Mit zwei vorlauten Kindern auf einem störrischen Esel  – Marc-Uwes Klings „Der Spurenfinder“

von Sophia Wege

Ein Schdip ist ein Schlüssel, der immer passt. Das eigenwillige Werkzeug hilft dem berühmten Spurenfinder Elos von Bergen, alleinerziehender Vater der zwölfjährigen Zwillinge Ada und Naru, bei ihren Ermittlungen in einem Mordfall. Aber einem Schdip muss man gut zureden, der will nämlich auf keinen Fall mit einem profanen Dietrich verwechselt werden und ist beleidigt, wenn man ihm nicht schmeichelt. Das sprachspielerische Detail lässt bereits erahnen, dass es sich auch bei Marc-Uwe Klings Kinderbuch Der Spurenfinder um einen amüsanten, phantasievollen, temporeich erzählten und somit typischen ‚Kling‘ handelt. Der Autor von Das Neinhorn und anderen Bestsellern hat das Buch diesmal gemeinsam mit seinen beiden Töchtern verfasst – Johanna und Luise Kling sind allerdings schöne Pseudonyme.

Der Spurenfinder ist eine „Fantasy-Krimi-Komödie“ geworden, die vor originellen Einfällen und komischen Dialogen nur so sprüht. Die Bezeichnung im Klappentext trifft es in diesem Fall genau, denn das Kling-Trio würfelt hier auf 324 Seiten hemmungslos Zutaten aus diversen Genres zu einem wilden Mix zusammen. Die Leser:innen von Fantasy, Kinderkrimis und Mittelalterromantik, die Fans von Märchengrusel, Römerzeit, antiken Götterwelten und Abenteuerreisen, kommen voll auf ihre Kosten, vor allem aber die Verehrer des komödiantischen ‚Kling-Tons‘, der die Känguru-Chroniken so unverwechselbar macht. Kling ist ein Meister der schlagfertigen Spöttelei, garniert mit intertextuellen Referenzen und kulturkritischen Volten, und eben diese witzige Erzählweise erhebt er im Spurenfinder demonstrativ zum Programm: Wenn Ada aus einem Buch mit antiken Geschichten über Dämonen, Monster und Götter vorliest und dabei dessen „schwerfälligen Stil“ moniert, dann verrät das vor allem viel darüber, was Kling an Klassikern zu bemängeln hat. Solche postmodernen Buch-im-Buch-Szenen kennt man aus den Kinderbüchern von Michael Ende, Cornelia Funke oder Walter Moers, allerdings erhebt Kling die Schachtelstrategie nicht zum Erzählprinzip, sondern belässt es bei vereinzelten metapoetischen Fingerzeigen. Auf erzähltechnische Raffinessen wird weitestgehend zugunsten einer ebenso konventionellen wie leserfreundlichen story verzichtet. Das Innovative, und damit auch Riskante, liegt in Klings Versuch, den schwerfälligen Stil der ehrwürdigen Altvorderen zu modernisieren. Der an sich schon gewöhnungsbedürftige kulturpluralistische Geschichtseklektizismus kommt im Gewand einer locker-flockigen Gegenwartssprache daher. Dies zeigt sich vor allem in der jugendlichen Sprache und den gewitzten Dialogen des sich liebevoll neckenden und zankenden Ermittlertrios. Die Historisierung beschränkt sich bei Kling auf das Notwendigste, und auch in Sachen Handlung gibt er sich keine Mühe, den Dingen auch nur den Anstrich historisch-faktischer Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Auf den ersten Seiten erweckt das Buch noch den Eindruck, als habe man es mit jener sprachlich biederen und inhaltlich brav bemühten Mittelalter-Kulisse zu tun, wie man sie aus Kirsten Boies erfolgreicher Romanreihe Der kleine Ritter Trenk kennt, doch weit gefehlt: Bei Kling entpuppt sich eine zimtschneckenliebende Oma als männermordendes Wandelwesen. Die Frauen von Friedhofen lassen sich von den Männern nichts bieten und machen Karriere. Der schwule Bäcker bringt seinem Geliebten Zimtbrötchen ans Bett. Naru wird von der Klassenkameradin wegen seiner Langhaarfrisur gehänselt. In der Dorfschule gibt Frau Lilienfeld antiautoritären Unterricht in Landeskunde. Gab es Mobbing schon im Mittelalter? Hatten die Mädchen damals schon einen Pferdeschwanz? Alleinerziehend mit zwei aufmüpfigen Teenagern auf einem störrischen Esel durch die Provinz? Die Kinder in diesem Roman rufen Papa zwar nicht auf dem Handy an, wenn sie im Wald einer Skorpiondrachenspinne begegnen, aber das war’s dann auch schon mit der historischen Akkuratesse. Beispiel Ritterromantik: Auf der Reise nach Drachenberg begegnet Elos von Bergen seiner Kinderfreundin Minna von Talheim wieder. Minna lebt allein auf ihrer Burg, läuft den ganzen Tag mit Helm und Rüstung herum, und entpuppt sich als Expertin für Waffen und Wappen. Geschlechterrollen, Sprache, Verhaltensweisen der Figuren passen kaum zum grob gesagt ‚historischen‘ Setting, die amüsanten Wortgefechte könnten gut und gern auch im Hier und Jetzt spielen. Klingt geht freestyle mit Sprache und Stil, Kultur, Literatur- und Gattungsgeschichte um, in diesem clash des historisch Unvereinbaren liegt das komische Potenzial des Romans. Das Kling-Trio bedient sich, wo und wie es ihm gefällt, mischt historische Einsprengsel unter das Gegenwartsdeutsch, collagiert bewährte Themen, Motive, Stoffe aus unterschiedlichen Epochen und würzt den Mix mit eigenen, originellen Einfällen. Die wilde Story funktioniert, sobald man sich darauf eingelassen hat. Es geht hier nicht, wie in der historisierenden Kinderliteratur sonst üblich, um historische Glaubwürdigkeit und Konsistenz. Für das Autorentrio zählen sprachliche und stilistische Leichtigkeit, Unterhaltungsfaktor, Vielfalt, Phantasie, Spannung und Witz. Dass Die Spurenfinder kein avantgardistischer Roman geworden ist, liegt an der Leichtigkeit der Sprache und daran, dass sich die diversen Elemente zu einer kausalen, logischen und weitgehend chronologischen Handlung zusammenzufügen, so dass auch junge Leser:innen dem Geschehen problemlos folgen können. Was die Lehrerein, Frau Lilienfeld, den Kindern im ersten Kapitel über Landesgeschichte beibringt, hilft ihnen später bei der Lösung eines spannenden Kriminalfalls. Im Hintergrund waltet ein erfahrener Erzähler, der geschickt die Fäden knüpft.

