von Gerrit Wustmann
Im Juni erscheint Quentin Tarantinos Debütroman Once Upon A Time In Hollywood. Roman, nicht Drehbuch. Wie immer bei ihm handelt es sich um eine Hommage. Denn wer den Film gesehen hat, braucht eher nicht noch einen Roman, auch wenn der vielleicht in der ein oder anderen zusätzlichen Szene ein wenig mehr in die Tiefe geht. Tarantino knüpft an die inzwischen fast ausgestorbene Tradition der Movie-Novelizations an: Romane, die, auf Drehbüchern basierend, meist für Zeilengeld, rasch hingeschludert wurden, um aus der Filmvermarktung noch eine Handvoll Dollar mehr herausquetschen zu können. Die meisten dieser Bücher wurden jahrzehntelang von No-Names verfasst und waren ohne Probleme verzichtbar. Aber zwischendrin entstanden bisweilen auch Werke von namhaften Autor*innen, teils unter Pseudonym. Charles L. Grant hat das mit Akte-X-Folgen und Elizabeth Hand mit 12 Monkeys gemacht, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Die Hommage ist allerdings für Tarantino ein Gesamtpaket. Das Buch lehnt sich auch in Form und Haptik an die englischsprachigen Pulps an, die von den 1950er Jahren bis in die 1990er Jahre populär waren: Ein kleinformatiges Mass-Market-Paperback (11 x 17 cm), gedruckt auf billigem Papier, wie es sie über Jahrzehnte vor allem in Supermärkten, Tankstellen, Drogerien und Flughäfen in den inzwischen ebenfalls nahezu verschwundenen Drehständern aus Draht gab. Billige Lektüre für zwischendurch. Pulp Fiction.
Bei Tarantinos deutschem Verlag Kiepenheuer & Witsch fällt genau dieses Element unter den Tisch. Die deutsche Ausgabe (die im Juli erscheint) wird ein Hardcover. Wohl aus demselben Grund, aus dem in den letzten zwanzig Jahren die kleinformatigen Paperbacks vom Trade Paperback (13 x 20 cm) verdrängt wurden: Es kostet im Massendruck nur unwesentlich mehr, kann aber zu deutlich höheren Preisen verkauft werden.
Überhaupt ist dieser Trend zu immer größeren, dickeren, wuchtigeren ‚Taschenbüchern‘, die garantiert in keine Tasche mehr passen, eine Plage. Nicht, weil sie teurer sind: wenn Papierpreise steigen, Übersetzer*innen, Autor*innen, Coverdesigner*innen, Lektor*innen (usw. usf.) bezahlt werden, wenn Verlage und der Buchhandel auch noch etwas verdienen wollen, dann müssen die Preise steigen. Bücher sind, auch trotz Buchpreisbindung, in der Regel noch spottbillig.
Aber waren das nicht schöne Zeiten, als Taschenbücher ihren Namen verdienten, als sie klein, leicht, handlich waren, gut auch unterwegs zu lesen, Bücher, die man in der Jacken- oder hinteren Hosentasche verschwinden lassen konnte? Heute scheint das Motto zu sein: Wenn man will, dass die Leute Geld hinlegen, muss man ihnen auch was bieten. Nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch und haptisch. Die letzten Pulp-Verlage, die das Mass-Market-Format regelrecht zelebriert haben, Kensington und Dorchester, haben in den Nullerjahren die Segel gestrichen; wenige Kleinverlage wie zum Beispiel die irische Poltergeist Press haben mit dem Versuch, es wiederzubeleben, eher überschaubaren Erfolg.
