Nachricht vom Dachboden – Von drinnen with love [Podcastkolumne]

von Svenja Reiner

 

Zu sagen, ich sei ein schüchternes Kind gewesen, wäre, als würde man eine Weisheitszahn-Operation als ‘unangenehm’  beschreiben. Nicht falsch, aber auch nicht besonders treffend. Die erzieherische Reaktion meiner Eltern bestand darin, mich sonntags alleine in die Bäckereifiliale zu schicken – eine Übung, die ich gehasst habe. Grundsätzlich versuche ich, die verbalen Kontakte in meinem Leben auf Freund*innen oder nette Tiere im Park zu beschränken. Ich möchte weder jemanden im Hausflur grüßen noch anderen Spaziergänger*innen einen guten Tag wünschen.

Es gibt viele Gründe für diese Abneigung und es liegt nur selten daran, dass ich mein Gegenüber nicht mag. Vielmehr ist es so, dass ich befürchte, jeder beiläufige Satz könnte zu einem unfreiwilligen Gespräch führen und ich weiß nach 31 Menschenjahren immer noch nicht, wie man die eigentlich höflich beendet. Ein anderer Grund ist, dass mir selten etwas einfällt, was man zu fremden Menschen sagen könnte. Früher hatte ich oft das Gefühl, dass alle anderen gerne Smalltalk führen, ständig mit der netten Kioskverkäuferin ein nettes Pläuschchen halten und das Gespräch beim Friseur genauso genießen wie die Kopfmassage. Wie viele erzwungenen Unterhaltungen und wie viel awkwardness wäre mir erspart geblieben, wenn mein vierjähriges Bäckerei-Ich schon DRINNIES gehört hätte!

DRINNIES ist der Podcast von Comedy-Autor Chris Sommer (u.a. Kroymann, ZDF Magazin Royale, Neo Magazin Royale, Browser Ballett) und Giulia Becker. Zunächst war ich verwundert: Giulia Becker, DIE Giulia Becker, ist ein DRINNIE? Dann war ich begeistert: Giulia Becker ist ein DRINNIE! Wenn sogar Menschen, die von Beruf aus schlagfertig sind, sich zu Hause am wohlsten fühlen und genauso so ungerne ein Bierchen trinken gehen wie sie ihre Arbeitskolleg*innen an der Supermarktkasse in ein zufälliges Gespräch verwickeln, dann ist Introvertiertheit gar nicht so uncool wie ihr Ruf.

Und, das lernte ich in den mittlerweile 23 Folgen schnell: DRINNIES gibt es überall. Im März hieß es, der Podcast habe knapp 60.000 Hörer*innen, nach der Nominierung für den Deutschen Podcast Preis ist diese Zahl vermutlich gestiegen. Obwohl DRINNIES ein Unterhaltungspodcast ist, fühlte sich bereits der Pilot vollständiger an als so manch anderes Audioformat: Ein Titelbild mit viel Liebe zum Detail, wiederkehrende Rubriken wie Introvertipp, Bubble-Update oder Snack der Woche, musikalische Trenner, die Sommer selbst produziert – und das alles ohne Redaktion im Rücken.  In Drinsider – Scharf nachgefragt diskutieren Sommer und Becker individuelle Fälle, die DRINNIES vor Herausforderungen stellen: Wie verhält man sich richtig, wenn jemand in der Gruppe plötzlich fragt “Warum bist Du so still? Alles okay bei Dir?” oder wenn das Glas leer ist, aber die gastgebende Person die Getränke bereits wieder im Kühlschrank verstaut hat?

Nicht alle Antworten (schleich Dich in den Flur und trinke heimlich aus Deiner mitgebrachten Wasserflasche) sind ernst gemeint. Trotzdem wird in diesen Gesprächen vor allem deutlich, welche gesellschaftlichen Normen im Bezug auf unser menschliches Miteinander dominant sind. Gruppenarbeitsplätze, Telefonate, Netzwerkveranstaltungen – zu jeder sich bietenden Gelegenheit soll man möglichst offen, interessiert am unbekannten Gegenüber, freundlich und aufgeschlossen sein. In diesen Szenarien sind Männer nicht schüchtern, Frauen lächeln permanent und alle haben gemeinsam eine gute Zeit. 

Das sind doch Ideale von vorgestern, denkt man sich dann kopfschüttelnd. Aber als Tischler Lauritz einen Hörer*innenbrief schreibt und erklärt, wie viele unangenehme Situationen der Arbeitsalltag als Handwerker mit sich bringt, wird deutlich, wie verbreitet sie immer noch sind. Bei der intensiven Beschäftigung mit dem eigenen Unbehagen darüber, dass eine fremde oder sogar männliche Person die eigene Komfortzone stört, kann man schnell vergessen, dass auch Handwerker*innen DRINNIES sein können und die Montage in fremden Wohnräumen möglicherweise auch nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählt. Laut Lauritz gilt: Gästetoilette zeigen, pflanzliche und tierische Milch zum Kaffee anbieten und dann den Arbeitsraum erst wieder betreten, wenn darum gebeten wird.

DRINNIES macht besonders, dass es ein intelligentes und kurzweiliges Comedyformat ist, das ohne Häme auskommt. Und es scheint eine ähnlich gepolte Hörer*innenschaft anzusprechen. Neben unerlässlichen Introvertipps machen vor allem das wertschätzende Miteinander der beiden Hosts und ihre vielen Anekdoten den Reiz des Podcasts aus. Besonderen Reiz haben Chris Sommers Abenteuer und Beobachtungen als introvertierter Museumswächter, in denen beinah eine Schlägerei auf dem Mittelaltermarkt ausbricht oder eine geheime Hochzeitsgemeinschaft zu früh singt.

Zuletzt positionierte sich das DRINNIE Duo gegen sexualisierte Gewalt in der Medienbranche, solidarisierte sich mit Betroffenen und bot Hilfe an. In der Sendung sagt Giulia Becker: “Wenn ihr mit gewissen Personen aus der Branche Erfahrungen in der Richtung gemacht habt, und Euch bis jetzt nicht getraut habt, darüber zu sprechen – es gibt im Moment viele Menschen, die die Betroffenen miteinander vernetzen. Ihr seid nicht alleine! Im Zweifel könnt ihr mir schreiben und ich kann Euch connecten!”

DRINNIES ist neben dem Anstieg von Haustierbildern auf Twitter vielleicht eine der wenigen positiven Entwicklungen der Pandemie. Es ist ein feinfühliger Podcast über Introvertiertheit, Fernsehgewohnheiten, gute Snacks und die Frage, wie man beim vierten Treffen doch noch sagt, dass man Chris und nicht Christopher heißt. Wenn also das Homeoffice nicht mehr von der Freizeit zu unterscheiden ist, und alles zu einem pandemischen, digitalen Matsch verklumpt, gibt es ein Highlight pro Woche: Den DRINNIE-Dienstag.

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