Am 4. Dezember 2022 trafen acht Kugeln das Haus des Bernalillo County Commissioner Adriann Barboa. Am 11. Dezember folgten 12 Kugeln. Am 3. Januar diesen Jahres schlugen drei Kugeln in das Haus von Linda Lopez, Senatorin von New Mexico, ein, die den Distrikt 11 vertritt. Sie durchschlugen das Fenster des Schlafzimmers ihrer zehnjährigen Tochter, die zum Zeitpunkt des Angriffs schlief und durch die Schüsse geweckt wurde. Nachdem der State Representative (Bundesstaats-Abgeordnete) Javier Martínez von den Anschlägen auf die Häuser seiner Kollegen gehört hatte, überprüfte er sein eigenes Haus – und fand Einschusslöcher. Ziel der Anschläge waren in öffentliche Ämter gewählte Demokraten.
Der Mann, der wegen der angeblichen Orchestrierung der Schießereien verhaftet wurde, ist der ehemalige Republikanische Kandidat für den 14. Kongressbezirk, Solomon Pena. Pena hatte seine Wahl mit großem Abstand verloren, weigerte sich aber seitdem, seine Niederlage einzugestehen. Er wiederholte die Mainstream-Republikaner-Linie von Trumps “Großer Lüge” – dass die Wahl von den Demokraten gestohlen worden sei. Laut Pena war es jedoch nicht nur Trumps Sieg, der durch Wahlbetrug gestohlen worden sei, sondern auch sein eigener. Am 28. Dezember antwortete Pena auf einen User, der ihn auf Twitter als Kriminellen bezeichnete: „Jeder in der NM-Regierung, der geholfen hat, Trump zu stürzen, sei ein Verräter, der lebenslang in Guantanamo Bay Kuba untergebracht werden müsse. Sobald sie weg sind, kann ich am Wiederaufbau von Albuquerque arbeiten.“
Pena hatte auch am 6. Januar 2021 am Sturm auf das Kapitol teilgenommen. Außerdem war er 2022, nach seiner verlorenen Wahl in den Midterms, unangemeldet in den Häusern der später angegriffenen Demokraten aufgetaucht, um sie davon zu überzeugen, dass er seine Wahl tatsächlich gewonnen habe. Pena wurde nach seiner Festnahme im Januar 2023 angeklagt, auf ein Haus geschossen zu haben, wegen versuchter schwerer Körperverletzung mit einer tödlichen Waffe, Teil einer kriminellen Verschwörung gewesen und als Straftäter im Besitz einer Schusswaffe gewesen zu sein. Insgesamt gibt es 14 Anklagepunkte gegen ihn. Er plädierte Anfang Februar 2023 auf “nicht schuldig”.
Der Fall ist ausgesprochen beunruhigend: Pena als ehemaliger Republikanischer Kongresskandidat bezahlte vier Männer, um auf die Häuser seiner Demokratischen Rivalen zu schießen. Als ob das nicht erschreckend genug wäre, scheint auch die Wahl der Ziele relevant zu sein: Angriffsziel waren nicht etwa die Wahlkampfbüros der Demokraten, sondern ihre privaten Wohnungen, was ihre Familien gefährdete und sogar deren Tötung oder Verletzung in Kauf nahm. Diese Angriffe richteten sich zwar gegen Demokratische Politiker – aber sie zielten auch auf das Herz der amerikanischen Demokratie: die friedliche Machtübergabe nach einer demokratischen Wahl. Der Bürgermeister von Albuquerque, Tim Keller (ein Demokrat), sagte:
„APD [Albuquerque Police Department] hat im Wesentlichen herausgefunden, was wir alle befürchtet und vermutet hatten – dass diese Schießereien tatsächlich politisch motiviert waren. Es handelte sich nicht nur um gefährliche Angriffe auf diese Personen, sondern im Grunde auch auf die Demokratie.“
Und obwohl diese Angriffe schockierend sind, sind sie nicht überraschend. Zwar ist es eine neue Eskalation des Levels politischer Gewalt, dass sie von einem offiziellen Republikanischen Kongresskandidaten angeordnet wurden. Aber ist das nicht die logische Konsequenz der Radikalisierung einer Partei, deren derzeitiger Anführer Donald Trump einem Mob befahl, den Kongress anzugreifen, einschließlich seines eigenen Vizepräsidenten, weil dieser sich seinem Willen nicht beugte?
Wie Natascha Strobl, österreichische Faschismus-Expertin, bei einer Veranstaltung in Wien im Januar sagte: „Der Faschismus verbindet Herrschaft der Elite mit der Macht des Mobs.“ Das wurde am 6. Januar 2021 deutlich. Seitdem haben Vertreter der GOP politische Gewalt – nicht nur die Ereignisse an diesem Tag, sondern im Allgemeinen – weiter in den Mainstream gehoben. GOP-Midterms-Kampagnen enthielten zum Teil kaum verschleierte Androhungen von Gewalt – wie etwa in Blake Masters Wahlkampfvideo, in dem er in der Wüste Arizonas eine Waffe mit Schalldämpfer abfeuerte. Dazu muss man wissen, dass Masters gegen einen Demokratischen Kandidaten antrat, dessen Ehefrau nur knapp einen Kopfschuss überlebt hatte.
