Mr. Ripley geht ins Kino – Die Mediengeschichte eines Verwandlungskünstlers

von Wieland Schwanebeck

Ein aufgeweckter junger Mann aus einfachen Verhältnissen macht die Bekanntschaft eines Schönlings aus gutem Hause, fühlt sich magisch angezogen von ihm und begehrt ihn. Mehr noch begehrt er aber das weltmännische Auftreten und die Besitztümer des Umschwärmten. Der schüchterne Held baut ein zunehmend wackliges Lügengebäude auf, um sein Idol weiter aus der Nähe umschwirren zu können wie eine Motte das Licht. Als er vom Angehimmelten dafür verspottet wird, eine Klette zu sein, schlägt er brutal gegen das Objekt der Begierde aus, der Mord zieht weitere Gewalttaten nach sich. Am Ende aber fügt sich für den Emporkömmling alles zum Guten – er stülpt sich die Existenz des Anderen über wie ein perfekt sitzendes Kostüm.

Wer in dieser Kurzbeschreibung den Plot von Patricia Highsmiths Hochstaplerroman The Talented Mr. Ripley (Der talentierte Mr. Ripley, 1955) erkennt, hat natürlich recht – wer dagegen zuerst an Emerald Fennells aktuellen Film Saltburn (2023) gedacht haben sollte, liegt auch nicht daneben. Wie schon ihr Regiedebüt, das feministische Psychodrama Promising Young Woman (2020) erahnen ließ, ist Fennell bei Highsmith in die Lehre gegangen und hat auch an den Verfilmungen ihrer Werke einen Narren gefressen. Dass die Badewanne in Saltburn genauso wie in Anthony Minghellas fesselnder und vielschichtiger Ripley-Verfilmung (1999) als Dreh- und Angelpunkt eines spannungsvollen Flirts dient und der mordende Betrüger hier wie da in unbeobachteten Momenten ein Tänzchen wagt, dürfte sicher kein Zufall sein.

Die langlebigste Figur

Wer aber Sorge hat, wir müssten uns nach fast 20 Jahren ohne neues filmisches Lebenszeichen von Tom Ripley mit einer losen Adaption begnügen, die gerade eben so als Hommage durchgeht, ohne dass Geld für die Rechte hätte fließen müssen, dem sei gesagt: Das ,Original‘ wird ebenfalls gerade wieder neu aufbereitet. Nach pandemiebedingten Verzögerungen sowie einem Senderwechsel bringt Steven Zaillian im April endlich seine vor fast fünf Jahren angekündigte Version des Literaturklassikers als Mini-Serie heraus. Sie ist schlicht Ripley betitelt, was keine allzu große Hilfestellung für diejenigen bedeutet, die ohnehin nicht immer gleich wissen, ob Patricia Highsmiths gewiefter Hochstapler oder die von Sigourney Weaver gespielte Heldin der Alien-Reihe gemeint ist.

Dabei ist Tom Ripley mit Sicherheit Patricia Highsmiths bekannteste und langlebigste Figur. Er taucht in insgesamt fünf zwischen 1955 und 1991 entstandenen Romanen auf, die bereits mehrfach fürs Kino und fürs Fernsehen, für die Bühne und fürs Radio adaptiert worden sind. Die Grenze zwischen Adaptionen und Hommagen verläuft dabei fließend. Saltburn ist keineswegs der erste ,Pseudo-Ripley‘; man könnte u.a. auch die Morris-Duckworth-Romane von Tim Parks, die südkoreanische Fernsehserie Miss Ripley (2011) oder Woody Allens Film Match Point (2005) anführen. In der Schlüsselszene von letzterem fordert der Protagonist mit einem Ringwurf das Schicksal heraus und scheint dabei vom Schlussbild des letzten Ripley-Romans Ripley Under Water (1991) inspiriert.

