von Sandra Beck
Kriminalliteratur tritt gegenwärtig auch mal mit einer Covercollage aus Kuckucksuhr, Sekt, Guglhupf, brennenden Geldbündeln und Bombe in Erscheinung. Seit Ende der 1980er Jahre gehört der Regionalkrimi zu den Standardvarianten des Genres. Beginnend mit Jacques Berndorfs Eifel-Krimis um Siggi Baumeister – u.a. Eifel-Blues (1989), Eifel-Gold (1993), Eifel-Filz (1995), Eifel-Schnee (1995), Eifel-Feuer (1996), Eifel-Rallye (1997), Eifel-Jagd (1998), Eifel-Sturm (1999), Eifel-Müll (2000), Eifel-Wasser (2001), Eifel-Liebe (2002), Eifel-Träume (2004), Eifel-Kreuz (2006), Eifel-Bullen (2012), Eifel-Krieg (2013) – hat regional und lokal verortetes kriminalliterarisches Erzählen nach und nach die gesamte Bundesrepublik als Tatort aberzählt. Ein unübersehbarer Schwerpunkt liegt dabei auf der kriminalliterarischen Vertextung von Bayern allgemein, dem Allgäu und der Alpenregion im Speziellen – oder wie Katharina Löffler resümiert: „Lüftlmalerei, erzähltes Ermitteln in Hüttengaudi-Ambiente vor weiß-rot-karierter Szenerie, Kommissare, inmitten von Kuhglockengeläut, hübsch aufbereitete Rustikalität“.1
Im besten Fall ist der erzählte Raum in diesem Subgenre nicht nur eine detailprächtig ausmalbare Kulisse, die röhrende Hirsche und Alpenglühen wiederbelebt, sondern im Wortsinne: Schauplatz der Verbrechen. Diese Bedeutung der erzählten Tat-Räume ist innerhalb des Genres freilich nicht neu, denkt man an die cozies von Agatha Christie – insbesondere das Dorf St. Mary Mead mit seiner beeindruckenden Morddichte – oder an Raymond Chandlers „mean streets“ der hard boiled-Tradition. Das Subgenre des Regionalkrimis neigt aktuell zu einer Kombination aus pittoresker Idylle und blutbespritztem, gedärmumschlungenen Tatort, getreu dem Motto: „Sterben, wo andere Urlaub machen“ – so kündet der Klappentext von Jörg Maurers Föhnlage (2009) an. Komische Effekte entstehen so neben drollig grantelnden Ermittler*innen insbesondere aus dem grotesken Missverhältnis zwischen der gemächlich-verkitschten Putzigkeit des Settings und den drastischen Mordszenarien. Oder wie es in Gerhard Henschels Krimiparodie Soko Heidefieber (2020) heißt:
Folgende Handlung stelle ich mir vor: Ein Literaturkritiker reist quer durch Deutschland und bringt sämtliche Autoren von Heimat- und Regionalkrimis auf landschaftstypische Weise um die Ecke. In der Pfalz ersticken sie an Saumägen, in Nürnberg werden sie zu Rostbratwürsten verwurstet, in Hannover langweilen sie sich zu Tode und in Dresden lasse ich den Kommissar so lang Sächsisch reden, bis dem Mordopfer die Ohren bluten.
„Das Grauen hat einen Namen“
Henschels Roman ist ein Überregionalkrimi – so der Untertitel –, der die Hyperbolik des Spieles mit der Gewalt weitertreibt. Ausgebreitet wird ein Serienmördernarrativ: Regionalkrimiautor*innen werden nach den Tötungsszenarien ihrer Romane bei lebendigem Leibe die Augen entfernt, von Eichen erschlagen, in der Sauna verbrannt, von einer Streifenruderschlange getötet, aus Rettungshubschraubern über dem Großglockner geworfen, von Wölfen oder einem Rottweiler zerfleischt, in Gondeln mit einer Panzerfaust beschossen, durch einen Stromschlag in der Badewanne getötet, „mit glühenden Zangen gefoltert, erdolcht und anschließend in Eisenkörben am Turm der Lambertikirche in Münster aufgehängt“ oder verhungern eingequetscht in hohlen Bäumen.
