They do not want what they haven’t got – Trump, Sinéad O’Connor und die Kunst als Werkzeug

von Jasper Nicolaisen

Donald Trump läuft im Vorwahlkampf der Republikaner zu „Nothing compares to you“ von Sinéad O’Connor auf. Wie passt das zusammen?

Das Fernsehmagazin „Kulturzeit“ des Senders 3sat, in dem ich über diese kuriose Angelegenheit stolpere, reagiert mit Unverständnis und Häme: So dumm, so skurril dieser Politclown, irgendwie unheimlich, dass er vor nichts zurückschreckt, nicht einmal vor der als „sensibel“, „zerbrechlich“ und „wütend“ begriffenen Sängerin, die sich erst vor kurzer Zeit das Leben nahm. Eine Vereinnahmung sei das durch das antifeministische Ekel, das in einem widerwärtigen geflügelten Wort offen davon schwärmte, als Promi dürfe man mit Frauen einfach alles machen, ihnen eben auch an die Genitalien fassen. 

Dass Sinead O’Connor mit Trump wesensverwandt sein soll oder der Verwendung ihrer Musik bei seinen Veranstaltungen zugestimmt hätte, das wäre tatsächlich eine gemeine Unterstellung. Trotzdem lohnt die Frage, ob Trump und seine Anhängerschaft im Abspielen genau dieses Liedes genau dieser Künstlerin nicht etwas über sich und solche wie sie begreifen, zeigen, feiern, das auch uns, die wir sie zurückdrängen müssen, Kampfmittel in die Hand gibt.

Vielleicht wäre dies schon die erste Lehre: Weniger von oben herab. „Die sind halt blöd“, ja gut, blöd in dem Sinn, dass sie mit schlimmen Mitteln Schlimmes wollen. Sind sie aber auch unfähig zu denken? Trump und seine Fans – Unterbrechung, zweite Lehre: von „Fans“ muss man hier sprechen, wie bei einem Popstar, eine nicht unwichtige Gemeinsamkeit zwischen ihm und O’Connor, es handelt sich nicht um Menschen, die sich in erster Linie von einem Amtsinhaber die Durchsetzung ihrer Interessen erwarten, sondern um „Fans“, um affektiv Mitgerissene, die in dem da oben etwas verehren, was nicht von dieser Welt ist, und in dieser Verehrung ist Platz für Unbestimmtes, Unsagbares, nur zu Empfindendes. Wir bewegen uns im Reich der Gefühle, der Sehnsüchte, des Superorgans Darm, des Körpers, der Projektion, des Traums, und im Traum entsteht gerade durch die Verschiebung und Spiegelung ein Sinn, den das Wachen nicht kennt.

Für dumm halten das Leute, die Politik im Reich des Rationalen verorten, wo ich als Marktteilnehmer mich für die Position entscheiden soll, die meinen Interessen in der wachen Welt dient. Was aber, wenn Trumps Fans in einer Welt leben, in denen ihre Interessen gar nicht mehr vorkommen, in der das Artikulieren und Verfolgen solcher Interessen sinnlos geworden ist, weil die brutale Erfahrung lehrt, dass es niemanden interessiert?  Ich wähle nicht den, der sich endlich meiner annimmt. Ich wähle den, der endlich die Sinnlosigkeit aus Podest hebt und dem Empfundenen Form und Fläche verleiht. Das ist dumm für Leute, die noch Sinn sehen. Was aber, wenn schrecklicherweise die Schlafwandler schon recht hätten? Wenn die Welt tatsächlich so beschaffen wäre, dass der Wettstreit rationaler Positionen, selbst der brutale, marktförmige Wettstreit, in dem man immerhin bestehen könnte, selbst der kriegerische Wettstreit um Ressourcen, in dem immerhin das Recht der Stärkeren gelten würde, dass nichts von all dem mehr wirklich da wäre? Wenn diejenigen, denen es noch vergleichsweise gut geht, darauf beharren, eine solche Weltsicht sei dumm, klammern sie sich an den Sinn und ihr Privileg, in kleinen Bereichen Interessen zu haben, die sich auf Zeile in eng umgrenzten Daseinsbereichen sinnvoll ausrichten lassen. Wer dazu zu arm, zu perspektivlos, aber auch zu übersättigt, zu erfolgreich nur innerhalb einer Maschinerie ist, die sich keine Mühe mehr gibt, noch eine andere Losung als ihren Fortbestand auszugeben, der sieht das vielleicht anders. Wir behalten das im Hinterkopf. Zurück zur scheinbaren Unvereinbarkeit von Trump und O’Connor.

