Schlagwort: Essay

„Hoffentlich ist es dann nicht zu spät“ – Ein Stolpertext

von Victor Sattler

Im Exil könnten sie wieder vereint sein, hofften die zwei jüdischen Männer. Was sich Robert Bachrach und Leo Hochner zwischen 1938 und 1944 schrieben, wissen wir nicht im Detail. Ihre Beziehung ließ sich für diesen Text nur auf Umwegen und über Angehörige rekonstruieren.

Für die ‚Stolpertexte‘ arbeiten Autor*innen mit dem Leo Baeck Institut zusammen, das die Nachlasse deutschsprachiger Jüdinnen und Juden bewahrt. Die Briefe von Robert Bachrach an die Feitlers und die Briefe von Leo Hochner an die Feitlers werden hier im Original zitiert, manche Passagen sind leicht gekürzt. Das fiktive Gespräch der Familie Feitler basiert lose auf Briefen und Airgraph-Nachrichten.

1     New York

Das Telefon der Feitlers klingelte seit Roberts Tod „ohne Unterlass“, heißt es in einem Brief aus dem April 1944. Sagen wir, es klingelte alle zehn oder fünfzehn Minuten von Neuem. Es hielt Loni also mit Sicherheit davon ab, zumindest tagsüber ein paar Stunden zu schlafen, nachdem sie die letzte Nacht hindurch wachgelegen hatte. Sie war eine ältere Dame, war erst kürzlich Großmutter geworden und konnte die Aufregung nicht gut vertragen. Sobald der Anrufer seine wahren Beweggründe zu erkennen gab, musste Loni ihn abwimmeln. Sie hängte geräuschvoll den Hörer auf. „Diese Klatschmäuler“, sagte sie, „lassen nichts unversucht. Das einzig Gute ist, dass Robert diesen Skandal um seine Person nicht mehr erleben muss.“

Ihr Ehemann Paul nickte traurig. Er saß auf dem Fußboden bei Cathy, der kleinen Enkelin. Paul bot sich während des Kriegs so oft wie möglich als Babysitter an, um Cathys Eltern zu entlasten. Das war von Paul nicht ganz uneigennützig, denn er fand die Zeit mit seiner Enkelin so tröstlich. Er hatte Robert einmal als seinen „besten Freund in New York“ bezeichnet und sich nie an dessen Homosexualität gestört. Nun waren die Feitlers so etwas wie Roberts einzige Hinterbliebene; bei ihnen meldeten sich alle Leute, die unter Schock standen und nach der Todesursache fragen wollten, weil sie es sich nicht erklären konnten.

Trotz des Dauerklingelns waren die Feitlers sehr hellhörig für den Aufzug in ihrem Wohnhaus. Um vier Uhr nachmittags kam ihre Tochter Elisabeth Gay, nun waren alle drei Generationen versammelt. Elisabeth trug einen Regenmantel und -schirm, sie war bei typischem Aprilwetter einmal quer durch den Central Park gelaufen. An der 104. Straße befand sich die Wohnung der Feitlers mit Parkblick. Hier hatten sie sich nach ihrer Flucht aus Wien ein neues Leben aufgebaut.

Loni kochte als erstes einen starken Kaffee, und Paul berichtete von den gemeinsamen Stunden mit Cathy, um die Stimmung zu heben. „Sie war heute wieder so lustig und fröhlich, sie macht ihrem Nachnamen Gay wirklich alle Ehre“, lobte Paul. „Dann wollen wir dafür sorgen, dass es so bleibt“, sagte Elisabeth. Mit ihrer Tochter auf dem Schoß hatte sie zwei Hände frei, die sie ihr auf die Ohren legen konnte, wenn das Gespräch auf Robert kam. Cathy reagierte mittlerweile auf jede Erwähnung seines Namens mit einer neugierigen Kopfbewegung. Sie konnte sich später als erwachsene Frau daran erinnern, wie oft Roberts Name in ihrer Familie fiel und was er jedes Mal auslöste.

Vor ein paar Wochen, als Elisabeth ihm zum letzten Mal begegnet war, hatte er noch einen gesunden Eindruck auf sie gemacht. Auf dem Totenschein war von einer diffusen Herz-Nieren-Erkrankung die Rede. Davon hatte er ihnen nie etwas erzählt. Vielleicht war es sehr plötzlich geschehen, dachte Elisabeth. Er war Jahrgang 1879, das heißt, er wäre im November dieses Jahres erst 65 geworden, und 65 war doch kein Alter.

Ihre Eltern schwiegen eine Zeitlang. „Wir haben uns in den letzten Wochen schon manchmal Sorgen um Robert gemacht“, sagte Loni schließlich, „ich wünschte, wir wären diesem Instinkt stärker nachgegangen.“ Sie stand auf, mit einer großen Last auf ihren Schultern, um etwas aus ihrem Schlafzimmer zu holen. Sie brachte ein Kuvert, auf dem eindeutig Roberts Handschrift zu erkennen war.

Elisabeth war eine leidenschaftliche Autorin. Wenn sie keinen Brief zu beantworten hatte, schrieb sie Essays und Kurzgeschichten, die ausdrücklich für die Nachwelt bestimmt waren. Fast immer ging es darin um reale Personen, meistens um solche, die ihr persönlich nahestanden. Elisabeth kannte die genauen Lebensumstände vieler jüdischer Familien im amerikanischen Exil, sie erkundigte sich bei allen nach ihrem Wohlergehen. So entging ihr nichts, kein Klatsch und keine lebensverändernden Umbrüche. Da Elisabeth den engsten Briefkontakt zu Robert gepflegt hatte, konnte sie sich jetzt kaum vorstellen, dass Loni ihr etwas Neues über ihn eröffnen könnte.

2     Zwischen Wien, Budapest, London, New York

Am Anfang hatten sich Loni und Paul Feitler mit Dr. Robert Bachrach angefreundet. Er gehörte ihrer Generation an, nicht Elisabeths. Er arbeitete als Urologe und Chirurg im 8. Bezirk von Wien, war 1,70 Meter groß, mit blauen Augen und braunen Haaren, war fleißig und hatte eine förmliche Ausdrucksweise. Obwohl er mit Loni und Paul all die Jahre per ‚Sie‘ blieb, fand er in den Feitlers eine Wahlfamilie, die ihn akzeptierte: Hier war eine jüdische Familie, die in ihrer Einstellung bereits so großzügig und modern war, und das zu einer Zeit der allgemeinen Ächtung von Homosexualität in Europa. Im Herbst 1938, ein halbes Jahr nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, schrieb Robert wieder einen Brief aus Wien nach New York. Er schilderte, wie sehr seine Zukunftspläne sich jetzt in der Schwebe befanden.

Robert schrieb: »Nach den letzten Entscheidungen gehöre ich zu den Ärzten, denen die Behandlung von nicht-arischen Patienten bewilligt wurde; ob man mir dazu gratulieren kann, wird sich erst herausstellen. Jedenfalls bin ich nicht zum absoluten Nichtstun verurteilt und wäre sonst gezwungen gewesen, anderenfalls meine Emigration vorzeitig zu forcieren, was heute ja fast nicht möglich ist.«

In jedem Halbsatz steckte ein anderer Zwang. Roberts Kundschaft war zwar drastisch verkleinert, aber ein Rest an Struktur und Sinn blieb ihm erhalten. Er schien zwiegespalten darüber zu sein, dass er das fast-nicht-Mögliche vorerst noch nicht versuchen müsste. Da die Feitlers zu dieser Zeit bereits emigriert waren, sorgten sie sich um jüdische Freundinnen und Freunde, die in Wien geblieben waren. Bald pflegte Robert vor allem eine Brieffreundschaft zur jungen Elisabeth, schickte ihr Bücher und Bilder über den Atlantik:

Robert schrieb: »Mein liebes Mädi (Fräulein Elisabeth)! Ich glaube, wir schaffen das Mädi ab, weil Du schon zu erwachsen dazu bist. Es lässt sich denken, dass Du mit Briefeschreiben ebenso viel zu tun hast wie ich, weil wir doch alle die Hälfte unseres Daseins mit dieser Erinnerungsarbeit zubringen.«

Elisabeth bildete den Knotenpunkt eines ganzen Netzes an Brieffreundschaften. Zum Beispiel unterhielt sie auch einen regen Kontakt zu dem Wiener Architekten namens Leo Hochner, der 1938 nach Budapest geflohen war und mit dem Robert bestens vertraut war. Fast hätte Elisabeth beim Beantworten ihrer Briefe durcheinanderkommen können, denn jeder Brief von Leo aus Budapest begann Monat für Monat mit der gleichen Anrede wie Roberts Briefe aus Wien: Mein liebes Mädi. Ob die beiden Männer wohl voneinander wussten, dass sie Elisabeth auf die gleiche Weise ansprachen?

Leo schrieb: »Mein liebes Mädi! Ich erhielt heute einen sehr ausführlichen und lieben Brief von Mutti, auf den ich morgen antworten will. Dir will ich heute nur für Deine Einladung zu der amerikanischen Ice-Cream herzlichst danken, in der Hoffnung, in nicht allzu langer Zeit die Möglichkeit zu haben, dieser Einladung auch Folge leisten zu können. Ich freue mich unendlich über den heiteren Ton in Deinen Mitteilungen und schliesse daraus, dass Dir der Aufenthalt in der neuen Heimat nicht so schwer fällt wie den vielen anderen Leidens- und Schicksalsgenossen.

