von Isabella Caldart
Mit bewährten Konzepten lässt sich gut Geld machen. In der Welt der Fernsehserien bedeutet das, Spin-offs, Prequels oder Sequels von beliebten Serien zu entwickeln, in denen bereits eingeführte Figuren neue Abenteuer erleben.
Altes Phänomen, neuer Trend
In den letzten Jahren hat sich der Trend durchgesetzt, altbekannte Serien neu aufzulegen. Das ist zwar kein neues Phänomen. Bereits 1957 erfuhr „I Love Lucy“ sechs Monate nach ihrem Staffelfinale mit „The Lucy–Desi Comedy Hour“ ein Revival. Und doch häuft es sich das inzwischen aus mehreren Gründen.
Um kurz die Terminologie zu klären: Grob gesagt werden bei Revivals alte Serien mit gleichem Cast neu aufgelegt, Reboots gehen von einer ähnlichen Prämisse beziehungsweise einem ähnlichen Setting aus, haben sonst aber nichts mit der Originalserie zu tun (eventuell gibt es Gastauftritte). Bei Reunions treffen sich die Schauspieler*innen und reminiszieren und Remakes sind etwas ganz anderes, mehr oder weniger identische Neuauflagen von Filmen und zuletzt häufig von Serien für den amerikanischen Markt (wie „Queer as Folk“ oder „The Office“ nach britischem, „Jane The Virgin“ nach venezolanischem oder „Ugly Betty“ nach kolumbianischem Original).
Nicht immer gelungen: „Gilmore Girls“, „Friends“, „Gossip“ Girl“ und „Sex And The City“
Zu den größten Revivals der vergangenen Jahre zählt ohne Zweifel „Gilmore Girls“, das mit vier Episoden in Spielfilmlänge unter dem Titel „A Year In The Life“ 2016 von Netflix neu aufgelegt wurde. Es ist auch das beste Beispiel, warum Revivals nicht immer eine gute Idee sind. Zum einen wird dadurch, dass ein altes Setting in die Jetztzeit geholt wird, schnell deutlich, wie konservativ dieses einst war. Stars Hollow wirkt wie ein Dorf aus den fünfziger Jahren, weiß, heterosexuell (dass Michel im Revival endlich offiziell schwul sein darf, nachdem er im Verlauf der sieben Staffeln des Originals zwar ein schwules Stereotyp nach dem nächsten reproduziert hat, sich aber nicht outen durfte, affirmiert diese Homogenität sogar noch). Was früher charmant war, ist heute im schlechtesten Sinne aus der Zeit gefallen. Nicht einmal richtiges Handynetz hat Rory in Stars Hollow. Das ist einfach zu viel Nostalgie.
Dazu kommt, dass „Gilmore Girls“-Erfinderin Amy Sherman-Palladino die Serie nach Staffel fünf verließ. Die gesamte Handlung von „A Year In The Life“ erweckt den Eindruck, als habe Sherman-Palladino die zwei weiteren Staffeln der Originalserie und die zehn weiteren Jahre Zeitgeschichte einfach ignoriert. Das ist plottechnisch fatal. Rory, die am Ende der eigentlichen Serie den Wahlkampf von Barack Obama (!) begleitet, ist im Revival als Journalistin höchst unprofessionell, schläft bei Interviews ein und bekommt auch sonst nichts auf die Reihe. Die Tatsache, dass sie als Running Gag die ganze Zeit ihren festen Freund vergisst und zudem eine Affäre mit Logan hat, ihrem Ex aus Collegezeiten, lassen daran zweifeln, dass sie eine Frau Anfang 30 darstellen soll. Auch Lorelai ist narrativ in einen Jungbrunnen gefallen: Nach den vielen Jahren Beziehung mit Luke steht jetzt, wo sie um die 50 ist, erstmals zur Debatte, ob sie Kinder haben wollen!
Für Netflix hat sich dieses Revival allerdings definitiv gelohnt. (Es gab auch viele positive Besprechungen.) Der Streaminganbieter gibt nie genaue Zahlen preis, deswegen muss ich aus eigener Erfahrung sprechen: Ich habe mir damals für die neuen „Gilmore Girls“-Folgen ein Abo gemacht, das nur temporär sein sollte, und es seitdem nicht mehr beendet, und ich kenne viele, denen es ebenso ging. Und eine relevante Info hat Netflix doch veröffentlicht: „A Year In The Life“ war in jedem Land, in dem Netflix gestreamt wird, in den Top 10 der beliebtesten Serien.
