Geklatscht wird, wenn das Laserschwert unten ist! – Über die Allianz zwischen Konzertbetrieb und Filmmusik

von Wieland Schwanebeck

In den derbsten und sexistischsten Zeiten des alten Hollywood erzählte man sich den Witz vom einfältigen Starlet, das zu doof ist, um sich in der Branche hochzuschlafen – und deshalb mit dem einflusslosesten Menschen im Showgeschäft anbandelt, dem Autor. Die Stoßrichtung des Witzes ist klar. Lange Zeit galten, abgesehen vom Regisseur und Produzenten, fast alle am Entstehungsprozess eines Films Beteiligten als unbedeutend. Es wäre auch niemand auf die Idee gekommen, Menschen als Stars zu feiern bzw. als eigenständige Künstler zu würdigen, die so weit unten in der Befehlskette standen. Schwer zu vertreiben ist deshalb bis heute das Vorurteil, an einer Filmproduktion seien lediglich professionelle Tarifkräfte beschäftigt, die sich den Launen der ‚wahren‘ Visionäre unterwerfen – jener Alphatiere, deren Namen am dicksten und größten im Vorspann des fertigen Films zu lesen sind. Alles andere hätte der wirkmächtigen Mär vom Auteur widersprochen, die selbst der auf Effizienz und professionelle Arbeitsteilung eingeschworenen US-amerikanischen Filmindustrie übergeworfen wird. In der Rolle des kreativen Geistes ist in dieser Erzählung allein der Regisseur vorgesehen; gelegentlich auch der Produzent, auch wenn an diesem das Stereotyp des eher aufs Geschäftliche versessenen Zampanos und nicht erst seit der Causa Harvey Weinstein auch der üble Geruch der Casting-Couch haftet.

Mittlerweile sind im Schatten der imposantesten Regie-Denkmäler jedoch einige stolze Gewächse erblüht. Einigen Vertreterinnen und Vertretern von Berufszweigen, die lange Zeit als bloße Erfüllungsgehilfen nivelliert wurden, wird eine eigene künstlerische Handschrift zugestanden. Dazu gehören Kameramänner und -frauen (bzw. directors of photography, um den deutlich mehr Sendungsbewusstsein verratenden englischen Terminus zu bemühen), Cutterinnen und Cutter sowie Drehbuchautorinnen und -autoren, wobei die Unterrepräsentation von Frauen in den genannten Berufen einer 2023 veröffentlichten Studie der San Diego State University zufolge andauert. Den größten emanzipatorischen Aufstieg hingelegt haben in jüngerer Vergangenheit jedoch die Filmkomponisten, was historisch auch nicht überraschend ist. Schließlich verband sich ihre Erfolgsgeschichte schon früh mit dem Nimbus des Stardirigenten im Frack, der sein eigenes Orchester mit sicherer Hand führt und als umschwärmter Kopf aus dem fleißigen Kollektiv-Klangkörper herausragt. Im klassischen Hollywood-Studiosystem wurde dieser historische Zusammenhang mit einigem Stolz herausgekehrt, etwa wenn die Credits alter Studiofilme offensiv herausstellen, dass der Maestro sein Score nicht nur komponiert, sondern auch dirigiert hat. Im Vorspann der monumentalen Südstaatenromanze Vom Winde verweht (Gone with the Wind, 1939) erhielt der Komponist Max Steiner (im Unterschied zu Kameramann, Szenenbildner oder Cutter) einen Credit in der identischen Größe wie der Produzent und der Regisseur; und bei den jährlich verliehenen Academy Awards gab es die Musikkategorie schon, bevor Preise an Nebendarsteller, Kostümbildner oder die Schöpfer der visuellen Effekte verliehen wurden.

Die Ära der großen, millionenfach auf CD verkauften Soundtrack-Alben mag sich im Streaming-Zeitalter mehr oder weniger erledigt haben. Allerdings hat der Hype um die Maestros der Filmmusikszene einen neuen Höhepunkt erreicht. Bei näherer Betrachtung entpuppt er sich als seltsam retrograder Personenkult, der eine fruchtbare Allianz mit der Konzert- und Eventbranche eingeht, um ein nostalgisch gestimmtes Publikum anzulocken.