Unvereinbarkeit ist für diese Leute keine Kategorie. Trump, aber auch die Recht hierzulande, zeichnet grundsätzlich eine völlige Wurstigkeit im Urteil aus, die sich gegenüber dem „Mainstream“, dem „Establishment“, dem „Linksgrünen“ oder „Globalistischen“ als bodenständig, als undogmatisch, als sinnlich und frei im Denken ausgibt. Oberlehrer seien die anderen, verknöchert, die „neuen Nazis“. „Rechte“ hingegen würden einfach lesen, hören, anschauen und feiern was sie gut finden, ohne ideologische Scheuklappen. Was Linke oder auch nur Reste des Bürgertums mit „Kritik“ meinen, die Urteilskraft, der Anspruch, begründet in richtig und falsch zu scheiden, darin sieht die populistische Rechte kein von Menschen für Menschen ausgegebenes Recht, sondern Herrschaftswissen, Codes, „feine Unterschiede“, in die man für Geld an Institutionen mit hohen Mauern eingeführt wird. Allzu oft, nämlich da, wo die öffentlich ausgebreitete Kritik gar keine mehr ist, sondern tatsächlich nur die Selbstvergewisserung über die geteilte Weltsicht und das Draußenhalten der ungewaschenen Massen, haben sie damit auch recht. Dass damit auch jeder Anspruch auf tatsächliche begründete Welterschließung aus dem Fenster fliegt, ist ihnen egal. Ihre Erfahrung lehrt möglicherweise: So was gibt es eh nicht.

Wenn Trump O’Connor abspielt, ist das in diesem Sinne eine Geste der Ermächtigung. Wenn ich’s halt geil finde? Nur weil du und deinesgleichen meinst, dieses oder jenes nicht zu dürfen, weil es von denen da oben als unpassend erklärt wurde, dein Pech, du Systemknecht. Für uns ist es heute O’Connor, morgen Rammstein, übermorgen Springsteen und dann wieder Mahler. Hauptsache geil. Die geteilte Erfahrung, dass die beständige Aufforderung „Sinn zu machen“ von genau denjenigen verunmöglicht wird, die mich abqualifizieren, wenn ich einen Sinn nach ihren Maßstäben partout nicht hinkriege, wird hier aggressiv ins Antiintellektuelle, Anti-Establishment gewendet. Geh mir weg mit deinem Sinn und deinen Geschmacksgrenzen, wir hier unten wissen, dass vor dem Tod nur das Empfinden zählt.

Über die Mittelfinger-Geste hinaus ergibt es aber doch Sinn, dass Trump ausgerechnet O’Connor abspielt. Ob er es „weiß“, es formulieren kann, ist egal. Er wird es in den Eingeweiden spüren, dass ihn und die aus der Klosterschule geflüchtete eine gemeinsame Erzählung verbindet. Sie sind beide Außenseiter, die verzweifelt ins Innere der Macht wollen, die sie verstoßen hat, allerdings nur zu den eigenen Bedingungen. Nicht sie wollen sich dieser Macht anpassen, die Macht soll sie annehmen, wie sie sind, und doch die gleiche bleiben, die ihnen Heimat bietet; ein Anspruch, der nicht zu erfüllen ist, und deshalb auf der Seite Trumps und O’Connors zu immer weiter frei drehendem Irresein führt, während es die Systeme, gegen die sie anrennen, kaputt machen muss. Trump, versehen mit new money, aber ohne das geschmeidige, unsichtbare Kapital der politischen Klasse, O’Connor mit der Spiritualität gegen den Katholizismus, in der eiernden Kometenbahn durch Buddhismus und Islam, gegen und für den Papst, für Kinder und Abtreibung, als Präsident gekommen um die präsidiale Republik kaputtzuhauen.

Um noch einmal die Unterschiede, aber auch möglichen Sympathiegrade zu benennen: O’Connor hat, anders als Trump, ihre Wut und Verzweiflung bei allen irrlichternden Auftritten doch gespürt und verhängnisvoll gegen sich selbst gerichtet, während Trump vermutlich nie etwas anderes getan hat, als gegen andere auszuteilen. Und existenzielle Widersprüche in der Kunst zu formulieren ist allemal etwas anderes, als sie in gewaltsames politisches Handeln zu übersetzen. Nicht jeder Postkartenmaler überfällt  ein Nachbarland, und statt alles anzuzünden hätte so mancher Sektenführer besser eine Black-Metal-Band gegründet. Trotzdem, Trump wird die Verwandtschaft unter wütenden Außenseitern, die mit aller Macht zurück in den Schoß wollen, der die Form ihres Schädels annehmen soll, gespürt haben, als er dieses Lied auswählte oder zumindest dankbar annahm.

Apropos Schädel: Natürlich sind sie Frisuren-Geschwister. Die Marken „Trump“ und „O’Connor“ verkörpern das Zusammenzerren existenziell unvereinbarer Ansprüche im Haarschnitt. Kartoffelchipsfarbene Perücke der eine, Stoppelrasur die andere. Büßeroptik: Ich bin die Radikale, die ernst macht, wo andere nur predigen, die nämlich, die mich aus ihrem Laden verstoßen wollen, was die als Parole ausgeben, das setze ich um. Künstlich, albern, selbstbewusst: Ich kann sein, was ich will, und wenn ich virile Mähne tragen will, mache ich’s, auch wenn ich sie mir aufsetzen muss, bin ich eben Clown, ihr werdet schon sehen, dass wir hier unten alle schweben, denn wenn ich nur lange genug der dumme August bin, als den ihr mich seht, dann müsst ihr bald alle nach meiner Pfeife tanzen.

