Autoritäre Revolte – Rammstein, Rock und Frauenhass

von Veronika Kracher

Kaum jemand hat es momentan so schwer wie Rammstein-Fans. Denn nach den Vorwürfen gegen die Band, systematisch junge, weibliche Fans ausgenutzt zu haben, bedarf es einiger  Willensstärke, um sich weiterhin zu diesem ekligen Klüngel zu bekennen. Schwächere Personen als die eingefleischten Fans einer Band, die seit Jahrzehnten so richtig subversiv mit Kolonialherren- und Nazi-Ästhetik kokettiert, würden sich nun wahrscheinlich distanzieren. Sie würden angesichts der zahlreichen Beschreibungen eines ausgefeilten Systems, das auf der  Ausbeutung junger Frauen basiert, ihre Konzertkarten verkaufen und Tattoos überstechen lassen. 

All die Normies, die Till Lindemanns Genie nur halbherzig gewürdigt haben, verstehen einfach nicht dass seine bis vor kurzem bei Kiepenheuer & Witsch verlegten Bände, die Gedichte über sexualisierte Gewalt enthalten, Ausdruck eines künstlerischen Ichs sind, und überhaupt nichts mit Lindemanns tatsächlichem Verhalten zu tun haben! Jedenfalls haben es Rammstein-Fans einfach verdammt schwer, weil sie zahlreiche mentale Verrenkungen vornehmen müssen, um vor sich und der Welt zu rechtfertigen, warum ihnen mit riesigen Phalli herumspritzende Altrocker mehr am Herzen liegen als das Wohlergehen von Frauen.

Rammstein sind jedoch nicht die einzigen Künstler, die trotz einer Geschichte von Chauvinismus und Misogynie nach wie vor von ihren Fans in Schutz genommen werden, eine Bühne bekommen und Preise abräumen. Die viel beschworene „Cancel Culture“ existiert nicht – obwohl sie dringend nötig wäre. Fanatischen Fans fällt es in der Regel ausgesprochen schwer, Kritik an den Objekten ihrer Bewunderung zuzulassen oder diese gar selbst zu üben. Denn wer als Fan eine Identifikation mit seinem Idol – sei es ein Schauspieler, eine Musikerin, ein Sportler – aufgebaut hat, ist häufig auch emotional mit diesem Idol verhaftet.

Nun ist es das eine, Kritikpunkte zu ignorieren oder zu verleugnen. Wie wir aber gerade in Bezug auf Rammstein sehen, bleibt es nicht dabei – stattdessen üben sich die Fans in brutaler Misogynie gegenüber den  Frauen wie Shelby Lynn oder Kayla Shyx, die den Mut haben, von ihren Erlebnissen mit der Band zu berichten. Derartiges Verhalten ist nichts Rammstein-spezifisches, sondern die  bittere Begleiterscheinung, wenn es Vorwürfe gegen berühmte Männer – und es sind meistens Männer – gibt. Drastischstes Beispiel der letzten Jahre ist wohl die misogyne Hasskampagne gegen die Schauspielerin Amber Heard, die gewagt hatte zu insinuieren, dass ihr Ex-Mann kein sensibler Außenseiter ist, wie er ihn in seinen Filmrollen in den 90er Jahren verkörpert hatte, sondern ein cholerischer Säufer. Diese Verteidigungshaltung resultiert aus mehreren Faktoren – ist aber letztendlich in einer Gesellschaft und Industrie verwurzelt, in der die Verachtung und Ausbeutung von Frauen an der Tagesordnung ist.

Rockstar-Männlichkeit

Fans gitarrenlastiger Musikrichtungen sehen sich gerne als irgendwie rebellisch, selbst wenn die von ihnen vergötterten Künstler Multimillionäre sind, die in ausverkauften Stadien das Standard-Programm jedes Radiosenders mit den „besten Hits der Achtziger, Neunziger und von heute“ abspielen. Vielleicht wohnte Rock noch subversives Potential inne, als Künstler*innen dafür Sanktionen erfuhren, sich gegen den Krieg in Vietnam zu stellen. Aber dem Kapitalismus und seiner Kulturindustrie ist es immanent, alles auch nur ansatzweise Bedrohliche aufzusaugen, sich einzuverleiben und zum systemkompatiblen Hochglanzprodukt zu machen, dessen kritisches Moment mehr Schein als Sein ist.

