von Jacob Birken
Es ist eine besonders skurrile Szene, die von den Protesten gegen die Räumung der Siedlung Lüzerath in Nordrhein-Westfalen im visuellen Gedächtnis bleiben wird: Mehrere schwer gerüstete Polizist:innen versuchen hilflos, sich aus dem tiefen Matsch des Geländes zu befreien. Sie rutschen auf den Knien hin und her, versuchen einander aufzurichten und versinken doch immer wieder in der weichen Masse. Ein in eine braune Kutte gekleideter Mensch stapft derweil vor ihnen hin und her, als könne ihm das schlammige Gelände nichts weiter anhaben; als hätte sich, im Gegenteil, die Natur selbst mit ihm gegen die schwarz gepanzerten Scherg:innen des industrialisierten Kapitalismus verschworen. Nachdem er mehrfach provokativ ein Pappschild mit der Aufschrift „LÜTZI BLEIBT“ neben den Polizist:innen platziert, geht er schließlich in die Offensive und stößt einen der Polizisten zurück in den Matsch.
Die am 14. Januar aufgezeichnete Szene ging schnell viral, wie zuvor die eindrucksvollen Bilder der Polizist:innen vor den ominösen Formen des Schaufelrad-Baggers oder die Aufnahmen der zwei in einem Tunnel verschanzten Aktivisten, die sich selbst nur als „Pinky“ und „Brain“ identifizierten. Bereits hier zeichnete sich in der Rezeption und den Referenzen ab, wie für den Protest eine bestimmte popkulturelle Rahmung gewählt wurde. Es dauerte entsprechend nicht lange, bis die ersten Remixes der Matsch-Szene oder davon inspirierte Bilder und Clips auf Social Media verbreitet wurden.
Gutes Meme-Material
Gerade in ihrer Absurdität schien die Szene die Fantasie zu beflügeln – und das auf eine recht spezifische Weise: Die im Matsch gefangenen Polizist:innen und der Mönch wurden in die bereits vorliegenden Ikonographien des Fantastischen eingeschrieben, wie sie Film und Fernsehen, aber vor allem das Gaming der letzten Jahrzehnte lieferten – auf Twitter oder Mastodon wurden Mönch und/oder Polizist:innen schnell mit Figuren aus den Spielreihen Assassin’s Creed oder Age of Empires assoziiert oder gleich als Karte für Magic: The Gathering („Climate Warrior Monk“) und Playmobil-Set („Lüzerath Matsch Massaker“) umgesetzt. Damit wird deutlich, dass die Bilder einerseits gutes Meme-Material hergeben – der darin gezeigte Antagonismus aber andererseits mittels ganz bestimmter Narrative interpretiert oder weitergesponnen wird.
Was sagt dieses Potenzial einer popkulturellen Leseweise formal über diese Bilder aus, was über ihren politischen Nutzen? Zuallererst steht die Matsch-Szene nicht für sich allein, sondern folgt den in der ersten Januarwoche aufgenommenen Fotos der Räumung. Insbesondere ein Foto des freien Bildreporters Marius Michusch, das in einer nächtlichen Szene drei Polizist:innen in Schutzausrüstung vor einem gewaltigen Schaufelrad zeigte, wurde schnell als „[v]ery Star Wars or Dune“ oder „straight from a dystopian video game“ eingeordnet. Erste Montagen seiner Bilder mit Star-Wars-Logo oder Sturmtruppen statt Polizist:innen ließen nicht lange auf sich warten. Dieses ‚Wiedererkennen‘ von Sci-Fi-Motiven in unserer Gegenwart ist ohne weiteres aus dem dystopischen Narrativ heraus verständlich – die Wirklichkeit nimmt jetzt quasi vorweg, was wir aus der katastrophalen Zukunftsvision bereits kennen.
Freilich ist dystopische Sci-Fi ihrerseits keine reine Fantasie, sondern Spekulation auf Basis historischer Erfahrungen – George Lucas musste uniform gerüstete Truppen eines totalitären Regimes nicht erst für Star Wars erfinden, und ohne die Selbstinszenierung des Faschismus im 20. Jahrhundert hätte die Inszenierung des galaktischen Imperiums ein paar Jahrzehnte später wohl nicht die gleiche Wirkung auf das Kinopublikum gehabt. Bis heute entstehen solche antagonistischen Bilder gewissermaßen zwischen den Konfliktparteien, was auf allen Seiten der Diskussion erstaunlich oft übersehen wird.