Die Legende von Maestro Williams

Zur Verbreitung der klassischen Auteur-Ideologie haben wohl nur wenige so viel beigetragen wie der in Frankreich geborene Dokumentarfilmer Laurent Bouzereau. Von ihm stammen mehrere Bücher über bekannte Regisseure wie Brian De Palma und Alfred Hitchcock, vor allem aber zahlreiche Making-of-Filme, die als Bonusfeatures auf DVDs enthalten sind. Bouzereau, der auch eine abendfüllende Dokumentation über den Produzenten Richard D. Zanuck vorgelegt hat, haben es besonders die großen, vermeintlich unangepassten Männer des alten Hollywoods angetan.

Dass sein jüngster Film zur Abwechslung nicht um einen Filmstar, Regisseur oder Produzenten kreist, darf deshalb als bedeutende Zäsur gelten: Music by John Williams (2024), im Streaming-Angebot von Disney+ verfügbar, widmet sich dem Schaffen des wohl bekanntesten Filmkomponisten der Welt. Williams hat im Lauf seiner fast sieben Jahrzehnte umfassenden Karriere weit über 100 Filmsoundtracks komponiert, wurde sage und schreibe 54 Mal für den Oscar nominiert und ist heute vor allem für seine über ein halbes Jahrhundert andauernde Zusammenarbeit mit Steven Spielberg bekannt. Bouzereaus Film, der nicht mit Belegen für die enorme Beliebtheit von Williams‘ Kunst geizt, ist eine kurzweilige Werkschau, in der Williams‘ bekannteste Themen – darunter die Soundtracks für Krieg der Sterne (Star Wars, 1977), Superman (1978) und Jurassic Park (1993) – gerade lang genug angespielt werden, um dem Zuschauer bzw. Zuhörer ein wenig wohlige Nostalgie einzuflößen und Lust auf eine Wiederbegegnung mit den Filmen zu machen. Dass der Streamingdienst, der die Dokumentation exklusiv vertreibt, viele dieser Filme im Programm führt (und sich beispielsweise die Rechte am Star-Wars-Franchise im Jahr 2012 geschätzte vier Milliarden US-Dollar kosten ließ), ist natürlich kein Zufall. Music by John Williams, konventionell zusammengesetzt aus Archivmaterial und Testimonials prominenter Fans, ist vor allem professionell geschnittene Eigenwerbung für das Tafelsilber des Disney-Konzerns, dem auch die Indiana-Jones-Reihe – und damit ein weiteres Franchise mit ikonischem John-Williams-Soundtrack – gehört.

Der Film widmet sich noch weiteren Facetten in Williams‘ Schaffen, wobei neben seinen früheren Tätigkeiten als Arrangeur und Jazzmusiker vor allem sein Engagement im klassischen Konzertsaal viel Raum einnimmt. Auffällig ist, dass diese Beschäftigung nicht gegen das filmmusikalische Schaffen ausgespielt wird. Vermieden wird damit das bekannte Narrativ der Zweitbegabung nach dem Motto „Schaut her, was der noch so alles kann!“, das gern bemüht wird, sobald singende Tatort-Kommissare, schreibende Tennisspielerinnen oder komponierende Justizminister im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen. Obwohl sich der als dünkelhaft geltende Klassikbetrieb und das Soundtrack-Geschäft als Inbegriff der als entmündigend verschrienen Kulturindustrie traditionell so unversöhnlich gegenüberstehen wie das E- und U-Segment, in dem beide nun einmal fest verwurzelt sind, wird Williams‘ zweite Karriere als Dirigent und ,seriöser‘ Komponist im Film anders funktionalisiert, nämlich zur Selbstvergewisserung und gegenseitigen Authentifizierung beider Bereiche.