Reunions, in denen Schauspieler*innen (und die Menschen hinter den Kulissen) in Erinnerungen schwelgen, sind eigentlich kostengünstig – es sei denn natürlich, man war Teil einer so beliebten Serie wie „Friends“. Berichten zufolge haben die Darsteller*innen jeweils 2,5 Millionen US-Dollar für diese eine Sendung bekommen. 17 Jahre hat es gedauert, bis „Friends“-Fans die Sechs wieder zusammen sehen konnten. Die lange angekündigte (und pandemiebedingt verschobene), heiß ersehnte Reunion, die Ende Mai ausgestrahlt wurde, hatte entsprechend hohe Einschaltquoten und verschaffte HBO Max viele neue Abonnent*innen.
Die fast zwei Stunden lassen einen aber mit ambivalenten Gefühlen zurück. Das fängt schon mit der Information an, die vor der eigentlichen Sendung eingeblendet wird und Zuschauer*innen mit der Nase darauf stoßen soll, wie außergewöhnlich dieses Ereignis ist, aber nur viele Fragezeichen erzeugt: In diesen 17 Jahren seit dem Serienfinale waren die Friends nur ein einziges Mal alle zusammen in einem Raum gewesen.
Ein Mal in 17 Jahren? Auch ohne um die Drogen- und Alkoholprobleme von Matthew Perry zu wissen (die früh anfingen, er sagte einst, er kann sich an den Dreh von Staffel drei bis sechs nicht erinnern), lässt die Reunion-Folge erahnen, dass dies mit ihm zu tun haben könnte. Perry wirkt, als würde er sich nicht wirklich wohl fühlen, sagt und lacht wenig, sitzt etwas deplatziert da. Auch die Körpersprache und Reaktionen der anderen lassen erahnen, dass sie keinen natürlichen Umgang mehr mit ihm haben. Auf eine Frage von James Cordon (der in der Reunion mal wieder unter Beweis stellt, was für ein oberflächlicher, unlustiger Moderator er ist), antwortet Matthew Perry, die anderen würden sich nie bei ihm melden – ein Kommentar, der schnell übergangen wird.
Eine erschütternde Szene gibt es nach einer Stunde, als die sechs Friends sich im ehemaligen Set des Cafés Central Perk darüber unterhalten, dass die Episoden vor einem Livepublikum gedreht wurden. „Für mich fühlte es sich so an, als müsste ich sterben, wenn nicht gelacht wurde“, sagt Matthew Perry im Rückblick. „Das ist sicher nicht gesund, aber manchmal habe ich einen Satz gesagt und sie haben nicht gelacht, und ich habe geschwitzt und Krämpfe bekommen, wenn ich sie nicht, wie ich sollte, zum Lachen gebracht habe. Ich bin durchgedreht.“ Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und über den Druck bei den Dreharbeiten oder Mental Health zu sprechen, geht es aber schnell weiter, immerhin soll die Reunion bloß nicht zu ernst werden, sondern wohlig-nostalgische Gefühle hervorrufen.
Und so wirkt die „Friends“-Reunion ein wenig unehrlich. Auch die Kritik, die es an der Serie gibt (das weiße Casting, einige der Witze), wird nicht thematisiert. Was es stattdessen gibt: Die Schauspieler*innen, die Richard, Janice, Gunther und Monicas und Ross‘ Eltern darstellten, werden ruckzuck durchgeheizt und dürfen kaum mehr als einen Satz sagen, es gibt Einspieler von random Celebritys wie David Beckham, Malala oder BTS, die rein gar nichts mit „Friends“ zu tun haben, und am Ende läuft Justin Bieber auf einer Fashionshow in Ross‘ alter Halloween-Verkleidung über den Laufsteg.
Es ist einfach viel zu viel, und gleichzeitig viel zu gehetzt. Die schönen Momente sind die, die natürlicher sind, wenn die Sechs durch das alte Set laufen und sich erinnern, wenn sie um einen Tisch sitzen und alte Szenen lesen. Das können auch zukünftige Reunions von der „Friends“-Reunion lernen: Es braucht keine pompöse Show, sondern einfach nur die geliebten Schauspieler*innen. Das funktioniert sogar via Zoom, weswegen es während Lockdown-Phasen gleich mehrere gab. Diese Art der Reunions kostet viel weniger und ist echter.
„Gossip Girl“ gehört zu diesen Serien, die keine guten Einschaltquoten verzeichnen konnten, aber einen großen kulturellen Einfluss hatten, wie eine aktuelle Slate-Kritik über das Reboot festhält – auch wenn man die Serie nicht gesehen hatte, man kannte sie. Sie kam zur genau richtigen Zeit, als Internet und Handys mit Kamera schon flächendeckend verfügbar waren, Social Media aber noch so gut wie keine Rolle spielte. Das alte „Gossip Girl“ – und es ist gar nicht so lange her, dass es lief: von 2007 bis 2012 –, das vom glamourösen Leben superreicher Teenager in der Upper East Side erzählte, war sehr weiß und sehr heterosexuell. Auch im neuen „Gossip Girl“ geht es um verwöhnte Jugendliche – aber sie sind jetzt weniger weiß, queer und reflektieren ihre Privilegien.
