Ein hässliches Geschäft – Die Realität des Kunstdiebstahls

von Christina Dongowski

Arsène Lupin, Thomas Crown, Simon Dermott, Danny Ocean, Neal Caffrey – in der kulturellen Imagination ist der Raub und das Stehlen von Kunst- und Luxusobjekten eine Sache gut aussehender Männer in perfekt sitzenden Anzügen. (Sarah Black alias The Bishop in Red Notice von 2021, ist bisher eine der ganz wenigen Frauen im Business.) Ihre Motivation, sich als agil-eleganter Fassadenkletterer oder als Mastermind eines komplizierten Heists den  Kunstbesitz anderer Leute oder gleich die Kunstschätze einer Nation anzueignen, sind nicht einfach materieller Natur. Mindestens so wichtig sind die intellektuelle und sportliche Herausforderung, Sicherungssystem und Wächter zu überwinden, sowie der Trieb, dieses spezielle Objekt besitzen zu müssen. Kunstraub erscheint als von gutem Geschmack und ästhetischer Reizbarkeit geadelte Zwangsneurose oder als die eigentlich höchste Form des Sammelns. 

Arsène Lupin, der Napoleon des Verbrechens, wie er ehrfürchtig von der europäischen Presse und der Polizei genannt wird, empfängt dann auch ausgewählte Freunde und Feinde in seiner Sammlung, in der sich nur die Créme de la Créme des westlichen musealen Kanons befindet. Natürlich auch die Mona Lisa, eigenhändig aus dem Louvre entwendet und durch eine meisterhafte Kopie ersetzt. Die luxuriös modernistisch eingerichtete kriminelle Schaltzentrale von Dr. No dagegen schmückt das Porträt des Herzogs von Wellington, gemalt von Francisco Goya und gestohlen aus der National Gallery in London. 

Beide Gemälde, die Mona Lisa und der Herzog von Wellington, sind tatsächlich schon einmal gestohlen worden: die Mona Lisa 1911 aus dem Salon Carré des Louvre; der Herzog von Wellington 1961 aus der National Gallery. Als Sean Connery 1962 das erste Mal als James Bond internationale Verbrecher auf den Kinoleinwänden jagt, ist das Gemälde in Dr. Nos Räuberhöhle, das er natürlich sofort erkennt, tatsächlich immer noch verschwunden. Maurice Leblanc, der Erfinder von Arsène Lupin, ist sogar seiner Zeit voraus: Die echte Mona Lisa schmückt bereits 1909 in L’Aiguille Creuse dessen Sammlung. Das Bild, das 1911 aus dem Louvre gestohlen wurde, kann also eigentlich nur eine Fälschung sein. Maurice Leblanc, der Autor der Arsène Lupin-Abenteuer, wurde im Rahmen der Ermittlungen 1911 tatsächlich von Reportern und sogar der Kriminalpolizei zum Verschwinden der Mona Lisa befragt; sogar auf die großen Arsène Lupin- und Fantomas-Fans Guillaume Apollinaire und Pablo Picasso fiel der Verdacht, zumindest Komplizen des Täters zu sein. Apollinaire saß wegen der Mona Lisa eine Woche in Untersuchungshaft.

Keine Gentlemen-Gauner

Natürlich tauchen diese glamourösen fiktiven Kunstdiebe auch in Susanna Partschs Wer klaute die Mona Lisa? Die berühmtesten Kunstdiebstähle der Welt (C.H. Beck, 2021) auf – als populärkulturelle Mythen, die sie in Konfrontation mit der oft unglamourösen, hässlichen Realität von Kunstdiebstählen entzaubern will. Am Ende der Lektüre glaubt man ihr, dass Kunstdiebstahl heute nicht mehr von Gentleman-Gaunern, sondern von ganz gewöhnlichen Kriminellen begangen wird – und es ganz selten um die Kunst als Kunst geht, aber immer um den tatsächlichen oder vermuteten Marktwert der Objekte. Und dass es auch den kunstliebenden Auftraggeber im Hintergrund nicht gibt, der sich bei den entsprechenden Spezialisten einen Rubens und einen Caravaggio aus den großen Museen der Welt bestellt. 

Wenn es überhaupt Hintermänner in einem Kunstraub gibt, dann sind es fast immer Funktionäre aus dem oberen Managements einer kriminellen Business-Organisation, die gut zu transportierende Objekte mit einem gewissen Marktwert als Sicherheit, Pfand oder als Verhandlungsmasse brauchen. Aber selbst die schalten sich meistens erst ein, wenn die Diebe, die oft keine Erfahrung mit dem Kunst- und Antiquitätengeschäft haben, auf der Suche nach Leuten sind, die diesen Teil des Geschäfts beherrschen, oder auch die Verhandlungen mit einer Versicherung übernehmen. Denn ziemlich oft wird aus einem nicht so gut durchdachten Kunstraub, – wie dem in der Kunsthalle Schirn 1994, bei dem zwei Gemälde von William Turner und ein Caspar David Friedrich gestohlen wurden –, Erpressung und Art Kidnapping: Rückgabe der Bilder gegen Geld von der Versicherung. Die beiden Bilder von Turner hängen seit 2002 wieder in der Tate Gallery in London, der Friedrich seit 2003 wieder in der Hamburger Kunsthalle. Für den Raub und die Geschäftsanbahnung konnten nur zwei Diebe und einer der Hehler verurteilt werden. Alle anderen in den Fall involvierten Personen wurde nie angeklagt. Mittlerweile ist der Raub verjährt.