Der Film vollzieht nach, wie Williams im Jahr 1980 durch Seiji Ozawa als neuer Generalmusikdirektor des Boston Symphony Orchestra vorgeschlagen wird. Hieran schließt sich eine Binnenerzählung an, die ebenfalls aus dem traditionellen Hollywoodkino bekannt ist. Denn die Schilderung von Williams‘ Werdegang zum respektierten Dirigenten bemüht das aus dem Militär- oder Sportfilm bekannte Narrativ vom neuen Coach/Lehrer/Ausbilder, der für seine unkonventionellen Methoden zunächst vom Establishment verachtet wird, nur um sich allmählich den Respekt seiner Schützlinge zu erarbeiten. Bei seinem Amtsantritt, so berichtet es Bouzereaus Film, sei Williams als ,der Neue‘ von den älteren, repertoirekonservativen Orchestermusikern so vehement abgelehnt worden, dass er bereits 1984 wieder von seinem Amt zurückgetreten sei. An das rasche Comeback schließt sich – auch dies eine eherne Konvention des Sportfilms – eine Montage an, um die Weisheit dieser Entscheidung mit allerlei Erfolgsmeldungen zu belegen.

Um jene Musiker und Kritiker Lügen zu strafen, die im Scoring nichts weiter als eine „bastard art“, also eine illegitime und verrufene Kunstform sehen, bietet Music by John Williams zudem zahlreiche Kronzeugen für die angeblich erst durch Williams erreichte Öffnung und Demokratisierung des Konzertsaals auf. So schildert der Filmkomponist Thomas Newman vor der Kamera, mittlerweile bestreite niemand mehr in der Klassikszene, was für ein brillanter und origineller Geist Williams sei – ja, wer den Filmkomponisten „an diesem Punkt der Geschichte“ noch mit Verachtung strafe, sei überhaupt nicht ernstzunehmen. An anderer Stelle kommen bekannte Künstler zu Wort, die fürs breite Publikum als prominente Gesichter des Klassikbetriebs fungieren, auch wenn sie längst zu verkappten Popstars aufgestiegen sind und durch eine aufwendige, auf bestimmten Gesten und Codes basierte Performance eher symbolisches Virtuosentum betreiben. Dank einem ähnlichen Verfahren wurde der sympathische Erklärbär „Professor Hellmuth Karasek“ dem Fernsehpublikum lange Zeit als authentisches Gesicht der Literaturwissenschaft untergeschoben, auch wenn er von echter literaturwissenschaftlicher Forschung in Wahrheit so weit entfernt war wie der Spielkonsolen-Klempner Super Mario von den aktuellen Entwicklungen in der Sanitär- und Heizungstechnik.

So erklärt in Music by John Williams der Cellist Yo-Yo Ma, den man spätestens seit seiner Zusammenarbeit mit Sting und Miley Cyrus keiner Vorbehalte gegenüber dem Popsegment verdächtigen wird, es gebe ohnehin keine E- und U-Musik, sondern lediglich „good music and bad music“, und die Geigerin Anne-Sophie Mutter, der Williams unter anderem ein eigenes Violinkonzert (2021) gewidmet hat, würdigt ihn als einen der letzten Komponisten, die überhaupt noch für ein großes Sinfonieorchester schreiben und damit traditionelles Handwerk für kommende Generationen zu bewahren helfen. Williams stimmt mit seinem Chor der Getreuen hier ein professionelles Crossover-Duett an, das einem ähnlichen Zweck dient wie eine Koproduktion etablierter Stars als friends with (artistic) benefits: eine Vergrößerung des Absatzmarktes bzw. eine Mehrung der Fanbasis. Die Filmmusik erhält ihre künstlerische Legitimationsurkunde, so dass die „bastard art“ in den Status einer ernstzunehmenden künstlerischen Disziplin befördert wird; im Gegenzug erschließt sich der notorisch um seine Abonnentenzahlen besorgte Klassikbetrieb ein neues Publikum, das normalerweise vor seinem elitären Habitus zurückschrecken würde.

