftlicher Hintergründe entstehen können, in ihren Narrativen eine Rolle spielen. Frances aus Conversations with Friends ist eine beinahe mittellose Studentin und Lyrikerin, die eine Affäre mit einem gut situierten und gelangweilten Schauspieler eingeht. Mariannes Eltern sind die Arbeitgeber von Connells alleinerziehender Mutter und Felix, der in Beautiful World zunächst eine Liaison und später eine Beziehung mit Alice beginnt, ist ein Arbeiter in einem Warenlager, das stark an die riesigen Versandzentren von Amazon erinnert.
Wie diese Differenzen und ihre Implikationen ausgelotet werden, ist dabei nicht irrelevant für die Handlung und gibt den Romanen eine Ebene, die sie auch in zentralen Diskursen der Gegenwart verortet. Das gelingt insbesondere in Normal People, was vermutlich auch daran liegt, dass die Beziehung zwischen Connell und Marianne die realistischste und naheliegendste Beziehung zwischen Menschen unterschiedlicher Hintergründe in dieser Generation ist. Dadurch ist der Roman aber auch in seiner Grundausrichtung am klischeehaftesten aufgebaut: Connell, der gutaussehende, sportliche junge Mann aus einfachen Verhältnissen, ist beliebt an seiner Schule; ganz im Gegensatz zur zurückgezogenen Marianne aus reicher Familie. Connell ist aber in Wahrheit tiefsinniger und nachdenklicher als er auf den ersten Blick erscheint, und während Marianne am Trinity College in Dublin in der neuen akademischen Blase aufgeht, fühlt sich Connell unter den Kindern aus bürgerlichen und reichen Familien zunächst fehl am Platz. Auch das Verhältnis zwischen Frances und Nick in Conversations with Friends ist in seiner patriarchal-dominanten Konstellation, in der eine junge, kultivierte Frau nach einer On-Off-Beziehung mit ihrer Freundin eine Affäre mit einem gescheiterten, älteren Schauspieler beginnt, beinahe schon eine Trope.
Ungewöhnlich ist da schon eher die Beziehung zwischen Felix und Alice im neuen Roman, aber gerade dieses Paar wirkt konstruiert in seiner Kontrasthaftigkeit des Lagerarbeiters, der mit geschundenen Händen nachts betrunken in die Villa der emotional instabilen, reichen Schriftstellerin kommt. Dementsprechend gestalten sich auch die Gespräche über Klassenverhältnisse und ungerechte Verteilung zwischen Eileen und Alice in ihren E-Mails phrasenhaft. „But why should anyone be rich and famous while other people live in desperate poverty?”, schreibt die millionenschwere Alice an ihre Freundin, die für 20.000€ brutto im Jahr für ein literarisches Magazin arbeitet.
Es sind solche naiven Sätze, die einen aus den ausufernden philosophischen und politischen Überlegungen, die beide in ihren Mails anstellen, herausreißen. Vor allem in Kombination mit dem, was gerade um Rooneys neuen Roman herum geschieht. Die Autorin ließ sich kürzlich mit Aussagen zitieren wie: “Ich sehe das sehr kritisch, wie Bücher als Konsumprodukt verkauft werden, als Accessoires, mit denen man sein Zuhause ausstatten kann, schöne Gegenstände, die man in sein Regal stellen kann, um sich als Büchermensch zu zeigen.“ Nun sind Verlage, die als gewinnorientierte Konzerne Marketingmaßnahmen betreiben, und Schriftsteller*innen, die in diesem System schreiben, nicht gleichermaßen schuld an der Kommodifizierung literarischer Kunst und dennoch wirkt diese Aussage zweifelhaft. Schließlich sind die Goodie-Bags zum Roman und die ausgewählten Bücher im Pop-Up-Shop nichts anderes als eben das: Literatur, die zum ästhetisierten Konsumgegenstand wird.
Nostalgische Vergangenheit eines Milieus
Allerdings steckt in genau dieser Ästhetisierung und Kommodifizierung der Erfahrungswelten der alternden Millenial-Generation die Anziehungskraft von Rooneys Romanen. Die melancholische Eleganz im Instagram-Style, mit der die Figuren in Beautiful World leiden, lieben und feiern, ist der Kern einer Ästhetik, in der ein Teil der Generation der Endzwanziger bis Enddreißiger auf die Jahre der ersten Eigenständigkeit, die erste Wohnung, das Studium und den Versuch danach irgendwo anzukommen blickt. Das Milieu, in dem dieser Teil erwachsen geworden ist, ist nicht frei von Brüchen und Klassenunterschieden, aber es ist ein Milieu, das in einem weitgehend sicheren Westeuropa aufgewachsen ist. Seine Vertreter*innen wurden erwachsen zwischen Studium in großen Städten, Reisen und kanonisierten Kulturerfahrungen und sahen sich gleichzeitig mit der Unsicherheit der Post-9/11-Jahre und den wirtschaftlichen Verwerfungen um das Jahr 2010 konfrontiert.
Jetzt blickt dieses Milieu einer Zukunft entgegen, in der es sich mit den ersten Katastrophen des Klimawandels, der Situation von Geflüchteten an europäischen Außengrenzen, einer Pandemie und rechtsextremen Bewegungen auseinandersetzen muss. Weil Rooneys Romane aber in die Vergangenheit dieses Generationenmilieus blicken, spielen diese Konflikte wenn überhaupt am Rande eine Rolle. Diese Herausforderungen und Ängste, die existenzielle Fragen für die Zukunft dieser Generation aufwerfen, erscheinen lediglich als implizite Drohkulisse in der Sehnsucht nach einem Früher, die Eileen formuliert: „I just want everything to be like it was, Eileen said. And for us to be young again and live near each other, and nothing to be different.“
Dass am Ende des Romans der Lockdown und die auslaufende Pandemie kurz auftauchen, während sich Alice und Eileen davon berichten, wie sie sicher und glücklich mit ihren jeweiligen Partnern in angenehmen Verhältnissen leben und Familien gründen, ist dann nichts anderes als die heteronormative Fantasie eines Ankommens in gesicherten Kleinfamilien und der Wunsch die Zukunft so lange es geht ignorieren zu können. Solange man sich gegenseitig habe, sei die Welt immer schön, versichert sich Eileen, und Alice stellt fest, dass es angesichts einer Menschheit vor dem Aussterben wohl nichts anderes zu tun gebe, als über Sex und Freundschaft zu schreiben. Diesen Wunsch nach idealisierten Erinnerungen an ein herausforderndes aber schlussendlich erfolgreiches Erwachsenwerden und nach einer stabilen Zukunft kann man angesichts der aktuellen Verhältnisse kaum jemandem vorwerfen, aber als Roman ist das alles letztlich ein Freizeit-Park für ein bestimmtes Milieu der Millenial-Generation, den man nach der letzten Seite wieder verlassen muss.
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