Auch Charles Ardai kann das Lied vom Tod des Taschenbuchs spielen: Als er 2004 seine Reihe Hard Case Crime bei Dorchester startete – damals der letzte und einzige Verlag, der mit Leisure Books noch eine Horror-Paperback-Serie machte, gut ein Jahrzehnt, nachdem das Konzept ausgestorben war – gelangten die Bücher auch deshalb rasch zu Kultstatus, weil sie nicht nur im Kleinformat daherkamen, sondern Ardai auch für jeden neuen Band Cover im Stil der Klassiker designen ließ. Dass Stephen King und Lawrence Block zu den ersten Autoren gehörten, wird auch eine Rolle gespielt haben. Und, dass Ardai bis heute ein Schatzsucher ist, der längst vergessene Werke von James M. Cain, Ed McBain, Donald Westlake und vielen weiteren wieder ausgräbt und verfügbar macht, hat dafür gesorgt, dass an Hard Case Crime niemand vorbeikommt, der dem Hardboiled-Genre etwas abgewinnen kann.
Als Dorchester um 2010 in die Pleite schlitterte, hatte Ardai ein Problem: Zwar konnte er sich kaum retten vor Angeboten von Verlagen, die Hard Case Crime fortführen wollten. Allerdings stellten sie alle dieselbe Bedingung: Nur als großformatige Trade Paperbacks. Am Ende half alles nichts. Ardai musste sich vom Kultformat verabschieden, um weitermachen zu können. Die Bücher sind weiterhin lesenswert. Aber sie haben eine gute Portion an Charme eingebüßt.
In Deutschland hat der Rotbuch Verlag für kurze Zeit versucht, HCC in Übersetzung zu etablieren. Es war aber ein Flop. Und das obwohl Rotbuch etwas tat, wozu sich deutsche Verlage eher selten durchringen können – man übernahm die Originalcover. Man machte die Bücher aber großformatig, und dick. Dickes Papier, große Bücher, das passt einfach nicht. Oder vielleicht lag es auch einfach daran, dass das deutsche Publikum mit US-Hardboiled nichts mehr anfangen kann, seit hier jedes Kaff seinen Regionalkrimi vom Reißbrett hat.
Die Welle der Horror-Paperbacks, die von Mitte der 1970er bis in die frühen 1990er Jahre zehntausende Bücher in den Massenmarkt schwemmte (und leicht zeitversetzt auch von deutschen Verlagen, leider meist ziemlich lieblos hingeschludert, übernommen wurden), hat nur eine Handvoll Autor*innen überlebt, die allermeisten sind heute vergessen – in der Regel aus guten Gründen. Die Bücher selbst haben inzwischen Kultstatus erreicht und werden online zu teils abstrusen Preisen gehandelt. Schuld daran sind Grady Hendrix und Will Errickson, die dem Genre mit ihrem Buch Paperbacks From Hell. The Twisted History of ’70s and ’80s Horror Fiction ein Denkmal gesetzt haben. Einen Schwerpunkt legen sie auf die zahllosen knalligen und abstrusen Cover, die oft besser waren als die Bücher selbst und dafür sorgen, dass beispielsweise eine gut erhaltene Ausgabe von John Christophers The Little People mit dem Cover von Hector Garrido bei Ebay schonmal mittlere dreistellige Summen aufruft.
Die Namen der Künstler*innen, so Hendrix, sind heute oft kaum noch in Erfahrung zu bringen, weil die Verlage sie systematisch verschwiegen haben. Man hatte Angst, dass sich Stars etablieren, die dann mehr Geld verlangen könnten. Solche Sorgen haben die Publikumsverlage heute kaum noch. Sie lassen sich ihre öden immergleichen Cover fast nur noch von Werbeagenturen hinschmuddeln. Man kann die alten Pulp-Cover doof finden, und liegt damit wohl nicht ganz falsch. Nur eines kann man ihnen nicht vorwerfen: Dass sie langweilig oder unoriginell waren.
Hendrix und Erricksons größte Leistung ist, dass sie masochistisch genug waren, sich durch diese tausenden von Titeln zu quälen, um die Juwelen herauszupicken. Und die gibt es – und zwar zahlreicher, als man denkt. Das war ein Grund für den Kleinverlag Valancourt Books, vierzehn davon in der, natürlich, Paperbacks From Hell betitelten Reihe neu aufzulegen. Und zwar samt der Originalcover. Und im Kleinformat.