Das große Finale der Dokumentation führt beides zusammen, mit Bildern von Williams‘ jährlichem Gastspiel im Hollywood Bowl in Los Angeles. Dort huldigen tausende von Zuhörern dem Maestro und schwenken die mitgebrachten Laserschwerter, während das Orchester den „Imperial Death March“ (aus Das Imperium schlägt zurück , 1980) anstimmt. Williams lässt sich dazu hinreißen, seinen Taktstock ebenfalls durch ein Laserschwert zu ersetzen. Das unterstreicht einerseits, wie der Klassikbetrieb seine traditionellen Riten den Erfordernissen einer nostalgischen, von Reliquien und Cosplay zehrenden Fankultur anzupassen versteht; es macht aber zugleich deutlich, dass der Dirigierstab beim eingängigen, aber wenig komplexen Humtata vieler Williams-Kompositionen allenfalls symbolische Funktion besitzt, denn das professionelle Orchester dürfte kaum in Gefahr schweben, ohne präzises Dirigat den Anschluss in der Partitur zu verlieren. Die Gegenwart des über 90jährigen Dirigenten während der Konzertaufführung ist eher von symbolischer Funktion, bildet aber zugleich die zwingende Voraussetzung des Ereignisses. Schließlich ist das Publikum – wie schon zu den umjubelten Tourneen des greisen Ennio Morricone – erschienen, weil es die bekannten Stücke durch Williams authentifiziert wissen möchte. Der Maestro und seine Jünger bestätigen sich gegenseitig.

Unabhängig davon, ob man John Williams‘ dick aufgetragene, der romantischen Programmmusik verpflichtete Soundtrack-Kunst im Konzertsaal gut aufgehoben findet, liefern diese Bilder ein seltsames Schauspiel. Denn mit der Anrufung des Maestros als lebendes Denkmal bzw. als Anker der eigenen Popkultur-Sozialisation findet eine eigentümlich retrograde Wiederbelebung eben jenes Virtuosenkults statt, der den Klassikbetrieb von jeher auszeichnet und seine Demokratisierung lange Zeit eher verhindert denn befördert hat. Im weißen Smoking spielt Williams heute die Rolle eines Karajan- oder Toscanini-Wiedergängers, obwohl er ganz sicher nicht bloß diejenigen in den Konzertsaal lockt, die mit dem Klatschen solange warten, bis der Taktstock unten ist, sondern – so formuliert es der Komiker Seth MacFarland in der Dokumentation – „ganz alltägliche Menschen, die einfach tolle Musik hören wollen“.

Die neuen Konzertmeister

Der Klassikbetrieb scheint sich einiges vom Schulterschluss mit John Williams und seinen mittlerweile ebenso im Konzertsaal gefragten Kollegen wie Howard Shore und Alan Silvestri zu erhoffen. Die Allianz ist nachvollziehbar, denn es liegt nun einmal auf der Hand, dass sich Kulturinstitutionen und andere öffentliche Einrichtungen nicht allein aufs traditionelle Abonnement-Publikum verlassen dürfen, um Einnahmen zu erwirtschaften. Viele namhafte Orchester beschäftigen mittlerweile eigene Marketing- oder Pädagogikteams, um sich ein neues Publikum zu erschließen. Nicht mehr aus dem Konzertkalender wegzudenken sind etwa die moderierten Familienkonzerte, die in diversen Konzerthäusern unter Namen wie „Sterntaler“ (Tonhalle Düsseldorf), „Ohrenöffner“ (Konzerthaus Dortmund) oder „Spielfeld Classic“ (Münchner Philharmoniker) den Konzertkalender bereichern. Zum Einsatz kommen hier neben spielfreudigen Dirigenten prominente Musikvermittler wie Ralph Caspers, Suli Puschban oder Malte Arkona sowie flauschige Maskottchen, die auf Namen wie „Pizzi & Cato“ (Göttinger Symphonieorchester) oder „Phili“ (Dresdner Philharmonie) hören.