Der einzige Lichtblick war vorgestern die Mitteilung von Robert, dass er endlich nach vielen nervenaufreibenden Wochen seinen Auswanderer-Pass erhalten hat und somit die Möglichkeit besitzt, in kurzer Zeit das Land zu verlassen. Dass man ihm sein ganzes Vermögen abgenommen hat und er als Bettler hinausgeht, müsste ich eigentlich gar nicht erwähnen, denn das ist ja die Regel. Er geht über die Schweiz, wo ich ihn hoffentlich treffen werde, nach England, wohin er zunächst ein dreimonatliches, aber verlängerbares Permit hat. In der Zwischenzeit hofft er, die Einreise nach Kalifornien zu erhalten. Du kannst Dir vorstellen, dass mir diese Perspektive auch nicht als das Ideal meiner Lebensziele und Wünsche erscheint, aber man wird jetzt von den täglichen Sorgen so in Anspruch genommen und zermürbt, dass man die Spannkraft verliert, sich auf so lange Sicht Vorstellungen von der Zukunft zu machen.«

Die Spannkraft verlieren, so nannte Leo es. Er musste wohl selber gemerkt haben, wie verändert er war. Es war schwer zu sagen, welche Lebensziele und Wünsche er hatte, die nun in weite Ferne gerückt waren. Er war eigentlich ein leichtherziger Charakter, fast wollte man ihn sogar als leichtlebig bezeichnen; jedenfalls viel leichter als Robert. Vor seiner Flucht aus Wien hatte er reinrassige Dackel gezüchtet, von denen er nur zwei Welpen mit nach Budapest bringen konnte. Zu ihrem 12. Geburtstag hatte er Elisabeth ein Dackelweibchen mit einem langen adligen Namen geschenkt und ihr erlaubt, es einfach nur kurz „Mirli“ zu rufen. Diese Anekdoten würde Elisabeth später immer wieder haargenau so erzählen, bis ins kleinste Detail. Alle Geschichten aus der Zeit vor ihrer Flucht waren wie geronnen.

Wenn Leo zu den Feitlers nach Hause kam, war Mirli ihm ein willkommener Vorwand. Dass er keine eigenen Kinder hatte, schien er manchmal sehr zu bereuen. Elisabeth erkannte das und wusste seine Freundschaft genau in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie nannte Leo ihren Wahlonkel und ein wandelndes Lexikon, weil er so bewandert war. Sein Weltwissen war gar nicht trocken. Legendär war zum Beispiel dieser eine unvergessene Sommertag, als Elisabeths Mutter Loni aus ihrem Roman aufsah und in die Runde fragte, was man sich denn unter einem „Bauchtanz“ vorzustellen habe. Leo stand auf und machte es ihnen vor. Das beschrieb Elisabeth in ihrem Tagebuch. Er war ein außergewöhnlich guter Tänzer, schrieb sie. In Budapest konnte er zum Glück in der Textilfabrik seines Bruders Artúr Hochner arbeiten, auf der Szentendrei-Straße im 3. Bezirk.

Währenddessen war es Robert gelungen, über die Schweiz nach England zu kommen, um in London seine nächsten Schritte zu planen. Er verschickte nun Briefe in beide Richtungen seines Weges: in eine mögliche Zukunft in den USA und in seine Vergangenheit auf dem europäischen Festland.

Robert schrieb: »Von Leo habe ich ziemlich regelmäßig Nachricht. Es ist die einzige Verbindungsmöglichkeit mit meinen Schwestern und mir auch deshalb so wichtig; er schreibt ganz regelmäßig, Du kannst dir vorstellen, was das für ihn für ein Opfer sein muss. Stehst Du wieder mit ihm in Verbindung?« 

Und Leo schrieb: »Der Eindruck, den Du aus Roberts Brief gewonnen hast, dass er ständig in England zu bleiben gedenkt, ist nicht ganz richtig, denn ich habe ihm in meinen letzten Briefen schon geschrieben, dass ich es für besser halte, wenn er die Möglichkeit, nach U.S.A. zu kommen, nicht ungenützt lässt. Ich komme leider langsam selbst zu der Überzeugung, dass es in Europa fast unmöglich ist, sich eine neue Existenz zu gründen, wenn man einmal gewaltsam entwurzelt wurde. Was mich bisher abgehalten hat, mich intensiver mit dem Gedanken an die U.S.A. zu befassen, ist die Tatsache, dass Robert und fast meine ganze Familie noch am Kontinent ist und ich das Gefühl habe, dass meine Anwesenheit für alle notwendig ist, so dass der, an den ich zuletzt denken darf, ich selbst sein werde. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.«

Das war ein bemerkenswerter Brief von Leo. Er korrigierte Elisabeths Interpretation von Roberts letzten Briefen. Er legte Rechenschaft über all die Verstrickungen der letzten Monate ab. Elisabeth blieb an einer Stelle hängen, die sie sich unterstrich:

»die Tatsache, dass Robert und fast meine ganze Familie noch am Kontinent ist«

Dieser beiläufige Nebensatz war im Singular abgefasst. Es war keine Aufzählung all derer, die noch in Europa waren. Leo zählte Robert zu seiner Familie. Einst enge Vertraute in Wien, die durch Leos Emigration getrennt worden waren, standen die zwei Männer nach all dieser Zeit noch immer in Kontakt und nahmen starken Einfluss auf den Weg des jeweils anderen:

Leo gestand: »Ich habe immer Robert zugeredet, die Verwirklichung seiner Überseepläne zu verschieben. Ich halte aber selbst im Falle einer baldigen Beendigung des Krieges die Situation in Europa für wenig aussichtsreich und es ist sehr leicht möglich, dass ich in Verfolgung dieses Gedankenganges mich auch selbst nach U.S.A. orientieren werde.«

Nun war Robert dazu angehalten, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Leos Stimme in seinem Ohr hatte ihre Meinung geändert. Aus dem Zuraten zum Verschieben war plötzlich ein Zuraten zum Verwirklichen geworden. Im Oktober 1940 war es so weit. In Liverpool ging Robert an Bord der S.S. Northern Prince. Ihr Zielhafen war New York – die neue Heimat der Feitlers und so vieler anderer jüdischer Emigrant*innen. Wenn es ihnen dort wirklich so gut ergangen war, wie Elisabeth in ihren Briefen ja eindrücklich geschildert hatte, ohne jemals etwas auszulassen, warum dann nicht auch ihm?

the name of my wife or husband is ——————————

Robert konnte lesen und schreiben, wie alle Passagier*innen auf seinem Schiff. Er gab an, die deutsche und die englische Sprache zu beherrschen. Er kam aus Wien, Deutschland, aber er war geboren in Wien, Österreich, so stand es auf dem Papier. Er war nicht verheiratet, hatte keine Kinder. Dahinter blieben auf dem Formular viele Zeilen frei. Bis auf Robert waren alle ledigen Personen auf seinem Schiff selbst noch Kinder.

3     New York

Für den Anfang durfte er bei den Feitlers wohnen, um sich in Amerika einzugewöhnen und leichter eine Bleibe zu finden. Das war für ihn eine große Erleichterung. Die vorige Wohnung der Feitlers war ebenfalls auf der Upper Westside, nur ein paar Häuserblocks weiter: Sie wohnten alle zusammen in 355 Riverside Drive. Das konnte man sich gut merken. Es hatte sich bei jedem erneuten Formular, das Robert ausfüllen musste, so schön für ihn gereimt. Er benötigte auch eine „Person, die immer meine Adresse kennen wird“, und er nannte dafür seinen guten Freund Paul.

Im Frühjahr 1941 wurde Robert in New York eingebürgert:

(14) Es ist meine Absicht nach Treu und Glauben, ein Bürger der Vereinigten Staaten zu werden und dort permanent wohnhaft zu sein.

(16) Ich bin kein Anarchist, auch kein Anhänger der gesetzwidrigen Beschädigung oder Zerstörung von Eigentum, oder der Sabotage: auch kein Gegner von organisierter Regierung; auch kein Mitglied in jeglicher Organisation oder Gruppe, die sich gegen eine organisierte Regierung stellt. So wahr mir Gott helfe.

Von den Gesetzen geschützt, statt schikaniert zu werden – das war das Versprechen, das Amerika als gelobtes Land für viele traumatisierte Emigrant*innen einlösen konnte. Robert hätte sich die gleiche Hoffnung gemacht. Er fasste langsam Fuß in der neuen Stadt, baute sich ein soziales Netz auf. Er verließ das Zuhause der Feitlers und zog in die 79. Straße, wie aus seinen Gerichtsunterlagen hervorgeht: „308-E79St“, steht als Adresse mit einem spitzen Bleistift hinter dem speckigen Einband des Gerichtsbuchs notiert.

In der Nähe gab es eine Schwulenbar, die Robert in seinem neuen Leben gern besuchte. Im Februar 1944 war sie das Ziel einer Polizeirazzia mit einigen Festnahmen. Robert wurde dem Richter Charles Ramsgate vorgeführt. Am Amtsgericht gab es keine Jury und in dieser Sache auch keinen Kläger, nur einen Polizisten namens Campbell. Robert wurde vor die Wahl gestellt zwischen 15 Tagen Zuchthausstrafe oder einem Bußgeld in Höhe von 50 US-Dollar. Dass er letztlich das Geld zahlte, wurde dort mit einem Häkchen bestätigt.