Vor einigen Wochen übergab Hakeem Jeffries den zeremoniellen Hammer an den neuen Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy. Nancy Pelosi, seine DemokratischeVorgängerin, hatte sich geweigert, dies zu tun, weil McCarthy ein Jahr zuvor gescherzt hatte, dass er vielleicht nicht widerstehen könnte, sie mit dem Hammer zu schlagen, nachdem sie ihm diesen übergeben habe. Im Dezember machten einige Republikaner Schlagzeilen, als sie sich über den zweiten Angriff innerhalb von zwei Jahren auf Pelosis Leben lustig machten.
Bei diesem Angriff auf ihr Privathaus hatte der Angreifer, der an rechte Verschwörungstheorien glaubt, ihrem achzigjährigen Ehemann mit einem Hammer den Schädel gebrochen, nachdem er Pelosi selbst nicht angetroffen hatte. Der Angriff ereignete sich kaum zwei Jahre, nachdem ein Mob das Kapitol gestürmt und sich „Nancy, wo bist du“-rufend auf die Jagd nach der damaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses gemacht hatte. Den Galgen für sie und Mike Pence hatten sie bereits vor dem Kapitol aufgestellt.
Gewalt ist die Katharsis, die Verschwörungsbewegungen wie QAnon ihren Anhängern versprechen: dass die Übeltäter bestraft werden, in Anlehnung an den „Tag des Seils“ in den “Turner Diaries“ (1978) von William Luther Pierce (unter dem Pseudonym Andrew Macdonald) – ein Roman, der als eine Art Bibel für amerikanische Neonazis fungiert. Die “Turner Diaries” haben in vielerlei Hinsicht eine Blaupause für den Angriff auf das Kapitol geliefert, wie die Historikerin Kathleen Belew argumentiert. Fantasien über öffentliche Hinrichtungen von Politikern waren seit Beginn der Pandemie auch verbreitet unter Covid-Leugnern, die von einem „Nürnberg 2.0“ träumten: einem Tribunal, bei dem die Bösewichte bestraft, Blut vergossen und Unschuldige gerächt werden würden. 2020 hatten White Supremacists geplant, die demokratische Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, wegen ihrer Covid-Politik zu entführen und öffentlich hinzurichten. Und auch die Reichsbürger-Gruppe, die im Dezember 2022 wegen einer Verschwörung in Deutschland festgenommen wurde und von einem “Vierten Reich” träumte und unter anderem den Sturm des Parlaments geplant hatte, fantasierte von einem “Nürnberg 2.0”. Reinigung, Befreiung gar durch das Blutvergießen ihrer politischen Gegner eint rechte Bewegungen weltweit.
Dabei werden die Aussagen rechter Politiker, um die eigenen Anhänger gegen den politischen Gegner aufzuhetzen, immer extremer: Die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, frisch ernannt von McCarthy für das einflussreiche Homeland Security Committee und das Oversight Committee, hatte einer Menge von Anhängern im Oktober 2022 verkündet, dass die Demokraten Todesschwadronen entsandt hätten, die von Tür zu Tür gingen und Konservative und ihre Familien töteten.
Prominente Republikanerinnen wie Elise Stefanik haben die Demokratische Partei als Sammelbecken “Pädophiler“ und „Groomer“ bezeichnet, die es auf Kinder abgesehen hätten. Eine solche Anschuldigung wiegt – auch wenn sie offensichtlich unbegründet ist – schwer,da diejenigen, die sexuelle Übergriffe auf Kinder begehen, zu den universell am meisten verabscheuten Menschen in jeder Gesellschaft gehören. Indirekt nimmt man damit in Kauf, dass viele zumindest wegsehen würden, wenn solchen “Verbrechern” Gewalt angetan würde. Es ist in diesem politischen Klima leider auch keine Überraschung, dass die Angriffe auf LGBTQ-Veranstaltungsorte zunehmen, wobei der tödliche Amoklauf in einem LGBTQ-freundlichen Club in Colorado Springs im November das verheerendste Beispiel ist – vorerst.
Solomon Pena hatte seinem politischen Umfeld genug Warnzeichen gegeben, um anzuzeigen, dass er nicht als Kandidat für die GOP-Nominierung in den Vorwahlen hätte unterstützt werden dürfen, argumentiert die “New York Times”: Pena war nicht nur zweimal von der US-Marine degradiert worden und hatte fast sieben Jahre wegen Einbruchs im Gefängnis gesessen, er glaubte auch an „Verschwörungstheorien über Solarenergie, Feminismus und ‚die dämonischen Theorien der globalistischen Eliten‘“.