Darunter Lisa Tuttles erste Geschichtensammlung A Nest Of Nightmares, Elizabeth Engstroms herausragende Novelle When Darkness Loves Us und Mendal W. Johnsons verstörender erster und einziger Roman Let’s Go Play At The Adams (den Jack Ketchum später als lose Vorlage für The Girl Next Door verwendete). Valancourt hat es außerdem geschafft, die Reihe paritäisch mit Autorinnen und Autoren zu besetzen, was in diesem eher männlich dominierten Genre keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist und interessante Erkenntnisse mit sich bringt: Denn während viele der Autoren noch bis in die 1990er Jahre hinein in plumpem Sexismus badeten, haben die Autorinnen (ganz vorne mit dabei: die großartige Melanie Tem mit ihrem Debüt Prodigal, einem zutiefst finsteren, geisterhaften Familiendrama, und die experimentellen Eskapaden von Kathe Koja) oft vielschichtigere Bücher geschrieben, in denen es weniger auf die Knalleffekte als vielmehr auf den leisen Schrecken ankommt, der aus dem resultiert, was Menschen anderen Menschen antun – die schrecklichsten Monster sind da eher selten die Geister oder Untoten. Dass sich in diesem wohl konservativsten aller Genres hintersinnige feministische Romane verstecken, auch das ist heute so gut wie vergessen.
Der vielleicht beste und beklemmendste Roman dieser ganzen Ära des finsteren Pulp ist Sandra Scoppetones 1980 erschienener und seither nicht mehr neu aufgelegter, geschweige denn übersetzter, Roman Such Nice People: Da geht es um eine allseits beliebte amerikanische Mustermittelschichtsfamilie, die hinter der harmonischen Fassade komplett zerrüttet ist, und die wenige Tage vor Weihnachten auf ihr Ende zusteuert, weil der Teeniesohn beschlossen hat, sie allesamt zu ermorden.
Das Buch ist nicht nur deshalb so beklemmend, weil man von der ersten Seite an weiß, wie es enden wird. Sondern auch, weil Scoppettone eine brillante Erzählerin ist, der es gelingt, jedes einzelne der Familienmitglieder auf den weniger als 300 Seiten so erlebbar, so nachvollziehbar zu machen, dass man sie bis ins Letzte in all ihrer Komplexität verstehen kann. Das ist überhaupt eine der größten Leistungen großer Literatur: Echte Menschen zu erschaffen, zu denen man als Leser*in eine emotionale Bindung aufbauen kann.
Ins Literarisch-experimentelle changieren die frühen Werke des Trans-Autors Poppy Z. Brite, die plotlos durch eine Welt der zügellosen Dekadenz mäandern und in denen die vampirischen Protagonist*innen, etwa im Debütroman Lost Souls und der Storysammlung Wormwood, die ganze Haltlosigkeit einer Jugend im Kapitalismus der Achtziger verhandeln. Und das vor American Psycho – und wesentlich origineller.
Zumindest ein Teil dieser Bücher wird nun nach und nach von kleinen Indie-Verlagen zurückgeholt. Meistens in Formaten, die eher nach Magazin als nach Buch aussehen. Aber es gibt auch jenen die Möglichkeit, sie zu entdecken, die nicht die Geduld haben, monatelang das Netz nach einer halbwegs bezahlbaren und noch nicht völlig zerschranzten Originalausgabe abzuklappern.
Aber das Abklappern, egal ob nach Neuauflagen oder den Originalen, lohnt sich. Weil man höchst lesenswerte Bücher in einer düsteren Ecke entdecken kann, in der man sie vielleicht nicht erwartet. Weil man Werke findet, die dringend wieder auf den Markt müssten. Weil es Spaß macht. Aber Vorsicht: Übergroße Bücher gehen einem hinterher nur noch mehr auf die Nerven!