Die nationalsozialistische Propaganda im Deutschen Reich hatte Homosexualität immer wieder als ein jüdisches Laster bezeichnet. In den Ausgaben des „Stürmers“ wurden Juden mit ihrem Foto und Namen zusätzlich noch als Homosexuelle und Sittlichkeitsverbrecher angeprangert, die die Jugend gefährdeten. Gegen homosexuelle Juden konnten härtere Gerichtsurteile erlassen werden, auch mithilfe der Nürnberger Gesetze. Ihre Deportation wurde oftmals durch ihr Vorstrafenregister erleichtert, ihre Ausreise hingegen durch ihre Einträge ins polizeiliche Führungszeugnis vereitelt. In den Konzentrationslagern waren diese Männer mit einem doppelten Winkel gekennzeichnet (der rosa und der gelbe Winkel, zu einem Davidstern kombiniert) und wurden auffällig oft in den Krankenbau eingeliefert. Sie waren als die „175er“ bekannt, nach dem Paragrafen 175 des Reichsstrafgesetzbuches benannt.

Währenddessen war es im New Yorker Strafrecht die Sektion 722, Abschnitt 8 (unter der Überschrift „Entartung“), die männliche Homosexualität als „Verbrechen gegen die Natur“ ahndete. Zwischen 1923 und 1966 kam dieser Paragraf bei schätzungsweise mehr als 50.000 Männern zum Einsatz. Sie erhielten Geld- oder Haftstrafen, und viele verloren danach ihren Job. Robert Bachrach war einer dieser vielen, ohne in jeder Hinsicht wie sie zu sein. Der spezifische Ablauf war ihm ganz eigen, wie jedem einzelnen der vielen anderen auch. Robert wurde nach dem Gerichtsurteil wegen „moralischer Verwerflichkeit“ aus der New York County Medical Society ausgeschlossen. Er hatte also innerhalb weniger Jahre seinen Arztberuf zweimal, in zwei Ländern und aus zwei verschiedenen Gründen verloren.

4     Budapest

Leo heiratete in Budapest eine Jüdin namens Vera. Im März 1944 besetzten deutsche Truppen Ungarn. Wenige Tage später begann unter der Leitung von Adolf Eichmann und im Zuge der „Endlösung“ die massenweise Verfolgung und Vernichtung der ungarischen Jüdinnen und Juden. Für Leo und Vera erschwerte das ihren Plan, gemeinsam in die USA auszureisen. Um nur überleben zu können, musste sich Leo in der Textilfabrik seines Bruders eine deutsche Uniform anfertigen lassen, die er auf offener Straße tragen konnte; mit gefälschten Papieren, die ihn als Christen und NSDAP-Mitglied auswiesen, und mit nur gekauften Tapferkeitsorden.

Elisabeth schrieb in ihr Tagebuch (und in vielen anderen Zeitzeugnissen ist ebenfalls glaubhaft überliefert), dass Vera und Leo Hochner ein Versteck bei sich einrichteten. Auf dem Dachboden ihrer Wohnung in der Sas-Straße im 5. Budapester Bezirk fanden bis zu sieben Menschen gleichzeitig Platz. Hier kamen Jüdinnen und Juden unter, die aus dem Pester Ghetto geflohen waren oder die Leo von der Straße reingeholt hatte. Ein befreundeter Kinderarzt namens Géza Petényi versteckte Dutzende jüdische Kinder auf seiner Krankenstation. Bei Überfüllung durften einige Kinder zu Leo und Vera kommen.

Dr. Petényi brachte regelmäßig Medikamente und Hygieneartikel vorbei. Vera und Leo trugen dreimal am Tag Essen nach oben. Wenn keine Gefahr bestand, konnten ihre Schützlinge den Dachboden verlassen, um die Glieder zu strecken, ein Bad zu nehmen oder ein Buch zu lesen. Elisabeth schrieb dazu in ihr Tagebuch: Man könnte das hier alles für ein einziges großes Lügenmärchen halten, wenn man ihren Onkel Leo nicht kannte.

Dass Leo und Vera in Budapest blieben, war also einerseits den äußeren Umständen geschuldet und zeugte andererseits von Mut und Selbstlosigkeit. Wenn Robert doch nur hätte wissen können, was sie mit ihrem kleinen Versteck in Budapest leisteten, müsste er sich im April 1944 vielleicht nicht so verlassen fühlen, oder vielleicht entziehen sich Gefühle einer solchen Logik.

Im Herbst 1944 wurde Vera schwanger. In die USA kam die frisch gegründete Familie Hochner erst in den 50er-Jahren. Das war lang nach Kriegsende und nur im Rahmen eines Urlaubs. Sie besuchten die Familien Feitler und Gay in New York, sobald ihr kleiner Sohn Robert alt genug für diese Reise war.

5     New York

Loni bewahrte in ihrer Kommode Robert Bachrachs letzten Brief auf. Er war an sie adressiert, nicht an Elisabeth. Sie überreichte ihn ihrer Tochter und sagte, „diese Tragödie wäre vermeidbar gewesen“. Spätestens jetzt zweifelte Elisabeth an der Erkrankung als Todesursache.

Roberts Briefe aus Europa waren nur ein schlechter Ersatz für ein echtes Gespräch mit ihm gewesen, nie hatte Elisabeth nachhaken können, wie er etwas meinte, jede Antwort ließ auf sich warten und setzte an einem ganz anderen Punkt der Flucht wieder an. Und nun stellte sich also heraus, dass er ihr auch in seiner New-York-Zeit, als Person aus Fleisch und Blut, wohl nicht immer alles erzählt hatte, was in ihm vorgegangen war. In Zukunft blieb ihr nur noch diese stumme Begegnung mit Robert auf dem Papier. Es ist ein Abschiedsbrief, und es gibt ein paar schwer leserliche Stellen darin:

Robert schrieb: »Meine liebe Loni, meine Stunde hat geschlagen, und ich will Ihnen gegenüber noch weniger undankbar erscheinen als zu irgendjemand anderem. Denn Sie haben ein solches Übermaß von Güte an mich verschwendet in diesen letzten Jahren, dass ich es Ihnen niemals hätte danken können. Und nur durch Sie, sowie durch Pauls und Elisabeths Einstellung zu mir, war es mir möglich, durch die letzten wahrlich schweren Jahre aufrechten Ganges durchzuhalten. Aber Sie haben mir noch [weit?] mehr geholfen durch Ihr tiefes Verständnis für meine [persönlichen Sorgen?], durch Ihre niemals ausgesprochene und doch so deutliche Teilnahme an der Sehnsucht nach [denjenigen?], die mich hier allein stehengelassen haben. Denn dadurch habe ich mich doch immer wieder verlassen gefühlt.

Wenn Sie den Leo noch je im Leben wiedersehen sollten, so sagen Sie ihm, dass ich bis zur letzten Minute meines Daseins seiner gedacht habe. Haben Sie Dank, Robert.«

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Vorsicht mit dem Porzellan

von Sontje Liebner

„Bloß nicht fallen lassen“, schießt es mir durch den Kopf. Behutsam räume ich die 12 Tassen, Teller, Kännchen & Co. aus dem Umzugskarton. Das weiße Porzellan ist hauchdünn, durchscheinend, es wirkt kostbar, wie aus der Zeit gefallen. Ganz anders als mein restliches Geschirr, das bunt ist, robust und vor allem: spülmaschinenfest. Ich schäle eine weitere Tasse aus vielen Schichten Küchenpapier, steige auf die Leiter und schiebe das fragile Familienstück ganz nach hinten in meinen Küchenschrank. Aus den Augen, doch nicht aus dem Sinn.

Der Weg von der Küche meiner Großeltern bis in meine war weit, von einer Kleinstadt im nördlichen Niedersachsen bis nach Berlin. Alles begann mit einem WhatsApp-Foto, gesendet von meiner Mutter: „Hast du Interesse an Giselas chinesischem Teeservice?“ Auf den Bildern zu sehen sind fein säuberlich gestapelte Tassen und Tellerchen in der Vitrine meiner Großeltern. Goldränder, üppige Vegetation und weite Landschaften. Bunte Figuren, Frauen mit schwarzen Haaren, festlichen Gewändern und gesenktem Blick. Stereotypische asiatische Darstellungen. Müsste ich die fantasievolle Bemalung in einem Wort zusammenfassen, wäre das wohl: exotisch. Alles in mir sträubt sich dagegen. Möchte ich etwas annehmen, das fernöstliche Klischees reproduziert? Nein, eigentlich nicht. Die Antwort an meine Mutter: „Ich nehme es sehr gerne.“ Mein Forscherinnengeist ist geweckt. Wieso steht bei meinen Großeltern ein vermeintlich chinesisches Teeservice? Woher mein innerer Widerstand – und kann ich diesen vielleicht sogar produktiv nutzen? Also, raus aus der Komfortzone, rein in die Recherche.

Wie zu Omas Zeiten

Ich telefoniere mit meiner Oma. Gisela ist im Umzugsstress. Das alte Haus mit großem Garten wird geräumt. Vieles muss weichen, wenn sich der Lebensraum verkleinert. Alte Schätze wie das Teeservice werden wiederentdeckt, anderes bleibt verschwunden. „Vielleicht taucht die Kanne noch auf“, überlegt Oma. Das Kernstück aus Porzellan ist unauffindbar. Das war mir bisher entgangen – doch natürlich gehört eine Kanne zum Kännchen.

