Taliban, Reichsbürger, Nazis – Die Kritik an Klimaaktivist*innen hat sich radikalisiert

von Simon Sahner

Die Radikalisierung im Kampf um die Abwendung der Klimakatastrophe war lange befürchtet worden. Jetzt ist sie da. Im Streit um die aktuelle Aktion der sogenannten „Letzten Generation“ ist sie unübersehbar. Radikalisiert haben sich allerdings weniger die Aktivist*innen, sondern vielmehr ihre Kritiker*innen – jedenfalls auf einer verbalen Ebene.

Am vergangenen Wochenende hatten einige Vertreter*innen der „Letzen Generation“ das Denkmal „Grundgesetz 49“ an der Berliner Spreepromenade mit einer Flüssigkeit beschmiert, die sie selbst in Anführungszeichen als „Erdöl“ bezeichneten. Später stellte sich heraus, dass es sich um Tapetenleim und schwarze Dispersionsfarbe gehandelt hatte. Längst ist das Denkmal wieder sauber. Die unzureichende Klimapolitik, so die Aussage der Aktion, beschädigt unsere Grundrechte. Die Aktivist*innen inszenierten, was sie den Politiker*innen vorwerfen: Klimapolitik geht nicht weit genug und zerstört das, was unseren Staat und unser System zusammenhält. Das Grundgesetz verschwindet hinter den Wirtschaftsinteressen der Politik – dargestellt durch das „Erdöl“, das den Grundgesetzestext auf dem Denkmal unlesbar werden lässt. Das Grundgesetz per se war nie in Gefahr und sollte nicht zerstört werden, auch nicht symbolisch. Ein Akt, der in seiner Aussage relativ klar scheint – so klar, dass es beinahe überflüssig ist, ihn hier zu erläutern.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob einige Politiker*innen und Journalist*innen nicht Willens oder nicht in der Lage waren, diese Ebenen und die Aussage der Aktion zu erkennen. Sie demonstrierten jedenfalls vor allem eines: Eine rhetorische Radikalisierung. Frank Müller-Rosentritt, Bundestagsabgeordneter der FDP, warf den Aktivist*innen vor „gegen den Staat und gegen die freiheitlich, demokratische Grundordnung“ zu stehen und beschimpfte sie als „Abschaum“. Kristin Lütke, ebenfalls FDP, behauptete, die Verfassung sei mit Füßen getreten worden. Alexander Throm von der CDU äußerte, die „Letzte Generation“ habe ihre „Missachtung gegenüber unserem Grundgesetz deutlich gemacht.“ Noch einen Schritt weiter trieb es der SPD-Abgeordnete Michael Roth, der der „Letzten Generation“ vorwarf „ähnlich wie die Taliban“ Kunst zu zerstören. Der Journalist Nikolaus Blome wiederum befürchtete, als nächstes würden Bücher verbrannt und verglich die Klimaschützer*innen mit der Reichsbürger-Bewegung.

Drastische Vergleiche und Diffamierung

Man muss sich darüber wundern, dass anscheinend keine dieser Personen, deren Aufgabe es unter anderem ist, das alltägliche Theater des politisch-gesellschaftlichen Diskurses zu verstehen, die Aussage der Aktion erkannt hat, oder besser: erkennen wollte. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie entweder bereits so voller Wut auf die Aktivist*innen sind, dass ihre Tweets und Äußerungen Kurzschlussreaktionen darstellen, oder dass sie selbst die gebotene Bühne für eine Inszenierung ihrerseits nutzen wollten. Die Vergleiche, die sie bemühten, könnten jedenfalls drastischer nicht sein. Mit den Bücher verbrennenden und Menschen vernichtenden Nationalsozialisten, den kulturzerstörenden und mordenden Taliban und den staatsfeindlichen Reichsbürgern stehen hier die Aktionen in einer Reihe mit Menschheitsverbrechen und rechtsrevolutionären Umsturzversuchen. 