Auch Wim Wenders bedient sich mit seinem Amerikanischen Freund (1977) recht großzügig bei Highsmith – bei diesem Werk handelt es sich zwar um eine ganz offizielle Verfilmung des dritten Ripley-Romans, doch Wenders adaptiert den zweiten Band, zu dem er die Rechte eigentlich nicht bekommen hatte, gleich mit. Sein überdrehter Pastiche-Film Million Dollar Hotel (2000) bedeutet dann noch einmal eine Rückkehr an den Tatort – Tom Ripley heißt in diesem Film Tom-Tom, und der Bierdeckel, auf dem die Idee festgehalten wurde, aus Highsmiths Dickie Greenleaf einen „Izzy Goldkiss“ zu machen, ist hoffentlich irgendwann einmal in der Deutschen Kinemathek zu bewundern. Ironischerweise sticht Wenders mit Million Dollar Hotel im Jahr 2000 bei der Berlinale Minghellas ,offizielle‘ Ripley-Adaption aus. Heute fällt einem zu dem Film vor allem ein, dass ihn sogar der Hauptdarsteller Mel Gibson gegenüber der Presse als sterbenslangweilig bezeichnet hat. Noch dreister als Wenders verfährt der französische Drehbuchautor Paul Gégauff. Nachdem er im Auftrag des Regisseurs René Clément den ersten Ripley-Band ganz offiziell fürs Kino adaptiert hat (Plein Soleil/Nur die Sonne war Zeuge, 1960), recycelt er die Story einfach nochmal, mit veränderter Geschlechterkonstellation. Claude Chabrol bringt das Ganze als unterkühltes, queeres Psychodrama heraus (Les biches/Zwei Freundinnen, 1968), abermals sieht Patricia Highsmith kein Geld.

So richtig übelnehmen will man den Genannten den Ideenklau nicht. Schließlich geht es hier um einen der ikonischsten Schwindler und Hochstapler der Literaturgeschichte, immerhin basiert Tom Ripleys parasitäre Existenz von Beginn an auf ,feindlicher Übernahme‘, Identitätsdiebstahl und Mimikry. Auf den Punkt bringt das die bereits erwähnte Kinoversion von René Clément in einer schönen Szene, in der Ripley (Alain Delon) das Fälschen einer Unterschrift übt – mit einem Projektor wird das Original an die Wand geworfen, so dass eine Vorlage zum Abpausen entsteht; der Aufbau erinnert obendrein an eine simple Heimkino-Anlage. Und Hand aufs Herz, ist eine große Menge unlizensierter Kopien nicht der beste Beweis dafür, dass ein popkultureller Gegenstand einen Nerv trifft? Graf Dracula ist nicht der einzige aristokratische Vampir geblieben, und zum James-Bond-Hype der 1960er Jahre gehören nicht nur die Filme mit Sean Connery, sondern auch die Nachahmer Derek Flint und Matt Helm.

Figur und Filme erfinden sich neu

Mit James Bond verbindet Tom Ripley übrigens noch mehr, jedenfalls was den Einstieg ins Filmgeschäft angeht. In beiden Fällen weckt die Veröffentlichung des jeweils ersten Romans Mitte der 1950er Jahre zunächst das Interesse findiger Fernsehproduzenten, die dem Kino zuvorkommen. Die Texte werden im Rahmen der damals allgegenwärtigen amerikanischen Live-Fernsehspielformate adaptiert, bevor ein paar Jahre später die ersten ,richtigen‘ Spielfilme folgen. Anders als James Bonds mittlerweile wiederveröffentlichter, kurioser TV-Auftritt (Casino Royale, 1954) ist das Fernsehspiel The Talented Mr. Ripley (1956), vom späteren Oscar-Preisträger Franklin J. Schaffner für die Reihe Studio One gedreht, leider nicht archiviert und seit der Erstausstrahlung nie wieder gesendet worden. Passenderweise steht am Anfang von Tom Ripleys Adaptionsgeschichte also eine Leerstelle.

Während James Bonds Filmkarriere bald darauf im Zeichen von Kontinuität stehen wird – dafür sorgt die betreuende Produzentenfamilie, die ihre Stars für mehrere Filme verpflichtet und sie mit einem festen Stamm treuer Helferlein vor und hinter der Kamera umgibt –, erfindet sich Tom Ripley in jedem seiner Filmauftritte neu. Alain Delon ist in Plein soleil so schön, dass die Kamera lieber sein Gesicht erkundet, statt die Krimihandlung voranzutreiben, und sich nicht einmal überwinden kann, seine Verhaftung am Schluss direkt einzufangen. Dennis Hopper ist im Amerikanischen Freund keine wirkliche Figur, sondern eher eine Projektionsfläche für Wim Wenders‘ gesammelte Amerika-Fantasien – viel Marlboro-Mann und ein Hauch von Dennis Hoppers eigener Regiearbeit Easy Rider (1969). (Um Filmstudenten künftiger Generationen mit genügend Stoff für ihre Abschlussarbeiten zu versorgen, bringt Wenders im Film zudem den todkranken Regisseur Nicholas Ray als einäugigen Maler unter und macht aus Highsmiths Gangstern Porno-Produzenten, die ebenfalls von berühmten Filmemachern gespielt werden.)