Eigentlich hätte ich das wissen müssen. Mein Großvater ist Ostfriese und auch meine Großmutter ist im äußersten Nordwesten Niedersachsens aufgewachsen. In der Region Ostfriesland ist das Land flach, die Brise steif und die Sprache platt. Eine weitere Eigenheit ist die Liebe zum Tee. In Ostfriesland trinkt jede Person circa 300 Liter im Jahr. Die ostfriesische Teezeremonie gilt sogar als immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Meine Oma dazu ganz pragmatisch: „Die Ostfriesen, die trinken immer Tee.“

Was ich bisher auch nicht wusste: Die ostfriesische Teezeremonie ist bis ins Detail durch orchestriert. Erst kommt ein Stück Kluntje in die Tasse – großer brauner oder weißer Kandis –, dann wird der Tee aufgegossen. „Der [Kluntje] muss fast aus dem Tee rausgucken“, merkt meine Oma an. Der bzw. die Gastgeber*in schenkt sich zuerst ein. Ist der Tee für die Gäste gut genug? Dann wird etwas Sahne mit einem kleinen Löffel, dem „Rohmlepel“, an den Tassenrand gestrichen. Hell trifft auf dunkel und hinterlässt eine „Wolke“, die „Wulkje“. Wichtig ist, dass die Sahne gegen den Uhrzeigersinn in die Tasse gegeben wird. Als Symbol dafür, dass die Zeit stehen bleibt. Denn Teezeit bedeutet Auszeit. Die Zuckerkristalle knistern, umgerührt wird nicht. Geschlürft wird Schicht für Schicht, so schmeckt der Tee erst mild, dann herb, dann süß – der ostfriesische Dreiklang. Für mich neu: „Dree is Oostfresenrecht“[1], drei Tassen sind Ostfriesenrecht. Die Tassen sind klein, nachgefüllt wird oft. Wer nicht mehr möchte, legt den Löffel in die Tasse. Dieser Brauch ist mir bekannt.

Blut ist dicker als Teewasser

Ich selbst trinke im Alltag selten Tee, Kaffee umso häufiger. Fairtrade aus der Bialetti mit Hafer-Soja-Barista. Lieber eine Tasse statt zwei, lieber vor statt nach 16 Uhr, lieber nicht auf leeren Magen, aber oft halt doch. Kaffee ist der Stoff, der mich durch den hektischen Alltag treibt. Damit bin ich nicht allein, Kaffee ist in Berlin der wohl kleinste gemeinsame Nenner. Der starke Stoff macht wach, ist wahlweise süß oder bitter und passt in das moderne Leben. In meinem Umfeld scheint schnöder Tee vom Aussterben bedroht, verdrängt von Cold Brew, Kombucha und Bubbletea. Ein Blick aus meiner Bubble in die weite Welt zeigt: Das ist Quatsch. Tee ist das am zweithäufigsten konsumierte Getränk überhaupt.[2]

Wenn ich meine Großeltern besuche, wird stets Ostfriesentee serviert. Das gehört einfach dazu, ein Ritual des familiären Beisammenseins. Auch bei meinen Eltern gibt es täglich schwarzen Tee. Vormittags, nach dem Aufstehen, den „Elführtje“. Und nachmittags, zur geselligen „Teetied“. Ich verbinde damit ein Gefühl von Heimat. Tee hat auf mich den gleichen Effekt wie Prousts Madeleines, nur gibt es in Ostfriesland Krollkuchen (Neujahrskuchen) statt französischen Feingebäcks.

Als ich vor acht Jahren aus dem Norden nach Berlin zog, geriet die geliebte Tradition in Vergessenheit. Aus Familienleben wurde Singlehaushalt, aus Teetasse wurde Kaffeepott. Das liegt auch am Geschmack, denn Schwarztee eignet sich nicht für kalkreiches Wasser. In Ostfriesland ist das Wasser weicher – und der Tee aromatischer. Echter Ostfriesentee besteht aus mehr als zehn verschiedenen Sorten mit kräftigem Assam. Er wird in Ostfriesland gemischt, in einem der drei großen Teehandelshäuser: Bünting, Thiele & Friese und Onno Behrends. In meiner Familie kommt nur Broken Silber von Thiele auf den Tisch und in die Tassen. Das Traditionsunternehmen mit Sitz in Emden wird als einziges im Familienbetrieb geführt.

Handel mit Tee im Wandel der Zeit

Emblematisch für die norddeutsche Teekultur ist die Ostfriesische Rose: Rosa Blüte auf grünen Blättern auf weißem Porzellan. Doch für meine Oma sollte es Anfang der 60er-Jahre unbedingt ein Service aus Japan sein. Japan, nicht China. Ein großer Unterschied, der uns auf den ersten Blick nicht aufgefallen war – weder mir noch meiner Familie. Gisela erzählt, dass das Motiv damals einfach Mode gewesen sei: „Ich habe mir das [Service] um ’63 gekauft – ich wollte unbedingt so ein japanisches haben.“

Dabei liegen zwischen der friesischen Gemeinde Zetel, in der meine Oma damals gelebt hat, und der japanischen Hauptstadt Tokio über 9.000 Kilometer Luftlinie. Achtung, Kitsch: Verbunden sind sie durch ihre Liebe zum Tee. Der Legende nach wurde grüner Tee vor etwa 4.500 Jahren in China kultiviert. Ab dem 15. Jahrhundert brachen mitteleuropäische Mächte zu Kolonialexpansionen auf. Sie erschlossen neue Regionen für den Handel, beherrschten und missionierten. Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie brachten Grüntee schließlich ab 1610 auch in die hiesigen Gefilde. Ab 1637 hatte jedes holländische Schiff einige Kisten chinesischen und japanischen Tee an Bord. Über Amsterdam eroberte das Wirtschaftsgut Ostfriesland. Das Rohprodukt wurde zur begehrten Kolonialware, ebenso wie Zucker, Gewürze – und Sklav*innen. Der Beginn eines Systems von Ausbeutung und Abhängigkeit, das bis heute nachwirkt.

Auch Deutschland wollte am Welthandel teilhaben. Darum gründete Friedrich II. 1750 die königlich-preußisch-asiatische Handlungs-Compagnie von Emden auf China. Schiffsladungen mit Tee, Seide und Porzellan gelangten in die ostfriesische Hafenstadt. Doch kurz darauf forderte der Siebenjährige Krieg viele Opfer – so auch die Auflösung der Ostindien-Kompanie. Daraufhin versuchte der preußische König den Ostfries*innen den teuren Teegenuss abzugewöhnen. Angeblich floss zu viel Geld ins Ausland. Keine Chance, das Volk wehrte sich mit Schmuggel, geheimem Teetrinken und zivilem Ungehorsam. In einem Brief der ostfriesischen Landstände von 1779 heißt es: „Der Gebrauch des Thee und Caffe ist hierzulande so allgemein und so tief eingewurtzelt, dass die Natur des Menschen schon durch eine schöpferische Kraft müßte umgekehrt werden, wenn sie diesen Getränken auf einmal gute Nacht sagen sollte.“[3]

Der japanische Tee-Weg

Nicht nur der Tee, auch die zugehörige Zeremonie kommt ursprünglich aus China. Zusammen mit der Zen-Philosophie wanderte das Ritual nach Japan. Dort wurde es zu einer eigenen Lebenskunst, einer Art Meditation, die schlichte Schönheit in den Alltag holt. Die japanische Zeremonie „Chanoyu“ („heißes Wasser für Tee“) ist geprägt von komplexen Regeln, die einst der Erleuchtung buddhistischer Mönche dienen sollten. Bei der formalen Teezeremonie wird nach einem festen Ablauf Grüntee serviert. Jeder Handgriff ist koordiniert, von der Vor- über die Zubereitung bis zur Reinigung. Von der Kleidung über die Sitzordnung bis zu den Gesprächen. Die Zeremonie beginnt, wenn die Gäste den Teegarten betreten, wird im Teehaus oder -raum fortgesetzt und dauert bis zu vier Stunden. Mit dem ostfriesischen Ritual hat das reichlich wenig zu tun. Die japanische und die deutsche Zeremonie haben sich unabhängig voneinander entwickelt. Trotzdem erkenne ich die gemeinsamen Wurzeln: in der Gastfreundschaft und im Beisammensein, losgelöst vom Alltag. Im japanischen Teeraum sind Uhren verboten, in Ostfriesland hält der Löffel symbolisch die Zeit an. Die Zeremonie ist zeitlos – in beiden Kulturen.

Um einen besseren Einblick in die heutige Bedeutung der Teetradition zu bekommen, spreche ich mit Jana Roloff, Teemeisterin und Autorin des Buches „Zen in einer Schale Tee. Einführung in die japanische Teezeremonie“. Gleich in ihrer ersten E-Mail merkt sie an: „PS: Ich hatte im Übrigen auch eine ostfriesische Großmutter.“ Roloff beschäftigt sich seit 25 Jahren mit dem Thema. Die Hannoveranerin hat statt Wohnzimmer ein Teezimmer, das komplett mit Reisstrohmatten ausgelegt und mit einem im Boden versenkten Kessel ausgestattet ist. Ich erkundige mich, welche Rolle Tee im heutigen Japan spielt, und lerne dabei, dass wohlhabende Japaner*innen mit traditionellen Häusern oft Teezimmer mit Teegarten haben. Die Ausbildung zur Teemeisterin bzw. zum Teemeister dauere jedoch mindestens 10 Jahre und sei ein ständiger Lernprozess. Eine zeitintensive Leidenschaft, das zeige sich auch darin, dass es immer schwieriger werde, junge Leute zu begeistern. Roloff erklärt, dass das Thema tief in der Alltagskultur verwurzelt sei. Es habe dort eine ganz andere Dimension als in Deutschland: „In Japan weiß jeder, was eine Teezeremonie ist. […] In Städten wie Hiroshima finden täglich mehrere Riesenveranstaltungen statt. Mit bis zu 500 Gästen.“ In Deutschland seien es hingegen maximal 30. Der Ablauf einer Teezeremonie werde oft über Generationen von Mutter zu Tochter weitergegeben. Doch die Teeschüler*innen der Cha-Do-Schule, der Roloff angehört, sind eine bunte Mischung aus Studierenden, Selbstständigen, Angestellten, Jung und Alt.