Inszenierte Staatsmacht
Dass beispielsweise Jana Hensel in der ZEIT angesichts der Bilder aus Lützerath ein „ganz großes Aktivistenkino“ sieht, das „Hollywood hätte […] nicht schöner inszenieren können“, taugt weniger zur Polemik, als die Autorin meint: Wenn schwer gerüstete Uniformierte eine gigantische Maschine verteidigen, damit diese in einem von den Grünen mitregierten Bundesland ungestört umweltschädigende Ressourcen aus der Erde baggern kann, haben wir es mit einem ganz anderen Repräsentationsproblem zu tun als mit den eitlen Medienpraktiken von Aktivist:innen. Der Vorwurf, dass sich die Klimabewegung „inszeniere“, überspielt auf naive oder strategische Weise, dass die Machtdemonstration des Staatsapparats ihrerseits eine Inszenierung ist, dass ihre Macht bis ins Detail – die industriell gefertigte Uniform – hinein durch diese Inszenierung ästhetisch gestützt wird. Dass wir dies als normal ansehen oder am besten übersehen sollen, zeigt, wie normalisiert die Verbindung von Staatsapparat und fossiler Energie letzten Endes ist.
Vor diesem Hintergrund können wir auch einen Tweet des CSU-Politikers Andreas Scheuer lesen, der bei einem Foto der von Polizist:innen weggetragenen Luisa Neubauer falsches Spiel vermutete: „Bestens ausgeleuchtet oder mit Photoshop nachgeholfen? Hauptsache hoher Aufmerksamkeitsfaktor“, mokierte sich Scheuer, nur um von der Presseagentur dpa aufgeklärt zu werden, dass das Licht im Bild von einem Mannschaftswagen in der Nähe gekommen war. Dieser reaktionären Lüge, dass es den Aktivist:innen nur um die Bilder gehe, steht der sonderbare Drang entgegen, den sehr konkreten Protest vor Ort auf die mediale Ebene von Memes zu reduzieren – den Konflikt erst mittels popkultureller Referenzen einzuordnen, obwohl er an sich gar keiner weiteren Vermittlung bedürfte.
Wenn Wirklichkeit wie Fiktion aussieht
Dies hat möglicherweise sehr zeittypische, aber auch strategische Gründe. Ein guter Grund ist sicherlich Humor. Gerade angesichts eines autoritär agierenden Staatsapparats ist die ironische oder absurde Brechung der Situation subversiv und kathartisch. „But the main thing is the joy, laughter is a therapy“, twitterte am 16. Januar der Account @MonchLutzi, bei dem es sich tatsächlich um den Menschen in der Kutte handeln könnte. Die Matsch-Szene wurde in den sozialen Medien entsprechend als klassischer Slapstick rekontextualisiert, wie er schließlich mit den Keystone-Cops am Anfang des Hollywood-Films stand. Ein Clip wurde mit launiger Klavierbegleitung und Soundeffekten unterlegt, sobald wieder jemand in den Schlamm fiel (boing!); ein anderer nutzt einen Zeitraffer-Effekt und den Track „Yakety Sax“, der im Abspann der Benny-Hill-Show jeweils zu absurden Verfolgungsjagden lief – bereits in der britischen Comedy-Serie ein Rückgriff auf den Slapstick der Stummfilmzeit.
Das Wiedererkennen des historischen Slapsticks im Material aus Lützerath ist auf ähnliche Weise politisch wie die Sci-Fi-Referenzen – mit nur kleinen Eingriffen scheint sich so zu ‚bewahrheiten‘, dass Polizist:innen auch jenseits der Fiktion ungelenke Witzfiguren seien. Das hat durchaus etwas Magisches, wenngleich im Sinne einer ironisch-sentimentalen Wiederverzauberung der Welt. So geht es in den diversen Lützerath-Memes nicht nur um konkrete popkulturelle Referenzen zwischen Slapstick-Cops und Sturmtruppen, sondern auch um eine Reflexion unseres eigenen Medienkonsums. Wenn die Wirklichkeit sich als wie die Fiktion herausstellt, hat sich die Zeit vor dem Bildschirm wenigstens gelohnt, im Gegensatz zur Wahlstimme für die Grünen.
Die Memefizierung Lützeraths könnte damit eine Sehnsucht ausdrücken, durch den Eskapismus der letzten Jahrzehnte und seine heroischen Franchises hindurch schließlich wieder in der Wirklichkeit anzukommen. Der Mensch des Spätkapitalismus flüchtet sich zuerst aus dem drögen Alltag in fiktive Welten voller dramatischer Konflikte, nur um irgendwann (zu spät?) feststellen zu müssen, dass sich ausgerechnet in unserem Alltag Konflikte von ebenso epischen Dimensionen verborgen hatten!