Bis auf den britischen Schauspieler Ian Hart, der für die BBC-Hörspielfassung aller fünf Ripley-Romane verpflichtet wurde, hat bis heute niemand mehr als einen Auftritt in der Rolle des Tom Ripley absolviert. Dass die einzelnen Filme launig durch verschiedene Settings und Genres springen, ist natürlich ebenfalls ein der Hochstapelei angemessenes Verfahren. Nicht wenige der prominentesten, in Blockbustern wie Catch Me If You Can (2002) verewigten Trickbetrüger haben sich nacheinander in verschiedenen Berufen ausprobiert, um schnell weiterziehen zu können, sobald ihnen der Boden unter den Füßen zu heiß wurde. Die Galerie der filmischen Tom Ripleys bezeugt daher den Werdegang eines erstaunlichen Chamäleons. Man vergleiche das einmal mit dem James-Bond-Casting, das in derartig engen Parametern stattfindet, dass sich bei der Besetzung von Daniel Craig – der die ,richtige‘ Nationalität, Körpergröße und Fitness besaß – allein am blonden Haar des Darstellers ein Skandälchen entfachte.

Vorwurf der Untreue

Auch bei den Ripley-Adaptionen wird schnell fündig, wer die Rezeption der einzelnen Filme auf den Vorwurf abklopft, die Figur habe sich bedenklich weit von der literarischen Vorlage entfernt. Dennis Hopper? Zu amerikanisch. Matt Damon? Zu queer und zu nerdig. John Malkovich? Nun ja, irgendwie zu John Malkovich. Trotzdem fällt es nicht leicht, Tom Ripley auf einen Nenner zu bringen. Highsmith hat ihre bekannteste Schöpfung widersprüchlich angelegt, anpassungsfähig und schwer zu durchschauen. Anders als Thomas Mann, der im Jahr vor The Talented Mr. Ripley die letzte Fassung seines Felix Krull herausbringt – beide Romane handeln von luxussüchtigen Dauerreisenden mit Hang zur Verstellung und lassen sich hervorragend im Vergleich lesen –, plaudert Highsmiths Protagonist nämlich nicht selbst aus dem Nähkästchen, wie wir es aus dem klassischen Schelmenroman kennen. Die Autorin greift stattdessen auf eine unpersönlich berichtende Erzählstimme zurück, die eher passiv registriert, was dem Helden zustößt und wie er improvisiert. Gelegentlich dürfen wir an seinen Ängsten und an seinen Sehnsüchten teilhaben, häufiger werden wir aber über seine Motive im Dunkeln gelassen und können daher auch kaum mit Bestimmtheit sagen, wen oder was er begehrt, ob er spontan oder aus Kalkül handelt.

Im Vergleich mit anderen als ,Wiederholungstäter‘ auftretenden Schurkenfiguren fällt es leichter zu sagen, was Tom Ripley nicht ist: weder so charismatisch noch so flamboyant wie Hannibal Lecter, nicht so garstig und nachtragend wie Professor Moriarty oder Ernst Stravro Blofeld, und auch nicht von so übermenschlicher Kraft wie Dracula – obwohl er sich dem natürlichen Alterungsprozess genauso verweigert. In Highsmiths Büchern vergehen zwar fast vierzig Jahre, doch Tom Ripley bleibt ein junger Mann.