II

Der Roman startet mit einem metapoetischen Scherz: Elos von Bergen lebt mit seiner Familie zurückgezogen in einem Dorf namens Friedhofen im Königreich Dreibrücken, wo leider „weniger los ist, als im Schlafzimmer eines Eunuchen“. Das verschlafene Nest liegt zwischen dem Tränenmeer und den Ewigen Bergen, unweit des Wilden Walds am Ufer des Schönen Sees. Der Handlung vorangestellt ist ein Auszug aus Deidra Harfners Reiseführer Wanderungen durch das Königreich Dreibrücken, in dem die berühmteste Schriftstellerin des Reiches spottet, diese Namen würde „trauriges Zeugnis von der Kreativität der Bewohner ablegen“. Tatsächlich aber tragen die verrätselten Orts- und Personennamen viel zur Poesie des Romans bei. Mit der Deidra Harfner und deren mehrfach zitierten Wanderungen spielt Kling zudem auf Fontane an und erweist dem Fantasy-Meister Walter Moers seine Reverenz, genauer gesagt dessen unvergessliche Figur Hildegunst von Mythenmetz, dem berühmtesten Schriftsteller Zamoniens (Die Stadt der Träumenden Bücher u.a.).

Den gefährlichen Job als berühmtester Spurenfinder des Landes hat Elos an den Nagel gehängt, um an seinen „zwanzigbändigen Memoiren“ zu schreiben, doch daraus wird natürlich nichts. Als der Dorfvorsteher von Friedhofen, Emmett Freling, tot aufgefunden wird, kehrt der genialische Superdetektiv etwas mürrisch aus der Frühpensionierung zurück und nimmt gemeinsam mit seinen abenteuerlustigen Kindern die Ermittlungen auf. Die Suche nach dem Mörder führt das Trio über mehrere Stationen nach Drachenberg, der Hauptstadt des Reiches Syndrakos. Dort werden Elos und Naru von Herzog Harling, dem fiesen Bruder der Kaiserin, unter einem Vorwand festgenommen. Harling hat noch eine alte Rechnung mit Elos offen und auch Verbindungen zu Emmett, dem Mordopfer, tun sich auf. Ada kann entkommen, sie muss sich von nun allein durchkämpfen und einen Weg finden, rechtzeitig und ohne Wissen des Herzogs mit der Kaiserin zu sprechen und sie von der Unschuld des Spurenfinders zu überzeugen. Auch auf Naru wartet am Ende eine hochdramatische Bewährungsprobe. Er muss am Turm des kaiserlichen Schlosses emporklettern und der Herrscherin Gehör verschaffen, die einen Krieg zwischen ihren Getreuen und jenen des Herzogs verhindern will.

