von Isabella Caldart
Denkt man an die große Zeit der Rom-Coms, fallen einem vor allem zwei Namen ein: Julia Roberts und Meg Ryan, die in den neunziger Jahren Garantinnen für Filmhits waren. „Harry und Sally“ (gut, der ist von 1989), „Schlaflos in Seattle“ und „E-Mail für dich“, „Pretty Woman“, „Die Hochzeit meines besten Freundes“ und „Notting Hill“ sind Klassiker. Die frühen Nullerjahre sahen noch einige Rom-Coms vor allem mit Katherine Heigl, Reese Witherspoon und Kate Hudson in den Hauptrollen – und dann waren Rom-Coms tot. Zwanzig Jahre lang tat sich in diesem Bereich so gut wie gar nichts, bis das Genre dieses Jahr wiederbelebt wurde. Und siehe da: Man versucht, mit der Zeit zu gehen. Viele neue Rom-Coms sind erstaunlich divers und queer.
Rückgang und Weichenstellung
Dass es dieses Loch von zwanzig Jahren gab, hat primär zwei Ursachen. Zum einen gab es eine grundlegende strukturelle Änderung im Filmbusiness: Vor allem bedingt durch den Boom von Superhelden-Franchises, Prequels/Sequels und Blogbustern werden Filmen mit mittlerem Budget von etwa 10 bis 70 Millionen US-Dollar kaum noch produziert. Die Krux ist, dass sie viel teurer sind als Arthouse-Filme, aber anders als Franchises wie „Star Wars“ oder das MCU nicht automatisch Erfolg bedeuten. 1997 kostete laut der New York Times ein durchschnittlicher Hollywoodfilm 60 Millionen, während allein „Avengers: Endgame“ ein geschätztes Budget von rund 400 Millionen US-Dollar hatte. Der zweite wichtige Faktor ist die gesellschaftliche Weiterentwicklung. Filme, in denen weiße, heterosexuelle Menschen eine klassische, monogame Beziehung eingehen, wirken aus der Zeit gefallen. Nicht selten sind zudem die Machtdynamiken und die Art, wie der Mann um die Frau „wirbt“, äußerst problematisch (man denke nur an „Pretty Woman“).
Trotzdem war die Sehnsucht nach Rom-Coms beim Publikum erstaunlich groß; immer wieder gingen Tweets viral, in denen danach gerufen wurde. Und sie wurden erhört: Rom-Coms sind nicht nur zurück, politische Diskurse wurden auch mitgedacht und aufgegriffen – mit unterschiedlichem Können und Erfolg allerdings. Im Folgenden soll es um Filme gehen, die im Jahr 2022 veröffentlicht wurden. Aber zunächst ein paar honorable mentions: Die Highschool-Komödie „Love, Simon“ (2018) hatte einen schwulen Protagonisten und spielte bei einem Budget von 17 Millionen US-Dollar weltweit gut 66 Millionen ein. Ein noch viel größerer Erfolg war die charmante Rom-Com „Crazy Rich Asians“ (2018), der erste Hollywoodfilm seit 25 Jahren, dessen Cast nur aus Asian-Americans beziehungsweise Asiat*innen bestand. Er wurde von einem Großteil der Kritiker*innen hochgelobt und war mit einem weltweiten Einspielergebnis von knapp 239 Millionen US-Dollar auch ein Kassenschlager. Die Weichen für moderne, diversere Rom-Coms waren also gestellt.
„Crush“, „Fire Island“, „Anything’s Possible” und „Ticket ins Paradies”
„Crush“, eine romantische Coming-of-Age-Komödie erzählt von Paige (Rowan Blanchard), die seit sie denken kann in Gabby Campos (Isabella Ferreira) verliebt ist, eins der beliebtesten Mädchen an ihrer Schule. Dann freundet sie sich mit Gabbys Zwillingsschwester AJ (Auliʻi Cravalho) an, die sich wiederum in Paige verknallt. Und Paige steht plötzlich zwischen zwei Schwestern. Das ist ein dramaturgisch sehr klassisches Szenario, das sich vor allem in Highschool-Serien und -Filmen finden lässt: Die Hauptfigur, die sich zwischen zwei Geschwistern oder besten Freund*innen entscheiden muss. Lesbischsein und Coming-Out stellen in dem Film keine Hürde dar, sondern werden als gegeben hingenommen. Die Dramatik rührt allein daher, dass Paige sich in zwei Schwestern verliebt. Das Schöne an „Crush“ ist, dass die Schwestern deswegen nicht zu erbitterten Feindinnen werden. Der Film ist zwar nicht in jeder Hinsicht perfekt, aber er ist trotzdem eine gelungene Highschool-Rom-Com mit überzeugenden Schauspielerinnen, die gute Laune macht.