Nichts an ihm neigt ins Archaisch-Schurkenhafte, wie es dem Mythos zu eigen ist. Verstörend ist eher, wie spießbürgerlich und saturiert er in seinen späteren Abenteuern daherkommt. Am Schluss des ersten Romans verabschieden wir uns von einem agilen und bildungshungrigen jungen Mann, der gerade erfahren hat, dass ihm das perfekte Verbrechen gelungen ist. Er hat den schnöseligen Millionenerben Dickie Greenleaf in einem italienischen See versenkt, sich mit einem gefälschten Testament in dessen Besitz gebracht und befiehlt dem griechischen Taxifahrer auf Italienisch, das beste Hotel am Platz anzusteuern („Il meglio albergo. Il meglio, il meglio!“). Damit endet eine schwarzhumorige Version des klassischen Bildungsromans, deren Held zwar seinen enormen Bildungshunger an den schönsten Orten der europäischen Kulturgeschichte stillt, darüber aber zum kaltblütigen Betrüger und Mörder verkommt. Möglicherweise existiert ein Paralleluniversum, in dem Ripley in Asterix-und-Obelix-Manier weitere europäische Länder abklappert, doch tatsächlich kreisen die Folgeromane um einen frühvergreisten Müßiggänger von Ende zwanzig, der lieber seinen Besitz verteidigt und in Ruhe gelassen werden will.

Zu Beginn von Band zwei bewohnt er bereits ein luxuriöses Anwesen in Nordfrankreich, an dessen Tor hin und wieder Bittsteller klopfen, mit denen Ripley dann spielt wie eine gelangweilte Katze mit viel zu langsamen Mäusen. Finanziert wird das ganze dolce vita von der Mitgift seiner Frau, denn Ripley ist irgendwann zwischen Band eins und zwei eine leidenschaftslose Ehe mit dem schmucken Millionärstöchterchen Héloïse eingegangen – einer Figur, die Patricia Highsmith anscheinend selbst so uninteressant fand, dass sie sich nicht mal zu einer einheitlichen Schreibweise durchringen konnte, und die auf ihren Ehemann keinen Reiz ausübt, außer dass ihn ihr güldenes Haar an seinen Reichtum erinnert.

„Aber im Original war’s ganz anders!“

Ein wenig interessanter als die geleckte Oberfläche der Ripley-Bücher, die sich an schönen Anwesen, teuren Besitztümern und kostbaren, bei Bedarf auch als Mordinstrument dienenden Weinflaschen laben, sind Ripleys Kostümierungen. Sie treten an die Stelle charakterlicher Entwicklung. Dass der Held im Laufe seiner literarischen Existenz mit immer größerem Selbstbewusstsein diverse Rollen und Männlichkeitsbilder ausprobiert, macht es immer aussichtsloser, sein ,wahres Selbst‘ hinter der Maske zu ergründen. Damit eignet sich Ripley nicht nur zum Sinnbild (post-)moderner Identitätsdiskurse, sondern auch zum reizvollen Fallbeispiel für die Adaptionsforschung, die ja ebenfalls von der unmöglichen Suche nach einem stabilen Vorbild heimgesucht wird. Beim Adaptieren ist es das nicht totzukriegende Werktreue-Paradigma („Aber im Original war’s ganz anders!“ bzw. „viel besser!“), das den Adaptierenden immer wieder den Vorwurf einträgt, die Vorlage missverstanden, verfälscht, vergewaltigt oder gar vernichtet zu haben. Dieser Vorwurf wird im Zusammenhang mit Highsmiths Büchern noch inflationärer verwendet, eben weil so viele unterschiedliche Vorstellungen darüber kursieren, was den talentierten Mr. Ripley überhaupt im ,Kern‘ ausmacht. Die Antwort müsste vermutlich lauten: die reine Zitathaftigkeit bzw. eine endlose Aneinanderreihung von Gesten und Spielereien. Aus gutem Grund kommt Highsmith auf „Signor Reepley“ (re-play), wenn sie ihren Helden von italienischen Polizisten rufen lässt.

Seltsamerweise traf der heftigste Verfälschungsvorwurf ausgerechnet die Version, die Highsmiths Roman mit dem allergrößten Respekt begegnet: Anthony Minghellas vielschichtigen, fabelhaft umgesetzten Film von 1999, der zum Lehrstück darüber taugt, wie sich vermeintliche Werktreue mit einem eigenständigen Deutungsansatz aussöhnen lässt. Minghella schafft es einerseits, die Charaktere und Geschehnisse der Vorlage beisammenzuhalten, andererseits aber Leerstellen oder vermeintlich nebensächliche Details so prominent ins Bild zu rücken, dass er eine plausible und zugleich originelle Lesart der Figur entwickelt. Der von Matt Damon gespielte Ripley, ein schüchterner Feingeist, wird von Homophobie und Klassenzwängen zur Verzweiflungstat getrieben (anders als im Roman geschieht der Mord im Affekt). Mit jeder neuen Lüge und jedem neuen Mord manövriert er sich tiefer und unrettbarer in die Bredouille. Schwer zu sagen, was Highsmith-Anhänger dabei als größere Provokation empfanden: dass Minghella die Satire zugunsten einer closet-Tragödie dimmt, oder dass er aus Highsmiths personifizierter Leerstelle überhaupt erst eine dreidimensionale Figur entwickelt und ihr damit eine Form von Eindeutigkeit zumutet.