Aus der Literatur bekannte Tötungsszenarien und Leicheninszenierungen als Plot-Generator zu verwenden, ist im kriminalliterarischen Erzählen nicht neu. So erweist beispielsweise Sheldon Rusch in For Edgar (2005) dem gemeinhin als Vater detektivischen Erzählens gefeierten Edgar Allan Poe und seinen Texten blutige Referenz. Im Unterschied zu Ruschs Debütroman zielt Soko Heidefieber jedoch nicht darauf ab, das literarische Genregedächtnis zu festigen, sondern ist darauf ausgelegt, in der Wiederholung der unfreiwillig komischen Vorlagen das regionalkriminalliterarische Erzählen bloßzustellen – als sprachlich minderwertige Massenware mit absurden Handlungskonstruktionen, die nichtsdestotrotz begierig vom Publikum gekauft und konsumiert wird.
„Das Detektivspielen möpselte irgendwie nicht“
Weder die kursivierten Passagen aus vorgängigen Texten, die als Zitate regionalen Mordens einen Eindruck vermitteln von der ästhetischen Unzulänglichkeit des Genres, noch die Wiederholung dieser Skripte vermögen denn auch Angstlust auszulösen oder Spannung zu erzeugen. Auch die genrestereotype Getriebenheit der Ermittler*innen sucht man vergebens:
‚Sie ahnte, daß sich hinter seiner Maske ein satanisches Grinsen breitmachte – das Grinsen eines Irren, hinter dessen Stirn ein Taifun des Bösen wütete. […]‘“ O mi, o mei, dachte Ute. Sie legte das Buch weg […] und vertrieb den sündhaften Gedanken, daß der Mann, den sie jagten, in gewisser Hinsicht etwas Sinnvolles tue.
An die Stelle der im Genre idealtypisch linear aufgebaute und spannungsvoll verzögerten Aufklärungsgeschichte, die mit der zweifelsfreien Lösung des Rätsels und der eindeutigen Identifikation des Mörders schließt, tritt ein Erzählen nach dem Prinzip der parodistischen Abschweifung. Aufgerufen werden alte und neue Klischees. Da verpufft die Analyse des Profilers als offensichtliche Binse, da wird die mit Kokainspuren bestrichene Wimper des sexuell übergriffigen Forensikers, „der wie ein Schlagerstar aus den Achtzigern aussah“, zum red herring, da plaudert der Hobbydetektiv bei „ einem Schöppchen Wein aus der Erbmasse eines Mordopfers“ mit dem Serienmörder, da spricht Kommissarin Fischer nicht nur Dialekt, sondern auch in markigen Krimi-Zitaten – „Zeig dieser Kanalratte, wo der Hammer hängt!“ oder „Do you wanna change your bullshit story, Mister König?“ –, während sich dieser in hochkulturellen Floskeln ergeht: „Hier steh ich nun und kann nicht anders, dachte König.“
„Ich mach euch alle alle“
Der Krimi rechnet schon lange mit dem Krimi ab. Von der literarischen Kritik abgestraft wurden bereits Detektivfiguren à la Sherlock Holmes, für die Friedrich Glauser die wenig schmeichelhafte Formel vom „Schlaumeier mit der Blümchenlösung im Knopfloch“ prägte. In Friedrich Dürrenmatts Roman Das Versprechen (1958) wird den artifiziellen Spielregeln eines Genres widersprochen, das den Zufall so kategorisch ausschließt, dass „die Wahrheit […] den dramaturgischen Regeln zum Fraße hingeworfen“ werde.2 Robert Moores Krimikomödie Murder by Death (1976) verbindet die Kritik an den Schriftsteller*innen, ihrer dosierten Informationsvergabe und die darauf abgestimmten Detektivfiguren mit einer höhnischen Anklage gegen narrative Taschenspielertrickserei:
Ihr Kriminalhelden seid so lange so clever gewesen, dass ihr euch inzwischen wie Götter vorkommt. Mit der billigsten Effekthascherei führt ihr eure Leser an der Nase herum. Ihr quält sie mit aus den Fingern gesogenen Schlüssen, die keinen Sinn ergeben. Noch auf den fünf letzten Seiten führt ihr Charaktere ein, die im ganzen Buch mit keinem Federstrich erwähnt werden. Informationen werden zurückgehalten, damit ja keiner errät, wer der Täter ist.3