Dass die Menschen hinter dem Protest gleichzeitig noch in menschenfeindlicher Überspitzung als „Abschaum“ bezeichnet werden, überdreht die verbale Eskalationsspirale vollständig. Die Masse an solchen verbalen Entgleisungen aus einem Umfeld, das einen Teil der Gewalten des Staates repräsentiert, ist erschreckend. Vor allem, weil sie als die Legitimierung einer Entwicklung erscheinen, die teilweise nicht mehr bei verbalen Attacken bleibt. Längst sind Klimaschützer*innen immer wieder das Ziel körperlicher Übergriffe und Gewalt. Mit wutentbrannten Gesichtern ziehen Autofahrer*innen Aktivist*innen von der Straße, treten nach ihnen oder fahren direkt auf sie zu, wobei Demonstrant*innen teilweise auch schon angefahren wurden. Auch die Schmerzgriffe, die die Polizei teilweise anwendet oder androht, reihen sich hier ein.

Die Aussagen der Politiker*innen und Journalist*innen befeuern damit eine Stimmung, die offenbar in Teilen der Bevölkerung herrscht und die gefährliche Ausmaße annimmt. Dabei sind die Vergleiche mit Nazis, Taliban und Reichsbürgern nicht nur haarsträubend, sie zeigen auch, wie die Klimaaktivist*innen bis in die höchsten Kreise des Staates und der Gesellschaft gesehen werden: Als Staatsfeinde und Terrorist*innen. Bisher war es meistens allerdings die RAF, zu der eine Linie gezogen wurde. Dass die „Letzte Generation“ mit der RAF nichts gemein hat, hat vor nicht allzu langer Zeit Bernd Ulrich in der ZEIT überzeugend erläutert. 

Auf dem Boden der demokratischen Grundordnung

Das gilt auch für alle anderen terroristischen Gruppen. Die Ziele der Aktivist*innen sind gerade nicht der Staat und unsere Grundrechte. Im Gegenteil, die Aktion vom Wochenende zeigt in ihrer Symbolik sehr deutlich, dass ihnen das Grundgesetz am Herzen liegt und sie es durch die Politik beschmutzt sehen. Während Reichsbürger und ehemals die RAF den Staat und seine demokratische Grundordnung zerstören wollen, will die „Letzte Generation“ genau das beschützen. Ihre Forderungen an die Politik stehen so zentral auf der Grundlage eines demokratischen Systems und fußen auf Respekt vor Politik und Demokratie, dass der Vorwurf der Staatsfeindlichkeit absurd erscheint.

Die Einführung eines Tempolimits von 100 km/h, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket und einen Gesellschaftsrat, „der Maßnahmen erarbeitet, wie Deutschland bis 2030 emissionsfrei wird“ – das ist alles. Durch die Erläuterungen dieser Forderungen zieht sich durchgehend der Respekt für demokratisch gewählte Politiker*innen als zentrale Wirkungsträger*innen für die Umsetzung dieser Forderungen. Die demonstrative Bereitschaft zur Diskussion, die auf der offiziellen Website der Bewegung beschrieben wird, ist beeindruckend und zeugt von einem grundsätzlichen Interesse an Debatten, das man auf Seiten ihrer Gegner*innen kaum findet. Explizit ist da die Rede davon, dass die Teilnehmenden an dem geforderten Klimarat „per Los gefunden“ werden sollen. „Veganer:innen und Autofans“ sollen gemeinsam zu Lösungen kommen.

Diskutieren statt Diffamieren

Die Forderungen kann man im Kern diskutieren und ob ein universelles Monatsticket jetzt 9€ oder vielleicht auch 19€ kosten könnte und auch ob das Tempolimit am Ende doch bei 120km/h liegt, wäre Verhandlungsmasse. Von einem Angriff auf Staat und Ordnung ist aber nirgendwo etwas zu sehen. Und das wissen auch diejenigen, die der „Letzten Generation“ genau das vorwerfen. Entscheidend ist vielmehr, dass die scharfe Verurteilung der Aktionen und die Parallelisierung mit Terror und Staatsfeindlichkeit vor allem zwei Effekte hat. Der eine ist das Schüren einer grundsätzlichen Wut in Teilen der Bevölkerung, die sich – nicht zu Unrecht – von der „Letzten Generation“ gestört fühlt. 