Partsch führt die Leserin durch gut hundert Jahre Kunstraub: vom erst gut 24 Stunden später bemerkten Verschwinden der Mona Lisa über den Verlust und die Rückkehr des Genter Altars in den 1920er Jahren, den Raub der Volkacher Riemenschneider-Madonna und ihrer Rettung durch Henri Nannen 1962, bis hin zum rabiaten Überfall auf das Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes in Dresden 2019. Fast alle der von ihr ausführlicher geschilderten Fälle haben in Europa stattgefunden, sehr oft spielen nationale Grenzen überschreitende kriminelle Netzwerke ein wichtige Rolle beim Verbergen und Verwerten des Raubguts. 

Die Mehrzahl der von Partsch vorgestellten Diebe entpuppen sich, parallel zum Lauf der Ermittlungen, keineswegs als die kriminalistischen Masterminds, als die sie am Anfang eines Falles medial präsentiert werden. Oft machen es ihnen unzureichende oder nicht korrekt funktionierende Sicherheits- und Alarmanlagen leicht. Öfter noch arbeitet man mit einem mehr oder weniger freiwilligen Insider aus den schlecht bezahlten Wachdiensten zusammen. Besonders ärgerlich ist hier Partschs unreflektierte Übernahme des rassistischen kriminalpolizeilichen Konzepts der “Clankriminalität” für kriminelle Organisationen, deren Mitglieder migrantischer Herkunft sind. Dass sie kein Wort darüber verliert, was prekäre, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in den Sicherheitsfirmen, an die Hochkultur-Museen in ganz Europa aus Kostengründen gerne ihre Bewachungsaufgaben auslagern, zum Beispiel mit den Überfällen auf das Bode-Museum in Berlin und das Grüne Gewölbe in Dresden zu tun haben, passt aber zur Anlage des Buches. 

Sehr oft unterschätzen die Diebe, dass die echte Probleme und Schwierigkeiten erst nach dem Abgreifen eines Rembrandts oder eines anderen Kunstwerkes diesen Kalibers wirklich anfangen. Kunstliebhaberinnen lesen mit Grauen, wie die Diebe selbst, Kompliz*innen oder auch wohlmeinende Angehörige unersetzliche Kunstwerke nur in Decken oder Plastiktüten gewickelt (wenn überhaupt) im Garten oder im Kartoffelkeller von Verwandten und Freunden vergraben, unter irgendwelchen Dielenböden in verlassenen modrigen Gebäuden verstecken oder sie einfach panisch verbrennen, weil sie völlig falsch eingeschätzt haben, wie intensiv der Fahndungsdruck beim Raub bedeutender, bekannter Kunstwerke wird. Und wie schwierig man einen Rembrandt oder Munch, der polizeilich gesucht wird, selbst auf dem in allen Grautönen schillernden Kunsthandel wieder los wird. 

Historischer Schmuck und Juwelen, wie sie aus dem Grünen Gewölbe gestohlen wurden, sind da deutlich einfach zu verwerten und auch zu verstecken: Vermutlich wurden die prächtige Stücke bereits wenige Stunden nach dem Raub zerlegt und die Brillanten aus ihren Fassungen gelöst. Obwohl mittlerweile mit hoher Sicherheit alle Tatbeteiligten verhaftet sind, fehlt von der Beute noch immer jede Spur. Bisher hat auch die Ausschreibung von 500.000 Euro Belohnung keine Hinweise auf den Verbleib des Schmuckes gebracht.

Warum fasziniert uns Kunstraub?

Obwohl sich die Autorin alle Mühe gibt, Kunst- und Juwelenraub ihren selbst schon ästhetischen Nimbus als besonders ansprechende und unterhaltsame Form der Kriminalität zu nehmen, kann Partschs trockene, sachliche und etwas graue Darstellungsweise die farbigen Persönlichkeiten einiger der in die Verbrechen involvierten Menschen nicht zum Verschwinden bringen. Auch die Faszination verschwindet nicht, die einen als regelmäßige Museumsbesucherin ergreift, wenn man erfährt, dass Menschen einfach einen Rembrandt abgehängt und aus einem Museum herausgetragen haben. Auch wenn ihre Motive nicht die edelsten waren. 