Werden in diesem Fall eindeutig erkennbare literarische bzw. filmisch-literarische Figuren-Vorlagen samt ihrem narrativen Universum persifliert, präsentiert sich Soko Heidefieber als Wunscherfüllung all derjenigen, die das Genre aus ästhetischer und ethischer Perspektive vom literarischen Markt tilgen würden, wenn sie nur könnten. Der Text jagt am Ende die versammelten Genreautor*innen mit einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg in die Luft. Und mit diesem Marktführern im Krimi-Segment unter anderem „die FC-Bayern-Veteranen Franz Beckenbauer und Ulli Hoeneß, […] die Comedians Dieter Nuhr und Oliver Pocher, […] den Bild-Verleger Mathias Döpfner, dessen Chefin Friede Springer, ihre Freundin Patricia Riekel […] sowie das komplette Literarische Quartett.“
„Das wird mir niemals jemand glauben, dachte er“
Übrig bleibt nach diesem Massaker der Krimiautor Frank Schulz. Den schickt der Text zuvor auf eine Odyssee der Leiden. Nach einer körperlichen Auseinandersetzung am Strand wird er verhaftet, kann bei einem Unfall des Gefangenentransportes fliehen und beginnt sich Richtung Deutschland durchzuschlagen – verfolgt von einem griechischen Auftragskiller, einem hungrigen Braunbären, albanischen Drogenhändlern, einen auf Blutrache sinnenden Familienclan, wird auf dem Meer ausgesetzt und von einem Tornado erfasst.
Als er am Strand von der Familie Hirschbichler aufgelesen und im Wohnmobil über die Grenzen geschmuggelt wird, scheint er „durch sieben Höllen gegangen zu sein: die Lippen dunkelblau, die Stirnglatze von Sonnenbrandblasen überzogen, das Nasenbein zu Knochenmus zerstoßen, die Augen von Rißwunden umrändert und die Füße schrundig und verhornt“. Von ihm keine Fortsetzung der Regionalkrimi-Tradition zu erwarten. Der Roman lässt ihn zwar am Leben, entzieht ihm aber auf absehbare Zeit das sprachliche Vermögen, die „Diskrepanz zwischen der Masse der Plot Points und der derzeitigen Kümmerlichkeit seiner Erzählkunst“ zu bewältigen.
Diese lakonische Drastik in der Herstellung geschundener Körperlichkeit ist nun weniger dem Subgenre regionalkriminalliterarischen Erzählens entnommen, sondern destruiert die idealtypische männliche Körper- und Sprachmacht des Thrillers. Auch in dieser Hinsicht erinnert Soko Heidefieber an Heinrich Steinfests Genrespiele in Cheng (1999), die die Künstlichkeit des Gewalt-Schemas überzeichnen und um die Geschwätzigkeit der Serientäter wissen:
‚Nun, sein Assistent hatte ein Einschußloch zwischen den Augen und war seit drei Tagen tot. Gut, so was kommt eben vor. Ungewöhnlich war bloß, daß in diesem Einschußloch ein kleines Papierröllchen steckte. Sie kennen das ja – die meisten Mörder sind geradezu versessen darauf, Spuren, Hinweise und Rätsel zu hinterlassen. Ich weiß nicht, ob die Leute das aus dem Fernsehen haben. Auf jeden Fall hat das eindeutig zugenommen, etwa daß die Leute mit dem Blut ihrer Opfer irgend etwas an die Wand kritzeln. Vorletzte Woche haben wir so einen überführt, Legastheniker. Na gut, bei unserem aktuellen Fall dürfte es schwieriger werden. FORGET ST. KILDA stand auf dem Zettel.‘4