Ebenfalls an einer Highschool spielt der Film „Anything’s Possible“, das Regiedebüt von Billy Porter. Mit Eva Reign hat der Film eine Schwarze trans Protagonistin. Reign spielt YouTuberin Kelsa, die sich in ihren Mitschüler Khal (Abubakr Ali) verliebt. Der Film hat einige herzerwärmenden Szenen, ist insgesamt aber eher holprig. Das liegt unter anderem daran, dass Reign und Ali ihre Figuren zwar überzeugend spielen, im Zusammenspiel aber leider keine Chemie entwickeln. Dass die beiden sehr schnell ein Paar werden, ist einerseits zwar eine schöne Geste – damit wird insinuiert, dass es für Khal kein Problem darstellt, dass Kelsa trans ist. Andererseits ist das für eine Rom-Com natürlich schwierig, weil den Zuschauer*innen keine Zeit gelassen wird, mitzufiebern. Außerdem verhalten sich sowohl Khals als auch Kelsas Freund*innen aus unterschiedlichen Gründen mehr als fragwürdig, was bis zum Ende des Films nicht wirklich gelöst wird. Positiv zu vermerken ist, dass obwohl Kelsas Gender für Khal kein Thema ist, der Film trotzdem nicht so tut, als sei das gesellschaftlich irrelevant. Insgesamt ist „Anything’s Possible“ ein mittelprächtiger Film, der einige sehr gute Ansätze hat, in der Umsetzung aber unausgereift wirkt.
„Fire Island“ ist eine sehenswerte Rom-Com um eine Gruppe schwuler Männer in ihren Dreißigern. Der Film, eine lose Adaption von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, erzählt von Noah (Joel Kim Booster) und seinen Freunden, die jedes Jahr Sommerurlaub auf Fire Island in der Nähe von New York City machen, seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein beliebtes Ausflugsziel für Schwule. Es ist ihre letzte gemeinsame Woche, da das Haus verkauft wird. Nach einigen Verwirrungen, Herzschmerzen und Partys endet der Film damit, dass nicht nur Noah mit Neubekanntschaft Will (Conrad Ricamora) zusammenkommt, sondern auch die guten Freunde Howie (Bowen Yang) und Charlie (James Scully). Während das Ende etwas klischeehaft ist, macht der Film doch sehr viel sehr richtig. Nicht nur ist der Plot gut ausgearbeitet und nuanciert, der Cast ist auch „racially“ divers, und es werden genuine Freundschaften zwischen (schwulen) Männern gezeigt. Sex in Dark Rooms wird ebenso wie Fragen um Polyamorie thematisiert. „Fire Island“ ist ein Film voller Herz und Humor, und auch das typische Rom-Com-Ende kann man ihm positiv auslegen: Zu oft sterben queere Figuren in Filmen und Serien (siehe die „Bury Your Gays“-Trope) oder haben mindestens traumatische Erlebnisse, und deswegen ist es schön, die Rom-Com so harmonisch enden zu lassen.