Aber hier liegt auch das Problem von Wer klaute die Mona Lisa? Die Autorin kann sich nicht entscheiden, ob ihr Buch eine unterhaltsame True Crime-Fallsammlung sein soll oder eben doch ein seriöses deutsches Sachbuch zur Geschichte des Kunstraubs. So entsteht eine Kombination aus den problematischen Aspekten der beiden Gattungen: Fixierung auf den einzelnen Fall und gleichzeitig zu viele Fälle, die einfach nur aneinandergereiht werden, ohne dass sich daraus ein historisches oder systematisches Argument ergibt, warum Kunstdiebstähle überhaupt als Gegenstand kunsthistorischer Untersuchungen interessant sind. Die Besonderheit der einzelnen Fälle selbst verliert sich dann oft in der Kleinteiligkeit der Darstellung, in der man als Leserin schnell die Übersicht verliert. Die wenigen Zeilen, in denen Partsch auf den Zusammenhang zwischen dem extrem dynamischen Anwachsen des Kunstmarktes seit dem Impressionismus und dem des Kunstdiebstahls verweist, oder auf die Bedeutung der Entstehung von Massenmedien für die Glorifizierung von fiktiven und realen Kunstdieben und des Kunstdiebstahls, stehen unverbunden neben den Fallgeschichten.

Einige Mühe gibt sich Partsch, Kunstdiebstahl von anderen Formen kultureller Appropriation abzugrenzen: großflächige kulturelle Zwangsenteignungen einzelner verfolgter Gruppen durch die Nazis und die Ausplünderung ganzer Kontinente durch europäische Kolonialmächte. Was auf den ersten Blick als vernünftige Trennung erscheint, erweist sich für den Fortgang des Buches als unglückliche Entscheidung: Partsch bekommt so nie die Strukturen eines Kunsthandels in den Blick, dem die Provenienzen seiner Waren und deren ethische Implikationen so gleichgültig sind, dass davon auch Kunstdiebe profitieren. Und sie erspart sich mit der Ausgrenzung des staatlich gesteuerten Kunstraubs eine Reflektion über das Konzept “Museum” und die Rolle der Museen selbst in der aktuellen, auch sozialen Ökonomie der Kunst und darüber, dass die stolz präsentierte Sammlung selbst oft einem Akt der Räuberei entstammt. Obwohl fiktive Kunstraube und -räuber eine wichtige Rolle im Wer klaute die Mona Lisa? spielen, entgeht Partsch dann auch einer der spektakulärsten fiktiven Art Heists der Gegenwart: der Raub der Wakanda-Artefakte aus Vibranium aus dem Museum of Great Britain, offensichtlich ein Alias für das British Museum, eine der größten kolonialen Räuberhöhlen überhaupt. 

Mittlerweile hat sich die Idee, Kunstraub als Wiederaneignung der von den weißen Kolonialherren weltweit gestohlenen Kunstwerke zu erzählen in den sozialen Medien ausgebreitet, zum Beispiel als Rewriting des Indiana Jones-Motivs. Nur diesmal raubt seine Urenkelin Artefakte aus westlichen Museen und gibt sie den Nachkommen der ursprünglichen Besitzer zurück. Bei Partsch dagegen ist das klassische europäische Museum eine Institution, die weitgehend unkritisch betrachtet wird, außer was die technische Seite der Sicherheitsanlagen angeht. Es ist daher auch wenig verwunderlich, dass sie für die Kunstdiebe keinerlei Sinn hat, die tatsächlich auf einer sozialen Mission waren, wie der Frührentner Kempton Brunton, der 1961 das Porträt Wellingtons aus der National Gallery stahl, weil er den Staat zwingen wollte, den Kaufpreis für das Bild lieber an Bedürftige auszuzahlen. 

Wie oft, wenn Kunsthistoriker*innen über Kunst als kriminellem und ökonomischem Handlungsfeld schreiben, mangelt es Wer klaute die Mona Lisa? an einem kritischen Blick auf die Strukturen und Ideologien im Kunst- und Museumsbetrieb und im Kunsthandel selbst, in denen Kunsträuber und kriminelle Netzwerke, die sich Kunst für ihre Zwecke bedienen, überhaupt erst operieren können. So findet sich, wie bereits erwähnt, in Partschs Buch nichts über die arbeitsrechtlichen Hierarchien in Museen, die exakt die sozio-ökonomischen Exklusionsmechanismen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen reproduzieren, die Museen oft zurecht vorgeworfen wird, und um die es bei der Rede vom “Inside-Job” eigentlich geht.

Die Funktion des Kunsthandels bei der Legalisierung von Raubkunst aller Art und als Schnittstelle zu weltweit operierenden kriminellen Netzwerken wird kaum thematisiert – und welche Rolle dabei der Mythos “Kunst” als Schutzschild gegen polizeiliche Ermittlungen selbst oder auch gegen Einführung und Durchsetzung von schärferen gesetzlichen Vorgaben an die Dokumentation der Herkunft der Waren geht. Die wirklich interessante kulturwissenschaftliche Frage jenseits der Einzelfälle, die Partsch zu Anfang des Buches stellt, verliert sie damit völlig aus den Augen: Warum haben unsere kulturellen Phantasien über Kunstraub und Kunsträuber so wenig mit der hässlichen Realität von Kunstraub und Kunsträubern zu tun? Und was sagt das vielleicht über unsere Vorstellung, was Kunst ist?

Photo by Juan Di Nella on Unsplash

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