Auch wenn über der alten Serie natürlich die Frage hing, wer hinter Gossip Girl steckte, war das nie der primäre Handlungsstrang, und es hätte ihr wenig geschadet, wäre zum Schluss nicht Dan Humphrey geoutet worden. Im Reboot weiß man von Anfang an, wer Gossip Girl ist: Die Lehrer*innen (!) rund um Kate Keller (gespielt von Tavi Gevinson, die Jahrgang 1996 ist, autsch) wollen die populären Schüler*innen vom Thron holen. (Einer der Lehrer steht in der ersten Folge im strömenden Regen vor dem Haus eines Schülers, um ihn durch das Fenster zu fotografieren. Ich denke mir das nicht aus.) Das ist ein absurdes Ausgangsszenario. Und anders als in der Originalserie, in der es auch an absurden Szenarien nicht mangelt, wird das hier ohne gewisses Augenzwinkern, ohne Ironie dargestellt.
Denn daran kranken die ersten Folgen der neuen Serie generell: Die ausgleichende Ironie fehlt. Denn so überzogen und bitterernst die Plots im früheren „Gossip Girl“ waren, so verlieh das Voice-Over von Kristen Bell (die auch jetzt wieder Gossip Girl spricht) dem Ganzen immer einen gewissen Humor, ein Humor, der im Reboot bisher nicht zu erkennen ist.
Das jetzige „Gossip Girl“ spielt außerdem im Zeitalter von Social Media; Gossip Girl ist kein Blog mehr, der Nachrichten auf Handys schickt, sondern ein Instagram-Account, überhaupt spielt Instagram eine sehr große Rolle (unweigerlich fragt man sich dabei, ob 16-Jährige im Jahr 2021 nicht eher auf TikTok unterwegs wären). Vieles kann man mit neuem Twist wiedererkennen: Der neue Chuck Bass ist bisexuell, der neue Dan Humphrey reich und Dumbo gilt nicht mehr als uncool/arm (das war schon im Jahr 2007 lächerlich), sondern als hippes Viertel in Brooklyn.
Eine Art Palimpsest zu kreieren und Protagonist*innen wie Setting zugleich zu aktualisieren, ist alles andere als verkehrt, weil es dadurch möglich ist, alte Fans abzuholen sowie neue dazuzugewinnen. Allerdings lebt die Serie das neue „Gossip Girl“ zu sehr vom Bezug auf die Vorlage und erzählt keine innovativen, interessanten Storys. Es kann bisher nicht wirklich überzeugen, dafür sind die Figuren zu oberflächlich, das Geschehen zu langweilig. Den neuen Protagonist*innen fehlt es an Gemeinheit, der Serie an Tiefgang. Es ist natürlich noch zu früh, ein endgültiges Urteil zu fällen, das Staffelfinale läuft nach zehn einstündigen Episoden erst im September. Aber mich persönlich würde es nicht wundern, wenn dieses Reboot das gleiche Schicksal wie viele Revivals und Reboots erfährt, und nach einer oder zwei Staffeln wieder abgesetzt wird.
Groß war die Aufregung, als im Januar 2021 verkündet wurde, dass „Sex And The City“ mit „And Just Like That…“ ein Revival von zehn Folgen erfahren wird, das voraussichtlich Ende des Jahres auf HBO Max läuft. Fast 18 Jahre nach dem Ende der beliebten Serie im Februar 2004 konzentriert sich die Neuauflage auf das Leben von Carrie, Miranda und Charlotte als Frauen in den Fünfzigern. Samantha ist kein Teil mehr des einstigen Vierergespanns, was niemanden verwundert, der den teils öffentlich ausgetragenen Disput zwischen Sarah Jessica Parker und Kim Catrall mitbekommen hat. Natürlich ist schade, dass Samantha als integraler Teil dieses Freundeskreises und als im Rückblick mit Abstand progressivste Figur nicht zurückkehrt. Und doch könnte das für die Handlung von Vorteil sein.
Zu den Hauptgründen, warum die beiden Revival-Filme von „Sex And The City“ nicht funktioniert haben, ist neben den abgrundtief schlechten Drehbüchern (der zweite Film war eine bodenlose Frechheit) auch die Tatsache, dass der Cast statisch war, also aus den vier Protagonistinnen und ihren festen Partnern bestand. Dabei lebte gerade diese Serie von den wechselnden Beziehungen und One Night Stands der vier Freundinnen. Dass die Figurenkonstellation in „And Just Like That“ durch Kim Catralls Absage nicht starr ist, sondern sich weiterentwickeln muss (und mit „Grey’s Anatomy“-Darstellerin Sara Ramírez einen aufregenden Neuzugang erfährt), macht Hoffnung, die Serie könnte funktionieren, sowohl als nostalgischen Anknüpfungspunkt an alte Erfolge sowie als Weiterentwicklung und eigenständig funktionierende Serie.