Sehnsuchtsbilder

Mit der ostfriesischen und der japanischen Teekultur bin ich nun vertraut. Auch die Handelsrouten habe ich bereist – zumindest im Kopf. Doch wie kam es zu den stereotypischen Darstellungen auf meinem Porzellan? Bis Anfang des 18. Jahrhunderts wurden die kostbaren Gefäße ausschließlich aus China importiert. Jedoch haben chinesische und japanische Teeservices optisch rein gar nichts mit meinem gemeinsam. In Japan bevorzugt man zum Beispiel Steingut statt Porzellan, der Tee wird aus einer kleinen henkellosen Schale, einem „Chawan“ getrunken.

Dass die hiesigen Gefäße anders aussehen, liegt daran, dass die Hersteller ihre Exportprodukte dem europäischen Markt angepasst haben. Teedosen, Gewürzsäckchen und Porzellan wurden mit fernöstlichen Motiven verziert. Paradiesische Bilder, hingebungsvolle Asiat*innen, idyllische Plantagen, malerische Landschaften. Asien als kulturelles Konstrukt. Der geheimnisvolle Orient entsprach dem westlichen Wunsch nach Ruhe und Spiritualität. So entstand die europäische Vorliebe für koloniale Motive. Adel und Bürgertum servierten kostbaren Tee in kleinen Tassen und trugen ihre Weltgewandtheit zur Schau. Die Realität sah anders aus: Teeanbau war und ist zum Teil noch heute harte Handarbeit. Plantagenarbeiter, Teepflückerinnen und Kinder arbeiteten für wenig Geld zu unmenschlichen Konditionen. Die miserablen Produktionsbedingungen verschwanden hinter der Sehnsucht nach dem Fremden, einem imaginären Ideal.

Träger von Traditionen und Konventionen

Über Japan wusste ich bisher wenig. Der Inselstaat wird in Deutschland noch heute oft als verzerrtes Fremdes wahrgenommen. Als Karikatur einer lebendigen Kultur – wie auf meinem feinen Porzellan. Das Teeservice reproduziert und festigt rassistische Stereotypen. Es wurde für das europäische Auge, den hiesigen Durst, gefertigt. Die vermeintlich exotischen Bilder sind problematisch. Sie prägen sich als kulturelle Zeichen ein. So halten sich koloniale Denkmuster: die Asiatin als fügsam, höflich, gesichtslos. Die fernen Länder als prachtvoller Garten Eden. Natur gegen Kultur – ein Gegenentwurf zur eigenen Wirklichkeit, von Verkürzungen geprägt. Mit der Realität der japanischen Bevölkerung hat das wenig zu tun. Mein scheinbar unscheinbares Porzellan transportiert all diese Ideen. Manchmal hilft ein Blick in die Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen.

„Das darf nicht in die Spülmaschine“, betont meine Mutter mittlerweile zum dritten Mal. Auch meine Oma wiederholt dieses wichtige Anliegen. Klar, Kostbarkeiten werden mit Samthandschuhen angefasst, so geht nichts zu Bruch. Doch die Gefahr besteht hier nicht, das Teeservice ruht ganz hinten in meinem Schrank. Nur eine einzelne Tasse thront noch auf meinem Schreibtisch. Ein Mahnmal dafür, was Bilder bewirken und wie Traditionen über Kontinente wandern. Dafür, wie Alltagsgegenstände Bände sprechen und Seiten füllen können. Bei meiner Suche zwischen Familie und dem Fremden habe ich viel gelernt. Über Kitsch, Kommerz und Kultur. Darüber, dass die Grenzen oft verschwimmen – und ich Ambivalenz aushalten muss.

Morgens trinke ich noch immer Kaffee. Nachmittags jetzt immer öfter Tee. Schwarzen Ostfriesentee, drei Minuten gezogen, mit zwei Kluntjes und einem Wölkchen Hafermilch.


[1] Stepaniszczewa, Dinara (2018): Konzeptuelle Metaphern in den Bezeichnungen der Teekompositionen, Germanica Wratislaviensia 143, S. 383.

[2] Vgl. Rösemann, Ulrich (2016): Tee – das zweithäufigste Getränk des Menschen, Biologie in unserer Zeit 46, 6, S. 390ff.

[3] Johann Haddinga (1977): Das Buch vom ostfriesischen Tee, Leer: Schuster, S. 39.

Foto: Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / “Kandiszucker — 2018 — 3590” / CC BY-SA 4.0

Motherfuckers. Misanthropie im Anthropozän

von Carlotta Voß

Die Wissenschaft hat uns wieder einmal die Uhrzeit gesagt: nicht mehr fünf vor zwölf, nicht mehr zwölf, sondern fünf nach zwölf haben wir nun. Fünf Minuten nach zwölf, das heißt: High Noon ist vorbei mit Blick auf das Handlungsfenster, in dem Erderwärmung von zerstörerischem Ausmaß für die Lebensbedingungen des Menschen und vieler Tier- und Pflanzenarten verhindert werden kann. Es ist so weit gekommen, weil „die Menschheit“ bislang nicht gehandelt hat – so lautet die politische und moralische Botschaft, die das allgegenwärtige Bild von der Mittagsstunde vermitteln soll. Und es ist so weit gekommen, obwohl diese Menschheit doch schon lange bekundet, handeln zu wollen, in völkerrechtlichen Verträgen, Absichtserklärungen und in der Definition von „gefährlicher“ Erderwärmung durch das 1,5-Grad-Ziel.

Fünf nach zwölf wirft als Gegenwartserzählung ein ausgesprochen schlechtes Licht auf „den Menschen“. Und je näher die Einschläge des anthropogenen – also des durch “den Menschen” verursachten –  Klimawandels kommen, desto offener werden Zweifel an der Vernunftfähigkeit und den moralischen Qualitäten angemeldet, die ihm in der Moderne zugeschrieben wurden. Vielleicht ist der Mensch eigentlich unvernünftig, uneinsichtig, gierig und egoistisch. Vielleicht ist er das größte und dümmste Raubtier der Erde, dem „hedonistischer Suizid“ – so der Schriftsteller Ilija Trojanow in der taz – vorbestimmt ist. Vielleicht hat die Polarökologin Nina Karnovsky recht, die uns, die Menschen, in einer Klimawandel-Sondersendung der Late Night Show Jimmy Kimmel live! als „motherfuckers“ bezeichnete. Vielleicht kann das Zeitalter, das wir stolz nach uns benennen, das „Anthropozän“, nur mit unserem selbstverschuldeten Untergang enden.

Der Philosoph Darrel Moellendorf bezeichnet in seinem neuen Buch diese Diskurentwicklung, in der ein negatives Menschenbild populär wird, als Gefahr des „Misanthropocene“ – ein Wortspiel, das „Misanthropie“ (Menschenfeindlichkeit) und „Anthropozän“ verbindet. Gefährlich ist dieses „Misanthropozän“ gemäß Moellendorf mit Blick auf die humanistischen Ideen, auf denen unser Wertegerüst, die Menschenrechte und die liberale Demokratie beruhen. Denn sollten wir kollektiv zu der Überzeugung kommen, dass wir als Menschen unfähig sind, gemeinsam an dem Ziel einer friedlichen und nachhaltigen Welt mit mehr Wohlstand für alle zu arbeiten – wie können wir uns dann noch ernsthaft und überzeugend auf humanistische Vorstellungen beziehen? Kurz gesagt: Wenn sich der Mensch als unvernünftig, uneinsichtig, gierig und egoistisch entpuppt, was sind dann noch Menschenrechte wert? Angesichts dieser bedrohlichen Perspektive sieht Moellendorf es als Aufgabe politischer Philosophie, „realistische Utopien“ zu formulieren, die Grundlage der Hoffnung auf eine nachhaltige und gerechte Zukunft sein und kollektives Handeln in diesem Sinne beflügeln können.

Auch im Klimaaktivismus und Klimajournalismus wird seit einiger Zeit, besorgt über lähmende Resignationserscheinungen in der Bevölkerung, auf Hoffnung gesetzt. Wie kann Wissenschaftskommunikation aussehen, die Hoffnung macht, ohne die Ernsthaftigkeit der Lage herunterzuspielen? Was dürfen, was können, (wie) sollen wir hoffen?, fragt man sich selbst und Psycholog*innen, Klimaforscher*innen, und Philosoph*innen. In vielen Medien endeten die Berichte über den neuen IPCC-Bericht mit den Worten des Vorsitzende des Weltklimarats, Hoesung Lee, der das im Bericht versammelte Wissen als “hoffnungsvolle Perspektive“ auswies: die Prognosen liegen auf dem Tisch, die Wirkungszusammenhänge wurden von uns, den Menschen, hinreichend verstanden, sodass kein Zweifel ist, was „wir“ tun müssen, um die Erderwärmung zu begrenzen. Jetzt müssen wir es nur noch tun.