Wie die Autor*innen Joy Press und Simon Reynolds in dem lesenswerten „Sex Revolts – Gender, Rock und Rebellion“, das gerade jetzt das Buch der Stunde sein sollte, ausführen, wurde die Rebellen-Inszenierung „alternativer“ Musik immer schon auf dem Rücken von Frauen ausgetragen. Rock-Rebellen hatten sich seit den 1950er und 60er Jahren damit gebrüstet, alle erdenklichen – aber vermutlich auch deshalb selten konkret benannten – Repressionen kaputt schlagen zu wollen. US-Regierung, Elternhaus, Polizei, schlicht alles von dem Kränkungen und Einschränkungen ausgingen. Ein Unterdrückungsverhältnis blieb jedoch seit jeher außen vor: das Geschlechterverhältnis.

Wie Press und Reynolds darstellen, werden im Rock und seinen ideellen Vorgängern wie der Beat-Literatur Frauen, trotz der brutalen Ausbeutung und Unterdrückung, die sie im kapitalistischen Patriarchat erleiden, weniger als dessen Opfer gesehen. Stattdessen gelten sie als diejenigen, von denen eine Einschränkung und Unterdrückung ausgeht, gegen die rebelliert werden muss. Mütter, Lehrerinnen, Partnerinnen. Anstatt unsere Rock-Rebellen einfach ziehen und sich selbst entdecken zu lassen, verlangen diese Spießerinnen von ihnen die Übernahme von Verantwortung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Und einen Job annehmen, um eine Familie zu ernähren, anstatt mit der Gitarre auf dem Rücken durchs Land zu reisen, ist dem musikalischen Männer-Genie schlicht unwürdig. Die Zuschreibung an Frauen, Teil der Herrschaft zu sein, ist eigentlich eine projektive Täter-Opfer-Umkehr, die den Zweck hat,  die konkrete patriarchale Gewalt, die Stars mit Rebellen-Attitüde immer und immer wieder ausüben, zu verschleiern.

Eigentlich, so argumentieren die Autor*innen von „Sex Revolts“, geht es in großen Teilen des Phallus-Rock maximal um eine infantile Rebellion mit dem Ziel, eine diffuse Unzufriedenheit zu artikulieren, sich die Hörner abzustoßen und für ein paar Jahre lang eine Gegenposition zu einem selten wirklich benannten Establishment zu performen. Mit einem tatsächlich revolutionären Anspruch, der eine radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen übt, hat diese Attitüde wenig gemein. Und: Es ist bezeichnend, dass diese musikalische Trotzphase bei so vielen Musikern inzwischen mehrere Jahrzehnte  anhält. Zusammenfassend: Das Establishment ist weiblich, Rebellion hingegen männlich konnotiert.

Rockstar-Misogynie

Auch wenn es zahlreiche bewundernswerte weibliche und queere Künstler*innen gibt, die sich in der chauvinistischen Rockindustrie durchsetzen konnten, war und ist die Funktion von Frauen in der Welt von Rammstein, anderer Männer-Bands und deren Fans primär die des Groupies. In von Männern produzierten Büchern, Liedern oder Filmen wird Frauen selten die Rolle als selbstbestimmtes Subjekt gestattet. Vielmehr müssen sie immer wieder als Projektionsfläche für dieselben Männerfantasien herhalten. Entweder sind sie das abstrakte,  sexlose Liebesobjekt, die sexuell deviante Schlampe, oder die kaltherzige Ex, an der in Texten  Rache genommen wird.

In einer Kulturindustrie, in der Männer – wie im Kapitalismus generell – im Besitz der Produktionsmittel sind, entstehen männerbündische Seilschaften. Diese führen dazu, dass Männergeschichten jene sind, die als erzählenswert erachtet werden, weil so viele Männer nach wie vor die Perspektive von Frauen nicht respektieren, und demzufolge auch nicht veröffentlichen wollen. Der einzige Zugang in die Musikbranche, zu den Bühnen, zu Musikern selbst war für Frauen das Dasein als Fan und Groupie. Rammstein ist nur ein Beispiel von vielen, dass Frauen als Fans, mit denen der Künstler über Musik fachsimpeln, oder dessen Tracks er hören kann, nicht wahrgenommen werden, sondern lediglich als Sexobjekte. Ihre Aufgabe ist es, Teil der Performance von Star-Männlichkeit zu sein, die auch immer über den Zugang zu anderen Körpern und Sex funktioniert.