Kritiker aus dem Bereich der Queer Theory verübeln dem Film, dass er eine direkte Verbindung zwischen Ripleys uneingestandener Homosexualität und seinen Morden zieht, auch wenn es an keiner Stelle so reißerisch wird wie in berüchtigten Genrefilmen à la Cruising (1980) oder The Silence of the Lambs (Das Schweigen der Lämmer, 1991), in denen LGBTIQ*-Personen als mordlüsterne Sadisten und Perverse auftreten. Wie Highsmith in einigen ihrer besten Bücher interessiert sich Minghella für den Kontext des Verbrechens, und suggeriert dabei zwischen den Zeilen, dass noch viel mehr von den muffigen, homophoben 1950er Jahren in uns steckt, als uns lieb sein kann. Ein kurioser Zufall in diesem Zusammenhang: Mit Matt Damon, Barry Pepper und Jeremy Davies gehören gleich drei der (Pseudo-)Ripleys, die in den letzten 25 Jahren ins Kino gekommen sind, dem US-Bataillon an, das Steven Spielberg in Saving Private Ryan (Der Soldat James Ryan, 1998) am D-Day in der Normandie landen lässt. Tatsächlich gehören einige von Highsmiths Figuren jener Generation junger Männer an, die als G.I.s mit dem Leben davongekommen waren, um anschließend die Uniformen gegen Anzüge einzutauschen und für ihren Beitrag zum Sieg der Alliierten mit gut bezahlten Jobs und Häusern in den Vorstädten entlohnt zu werden. Tom Ripley ist der böse Zwilling von Tom Rath, dem Protagonisten des in den USA sehr bekannten, im selben Jahr wie The Talented Mr. Ripley erschienenen Sloan-Wilson-Romans The Man in the Gray Flannel Suit (Der Mann im grauen Flanell, 1955), der u.a. für die Serie Mad Men Pate stand. Den grauen Flanellanzug setzt Highsmith in den Ripley-Romanen als Running Gag ein, als Erkennungszeichen amerikanischer Durchschnittlichkeit.

Adaptionen über Adaptionen

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstanden weitere Ripley-Verfilmungen, die allerdings lediglich im Werbematerial eine Verwandtschaft mit Minghellas Version behaupten. Ansonsten versuchen sie sich an eigenständigen Deutungen der Figur und lassen die Romanhandlungen links liegen. Liliana Cavani, spätestens seit ihrem Film Il portiere di notte (Der Nachtportier, 1974) auf die Pervertiertheit des Bösen spezialisiert, lässt in Ripley’s Game (2002) den hemmungslos, aber sehr unterhaltsam aufspielenden John Malkovich von der Leine. Sein Ripley macht dort weiter, wo Anthony Hopkins kurz zuvor mit seinem letzten Auftritt als Hannibal Lecter aufgehört hat. Niemand wäre überrascht, würde sich dieser Ripley kannibalisch über seine Opfer hermachen. Schon beim Gedanken an eine Zugfahrt zweiter Klasse hegt er Mordgedanken, das Cembalospiel seiner Frau erregt ihn sexuell und Störenfriede richtet er ohne mit der Wimper zu zucken hin. Malkovich ist zwar ein ganzes Stück älter als die literarische Figur, doch seine Darstellung kommt mit ihrer undurchschaubaren Oberfläche Highsmiths Erzählverfahren unbehaglich nahe.