Ein siebzig Jahre alter Vortrag des Philosophen Helmuth Plessner gibt indes zu denken, ob mit all den Hoffnungsforderungen und -beschwörungen nicht nur kurzfristig das Symptom einer misanthropischen Pathologie bekämpft wird, gegen die es vielmehr eine umfassende Immunisierung braucht – eine Impfkampagne gegen Verzweiflung des Menschen über den Menschen sozusagen. Lange bevor der Beweis der menschengemachten Erderwärmung zum Diskursgegenstand geworden ist, wird in diesem Vortrag (Titel: „Über Menschenverachtung“) Misanthropie als eine Gefahr beschrieben, die der Moderne als solcher innewohnt, und gegen die sich nur gewappnet werden kann, wenn man um die Bedingungen dieser Gefahr weiß. Eine Relektüre lohnt sich – schon deshalb, weil es Plessner in seinem Denken grundsätzlich um den „Menschen“ geht, der im „Anthropozän“ (wieder) zum Problem geworden ist.

Plessner entwickelt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundzüge einer „Philosophischen Anthropologie“. Ihr Ziel ist es nicht, abschließend eine Summe von Eigenschaften des Menschen oder seine „Substanz“ zu bestimmen. Sondern zu fragen, wie über den Menschen in seiner Mehrdeutigkeit und Unergründlichkeit nachgedacht werden kann. Plessner sieht darin nicht nur eine philosophische Herausforderung, sondern auch eine moralisch-politische Aufgabe. Für ihn ist das Nachdenken über das Menschsein mit dem Begriff „Mensch“ die Voraussetzung dafür, dass Konzepte wie „Menschenwürde“, „Menschlichkeit“ oder „menschliche Verantwortung“ historisch entstehen konnten und wirksam geworden sind – und dass diese Konzepte hinterfragt werden können. Unter der Prämisse, dass sie politisch relevant bleiben sollten, geht es Plessner mit seiner Philosophischen Anthropologie auch darum, die humanistische Tradition wieder sinnvoll zu machen, deren natürliche Autorität spätestens Anfang des 20. Jahrhundert erschüttert ist.

Seinen vielen Kommentaren zum Zeitgeschehen liegt genau dieser Antrieb zugrunde, auch dem Vortrag „Über Menschenverachtung“. Plessner meint zu erkennen, dass in der (europäischen) Öffentlichkeit seiner Gegenwart, den 1950er Jahren, ein generalisierter Menschenhass als Ideologie um sich greift. Ausdrücklich geht es ihm nicht um Misanthropie als private Haltung. Sie ist für ihn ein möglicher und moralisch-politisch zunächst neutraler Ausdruck des Menschseins als „Mensch“.

Menschsein umfasst für Plessner das “Hier und Jetzt”, das ein körpergebundenes Leben auszeichnet, aber auch die Fähigkeit, dieses “Hier und Jetzt” zu reflektieren und sich auf ein anderes “Dort” hin zu entwerfen. Deshalb gehört zum Menschsein auch ein Verständnis von Zukunft. Auf der Ebene der Erfahrung beschreibt Plessner das so verstandene Menschsein als gleichzeitige Erfahrung von Macht und Ohnmacht: Der Macht, sich selbst zu entwerfen, und der Ohnmacht, im Entwurf und seiner Verwirklichung begrenzt zu sein. 

Folgen wir Plessner, dann äußert sich die Macht des modernen Menschen darin, dass er sich als „Mensch“ begreift, also als ein mächtiges Wesen mit Sonderstellung auf der Erde. Dieser Selbstentwurf hat viele wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Errungenschaften möglich gemacht. Aber auch die Erfahrung, dass der „Mensch“ beständig hinter seiner Idee von sich selbst, hinter seinen selbst gesetzten Idealen, zurückbleibt. Plessner nennt das die Erfahrung des „was der Mensch könnte, wenn er wollte“. Und er behauptet, dass sie erst Verbitterung und dann Hass auslöst. Dieser Hass kann sich gegen sich selbst oder einen konkreten Anderen richten – aber auch gegen den Menschen als solches bzw. gegen die Menschheit. Einer solche „Verschiebung des Hasses in die Sphäre des Allgemeinen“, der ideologisierten Misanthropie also, schreibt Plessner einen großen Vorteil zu: Sie macht es dem einzelnen Menschen nämlich möglich, dem konkreten Anderen im sozialen Miteinander (wieder) herzlich zu begegnen. Sofern der Andere ein Exemplar der Menschheit ist und diese Menschheit eben schlecht, kann der Andere schließlich nicht persönlich für seine Unzulänglichkeit verantwortlich gemacht werden. 

Es ist der Preis dieser Bewältigungsstrategie, dass moralischer oder politischer Fortschritt der „Menschheit“ nicht mehr gedacht werden kann, denn die „Menschheit“ ist vom Misanthropen bereits über ihre Schlechtigkeit definiert worden. Während Plessner darin kein Problem zu sehen scheint, sofern die Misanthropie eine Sache der privaten Überzeugungen bleibt, setzt hier seine Kritik an der Misanthropie als Ideologie an: Wenn das grundsätzliche Schlecht-Sein „der Menschheit“ zur Prämisse politischen Handelns wird, ist – so sorgt sich Plessner – auch die Menschenwürde in Gefahr, denn „so wie der Mensch sich sieht, wird er“.

Das Gegenmittel, das Plessner für diese Gefahr im Sinn hat, ist nicht etwa ein positives Menschenbild, in dem der Mensch mit seiner Macht und Vernünftigkeit identifiziert ist. Es besteht auch nicht in realistischen Utopien. Sondern darin, sich bei Objektivierungen des Menschseins immer wieder darauf zu besinnen, dass das Menschsein etwas auszeichnet, das jede Objektivierung in Frage stellt: ein Rest an Unverfügbarkeit sozusagen, eine absolute Unergründlichkeit, ein ewiges Geheimnis. 

In seinem Vortrag über Menschenverachtung führt Plessner diese Haltung des unaufhörlichen Fragens-nach-dem-Menschsein vor, indem er fragt, ob die Misanthropie-als-Ideologie nur eine mögliche, nämlich eine westlich-moderne Objektivierung des Menschen ist. Seine Antwort darauf ist positiv. Er erklärt die ideologische Misanthropie aus spezifisch modernen Lebenserfahrungen und Perspektiven auf das Menschsein. Zwei Charakteristika der Moderne sind für ihn in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Erstens, “Glaubenslosigkeit”. Gemeint ist damit, dass in der Moderne zwar der jüdisch-christliche Gedanke fortlebt, Menschsein bedeute, sündhafter Mensch zu sein. Nur ist dieser Gedanke entkernt um die Vorstellung, als Geschöpf Gottes Vergebung und Erlösung erfahren zu können. Übrig bleibt daher die Annahme: Der Mensch ist schlecht, und also eine pessimistische Grundstimmung. Zweitens zeichnet sich die Moderne für Plessner durch Strukturen aus, die es erschweren, anderen Menschen in ihrer ganzen Individualität und Unergründlichkeit zu begegnen – und die umgekehrt begünstigen, dass man andere und sich selbst nur als Exemplare der „Menschheit“ versteht. Konkret meint er: Die in der Moderne so häufig beklagte Anonymisierung des Zusammenlebens, Bürokratisierung, Verwissenschaftlichung des Nachdenkens über das Menschsein, und Beschleunigung.

2023 scheint Plessners Darstellung der Moderne nichts an Aktualität verloren zu haben. Nicht nur, aber auch, weil sich im Anthropozän als neuester moderner Welterzählung manches von dem zeigt, was Plessner beschreibt. Ganz im Sinne seiner Diagnose von der „Verwissenschaftlichung“ wird der Mensch hier radikal als „anthropos“ angesprochen, als Spezies. In der Konsequenz sind nicht nur die Spuren des Individuums verwischt, sondern auch – wie Stimmen aus dem globalen Süden oder der postkolonialen Forschung schon lange kritisch anmerken – die historischen Machtverhältnisse. Sie strukturieren unser Miteinander als Menschen und manifestieren sich auch darin, dass der übergroße Teil der erderwärmenden Treibhausgasemissionen mit dem Lebensstil und der kolonialen Geschichte der Länder im globalen Norden zusammenhängt.

Das Anthropozän ist auch „bürokratisch“ in dem Sinne, dass in ihm die Welt des Menschen mit dem Erdsystem identifiziert wird und dieses Erdsystem gemanagt und verwaltet werden soll. Auch „Glaubenslosigkeit“ drückt sich im Anthropozän aus, das die apokalyptische Idee eines Endes der Menschheit beinhaltet. Allerdings ist dieses Ende nicht im Sinne der christlichen Theologie von Gott bestimmt und bedeutet auch nicht den Einbruch von Gerechtigkeit, sondern es ist unwillentlich von der Menschheit herbeigeführt und realisiert Ungerechtigkeit. Schließlich ist die Verantwortung für dieses Ende temporal und räumlich, zwischen den Generationen und entlang der Nord-Süd-Achse, ungleich verteilt.