Identifikation und Idolisierung

In patriarchalen Verhältnissen ist die Idealvorstellung von Männlichkeit mit der Abwertung des Nichtmännlichen verbunden. Richtig Mann kann nur sein, wer nicht Frau oder queer ist. Die Unterwerfung der Frau erfolgt konkret im besten Falle (aber nicht nur) durch den Sexualakt. Denn sexuelle Potenz, Virilität und Erfolg bei der Damenwelt sind Garanten dafür, ein echter Mann zu sein. Stars sind oftmals Gradmesser für die gesellschaftlichen Idealvorstellungen von Geschlecht. Sei es die verspielte, queer anmutende Männlichkeit eines Harry Stiles oder eben ein Till Lindemann, der sich selbst als intellektuell und künstlerisch versierter, direkter, harter Rebellentyp inszeniert, der aus einem riesigen Phallus von der Bühne sein Genie auf seine Fans runterspritzt und nebenbei auch noch Pornos mit sehr jungen Frauen dreht. Es ist naheliegend, dass diese Performance einen ganz bestimmten Typus Mann anspricht.

Die Fans von Rockstars sind zwar selten selbst wohlhabende Berühmtheiten mit einer Sammlung an antiken Gitarren oder kostbaren  Schallplatten, sie werden in der Regel nicht von attraktiven Frauen angehimmelt und von Plattenproduzenten umgarnt, aber der Konsum eines Musikers  führt dazu, dass man sich ein bisschen in dessen Ruhm sonnen kann. Musik vermittelt Emotionen; und selbst wenn die wilden Tage des Zuhörers inzwischen vorbei sind und er ein tristes Leben als mittlerer Angestellter fristet, seine Frau sich getrennt hat und die Kinder sich nicht mehr melden: im Auto die „Hardrock 1987“-Playlist aufdrehen lässt ihn noch einmal den Kitzel der adoleszenten Rebellion spüren. Diese adoleszente Rebellion ist eben auch immer auf der Wiedergutmachung gekränkter, infantiler Männlichkeit und der Abwertung von Frauen aufgebaut.

Wohl ein nicht unbeträchtlicher Teil männlicher Rammstein-Fans sehnt sich danach, über die Teilhabe an der Musik und an Konzerten zumindest ein bisschen sein zu können, wie sie sich Lindemann vorstellen. Lindemanns Umgang mit jungen, attraktiven Frauen ist für diesen Typ Mann, der Rockmusik und -stars nicht trotz, sondern wegen ihres Frauenbildes zelebriert, erstrebenswert. Gerade der Umgang von Rammstein-Fans mit den Teilnehmerinnen der feministischen Proteste gegen das Konzert in München macht dies deutlich. Die Fans, oftmals Typ „gut situierter Familienvater“, skandierten Parolen wie „Row, Row, Zero“, bekannten öffentlich ihre Liebe zu Lindemann und belästigten die Demonstrantinnen auf sexualisierte Art und Weise, wie berichtet wird.

Fandom als autoritäre Revolte

Ob Fans nun die Vorwürfe an Lindemann und seinem Umfeld glorifizieren oder sie verleugnen und die zahlreichen betroffenen Frauen als Lügnerinnen, rachsüchtige Groupies oder naive Dummchen darstellen: Sie glauben, auf der „richtigen Seite“ der Geschichte zu stehen. Denn ihre Idole sind ja Rebellen, die gegen das – mit Frauen assoziierte – Establishment antreten. Deswegen, so der gedankliche Kurzschluss, sind all jene, die sich gegen diese Idole stellen, Vertreter*innen der verhassten Spießergesellschaft.