„Mud Wizard uses Push“
Zu dieser bislang eher tragikomischen Story kann gerade der Mönch von Lützerath einiges beitragen. Welche Rolle spielt der Mann in der braunen Kutte also für die visuelle Vermittlung des Protests? Zuallererst ist es wichtig, dass es viele Rollen sind. Die in unserer Gesellschaft marginal gewordene Figur des christlichen Ordensbruders tritt dabei hinter deren popkulturelle Aufarbeitungen – den Jedi-Ritter, den fanatischen Kriegermönch oder diverse zauberkräftige Kuttenträger – zurück. Das Absurde oder eben Fantastische an der Situation wird dadurch verstärkt, dass der Mönch zwar gegenüber den Polizist:innen und dem Ernst der Lage offensichtlich deplatziert wirkt, aber ebenso offensichtlich überlegen bleibt.
Das legt bestimmte Genre-Interpretationen des gesamten Konflikts nahe. Meine eigenen Assoziationen schwankten sofort zwischen Fantasy-Rollenspiel und Fighting Game, und in der Tat hatte bald jemand das Duell im Matsch mit einem Retro-Pixelart-Interface und Chiptune-Soundtrack ergänzt. „Mud Wizard uses Push“, signalisiert das Interface an der passenden Stelle, „It is very effective!“ Der linke Meme-Account Der Gazetteur hatte da schon eine andere Gaming-Referenz visualisiert: „Was gestern wirklich im Schlamm von Lützerath passiert ist (Zeugen berichteten von einem „Wololo“-Geräusch)“, steht über zwei Standbildern aus dem Video. Auf dem ersten sehen wir, wie der Mönch den Polizisten umstößt, auf dem zweiten ist der – wieder stehende – Polizist in dem gleichen Braunton eingefärbt wie die Kutte des Mönchs; ein Verweis auf das Strategiespiel Age of Empires, in dem „Wololo“-singende Priester gegnerische Figuren für die eigene Armee ‚bekehren‘ können.
Dies alles ist romantischer Eskapismus, in dem für diesen letztlich sehr asymmetrischen und durchaus gewaltsamen Konflikt ein spektakulärer Ausweg herbeigesehnt wird. Und doch wird diese Sehnsucht sofort ironisch gebrochen, wenn statt einer tatsächlichen Heilslehre ausgerechnet die nerdigsten Referenzen herangezogen werden (ich habe dann noch den passenden Zauberspruch aus Dungeons & Dragons recherchiert, der zur Situation passen würde: Das wäre „Transmute Rock“, der Stein in Matsch verwandelt).
Die Ironie schafft einen Sicherheitsabstand – zu den verfrühten Hoffnungen, dass Protest vor Ort oder Online tatsächlich etwas bewegen würde, aber auch zu der Öko-Aktivist:innen oft unterstellten doktrinären Humorlosigkeit. Johannes Schneider konnte die Matsch-Memes noch nicht gekannt haben, als er der Bewegung in der ZEIT am 13. Januar diagnostizierte, sich in „einem altbekannten heiligen (und hochromantischen) Ernst […] gegen jede Form (auch liebevoll) ironischer Bezugnahme“ zu immunisieren; Reinhard Müller von der FAZ delirierte derweil noch am 17. Januar von „einer Inszenierung, deren Regie Ernst Jünger zu führen schien“, und meinte damit erstaunlicherweise nicht die Reihen uniform gepanzerter Polizist:innen, sondern die Aktivist:innen.
Selbst bei „Pinky“ und „Brain“, den zwei Aktivisten im Tunnel, gehört die ironische Distanz zum Programm. „Aber du hast jetzt gar nichts über Kapitalismus gesagt“, beschwert sich einer der beiden in einem YouTube-Video aus der engen und immerhin mit einem Plastikblumenstrauß dekorierten Höhle; „Ja, ich dachte, das machst du“, kontert der andere, bevor nach einem Schnitt tatsächlich der erwartbare Kurzvortrag über die negativen Konsequenzen unserer gesellschaftlichen Ordnung kommt. Angesichts dieser Mixtur aus Situationskomik und didaktischem Anspruch wenig überraschend wurden die Beiden online schnell mit Ernie und Bert aus der Sesamstraße assoziiert.
Der gefährlichen Protestaktion wird so eine Qualität der wholesomeness verliehen – vielleicht sogar eine der Nostalgie gegenüber einer Kindheit, aus der ausgerechnet die Sesamstraße als tatsächlich aufklärerische, politisch progressive Institution übriggeblieben ist. Entspricht das dem Ernst der Lage? Vielleicht nicht, doch zumindest findet zwischen den manisch angehäuften Referenzen der Memes eine Auseinandersetzung mit der Repräsentationsebene dieses Konflikts statt, während auf der anderen Seite langsam doch die Frage gestellt werden sollte, ob ein dystopisch gepanzerter Staatsapparat – wie es Schneider schreibt – „nur ein demokratisch gefasstes Interesse durchsetzen“ hilft.
Foto von Mishaal Zahed auf Unsplash