Vielleicht – das gibt Plessner zu denken auf – ist unsere anthropozäne Gegenwart also ein Nährboden für ideologische Misanthropie. Vielleicht droht diese Gegenwart immer und unabhängig von Erfolgen in der Klimapolitik ins Misanthropozän zu kippen. Realistische Utopien können als Gegengift dann weit besser wirken, wenn sie begleitet werden durch eine gesellschaftliche Reflexion und Verhandlung dieses Nährbodens.

Was Plessner angeht, so wünscht er ausdrücklich nicht, dass eine solche Verhandlung in die Ablehnung der Moderne mündet, in die kollektive Rückkehr zu Gottesglauben, vorstädtischen Gemeinschaften und vorindustriellem Gesellschaftstempo (das übrigens aus ökologischer Perspektive so nachhaltig wäre!). In der Moderne sieht er schließlich nicht nur die Gefahr zur Ideologisierung der Misanthrophie, sondern zugleich auch die Bedingung eines Handelns im Bewusstsein der Unverfügbarkeit und der radikalen Freiheit des Menschen.

Folgen wir Plessner, dann liegt der Zweck einer gesellschaftlichen Reflexion der (anthropozänen) Moderne darin, dass Menschen gemeinsam lernen können, mit der Ambivalenz der Moderne umzugehen, das heißt: eine Urteilskraft zu entwickeln, die es erlaubt, der Versuchung der Misanthropie zu widerstehen und Freiheit zu wählen. Sie wäre die Vorbedingung für realistische Utopien im Anthropozän oder einfacher gesagt: für Hoffnung, die “wir” haben können. “Wir” nicht als Exemplare der Spezies Anthropos, sondern als Personen, die miteinander darüber nachdenken, was es heißen kann, Mensch zu sein. 

Foto von NOAA auf Unsplash

Schwankende Kanarien

von Judith Schalansky

Mir war sehr wohl bewusst, dass die Geschichte des Lebens auf der Erde keine Bühnenhandlung war und das menschliche Auftauchen auf selbiger ein erstaunliches, doch flüchtiges Vorkommnis auf Proteinbasis, das ebenso verschwinden würde wie eine Reihe anderer wundersamer Wesen. Und trotzdem sah ich noch einmal das Spektakel eines erst brennenden, dann brodelnden und dampfenden, bald schmatzenden Planeten, auf dem sich Wasser zurückzog und Kontinentalplatten verschoben, ungeheure Wälder wucherten, im Ozean allerlei Getier gedieh, das die Landmassen zu erkunden begann, bis nach einer Ewigkeit und einigen eiszeitlichen Sekunden doch noch eine gebückt gehende, behaarte, bewaffnete Kreatur auftauchte, mit der ich mich zu identifizieren gelernt hatte. Der Rest war Sesshaftwerdung und Abholzung, Bergbau, Verstädterung und Satellitenschrott. Ich steckte fest.

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Wem gehört diese Geschichte?

von Jutta Reichelt

Ich habe mich über nahezu alles Wichtige in meinem Leben geirrt. Ich habe mich auch über die Sprachlosigkeit geirrt, in der ich mich fast mein ganzes Leben lang befunden habe. Zunächst habe ich sie kaum einmal bemerkt. Und wenn ich sie bemerkte, dann war ich überzeugt, dass ich selbst daran schuld war. Weil es so vieles gab, für das ich mich schämte. Wenn die Scham nicht wäre, habe ich gedacht, dann könnte ich auch von mir erzählen. Von dem, was mich ausmacht. Und als ich dann der Scham allmählich Paroli bieten konnte (nicht zuletzt dank einer langen Therapie, für die ich mich ebenfalls lange geschämt habe) und es mit dem Erzählen noch immer nicht klappte, da war ich mir sicher: Wenn ich mich nur besser erinnern könnte, wenn ich mehr wüsste, dann würden sich meine „Erzählprobleme“ auflösen. Aber so war es nicht. Auch als ich endlich genug über das wusste, was mir widerfahren war, verknoteten sich meine Gedanken, sobald ich an mich und meine Vergangenheit nur dachte. Jeder erste Satz brachte mich in Erklärungsnot. Und mit jedem weiteren Satz wurde es nicht klarer, sondern komplizierter. Immer weniger stimmte, je mehr ich erzählte. Und was vielleicht noch seltsamer war: Ich verstand nicht, wie das sein konnte. Was machte das Erzählen noch immer so kompliziert? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass es mir nicht möglich war.

Ich suchte nach Literatur – so wie ich immer nach Literatur suche, wenn mich etwas beschäftigt, wenn ich von einer Frage umgetrieben werde. Ich suchte nach Literatur und war verblüfft, wo ich sie fand: Ich besaß sie längst. Ich fand unzählige Texte, die sich mit Fragen autobiografischen Erzählens beschäftigten, mit Problemen der Erinnerung. Mit der Unmöglichkeit des Erzählens als Traumafolge. Texte über Spaltung. Über Schreiben und Scham. Ich hatte das alles in den vergangenen Jahrzehnten gelesen oder überflogen oder zumindest gesammelt, „einfach so, weil es mich interessierte“, oft ohne dass ich einen Bezug zu mir, zu meinem eigenen Leben gesehen hätte oder auch nur ein verbindendes Thema. Und nun entdeckte ich, dass all die Kopien und Bücher, die sich in meinen Regalen stapelten, einen bislang übersehenen Zusammenhang besaßen: die Bedeutung, die das Erzählen für unser Leben besitzt, und in welche Schwierigkeiten wir geraten können, wenn es uns nicht möglich ist.

Ich fand nicht nur „fremde“ Texte. Ich staunte auch, wie oft ich schon versucht hatte, über mich zu schreiben. Versucht hatte, mir selbst oder anderen etwas zu erklären. Es ging in diesen Texten doch um mich? Oder nicht? Manchmal konnte ich mich weder an den Text erinnern, noch daran, von wem da überhaupt die Rede war: „Ich soll es aufschreiben. Angeblich spielt es keine Rolle, wo ich beginne – ich könne auch mit der Beschreibung des Zimmers anfangen, in dem ich mich gerade aufhalte. Wenn es keine Rolle spielt, kann ich auch so anfangen: Ich soll es aufschreiben. Es. Was mit „es“ gemeint ist, weiß ich und weiß ich nicht. Würde ich nachfragen, wäre es ein weiterer Beleg dafür, dass ich zu viel nachdenke. Oder über die falschen Dinge. Es. Schreiben Sie es auf.“ Erst nach mehrmaliger Lektüre dieser handschriftlichen Notiz erinnerte ich mich, dass hier nicht von mir die Rede ist, sondern von Thomas Hellweg, dem Protagonisten meines ersten Romans Nebenfolgen, den ich nach der Fertigstellung des Romans noch eine Zeitlang nicht los geworden war, weshalb ich ihn kurzerhand in einer psychosomatischen Klinik unterbrachte, wo er von der zuständigen Psychotherapeutin aufgefordert wurde: „Schreiben Sie es auf!“

Schreiben Sie es auf! Hatte ich diese Aufforderung in einem Text untergebracht, ohne zu verstehen, dass sie nicht nur Thomas Hellweg, sondern auch mir galt? Plötzlich hatte ich das Gefühl, mich mein halbes Leben lang auf eine Expedition vorbereitet zu haben, ohne es zu bemerken! Schließlich war ich für mich kaum weniger überraschend als für mein soziales Umfeld und noch dazu reichlich spät Schriftstellerin geworden. Ich bloggte Über das Schreiben von Geschichten und hatte einen Geschichten-Generator erfunden. Wie oft schon hatte ich andere Menschen ermutigt, ihr Leben aufzuschreiben in Workshops, die den Titel trugen Meine Geschichte schreibe ich selbst?

Meine Geschichte schreibe ich selbst ist eine schöne, ermutigende Aussage – aber was bedeutet sie für andere, die Teil „meiner Geschichte“ sind? Was ist mit meinen Geschwistern, was ist, wenn sie es vorziehen, „unerzählt“ zu bleiben? Ich konnte, als ich mich vor bald zehn Jahren auf die Suche nach meiner verloren gegangenen Lebensgeschichte machte, überhaupt nicht einschätzen, welche Haltung meine Geschwister diesem Projekt gegenüber einnehmen würden, das mir mit großer Wucht vor die Füße gefallen war. Würden sie es zähneknirschend hinnehmen, als eine weitere Zumutung, die diese Familie für sie bereithielt? Würde mich eine/r von ihnen bitten (vielleicht sogar entschieden auffordern?), von einer Veröffentlichung abzusehen? Was sollte ich dann machen? Sollte ich ihnen eine Art Veto-Recht einräumen gegenüber einzelnen Details, Passagen oder gar dem ganzen Projekt? Aber lag nicht bereits in der Bitte um eine solch „prüfende Lektüre“ eine Zumutung? Ich hatte fast mein ganzes Leben die wildesten Verrenkungen unternommen, um den Abgrund nicht zu sehen, an dem ich mich befunden hatte – und nun sollte ich meine Geschwister an genau diesen Abgrund zerren? Und selbst wenn sie sich der emotionalen Herausforderung einer Lektüre unterzögen – was wäre, wenn sie in sechs Monaten, in sechs Jahren anders darüber dachten als heute? Was dann?