Der Konzertbetrieb wartet dabei mit allerlei sympathischen Innovationen auf, etwa wenn die Duisburger Philharmoniker eine eigene Konzertreihe für Menschen mit Demenz schaffen oder ihre Instrumentalisten in die Schulen entsenden. Anderswo treibt die Suche nach Crossover-Projekten kuriose Blüten; vor allem, wenn das Marketing-Team so viele Brainstorming-Sessions ansetzt wie das Orchester Probentermine. So laden die Münchner Philharmoniker mittlerweile zu Familienkonzerten in die BMW-Welt, wo (O-Ton) „das Auto auf kreative Weise als Klangquelle genutzt [wird]“, auf dass „die Felgen als Schlagwerk zum Einsatz kommen“. Ebenfalls gut nachgefragt sind Angebote, mit denen sich der Klassikbetrieb eine Auszeit von der Patina elitärer Bildungsbürgerlichkeit verordnet, um ein Publikum anzulocken, das nicht von früher Kindheit an auf die habituellen Regeln des klassischen Konzertsaals eingeschworen worden ist und im regulären Sinfoniekonzert womöglich schief angeschaut werden würde, wenn es mal zwischen den Sätzen Beifall klatscht oder in vermeintlich unangemessener Garderobe erscheint. Das Gewandhaus Leipzig veranstaltet dann unter freiem Himmel das Format „Klassik airleben“, die Dresdner Philharmonie lädt unter dem Motto „abgeFRACKt“ zu niedrigschwelligen Kurzkonzerten und im Konzerthaus Dortmund wird regelmäßig „Der Joker“ gezogen und ein Überraschungsprogramm dargeboten.

In diese Reihe gehören auch die diversen Ausflüge in die Welt der Filmmusik, die mittlerweile einen ebenso festen Platz in den Konzertprogrammen einnehmen wie Beethovens Klavierkonzerte und die abendfüllenden Sinfonien von Mahler oder Bruckner. Dann werden „Sternstunden der Filmmusik“ (Kölner Philharmonie) angesetzt, Reisepläne „von Babelsberg nach Hollywood“ (Stuttgarter Philharmoniker) geschmiedet oder gar Duelle ausgetragen: eine „Blockbuster-Battle“ zwischen Hans Zimmer und John Williams verspricht die Dresdner Philharmonie, und textet sich in ihrer Ankündigung des von Schauspieler Tom Wlaschiha moderierten Konzertereignisses um Kopf und Kragen: „Ihr entscheidet live, welche Musik die größten Emotionen liefert!“

Die Dresdner sind nicht die einzigen, die ihre ,Filmmusik sagt mehr als tausend Worte‘-Agenda mit Ankündigungstexten untergraben, die ganz im „powered by emotion“-Duktus schwülstiger Agenturprosa gehalten sind. So verspricht das Tournee-Ensemble Cinema Festival Symphonics (regelmäßig unterwegs mit Programmen zu Harry Potter, Der Herr der Ringe sowie, wie könnte es anders sein, Star Wars) in seinen Konzertbeschreibungen vollmundig, dass „kein Auge trocken [bleibt]“, oder es produziert so schöne Stilblüten wie die, dass Elton John für den König der Löwen „zeitlos und für die Ewigkeit“ komponiert habe. Vielsagend ist auch die von der Leipziger Philharmonie lancierte Ankündigung eines Programms mit „bekannte[n] Filmmusiken von Hans Zimmer bis John Williams“. Die mit dem Von-bis-Titel suggerierte Bandbreite wird durch die Benennung der immergleichen Szenegiganten Lügen gestraft, so dass sich Erinnerungen an die Kneipenbesitzerin aus Blues Brothers einstellen, der zufolge das musikalische Spektrum in ihrem Lokal selbstverständlich beides umfassst: „Country und Western.“