Da Cavanis Film bis über beide Ohren in die charismatische Hauptfigur verliebt ist, bekommt Ripley als Kontrastfolie auch nur Kontrahenten vorgesetzt, die stillos, vulgär oder – schlimmer noch – brav und langweilig sind. Dabei geht die Regisseurin den schnieken Oberflächen der Romane nicht so sehr auf den Leim wie Saltburn oder der bislang letzte ,offizielle‘ Ripley-Film: der als erbarmungslos kofinanzierter Europudding hergestellte, sang- und klanglos untergegangene Ripley Under Ground (Mr. Ripley und die Kunst des Tötens, 2005). Dieser Film, vom ehemaligen James-Bond-Regisseur Roger Spottiswoode inszeniert, basiert zwar auf dem zweiten, 1970 erschienenen Band der Romanreihe, erzählt aber nochmal eine Origin-Story, in der Ripley als blonder Schönling Frauen verführt und von verbotenen Früchten nascht. Inhaltlich geht dieses Porträt des Künstlers als junger Gigolo zwar nicht so richtig auf, doch es bedient sich auf durchaus unterhaltsame Weise am All-You-Can-Eat-Buffet von Patricia Highsmiths irrsinnigstem Roman. Im Zentrum steht ein Kunstfälscherring, der den Tod eines malenden Shootingstars geheim hält, um in dessen Namen immer mehr überteuerte Bilder in Umlauf zu bringen. Alle unliebsamen Mitwisser des Betrugs müssen beseitigt werden. 

Wenn Ripley am Schluss des Buchs den von Gewissensbissen geplagten ,Ghostpainter‘ als Gespenst heimsucht, in den Tod treibt und mit der Schippe in der Hand beim Verbrennen der Leiche zuschaut, ist das genauso hinreißend beknackt, wie es klingt. Aber der Film setzt sogar noch einen drauf. Als misstrauischer Kunstkenner ist Willem Dafoe zu sehen, der in den 1980er Jahren mit Auftritten in Oliver Stones Platoon (1986) und Martin Scorseses The Last Temptation of Christ (Die letzte Versuchung Christi, 1988) bekannt wurde. In Ripley Under Ground verliert der einstige Poster-Boy des Martyriums in einer Art klamaukiger Kreuzigungsszene sein Toupet. Auf der Strecke bleibt Highsmiths gewitzte Satire auf den Kunstbetrieb, die mit einem noch größeren Triumph der Fälschung endet als der Vorgängerband. War es dem Helden in The Talented Mr. Ripley gelungen, gefälschte Unterschriften durch weitere gefälschte Unterschriften zu autorisieren, verkleidet er sich jetzt als Maler, um die Echtheit gefälschter Bilder zu beeiden: „Wenn man mehr Fälschungen als eigene Bilder malt“, so überlegt Ripley an einer Stelle, „müssten einem dann nicht die Fälschungen natürlicher, realer und echter vorkommen als die eigenen Bilder?“ Die Frage dürften sich auch diejenigen stellen, die allmählich nicht mehr zwischen ,echten‘ und ,falschen‘ bzw. zwischen autorisierten und nicht-autorisierten Tom Ripleys unterscheiden können. (Ein gewisser „Ripley Highsmith“ wurde Anfang der 2000er Jahre, im Zuge der letzten filmischen Ripley-Renaissance, als Drehbuchautor im Abspann zweier gründlich missratener Actionfilme genannt; Ripley bringt sich also auch noch als Alan-Smithee-artiges Alter Ego desillusionierter Filmschaffender in Stellung.)

Kein Ende in Sicht

Filmadaptionen der letzten beiden Romane gibt es (noch) nicht, dabei fügen sie Mr. Ripleys Karneval der Männlichkeiten noch so manch launige Episode hinzu. Er erprobt sich als Beschützer und Revolverheld, als (Ersatz-)Vater und Mentor, sogar als queerer Retter in der Not, der in Drag-Kostümierung zu einer Lösegeldübergabe erscheint. Mit dem Leben bezahlen immer die anderen, so auch am Ende des letzten Ripley-Bands, des schwer aus der Zeit gefallenen Ripley Under Water (1991), in dem der Held mit dem Schicksal und den Elementen im Bunde zu sein scheint. Musste er im ersten Abenteuer noch schwer schuften, um sein Opfer zu töten und im See zu versenken, stolpern seine Todfeinde jetzt wie die Lemminge von allein in ihren Gartenteich. Aufrecht stehen bleibt am Ende wieder nur das unverwüstliche Stehaufmännchen Tom Ripley, dem Entführungen, Schusswaffen und Prügelattacken aus dem Hinterhalt genauso wenig anhaben können wie der Zahn der Zeit. Staunend, aber letztlich unbehelligt vom Zeitgeist bewegt er sich durch die trostlosen Fünfzigerjahre, die Swinging Sixties und die Schwulendiscos von Berlin. Am Leben gehalten wird er von einer zunehmend schlecht gelaunten Autorin, die ihren Rückzugsraum ebenso schätzte wie ihre innig geliebte Schöpfung, und die ihren Tom jederzeit zu verteidigen wusste. Einen Produzenten, der eine mündliche Vereinbarung mit ihr gebrochen und sie nicht beim Casting des Ripley-Darstellers konsultiert hatte, packte sie beim Dreh am Kragen, um ihn anzubrüllen: „Da hast du aber verdammtes Glück – er ist nämlich perfekt!“