Diese Fragen begleiteten mich viele Jahre und es ist sicherlich kein Zufall, dass einigen der autobiografischen Texte, die mir viel bedeuten, ein „Geschwisterthema“ eingeschrieben ist. Das gilt ganz besonders für das Buch Bergljots Familie von Vigdis Hjorth. In diesem autobiografischen Roman erzählt die norwegische Autorin nicht nur von den sexuellen Übergriffen ihres Vaters, sondern ebenso nah entlang ihres realen Lebens von den Streitigkeiten zwischen den mittlerweile erwachsen gewordenen Geschwistern, die sich an Erbe und Testament des Vaters entzünden und in denen es zugleich um so viel mehr geht: um Anerkennung und Leugnung des erlittenen Unrechts, um die mangelnde Vorstellungsfähigkeit der beiden jüngeren und nicht unmittelbar betroffenen Schwestern, um den Wunsch nach Solidarität und Kommunikation und deren Scheitern, ja Unmöglichkeit. Von all dem erzählt Bergljots Familie eindringlich – und als bedürfe es noch eines weiteren Beweises für das Ausmaß der Konflikte, erzählt davon auch die ganz reale Geschichte, die sich nach der Veröffentlichung des Buches zwischen der Autorin Vigdis Hjorth und einer ihrer Schwestern zugetragen hat: Diese Schwester (die Juristin Helga Hjorth) erwog zunächst, juristisch gegen die Veröffentlichung vorzugehen, entschied sich dann aber dagegen und verfasste stattdessen einen „Gegenroman“. Nur so, nur mit einer anderen Geschichte, glaubte sie, die Aussagekraft des Textes angreifen zu können. Ein Gegenroman – was für eine Geschichte hinter der Geschichte!

Ich halte Bergljots Familie für das beste mir bekannte Buch über innerfamiliale sexuelle Gewalt: darüber, was es bedeutet, unter den Bedingungen eines familiären Irrsinns aufzuwachsen, der sich mit bürgerlicher Normalität tarnt und wie schwer es ist, sich aus solchen familiären Verstrickungen zu befreien. Was für ein großartiges, wichtiges Buch! Aber spielt die Qualität überhaupt eine Rolle bei der Frage, was eine Autor*in anderen zumuten darf? Sind Verletzungen der Intimsphäre bloße Kollateralschäden, lässliche Übel, die der künstlerischen Entfaltung zumindest dann nicht im Weg stehen sollten, wenn für das Werk literarische Ansprüche oder politische Relevanz erhoben werden können? Darf Vigdis Hjorth, was Lieschen Müller nicht darf?

Wie wenig unsere Geschichte allein uns „gehört“, wie wenig wir bestimmen können,  wie sie erzählt wird, davon erzählt Édouard Louis in Im Herzen der Gewalt auf eine sehr spezielle Weise: Über weite Strecken ist es nämlich gar nicht der Ich-Erzähler, der uns von der sexuellen Gewalt erzählt, die ihm widerfahren ist, sondern es ist seine Schwester. Diese erzählt ihrem Mann, was ihm widerfahren ist und es ist diese „belauschte Version“, die er wiederum erzählt …
Dieses indirekte Erzählen vermittelt einerseits, wie schnell sich das von uns Erlebte im (Weiter)Erzählen unserer Kontrolle entzieht – und wie sehr in diese anderen Erzählungen immer auch ein vorgängiges Wissen oder Bewertungen eingehen. Es ist nicht zufällig die Schwester, der wir zuhören, mit der den Ich-Erzähler eine sehr ambivalente Beziehung verbindet.

Ein kompliziertes Geflecht aus Scham und Kränkungen prägt die Beziehung Édouard Louis’, wie auch die Didier Eribons zu ihren Familien. Obwohl unterschiedlichen Generationen angehörend, sind beide homophoben Anfeindungen und Ressentiments ausgesetzt – auch von ihren Geschwistern. Ich schätze die Texte dieser beiden Autoren sehr und habe mich, ein wenig bang, zugleich immer wieder bei der Lektüre gefragt, was ihre Geschwister zu dem Text sagen werden, sagen würden, wenn sie ihn lesen, falls sie ihn läsen. Ich habe mich gefragt, ob das für Eribon, für Louis eine Rolle gespielt hat? Und wenn nicht, warum nicht? Weil so selbstverständlich ist, dass ihre Geschwister die Texte überhaupt nicht lesen würden? Weil es bei all den vorhandenen Differenzen auf die durch die Veröffentlichung entstehenden Probleme dann auch nicht mehr ankam? Es geht mir nicht um eine moralische Bewertung, die mir weder zusteht, noch mich interessiert. Ich würde einfach nur gerne wissen, welche Gedanken sich andere Autor*innen machen, die vor ähnlichen Fragen stehen. Aber vielleicht ähneln sich unsere Situationen nur scheinbar – denn ich habe kein Unrecht durch meine Geschwister erfahren. Im Gegenteil.

In den langen Jahren meiner Arbeit an dem Text klärte sich dann manches „wie von selbst“. Das erste, das mir bewusstwurde: Ich konnte nichts unternehmen, solange der Text und sein Inhalt sich ständig veränderte. Erst, wenn ich eine halbwegs „fertige“ Version zustande gebracht hätte, existierte überhaupt eine vernünftige Basis, um sich darüber – in welcher Form auch immer – mit anderen auszutauschen. Aber mir wurde allmählich auch immer klarer, dass ich diesen für mich so wichtigen Text nicht von der Zustimmung anderer abhängig machen konnte, noch nicht einmal von der Zustimmung meiner Geschwister.

“Good writers are monotonous, like good composers. They keep trying to perfect the one problem they were born to understand“. Natürlich weiß ich nicht, ob ich das bin, was Alberto Moravia, von dem dieses Zitat stammt, sich unter einer „guten Autorin“ vorgestellt hat, aber je länger ich an diesem Text schrieb, desto klarer empfand ich, dass die Überwindung der Sprachlosigkeit das eine Problem ist, das zu verstehen offenbar meine Lebensaufgabe ist.

Hier stehe ich und kann nicht anders. So ist es manchmal im Leben. Aber das bedeutet auch, mit den Konsequenzen zu leben. Zu akzeptieren, dass andere mit dem gleichen Recht anderes wollen oder nicht lassen können. Für mich war es ein wichtiger Schritt zu verstehen, dass es in diesem Konflikt zwischen meinem Recht, meine Geschichte zu erzählen und dem (potentiellen) Recht meiner Geschwister, „unerzählt“ zu bleiben, nicht auf jeden Fall eine „gute Lösung“, einen Kompromiss geben wird, wenn wir uns alle nur genug darum bemühen. Ich habe für möglich gehalten, dass mein Text und seine Veröffentlichung zu Konflikten zwischen uns Geschwistern führt, die ich nicht werde abwenden können – aber zugleich wollte ich alles dafür tun, das mir möglich war, damit es nicht so käme. Schon während des Schreibens habe ich mich daher bemüht, meinen Geschwistern und ihrem (möglichen) Wunsch auf Diskretion so weit entgegenzukommen, wie nur möglich. Sie würden nur da „auftreten“, wo es absolut unvermeidbar war. Ich würde auf Hintergründe, Details, Erläuterungen verzichten, die sie und ihr Leben betrafen. Sie würden Schemen bleiben. Auch das garantierte nicht ihr Einverständnis, ihre Zustimmung, aber es war das, was ich tun konnte.

„Es ist keine Frage nach dem „darf ich das?“ Es ist ein natürliches Gezwungen-Sein“, sagt die Autorin Sandra Hoffmann im Zusammenhang mit ihrem autobiografischen Roman Paula, dessen Entstehung sie eine „Zumutung“ nennt für ihre Familie, und auch für sich selbst. Für mich habe ich das Schreiben meines Textes nur in seltenen Momenten als Zumutung empfunden und mittlerweile weiß ich, dass er das offenbar auch für meine Geschwister nicht ist. Nachdem sie ihn dann tatsächlich gelesen hatten, kam ein anderer Gedanke, kam eine Hoffnung hinzu: Vielleicht wird der Text es nicht nur mir, sondern auch meinen Geschwistern oder ihren Kindern in Zukunft leichter machen, Auskunft zu geben, Fragen zu beantworten. Sich selbst und anderen. Vielleicht wird dieser Text Teil einer verschütteten Familienchronik. Eine Version. Eine Aussage. Eine Zeugenaussage, die es anderen ermöglicht oder leichter macht, von ihren Erfahrungen zu erzählen – so wie es bei Boris Cyrulnik der Fall war. Auch er konnte das, was er erlebt hatte, er konnte die Geschichte seiner sich so unwahrscheinlich anhörenden Rettung erst erzählen, nachdem sie von anderen bezeugt worden war. Erst danach konnte er sich wirklich glauben, was er erlebt hatte.

Auch ich könnte das, was ich jetzt allmählich beginne, „meine Geschichte“ zu nennen, nicht erzählen, wenn es nicht andere gäbe, die sie bezeugten, insbesondere meine Geschwister. Aber ich habe nicht nur von ihrer direkten Zeugenschaft profitiert, sondern ebenso von den Berichten vieler anderer. Erst durch den Verweis, den Bezug auf sie, kann ich dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit, den ich solange mir selbst gegenüber erhoben habe, begegnen. Erst durch die Texte, die Aussagen anderer höre ich auf, zu sein, was ich solange war: Eine unglaubwürdige Erzählerin meiner selbst.

Dieser Text ist ein für diese Veröffentlichung leicht überarbeitetes Kapitel aus dem Manuskript „Meine Geschichte schreibe ich selbst. Von der Überwindung der Sprachlosigkeit.“

Foto von Kelly Sikkemash