Nicht, dass es in der Filmmusik keine Innovationen zu feiern gäbe – jüngere Talente wie die mittlerweile ebenfalls mit dem Oscar geehrten Hildur Guðnadóttir oder Ludwig Göransson haben sich in den letzten zehn Jahren eine beeindruckende Filmographie erarbeitet und zahlreiche neue Klangfarben ins Scoring eingebracht. Im Konzertbetrieb ragen dagegen Williams und Zimmer nach wie vor als die größten Namen heraus; ihre direkte Gegenüberstellung vermittelt auch eine Ahnung davon, in welchen Rollen der Filmmusik-Maestro heute am erfolgreichsten agiert. Hans Zimmer lässt sich zwar in vielerlei Hinsicht als Erbe von John Williams verorten, verfolgt jedoch sowohl stilistisch wie auch als ,Event-Marke‘ einen anderen Weg, tritt er doch als umtriebiger MC und Konzert-Zampano in Erscheinung, der sich in den Mehrzweckhallen des internationalen Tourneebetriebs wohler fühlt als im klassischen Konzertsaal. Einen Eindruck davon vermittelt seine unter dem Titel „The World of Hans Zimmer“ zum Multimedia-Erlebnis hochgejazzte Live-Show, in der sich Zimmer als Erzähler und Moderator ebenso verausgabt wie als Gitarrist.

Live arbeitet Zimmer seine imposante Filmographie im Schweinsgalopp ab, fasst etliche bekannte Themen zu Medleys zusammen und bemüht statt eines traditionell orchestralen Klangbilds lieber eine vorsätzlich maßlose Überwältigungsdramaturgie, mit Tänzern, diversen Solisten und allerlei Lichteffekten – deutliche Hinweise darauf, dass er nicht ernsthaft um das traditionelle Publikum des klassischen Konzertsaals buhlt. Von größerem Interesse sind in diesem Vermarktungsmodell Sponsoring-Partnerschaften, so dass Zimmer mittlerweile auch als Klangtüftler für BMW in Erscheinung tritt, auf dass (O-Ton) „das neue E-Fahrzeug auf den sonnigen Straßen von L.A. zum Orchester der Emotionen wird“. Als Schöpfer des Dune-Soundtracks geht Zimmer auch dorthin, wo die Wüste noch richtig staubig ist, verpasst der Nationalhymne von Saudi-Arabien ein modernes Arrangement und dürfte sich wahrscheinlich auch die Eröffnung der dort im Jahr 2034 stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft schon mal im Kalender vormerken. Die Geschäftstüchtigkeit des einstigen Synthesizer-Virtuosen belegt nicht zuletzt sein rund zweieinhalbstündiger Konzertfilm, Hans Zimmer & Friends: Diamond in the Desert, der in der Coca-Cola-Arena in Dubai aufgezeichnet wurde und im März 2025 eine Kinoauswertung erfuhr.

Dass die preisgekrönten Schöpfer erfolgreicher Filmsoundtracks zu Stars taugen, belegen sowohl die Karrieren von John Williams als auch von Hans Zimmer. Hinsichtlich ihrer Strategien der (Selbst-)Inszenierung gehen beide dagegen unterschiedliche Wege. Während John Williams als Bewahrer des opulenten Orchester-Scores vom kulturellen Kapital des symphonischen Konzertbetriebs zehrt und dabei das paradox betitelte Segment der ,modernen klassischen Musik‘ bedient, agiert Zimmer deutlich poppiger und kokettiert in seinen aufwendigen Live-Shows mit einem als vage weltmusikalisch geframten Bekenntnis zu moderneren klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten. Wie es rund um das nostalgisch codierte Phänomen ,Filmmusik im Konzertsaal‘ allerdings nicht anders zu erwarten ist, spielen beide Komponisten als abgeklärte Verwalter ihres jeweiligen Lebenswerks vornehmlich Greatest-Hits-Programme, um ein eher innovationsresistentes, den (bewegten) Bildern seiner Kindheit nachtrauerndes Publikum anzulocken. Das macht John Williams und Hans Zimmer letztlich zu Botschaftern derselben Agenda – und zu dringend benötigten Zugpferden in der Konzert- und Eventbranche.

Beitragsbild von Arindam Mahanta

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