Das Ermittlertrio findet heraus, dass ich hinter dem Mord am Dorfvorsteher ein abgründiges Geheimnis der Kaiserfamilie verbirgt. Es geht nach shakespeareschen Vorbild um verschmähte Liebe, Eifersucht, Gier und Rache. Nach vielen überraschenden Wendungen führt die Spur jedoch wieder nach Friedhofen zurück und es stellt sich heraus, dass Emmett nicht derjenige war, der er vorgab zu sein.

III

Insgesamt handelt es sich um einen Krimiplot mit typischem Krimivokabular. Da werden Indizien nach allen Regeln der Kunst untersucht, Tatorte besichtigt, Tatmotive debattiert und Verdächtige festgenommen. Angereichert wird die detektivische Spurensuche um originelle Varianten typischer Handlungselemente aus diversen anderen Genres, darunter beispielsweise Zaubertinte und Feuerdrops, monströse und magische Mischwesen wie besagtes Spinnenmonster, eine Feuerläuferin und eine Blumenflüsterin. Überall lauern Gefahren, aber Naru und Ada verlieren nie den Mut und kämpfen sich tapfer und einfallsreich voran. Für die jungen Leser:innen ist dieses Spektakel spannend, wenn auch nicht im engeren Sinne gruslig. Offenkundig geht es Kling nicht nur um die Tätersuche und klassische Ermittlungsarbeit, sondern auch um das Auf und Ab von Reiseabenteuern und um den Spaß an den witzigen und pointierten Dialogen seiner Figuren. Erwachsene Leser überzeugt die Figurenzeichnung immer dann besonders, wenn sich Kling Zeit für das Innenleben seiner Helden nimmt. Ein Beispiel: Auf der Suche nach der Kaiserin verschafft sich Ada unbemerkt Zugang zur Heilquelle von Drachenberg und nimmt dort, bevor sich die Tore für den offiziellen Besucherverkehr öffnen, in aller Stille ein Bad: „Das Wasser tat wohl. Es war so angenehm. So warm. So schön. Sie war allein, aber das war in Ordnung. Völlig in Ordnung. Am liebsten wäre sie den Rest des Tages hiergeblieben, den Rest des Jahres, den Rest ihres Lebens.“ Denn das Wasser hat Zauberkraft, es verjüngt die Badenden und heilt in kürzester Zeit ihre Wunden. Die Szene zählt zu den wenigen, in denen sich Kling die Magie eines Ortes und die ambivalenten Gefühle einer Figur ausführlicher schildert, als es für den Fortgang des actionreichen Plots nötig gewesen wäre. Dass Kling Komik beherrscht, hat er oft genug unter Beweis gestellt; solch einfühlsame Szenen dagegen sind selten und man würde sie in Zukunft gern öfter lesen. Die Freunde seines satirischem Talents werden hingegen wie gewohnt unterhaltsam bedient: „König Fredlaff, der Breite, / ist andauernd pleite! / Er hat zu viele Rösser, / baut zu viel Schlösser. / Doch er zahlt sie nich, / zahlen tun du und ich.“
Bernd Kiesel, der Zeichner der Känguru-Comics, steuerte die Illustrationen bei. Seine schlichten Bleistiftzeichnungen passen gut zur Mittelaltersphäre; innerhalb der Geschichte sind sie dem Zeichentalent Naru zugeordnet, der mit seinem Skizzenbuch Phantombilder, Tatorte, Zeugen, Gegenstände und Sonstiges auf Papier festhält, das ihm bei den Ermittlungen auf der Reise begegnet.

Kinderbuchrezensionen werden gewöhnlich von Erwachsenen geschrieben und haben damit von vornherein das Problem, wenn nicht das Manko, dass sie das wichtigste Kriterium, die Meinung der Zielgruppe, außer Acht lassen. Über viele Gags, die Erwachsene lahm finden (fliegendes Rührei usw.), können sich Kinder vor Lachen ausschütten. Ein Kinderbuch, das von einem Erwachsenen gemeinsam mit seinen Kindern erdacht wurde, muss gerechterweise auch von Erwachsenen und Kindern gemeinsam rezensiert werden. Diesen ultimativen Test hat Kling bestanden: Meine Kinder spendeten dem Roman höchstes Lob, sie fanden die Geschichte „sehr witzig und spannend“. Den Fall hätten sie gelöst, verkünden Naru und Ada am Ende mit Stolz. Stolz können auch Klings Töchter sein, die an diesem phantasiereichen Abenteuer mitgeschrieben haben. Die letzte Seite lässt vermuten, dass ihr Vater noch nicht so bald an seinen zwanzigbändigen Memoiren arbeitet. Wir sind erleichtert.

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Foto von Anna Gru

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