Zwischen Nostalgie und übersättigtem Markt
Revivals, Reboots und Reunions, sind, wie eingangs erläutert, keine ganz neuen Phänomene. Die Häufung in den vergangenen Jahren ist aber auffällig: Neben den oben erwähnten Serien gehören dazu außerdem: „Der Prinz von Bel-Air”, „Will & Grace”, „Roswell”, „Veronica Mars” (ein besonders interessanter Fall: nach dem Ende der Serie 2007 folgte 2014 ein Film und 2019 eine neue Staffel), „True Blood“, „Beverly Hills, 90210”, „Queer as Folk“, „Dawson’s Creek”, „Roseanne”, „Akte X”, „Full House”, „Charmed“, „Dexter”… nahezu alle beliebten Serien, die zwischen Ende der achtziger und Mitte der nuller Jahre liefen, haben kürzlich auf irgendeine Art und Weise eine Wiederbelebung erfahren, oder sie stehen kurz davor.
Warum das so ist, lässt sich natürlich nicht eindeutig beantworten, aber es gibt einige Faktoren, die diese Entwicklung befördert haben. Ein Grund, aus dem diese zwanzig, dreißig Jahre alten Serien neu aufgelegt werden, ist ein ganz simpler: Die Generation, die damals diese Serien konsumiert hat, ist heute in Entscheidungspositionen und weiß deswegen genau, welche Serien den hohen Nostalgiefaktor haben, der die Fans magisch anzieht. Eine alte, etablierte Fanbase wird wiedergewonnen, und dazu kommen noch neue Zuschauer*innen.
Zum anderen wäre da natürlich die schier endlose Zahl an Fernsehkanälen und immer neuen Streaminganbietern, die in Konkurrenz treten und irgendwie versuchen müssen, altes Publikum zu binden und neues anzulocken. Wie bei „Gilmore Girls“ bewiesen, sind Revivals eine effektive Maßnahme. Sie haben auch den Vorteil, dass das Marketing quasi automatisch läuft: Networks müssen keine großen Budgets in die Hand nehmen, da die Serien schon bekannt und als Marke etabliert sind, die Presse also automatisch darüber berichtet, im besten Fall sogar bei jeder neuen Information über den Cast.
Die vielen Kanäle, über die Serien geschaut werden können, haben zudem den Effekt, dass es immer mehr Serien gibt, neue wie alte. Der Markt ist übersättigt. Für die Konsument*innen kann es schwierig sein, den Überblick zu bewahren – und so greifen sie lieber auf Altbewährtes, Vertrautes zurück. Comfort Binge nennt sich das Phänomen, das bewirkt, dass Serien wie „Friends“ auch zwanzig Jahre später noch so populär sind wie eh und je: „Zuschauer:innen wissen genau, was sie erwartet, sie kennen, wie bei echten Freund:innen, alle Spleens der Figuren, die Insiderwitze. Das beruhigt, lenkt vom Alltagsstress ab und gibt das Gefühl, aufgehoben zu sein. Kurz: Man ist zu Hause.“ Kombiniert man bekannte Figuren und bekanntes Setting mit neuen Storylines, kann man sich nahezu sicher sein, dass die Fans wieder einschalten (ob sie das Revival dann mögen oder nicht, ist eine andere Frage). Bieten Streamingplattformen dazu die Staffeln der Originalserie an, gibt es doppelten Gewinn.
Und um zurück zur Nostalgie zu kommen: Die ist natürlich ein treibender Faktor, um langsam älter werdende Millennials wieder zu ihren geliebten Serien der Kindheit und Jugend zurückzuholen. Außerdem ist diese Nostalgie auch für die Gen Z attraktiv, die sich nach einer Zeit sehnt, die sie nie erlebt hat. Viele entdecken durch die Revivals auch die alten Folgen, schauen diese wegen der Kleidung, Frisuren und Themen von damals mit einer Art Belustigung und wünschen sich zugleich diese vermeintlich einfachere Welt vor Social Media, ohne Pandemie und ohne ein Bewusstsein für die Klimakatastrophe zurück. (Nicht zuletzt hat die TikTok-Generation Y2K-Fashion entdeckt, warum auch immer.) Somit ist die Zielgruppe eine doppelte. Das bedeutet auch: Wir können uns auf weitere Revivals, Reboots und Reunions der Serien der nuller Jahre gefasst machen – oder freuen.
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