von Isabella Caldart
Lizzy Talbot ist Intimacy Coordinator, also „Intimitätskoordinatorin”: Sie ist am Filmset und bei Theaterproben dafür verantwortlich, dass sich bei Intimszenen alle Beteiligten wohl und sicher fühlen. Das bedeutet, dass sämtliche Szenen, die eine Form von Intimität beinhalten, mit den Schauspieler*innen ganz genau durchgesprochen und choreografiert werden. Seit 2015 arbeitet Talbot in den USA und Großbritannien als Intimacy Coordinator, mit ihrer Arbeit am Set der Netflix-Serie Bridgerton wurde sie bekannt. Über Bridgerton selbst darf sie leider nicht mehr sprechen, weil die Promotion für die Serie seit Mitte März abgeschlossen ist. Im Zoom-Interview gibt sie aber einen allgemeinen Einblick in ihre Arbeit als Intimacy Coordinator.
Könntest du uns eine kurze Einführung in deinen Job geben – was genau macht man als Intimacy Coordinator?
Meine Arbeit als Intimacy Coordinator ist in drei Bereiche aufgeteilt. Der erste ist das Eintreten für die Bedürfnisse und Sicherheit von Schauspieler*innen und Crew am Set während des Filmens einer intimen Szene. Der zweite Bereich ist eher der Planungs- und Kooperationsaspekt der Rolle, in der wir uns um alle Facetten bei der Arbeit mit Intimität kümmern: Wir sprechen mit den Leiter*innen der Crews für Kostüm, Haar und Make-up und Stunts, um sicherzustellen, dass alle praktischen Aspekte organisiert sind. Der dritte und wichtigste Punkt ist unsere Choreografie. Wir sind Bewegungsregisseur*innen, das ist unsere zentrale Aufgabe, wofür wir uns bis zum Schluss einsetzen.
Wie kann ich mir deine Arbeit konkret vorstellen?
Wir sprechen mit den Schauspieler*innen um herauszufinden, wie sie arbeiten wollen. Im Grunde geht es nur darum, dass sie sich wohlfühlen. Einige Schauspieler*innen wollen, dass jede Bewegung unglaublich detailliert choreografiert ist, und andere geben einfach nur ihre Zustimmung. Und dann improvisiere ich gerne, solange alles safe ist.
Was genau ist die Definition von Intimität? Handelt es sich dabei nur um Sexszenen?
Wir teilen Intimität in verschiedene Teile auf. Es gibt die physische Seite, an die sofort jeder denkt, und die unterteilt sich in Entblößung und in Körperkontakt, was nicht unbedingt zusammenhängt. Man kann simulierten Sex haben und immer noch fast vollständig bekleidet sein, oder man kann sich kaum berühren, aber völlig nackt sein. Neben der körperlichen gibt es auch emotionale Intimität, und wie diese beiden miteinander interagieren, ist ebenfalls Teil der Arbeit. Aber es geht nicht nur um sexuelle Intimität, sondern auch um jene in der Familie, zwischen Geschwistern, Freund*innen, Eltern und Kind … Bei all diesen Formen von Intimität können wir der Produktion helfen.
Wie wird man ein Intimacy Coordinator? Sollte man Psychologie studieren oder gibt es eine bestimmte Form der Ausbildung?
Ich würde auf jeden Fall viel Erfahrung in Storytelling-Chorografie empfehlen oder zumindest Yoga-Praxis, um etwas über die Biomechanik des Körpers zu lernen. Was wirklich hilfreich ist, ist Erfahrung im physischen Geschichtenerzählen.
Zum Beispiel durch eine Tanzausbildung?
Ich denke, Tänzer*in zu sein hilft. Aber es geht mehr darum, anderen Menschen die Choreografie beibringen zu können. Du kannst eine phänomenale Tänzerin sein, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass du gut darin bist, andere Menschen einzuweisen. Man muss auch den Lehraspekt mögen.
Du gibst auch Workshops, richtig?
Zurzeit mache ich online nur die Einführung. Denn natürlich will man die Menschen nicht komplett online schulen, weil das ein so körperlicher Job ist. Ich würde mich nicht wohlfühlen, jemanden zu zertifizieren, mit dem ich nicht im Raum war. Also bin ich ziemlich vorsichtig. Übrigens hatte ich erst gestern zwei Deutsche in meiner Einführung zum Koordinationskurs.
Bevor du 2015 als Intimacy Coordinator angefangen hast, hast du Kämpfe choreografiert…
Mir ist aufgefallen, dass es sehr viele Techniken und Protokolle für die Arbeit mit Gewalt gab, aber nicht in der Welt der Intimität, was eine massive Diskrepanz darstellt. Es müssen Standards realisiert werden, um das Drehen von Intimitätsszenen für alle Akteur*innen sicherer zu machen.
Ich nehme an, dass die MeToo-Bewegung deine Arbeit verändert hat.
Absolut. Die MeToo-Bewegung hatte einen enormen Einfluss, wir Intimitätskoordinator*innen wären ohne sie wahrscheinlich nicht da, wo wir heute sind. Das war zweifelsohne ein Katalysator für Veränderungen. Es ist schon interessant. E-Mails von mir, die vorher ignoriert worden waren, wurden plötzlich beantwortet.
Macht es für dich einen Unterschied, mit Schauspielerinnen und Schauspielern zu arbeiten?
Nicht wirklich, nein.
Und wie geht man am Set damit um, wenn ein Schauspieler beim Dreh eine, nun, physische Reaktion hat?
Die Modesty Garments (wörtlich etwa „Anstandsheitskleidung“, Anm. d. Red.) sind inzwischen so stark verbessert, dass das im Prinzip niemand mitbekommt und der Schauspieler entsprechend auch nichts sagen und sich keiner deswegen schlecht fühlen muss.
Habt ihr als Intimacy Coordinator Einfluss auf das Drehbuch? Könnt ihr zum Beispiel sagen: Diese Szene ist nicht realistisch genug? Was ist, wenn sich die Schauspieler*innen mit einer Szene nicht wohlfühlen?
Nein, das ist nicht unsere Rolle. Wenn sich die Schauspieler*innen nicht wohlfühlen, geht es darum, ein Gespräch zu haben, um herauszufinden, was verändert werden muss, denn wenn sich der oder die Schauspielerin nicht wohlfühlt, dann funktioniert die Szene offensichtlich nicht. Es geht also mehr darum, die Wurzel des Problems zu finden und von dort weiterzuarbeiten. Aber genauso wenig wie ein Stuntkoordinator in den Writers‘ Room geht, ist das auch nicht unsere Domäne. Das ist das Vorrecht der Autor*innen.
James Cameron sagte einmal, dass die erste Szene, die er für Titanic drehte, die Szene war, in der Jack Rose nackt malt, um die Awkwardness des Moments authentisch einfangen zu können. Was hältst du von diesem Ansatz? Wie lange dauert die Vorbereitung für eine Szene?
Ich denke, man kann auch mit Proben immer noch Authentizität erreichen. Im Wesentlichen sind unsere Szenen etwas wie physische Choreografie, wie bei einem Tanz. Das heißt, je mehr geübt wird, desto besser sind sie. Deswegen glaube ich nicht, dass es notwendig ist, so eine Szene am ersten Tag zu drehen und sich darauf zu verlassen, dass sie dadurch auf „natürliche“ Weise awkward sein wird. Es gibt viele Möglichkeiten und Wege, diese Szenen zu drehen.
Liebe Lizzy, vielen Dank für das Gespräch!