Bei diesem ,perfekten‘ Ripley handelte es sich um den später ins Fach Opernregie gewechselten britischen Schauspieler Jonathan Kent, der in der besten Ripley-Verfilmung spielt, von der Sie nie gehört haben und die wohl leider auch kaum jemand zu Gesicht bekommen dürfte. Sie schlummert nämlich im Archiv des britischen TV-Senders ITV und wurde Anfang der 1980er Jahre unter dem Titel A Gift for Murder (1982) als eine Folge des Kulturmagazins South Bank Show produziert. Das intelligente Schelmenstück bastelt um ein paar Szenen des Romans Ripley Under Ground ein amüsantes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ripley und seiner Schöpferin, in einer Art Vorwegnahme des postmodernen Spaßes Stranger than Fiction (2006), in dem sich eine mürrische Autorin plötzlich eine Seins-Ebene mit ihrer Romanfigur teilen muss. In A Gift for Murder reist Highsmith, die sich selbst spielt, für ein Interview nach London, und steigt dort im selben Hotel ab wie Ripley, der zur Abwicklung seines Kunstschwindels angereist ist. Aus Schöpferin und Schöpfung werden Co-Autoren, die gemeinsam den Plot ersinnen und das Verbrechen aushecken – bevor Ripley den neugierigen Kunstexperten ins Jenseits befördert, überfährt ihn Highsmith beinah mit dem Taxi.

In dieser kriminellen Allianz hallt eine der bekanntesten Highsmith-Anekdoten nach: dass sie auf einer Urkunde, die ihr für den ersten Ripley-Roman verliehen wurde, ihren eigenen Namen durchstrich und durch den der Hauptfigur ersetzte – schließlich habe ihr Ripley beim Schreiben die Feder geführt. Zwischen die Autorin und ihre Schöpfung passt also kein Blatt, aber das dürfte auch in Zukunft niemanden davon abhalten, sich an neuen Versionen von Tom Ripley zu versuchen. Andrew Scott, der ihn jetzt in der Netflix-Serie spielen wird, hat schon Sherlock Holmes und James Bond das Leben schwer gemacht. Bestimmt wird ihm auch die Unterschrift von Dickie Greenleaf gelingen.

Die Tom-Ripley-Romane und ihre offiziellen Verfilmungen

·       The Talented Mr. Ripley (Der talentierte Mr. Ripley, 1955)

o   The Talented Mr. Ripley (Fernsehfilm, 1956, R: Franklin J. Schaffner)

o   Plein Soleil (Nur die Sonne war Zeuge, Kinofilm, 1960, R: René Clément)

o   The Talented Mr. Ripley (Der talentierte Mr. Ripley, Kinofilm, 1999, R: Anthony Minghella)

  • Ripley (Mini-Serie, 2024, R: Steven Zaillian)

·       Ripley Under Ground (Ripley Under Ground, 1970)

o   A Gift for Murder (Fernsehfilm, 1982, R: Jack Bond)

o   Ripley Under Ground (Mr. Ripley und die Kunst des Tötens, Kinofilm, 2005, R: Roger Spottiswoode)

·   Ripley’s Game (Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund, 1974)

o   Der amerikanische Freund (Kinofilm, 1977, R: Wim Wenders)

o   Ripley’s Game (Ripley’s Game, Kinofilm, 2002, R: Liliana Cavani)

·       The Boy Who Followed Ripley (Der Junge, der Ripley folgte, 1980)

·       Ripley Under Water (Ripley Under Water, 1991)

Foto von Jeremy Yap auf Unsplash

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