Der Erfolg von „Ticket ins Paradies“, der weltweit rund 160 Millionen US-Dollar einspielte, zeigt zwei Dinge: Zum einen gibt es definitiv ein Publikum für Rom-Coms, und zum anderen sind Julia Roberts und George Clooney nach wie vor Hitgaranten. Im Film geht es um ein seit vielen Jahren geschiedenes Ehepaar, das sich jetzt zusammenraufen muss, um die Tochter davon abzuhalten, ihren Urlaubsflirt zu heiraten und auf Bali zu bleiben. Abgesehen von den erwartbar cringey US-Amerikaner*innen-benehmen-sich-im-Ausland-daneben-Szenen (wobei man nach dem „Sex And The City 2“-Fiasko in Hollywood dazugelernt hat), ist „Ticket ins Paradies“ eine solide witzige romantische Komödie, die man durchaus anschauen kann. Der Grund, weswegen „Ticket ins Paradies“ in diesem Text auftaucht, ist das Alter der beiden Protagonist*innen. Roberts und Clooney sind in ihren Fünfzigern, was für Rom-Coms unüblich ist. Zugleich zeigt die Wahl, mit Roberts und Clooney zwei Stars zu casten, die in den neunziger Jahren vor allem für ihre Herz-Rollen bekannt waren, dass es dem Rom-Com-Genre offensichtlich so sehr an Nachwuchs mangelt, dass auf „alte“ Stars zurückgegriffen werden muss.
„Bros“: Hoffnung und Flop
Die große Hoffnung und zugleich große Enttäuschung dieses Jahr war „Bros“. „Bros“ ist die erste queere Rom-Com mit Kino-Release, und entsprechend waren die Erwartungen im Vorfeld hoch. Der Film ist allerdings komplett gefloppt: Weltweit hat er bei einem Budget von 22 Millionen keine 15 Millionen US-Dollar eingespielt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber erst einmal zum Plot. In der Hauptrolle spielt Comedian Billy Eichner (der auch Co-Autor des Films ist) Bobby Lieber, einen Podcast-Host, der einen Job im Kuratorenteam für das erste National LGBTQ+ History Museum annimmt. In einem Club lernt der neurotische Bobby den attraktiven Aaron (Luke Macfarlane) kennen, der – wie Bobby auch – nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung ist. Aber wie es die Rom-Com-Gesetze wollen: Am Ende, nach sehr vielen Ups und Downs, kommen Bobby und Aaron doch zusammen.
„Bros“ hat größtenteils positive Kritiken bekommen, Rotten Tomatoes verzeichnet einen Beliebtheitswert von 88 %. Die wenigen Zuschauer*innen, die den Film kennen, bewerten ihn durchwachsener: Die „Verified Audience“ bei Rotten Tomatoes gibt dem Film zwar eine Zustimmung von 90 %, schaut man sich aber „All Audience“ an, fällt diese auf nur 60 %, ein Wert, der dem von IMDb mit 6,4 von 10 Punkten sehr viel näherkommt. Das Problem ist dennoch nicht die Rezeption des Films – sondern dass ihn kaum jemand gesehen hat. Ein Grund dafür ist die eben erwähnte Erwartungshaltung, die es im Vorfeld gab.
Der Fokus des Marketings lag weniger auf dem Inhalt des Films als auf dessen kultureller Bedeutung, nach dem Motto: Wenn der Film floppt, wird es nie wieder eine queere Rom-Com im Kino geben. Nachdem der Film direkt bei seinem Eröffnungswochenende enttäuschte, schimpfte Billy Eichner auf Twitter über die vermeintliche Homofeindlichkeit, wegen der die Leute fernblieben – und übersah dabei, dass auch queere Zuschauer*innen nicht ins Kino rannten. „Straight people, especially in certain parts of the country, just didn’t show up for Bros”, schrieb er in inzwischen gelöschten Tweets. „Everyone who ISN’T a homophobic weirdo should go see BROS tonight!” Bereits vor der Filmpremiere hatte er Ende September getweetet: „IF YOU’RE NOT A HOMOPHOBIC PIECE OF SHIT, GO SEE BROS!!!” Auch wenn es sich dabei um einen Scherz im Sinne von Eichners intensiver Persona handeln mag – „Bros“ zu schauen wurde damit politisch stark aufgeladen, statt den Kinobesuch als angenehme, lustige Freizeitaktivität zu verbuchen, wie es sein sollte.