Die eigene, alternative Szene dient oft als Raum der Abgrenzung gegen den „Mainstream“, was musikalisch, visuell und im Habitus zelebriert wird. Jedoch verleugnen Rock-Fans, dass ihre Musik längst zum Mainstream geworden ist. Fans glauben, ihre Szene aus einem „Wir gegen die“-Kollektivgefühl heraus als Schutzraum verteidigen zu müssen. Ein Beispiel ist Gatekeeping. Wer als junge Frau mit einem Wipers-Shirt auf ein Konzert geht, sollte aus der Pistole geschossen angeben können, für welche Alben Brad Davidson Bass gespielt hat, weiß sie das nicht, ist sie nämlich kein richtiger Fan. Dies liegt mutmaßlich auch viel in der oberflächlichen Ästhetisierung von Subkulturen über Plattformen wie TikTok begründet. Anstatt sich aber darüber zu freuen, dass sich junge Menschen für eine bestimmte Musikrichtung interessieren, sprechen eingefleischte Fans ihnen die genuine Begeisterung  nach wie vor oft ab.

Außerdem glauben Fans, die eigene Community gegen Kritik von außen verteidigen zu müssen. Diese Verteidigung kann berechtigt sein, wie bei der brutalen Hetze gegen Antifaschist*innen oder queere Menschen. Aber in einer Zeit, in der selbst die Bevölkerung von Sylt keine Einwände gegen die 2022 dort campierenden Punks hat, ist die Außenseiter*innenszenierung von Subkulturen obsolet geworden. Was bleibt, ist die Abwehrhaltung gegen Kritik aus den eigenen Reihen, weil: Dissonanzen im Wohlfühlort sind unangenehm. Die Leidtragendenden sind in der Regel Frauen, People of Colour, Queers oder Menschen mit Behinderung – denn anstatt Schutzraum vor Diskriminierung zu sein, führen Subkulturen diese immer wieder fort.

Im Falle von Bands wie Rammstein ist der Autoritarismus jedoch noch einmal drastischer, da diese Fans sich nicht als antirassistisch oder antisexistisch begreifen. Sie sehen sich, wie es Reaktionäre so gerne tun, als Opfer von Feminismus und Cancel Culture, die ihnen den Spaß des übergriffigen Saufgehabes nehmen will. Chauvinismus als Freiheit und der Appell an Verantwortung als weiblich codiertes Establishment, die klassische Männerrock-Erzählung also.

Gesellschaftlich vermittelte Misogynie

Letztendlich ist die treibende Kraft hinter der Verteidigung von Ausbeutung und die Wut gegenüber den  Frauen, die über das ihnen zugefügte reden, Misogynie. Die Philosophin Kate Manne bezeichnet Misogynie als „Straf- und Kontrollmechanismus des Patriarchats“, um Frauen dafür abzustrafen, sich patriarchalen Anforderungen an Weiblichkeit zu verweigern.  Gewalt ist ein Grundpfeiler patriarchaler Herrschaft – und seine Profiteure sanktionieren den feministischen Kampf für sexuelle Selbstbestimmung regelmäßig durch misogyne Akte und Kampagnen.

Opfern die Schuld für das Erfahrene geben, zu suggerieren, sie hätten es doch eigentlich gewollt, oder zu behaupten, Opfer würden gerade berühmte Männer aus niederen Motiven wie dem Wunsch nach Ruhm der Gewalt bezichtigen, sind elementare Bestandteile von Misogynie. Es ist bitter, live mitverfolgen zu können, mit welcher Selbstsicherheit und Grausamkeit Männer aller Milieus gerade ihre Frauenverachtung offen zur Schau stellen. Ziel ist es, die Betroffenen zum Schweigen zu bringen – und weiteren Opfern zu vermitteln: „Haltet lieber den Ball flach, sonst werden wir euch das gleiche antun.“

Es ist nicht so, dass diese Misogynie bei den Verteidigern von Lindemann nicht bereits vorhanden wäre – jetzt bricht sie nur besonders sichtbar heraus.. Jetzt haben diese Männer konkrete Feindbilder, bei denen sie glauben, ihre berechtigte Wut herauszulassen und ihr Idol verteidigen zu können. Primär zeigen sie nur auf, was für stumpfe Menschen sie sind, unfähig, sich einer simplen Erkenntnis zu stellen: Lindemann ist kein Genie, Rammstein machen keine subversive Kunst, sie sind bräsige Spießer und ihre Rebellion nichts anderes als infantiler Trotz, ausgetragen auf den Schultern von Frauen.

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Foto von Diane Picchiottino

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