Enttarnt wird so auch die strenge Funktionalität des Genre-Schemas. Sobald eine Figur keinen Mehrwert für die erzählte Aufklärungsgeschichte hat, erlischt das Interesse an ihr. Sie kann bedenkenlos vergessen, ihr Fleisch untersucht werden. Die Wundinspektion in Soko Heidefieber verläuft vergleichbar. An die Stelle einer schmerzvollen Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit tritt ein naives Erstaunen: „Dieter Leuchtweis stieß, bevor er starb, noch den Ausruf ‚Botzdausend!‘ hervor und betrachtete die Einschußlöcher in seiner Brust. Des is m’r mejner Lääbdoch no nit bassiert, dachte er.“
„Hunderte, wenn nicht Tausende dieser Krimis wurden hier gehortet“
Auf dieser exemplarisch herausgegriffenen intertextuellen Spur lässt sich nach all den inhaltlichen und stilistischen Knalleffekten die ernste Frage beantworten, wer diesen Krimi über schlechte Krimis lesen sollte. Eine Antwort verbirgt sich in der ausbuchstabierten Rachephantasie, das Erzählte Wirklichkeit, das Geschriebene zur Bedrohung für das eigene Leben werden zu lassen:
„In fünf Minuten schaff ich’s aber nicht bis zu dem Pfahlhaus“, sagte Feddersen. „Geben Sie mir dreißig!“
„Die haben Sie dem Opfer in Ihrem Roman auch nicht gegeben.“
„Aber das ist doch nur Phantasie!“
„Ja, und die holt Sie jetzt ein.“
Wenn das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Fiktion derart plakativ zusammengefasst wird auf „Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg’ auch keinem andern zu – auch nicht im Fiktionsraum der Literatur“, wird das Genre weit gravierender in Frage gestellt, als alle Nachweise sprachlichen Unvermögens es vermögen. In der Vernachlässigung der Aufklärungsgeschichte und der Fokussierung auf immer neue Misshandlungen, Martern und Morde kickt Soko Heidefieber das narrative Gefüge kriminalliterarischen Erzählens, den Mord als schöne Kunst zu betrachten (de Quincey) aus dem Tritt.5 Die ironische Abrechnung mit dem Genre stellt die generischen Grundpfeiler eines artifiziellen Erzählens über einen Mord und seine Aufklärung in Frage, das um ins Erzählen zu kommen nur spektakuläre Zermetzelungen kennt und den Kontakt zur gesellschaftlichen Wirklichkeit verloren hat.
Im Unterschied zu Heinrich Steinfests fortgesetzten Genrespielen und den präzisen Überlegungen von Simone Buchholz in der Zeit, die vor allem fordert: „Keine sinnlose Folter, keine bumsblöden Morde, die nur da sind, um aufgeklärt zu werden“, lässt sich aus Soko Heidefieber allerdings keine Zukunftsperspektive für den Krimi entwickeln. Die aufgebotene Komik, der sprachliche Witz und der überbordende Ideenreichtum im Ersinnen neuer Handlungswindungen hat mit einem Abnutzungseffekt zu kämpfen, den weder die Einverleibung immer neuer thematischer Felder noch der rasante Wechsel der Schauplätze noch die Spannungskonstruktion auf der Handlungsebene – Kommt Frank Schulz am Stück nach Hause? Wird die Bombe hochgehen? – so recht aufhalten kann. Über weite Strecken trägt die sprachkritische Verve, unterhält die Ausschreibung des Absurden. Am Ende des Romans verpufft das Vergnügen am parodistischen Effekt aber auch deswegen, weil Soko Heidefieber sich ein Subgenre vornimmt, das sich selbst nicht allzu ernst nimmt und ohnehin scheel angesehen wird.
[1] Katharina Löffler: Allgäu reloaded. Wie Regionalkrimis Räume neu erfinden. Bielefeld 2017, S. 9.↩
[2] Friedrich Dürrenmatt: Das Versprechen. Requiem auf den Kriminalroman. München 2006, S. 10.↩
[3] Eine Leiche zum Dessert [Murder by Death, 1976]. R: Robert Moore. D: Neil Simon. USA: Columbia 2003 01:26-01:27.↩
[4] Steinfest, Heinrich: Cheng. Sein erster Fall [1999]. 8. Aufl. München 2011, S. 53.↩