Geschwister in der Hautfarbe sind sie auch, egal ob madonnenblass und porzellan-durchscheinend oder mit angesprayter Freiluftgesundheit, was zählt ist die Pose und das Ausgestellt-Gemachte. Ja, ich bin nicht echt, aber das wenigstens habe ich mir selbst aufgebaut. Mehr habe die da oben oder die da drinnen mir ja nicht erlaubt. Punk eben. Womit wir wieder bei der Wurstigkeit wären, sich einfach alles an Gesten und Codes zu nehmen, wenn es bloß rockt, und es rockt, wenn es zeigt: Ich nehme, was man mir hinschmeißt und mache irgendeinen Scheiß draus, aber es ist immerhin mein Scheiß, und ihr bestimmt schon mal gar nicht, was geht und was nicht. Das Video zu „Nothing compares“ ist nichts als O’Connors Gesicht.  Die Wichtigkeit einer guten Symbolpolitik wird Trump an O’Connor mögen.

Und das Lied selbst? Von Prince einst achselzuckend weggeworfen, vom schillernden schwarzen versexten Zeugen Jehovas weitergereicht an die weiße irische Unschuldsengel-Katholikin mit der großen Wut, eh schon ein ziemlicher Zeichensalat. Nichts kommt an dich heran, sagt der Text, was vermutlich auf einer Wahlkampfveranstaltung ganz platt auf den Kandidaten bezogen wird. Die Traurigkeit des Liedes und die daraus entstehende Wut passt aber auch ansonsten sehr gut zum Programm des Trump-Lagers. Einmal verstoßen von denen, die einem am wichtigsten waren, sagt das Lied, kann man tun und lassen, was man will, im fancy restaurant essen, alle Werte umkehren, tags schlafen, nachts wachen, sich einlassen, mit wem man möchte, aber es hilft nichts, diese vermeintliche Freiheit fühlt sich schal, beliebig an, denn jeden Jungen könnte man umarmen, aber er würde doch nur zum Gespenst des Vermissten. Geht man zum Arzt, rät der, man soll um jeden Preis fun haben, aber der ist auch ein Trottel, denn weiß du was? Eigentlich geht’s nur um dich, den boy, aber auch die Mama, die hinter dem Haus die schönen Blumen gepflanzt hat, die nun verdorren. Living with you was sometimes hard, aber wir sind gewillt, dem ganzen noch mal eine Chance zu geben. All das lässt sich selbstironisch auf Trump beziehen, der für seine Fans vielleicht eine Zumutung war, den sie aber doch vermisst haben. Es spricht aber auch, wenn man möchte, die tiefe Trauer seines Lagers an, das sich in den kapitalistisch frei drehenden USA in die Haltlosigkeit befreit fühlt, alles tun zu dürfen, und doch nie den Ansprüchen der Herrschenden genügt, endlich Sinn zu machen, weil man ihnen gleichzeitig alle nötigen Werkzeuge dazu versagt, für die Existenznot, nie hinein und nie nach Hause zu kommen, die nur den Stolz auf die eigene Sinnlosigkeit übrig lässt.

Und, was lernen wir daraus? Wir, die wir an Sinn und Form aus Mangel an Alternativen glauben? Mit Appellen an die Ordnung, die Trumps Fans und vergleichbare Strömungen hierzulande nur draußen gehalten hat, ist der Lust, alles kaputtzumachen, nicht beizukommen. Geht doch wählen, macht die Schule fertig, arbeitet schön, seid kreativ und baut eine kleine geile Firma auf, verwirklicht euch selbst und macht endlich unseren Sinn, das ist nur Hohn für Leute, die an diesem Modell immer nur gescheitert sind. They do not want what they haven´t got.

Was bedeutet es wirklich, zu tun was man will? Was ist Freiheit? Wozu will ich frei sein? Wie müsste ein Zusammenleben aussehen, in dem ich wirklich dazugehöre, ohne mich aufgeben zu müssen? Wie kann ich erkennen, was gut und richtig ist, ohne es mir bloß sagen zu lassen?

Antworten werden auch die demokratischsten Oberdemokratinnen, wenn sie ehrlich sind, nicht parat haben. Die Antworten von Trump und AfD müssen wir bekämpfen. Die Fragen aber bleiben. Stellen können wir uns ihnen in den Liedern und Worten. Was heißt es denn, was da gesungen wird? Was bringt das in uns zum Klingen? Fan sein – könnte man das überführen in: etwas machen? Zusammen, mit wem?

„Kulturzeit“ beiseite: So viel soll Kunst wirklich können? So viel Fragen, so viel Begegnung, so viel Widersprüchliches? Wenn wir sie nicht als Waffe einsetzen, sondern als Werkzeug: ja.

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