Letzteres ist jedoch, wie die “Times” nicht erwähnt, mittlerweile eine Mainstream-Position innerhalb der Republikanischen Partei. Daher sollte es nicht überraschen, dass prominente Republikaner in New Mexico Pena unterstützten – auch finanziell. Der Kommentar des einflussreichen Republikaners Michael Candelaria gegenüber der “Times” bezüglich ihrer Unterstützung für Pena wirft ein Licht auf die Bereitschaft der Partei, die rechtsextremen Ansichten ihrer Unterstützer und Kandidaten zu tolerieren, um politischen Gewinn zu erzielen: „Man nimmt nicht eine Gruppe von Leuten, deren Unterstützung man will, und sagt ihnen: ‚Ihr seid ein Haufen Verrückter‘. Man wird einige Extremisten dabei haben, deren Unterstützung man irgendwie behalten muss.“
Experten haben immer wieder vor der Gefahr gewarnt, die von der in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten zunehmend Gewalt proklamierenden Rhetorik von Vertretern der GOP ausgeht. Eine solche Rhetorik zuzulassen und mit ihr zu kokettieren hat Folgen: Aus Worten können Taten werden, so abgedroschen das klingen mag.
Der Kitt, der all diese Gewaltphantasien zusammenhält, ist der Weiße christliche Nationalismus: Der Glaube, dass die Nation, die „wahren Amerikaner“, einer existenziellen, tödlichen Bedrohung ausgesetzt sind und gegen Feinde verteidigt werden müssen – um jeden Preis. Die ständige Opfer-Erzählung der Rechten ermöglicht es ihren Vertretern, Gewalt als Abwehrmechanismus, gar als Notwehr gegen einen Todfeind darzustellen, der mit bösen Mächten verbündet ist, um ihre „Lebensweise“ zu zerstören – oder ihnen sogar insgesamt nach dem Leben trachtet.
Der Weiße christliche Nationalismus schafft eine “Erlaubnisstruktur” für Gewalt. Diese Gewalt wird zu einem Verteidigungsinstrument, sogar zu einer Notwendigkeit, um zu überleben. Sie ist von Gott geheiligt. Seine höchste Autorität kann nicht angefochten werden, und daher steht die von ihm sanktionierte Gewalt über jeder irdischen Verurteilung. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Autoritäre und Faschisten brauchen in den USA keine Mehrheit, denn jede Opposition wird durch die Bedrohung unmittelbarer Gewalt erstickt.
Republikanische Politiker mögen sich von den politischen Gewaltakten anderer distanzieren, aber sie sind immer noch mitverantwortlich. Sie verbreiten wissentlich Lügen und Verschwörungstheorien, die nicht nur “Erlaubnisstrukturen” schaffen, sondern sogar den dringenden moralischen Imperativ als Botschaft haben, den Gegner Gewalt auszusetzen. Sie konnten sehen, wozu es führen kann. Sie konnten die Nachrichten über diejenigen lesen, deren Leben von QAnon-Gläubigen gewaltvoll beendet wurden; sie haben gesehen und gehört, wie Polizisten am 6. Januar von einem Mob geschlagen wurden, der von Trump geschickt worden war, der behauptete, die Wahl sei ihm gestohlen worden; und sie haben jetzt gesehen, wie einer der Ihren, Solomon Pena, Schüsse auf die Häuser von Demokraten orchestrierte – er war bei mindestens einer der Schießereien anwesend und drängte die von ihm angeheuerten Männer, „niedriger zu zielen“, um die Drohung auch deutlich genug erscheinen zu lassen. Sie versuchen sich von ihrer Mitverantwortung zu distanzieren, behaupten Unwissenheit und zeigen sich entsetzt über die begangene Gewalt – während sie zugleich Lügen verbreiten, die diese Gewalt ausgelöst haben und die Erzählung vorantreiben, die zum Teil zum Blutvergießen geführt hat.
Autoritäre und Faschisten haben keine Mehrheit in den USA, aber mit der großen Lüge haben die Konservativen einen Mythos gefunden, eine Dolchstoß-Legende, die als Instrument der Dämonisierung und Mobilisierung fungiert. Der Religionswissenschaftler Bradley Onishi analysierte letztes Jahr in einem Artikel in Religion Dispatches:
„Indem er die Geschichte der großen Lüge erzählt, legitimiert Trump den Groll seiner Anhänger. Aber es geht noch weiter: Der Mythos legitimiert Gewalt gegen diejenigen, die versuchen, das Land zu ,stehlen’, das die Vorfahren seiner Unterstützer angeblich ,mit ihrem eigenen Mut gewonnen, mit ihrem eigenen Blut verteidigt haben usw.’ Und Trumps Martyrium rechtfertigt zumindest in den Augen der amerikanischen Rechten Selbstjustiz, politische Rache und sogar Bürgerkrieg.“
Und jetzt, da man Vigilantentum, Rache und sogar, wie es der Journalist Jeff Sharlet ausdrückt, einen “langsamen Bürgerkrieg” sieht, ist eines klar: Solomon Penas Geschichte ist kein Zufall und keine Anomalie. Es war eine absolut vorhersehbare Folge eines gefährlichen Spiels, das die GOP seit Jahren mit zunehmendem Eifer spielt.
Dieser Text wurde am 23. Januar von Religion Dispatches auf Englisch veröffentlicht.
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