Ein weiterer Grund für den Flop wird sein, dass „Bros“ am 30. September in die Kinos kam, und in den USA gilt der Oktober, der Halloween-Monat, als „Spooky Season“, in der vor allem Horrorfilme geschaut werden. Dass „Bros“ außerdem ein R-Rating bekam, also für Zuschauer*innen unter 17 Jahren als ungeeignet gilt, und keine bekannten Schauspieler*innen hat, half ebenfalls nicht. Auch wenn Billy Eichner vor allem denjenigen, die viel online sind, inzwischen ein Begriff ist, hat er nicht annähernd eine vergleichbare Starpower wie andere Schauspieler*innen, die sonst Kinofilme headlinen. „The Lost City“ unterdessen, ein Film, der etwas großzügig betrachtet eine Rom-Com ist, spielte im Frühjahr dieses Jahres mehr als 190 Millionen US-Dollar ein. In den Hauptrollen: Sandra Bullock und Channing Tatum.
Auch inhaltlich ist „Bros“ ist sehr viel holpriger im Vergleich zu etwa „Fire Island“. Der Versuch, via des queeren Museums im Film nicht-queere Zuschauer*innen über queere Geschichte aufzuklären, ist teils platt geraten. Und während Themen wie Polyamorie eine relevante Rolle spielen, wandelt sich gerade Anti-Beziehungs-Mensch Aaron im Laufe des Filmes so sehr, dass er in der letzten Szene Bobby sogar (im Spaß) hinterherrennt, um über potentielle Kinder zu reden. Das größte Problem ist aber, dass Billy Eichner zu sehr im Fokus des Films steht. Seine latent laute Art funktioniert in den Kurzclips von „Billy on the Streets“, in denen er Passant*innen anhält und ihnen schnelle Fragen stellt, wird auf knapp zwei Stunden aber zunehmend anstrengend. Man muss dem Artikel in der Los Angeles Times recht geben, dessen Überschrift lautet: „It’s OK to let gay art bomb“.
Was erwarten wir von Rom-Coms?
Das Ende von „Bros“ wirft eine größere Frage auf: Was erwarten wir eigentlich von Rom-Coms? Das Muster, nach dem diese Filme aufgebaut sind, ist immer sehr ähnlich – so schematisch, dass es sogar einen Eintrag in Merriam-Webster gibt: „a light, comic movie or other work whose plot focuses on the development of a romantic relationship.“ Das Narrativ einer Rom-Com ist per definitionem also um das Konzept Monogamie herum erzählt, die Hürden stellen zumeist Eifersucht beziehungsweise Liebes-Missverständnisse dar und führen zum Ziel, am Ende eine (Zweier-)Beziehung einzugehen. Natürlich gibt es viele queere monogame Beziehungen, das soll hier gar nicht infrage gestellt werden; einer sehr traditionellen Beziehungsvorstellung bleibt man in diesen Filmen trotzdem treu. Auch wenn „Bros“ und „Fire Island“ dadurch, dass polyamoröse Verhältnisse diskutiert werden, zumindest versuchen, diese Konventionen aufzubrechen, bleiben sie ihnen mit ihren finalen Szenen trotzdem treu. (Im Fall von Noah und Will steht zumindest die Möglichkeit einer polyamorösen/offenen Beziehung im Raum.) Die Filme sind nicht heterosexuell, aber oft noch in heteronormativen Strukturen. Wobei „Bros“ dem mit der Erwähnung der Kinderfrage natürlich noch das Weiße-Gartenzaun-i-Tüpfelchen aufsetzt.
Die romantischen Komödien, die dieses Jahr veröffentlicht wurden, zeigen, dass es durchaus die Bereitschaft gibt, die starren Strukturen dieses Genres aufzubrechen und ihm neue Geschichten, Nuancen, Hürden und Perspektiven zu verleihen. Es bleibt aber eine Zwickmühle ohne Ausweg. Denn gerade für das unvermeidliche Happy End gibt es keine gute Lösung. Eine wäre vielleicht, dass die Hauptfigur mit den Freund*innen und der Wahlfamilie glücklich ist, nicht mit einer Partner*in. Doch ist eine Rom-Com, die nicht darauf abzielt, dass die beiden Protagonist*innen am Ende zusammenkommen, überhaupt noch eine Rom-Com? „Bros“ ist zwar gefloppt, aber queere und diverse Rom-Coms sind trotzdem gekommen, um zu bleiben. Wir dürfen gespannt sein, was sich Drehbuchautor*innen in Zukunft noch ausdenken werden.
Foto von Nicola Fioravanti auf Unsplash