Viel sinnvoller und der Funktion von Politik angemessener wäre es, Brücken zwischen aufgebrachten Aktivist*innen mit nachvollziehbaren Anliegen und aufgebrachten Bürger*innen, die im Stau stehen, zu schlagen. Beispielsweise, indem man die Forderungen anerkennt, sie zur Debatte stellt und der Öffentlichkeit aufzeigt, dass die Ideen der „Letzten Generation“ grundsätzlich vor allem eines nicht sind: Absurde Vorschläge, die unsere Ordnung bedrohen.

Der zweite Effekt der verbalen Radikalisierung aus der Politik ist eine Absicherung der eigenen Position. Mit Terrorist*innen wird nicht verhandelt und mit Extremist*innen auch nicht. Wenn man also Menschen mit diskutierbaren Forderungen zu Terrorgruppen und extremistischen Organisationen erklärt, schließt man sie damit aus dem offiziellen Diskurs aus und muss sich zumindest auf einer Sachebene auch nicht mehr mit ihnen auseinandersetzen. Anders als terroristische Vereinigungen, mit denen tatsächlich nicht debattiert werden sollte, respektiert die „Letzte Generation“ den Staat und seine demokratische Grundordnung allerdings auf einer ganz grundsätzlichen Ebene. Der erste Wert, den sich die „Letzte Generation“ auf die Fahne schreibt, ist Gewaltfreiheit in Verbindung mit einer Bestätigung des Rechtssystems: „Wir akzeptieren die Konsequenzen unserer Taten und stehen mit unserem Gesicht und unserem Namen dazu.“ Deswegen ist die Gleichsetzung mit der Reichsbürger-Bewegung auch faktisch falsch.

Wer schadet dem Klimaschutz?

Man kann von den Aktionen der „Letzten Generation“ halten, was man will, und ob die unterschiedlichen Formen des Protests jede für sich genommen legitim und sinnvoll ist, ist diskutabel. Ob es eine angemessene Geste ist, ein Denkmal mit Farbe zu beschmieren, das von einem israelischen Künstler zu Ehren des Textes geschaffen wurde, der die erste stabile Demokratie auf deutschem Boden hervorgebracht hat, ist zumindest fragwürdig. Dazu gehört aber auch die Wahrheit, dass hunderttausende Jugendliche bei den Protesten von Fridays For Future zwar ein neues Bewusstsein für Klimaschutz erzeugt haben, das jedoch nicht zu zentralen Politikwechseln geführt hat, die ausreichen würden, um die größten Auswirkungen der Klimakatastrophe abzuwenden. 

Der Vorwurf der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die Aktion habe dem Klimaschutz geschadet, ist deswegen auch absurd. Dem Klimaschutz schadet in erster Linie die Politik, wenn sie nicht handelt und dazu gehört auch die Vermittlung notwendiger, unpopulärer Entscheidungen. Eine Bewegung zu diffamieren, deren Forderungen zumindest in ihrer vernünftigen Grundhaltung anerkannt werden könnten, schadet jedenfalls dem Klimaschutz mehr als die ein oder andere unbedachte Aktion, bei der außer materiellem Minimalschaden nichts passiert ist.

Man muss von Politiker*innen und Journalist*innen nicht erwarten, dass sie bei Protestaktionen, die Straßen blockieren und Denkmäler und Gemälde symbolisch beschmutzen – zerstört wurde keines – applaudierend daneben stehen. Man kann aber erwarten, dass ihre Kritik differenziert und angemessen ist und dass sie versuchen, sich konstruktiv mit dem auseinanderzusetzen, was solche Aktionen auslöst. Sonst sind es am Ende manche aus Politik und Journalismus, die sich vorwerfen lassen müssen, einen Diskurs radikalisiert und dem Klimaschutz geschadet zu haben.

Foto von Markus Spiske auf Unsplash

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