Was ist eigentlich mit _____ passiert?

von Anonymous

im Original erschienen bei Longreads

übersetzt aus dem Englischen von Tobias Eberhard

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Niemand bin ich! Und du? / Ein Niemand – noch dazu?

Emily Dickinson, 1891 (Übersetzung G. Kübler)

Ich möchte behaupten, dass es sich bei Anon, verantwortlich für so viele Gedichte ohne Signatur, oftmals um eine Frau handelte.

Virginia Woolf, 1929

Kein Name? Nun, die Straßen sind voller namenloser Mädchen.

George RR Martin, A Feast for Crows

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Vor einigen Jahren, es war ein Sommerabend, fuhren wir zu viert mit dem Auto durch die Hochwüste Oregons. Zwei Frauen schliefen auf dem Rücksitz, beide voneinander abgewandt. Ich saß vorne auf dem Beifahrersitz, ein Mann fuhr den Wagen. Jemand hatte Rod Stewarts Storyteller: The Complete Anthology aufgelegt, das scheppernd aus den Lautsprecherboxen dröhnte, und obwohl ich mich nicht als Fan bezeichnet hätte, empfand ich das unverstellte Geschmachte als ebenso endlos und wunderschön wie die uns umgebende Wüste. Die samtweiche Nacht umhüllte uns, über uns der sternengesprenkelte Himmel, Autoscheinwerfer durchschnitten die Dunkelheit. Wir waren Schriftsteller*innen, die sich gemeinsam ein Auto zurück von einem der seltenen Wochenend-Retreats teilten. Das Fenster stand einen Spalt breit offen, ein kühler Windzug wehte herein und wirbelte das zottelige Haar des Fahrers auf. Während Rod Stewarts Mandoline erklang, kratzte der Fahrer seine Mückenstiche und erzählte mir von einer Autorin, die er einst gekannt hatte. „Sie hatte so viel Talent“, sagte er voller Bewunderung.

Ich stellte mir eine duldsame, klassische Skulptur einer wunderschönen Frau vor, die auf einen Sockel gehievt wird.

„Sie war eine tolle Autorin, wirklich super.“ Dann setzte er wehmutsvoll hinzu: „Sie hat geheiratet. Ich hab‘ sie nie wieder schreiben sehen.“

Ende der Geschichte.

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Wie einzelne Stationen auf einer geraden Strecke: das Aufblühen des Potenzials, dann der bestimmt weibliche Absturz in die sanfte, hetero-geprägte Häuslichkeit. Eine schwermütige Mischung aus Sehnsucht, Bedauern und Verehrung. Damit die Geschichte auf die übliche Weise funktioniert, muss die Frau besser sein als der Durchschnitt. Sie muss brillieren. Dann passt sie sich an. Dann verschwindet sie, geht unter im Grundrauschen der Spülmaschine, der Waschmaschine, des Fernsehers und des Rasenmähers, im Hundebellen und Läuten des Telefons. Sie wird zu einer Erinnerung, einer Wegmarke auf dem Karriereweg eines richtigen Autors. Dies ist eine dieser weit verbreiteten Erzählstrukturen, die wir verinnerlicht haben und schon weit im Voraus auf den Verlauf einer sich vage abzeichnenden Karriere projizieren. Vielleicht liegt darin sogar so etwas wie Genugtuung, in dem tröstenden Gedanken, dass dieses Schema unvermeidbar ist für die anderen, für diese Autorinnen, die sich einst törichterweise in den Kopf gesetzt haben, alles zu haben.

Damit die Geschichte auf die übliche Weise funktioniert, muss die Frau besser sein als der Durchschnitt. Sie muss brillieren. Dann passt sie sich an. Dann verschwindet sie …

Dieses Narrativ bildet einen Sammelort, an dem unerfüllte Träume eingelagert und gerechtfertigt werden können. Eine gesellschaftliche Rolle, die zur Erwartung wird. Ich kannte Studentinnen, die niemals dazu ermutigt wurden, sich für ein weiterführendes Studium zu bewerben, da sie bereits verheiratet waren oder kurz vor der Hochzeit standen oder eine innige Beziehung führten. Manchmal reichte schon eine sich andeutende mögliche Heirat aus, um andere Möglichkeiten verblassen zu lassen. Irgendwann wird es dann doch bestimmt auch Kinder geben, oder? Kinder bedeuteten ein menschliches Opfer an Zeit, für den Kosmos, für die Spezies.

Frauen passen ihre Karrieren an das Familienleben an, und kollektiv modellieren wir die einzuschlagenden Wege, damit sie unseren Erwartungen entsprechen. Frauen machen, Frauen sollten – beides ist von Grund auf miteinander verwoben.

„Ach, E-lea-nah Fahhhr-quahar“, sagte der Fahrer, den Namen dieser mythischen Frau in verträumt langgezogenen Silben aushauchend. „Was ist eigentlich mit Elena Farquahar passiert?“

Die klassische Skulptur der wunderschönen Frau auf dem sprichwörtlichen Sockel, zerborsten, nichts weiter als glitzernder Staub.

Schreiben kostet Zeit, das ist eine Tatsache. Ein großer Teil der Arbeit findet im Privaten statt. Ich habe schon zehn Jahre an jeweils einem Buch gearbeitet, wenngleich auch an mehreren zur gleichen Zeit. Ich multitaske ständig, bin immer in meiner Elternrolle. Das Einkommen einer schreibenden Person gleicht dem eines Glücksspielers, also unterrichte ich dazu noch am College, denn die Lehre bietet etwas mehr Sicherheit, und mit etwas Glück ist man zudem noch krankenversichert. Teilweise war ich für 185 Studierende in einem Semester zuständig. Das bedeutete alle zehn Wochen fast eintausend Essays, fünftausend Seiten, die gelesen, bearbeitet und kommentiert werden wollten. Selbst in dieser Zeit schrieb ich weiter. Wie durch ein Sieb lasse ich meine Ideen hindurchrieseln, bis sie sich setzen und schließlich neu ordnen. Anstatt mich dem Mantra des täglichen Schreibens zu unterwerfen, arbeite ich stoßweise, immer dann, wenn sich mir die Zeit dafür bietet. Ich habe drei Bücher veröffentlicht, während ich die Rolle des hauptsächlich für die Erziehungsarbeit verantwortlichen Elternteils übernahm, lernte, mich um einen Säugling zu kümmern, ein Kleinkind zu umsorgen, es organisiert zu bekommen, dieses Kind zur Grundschule zu schicken, und über all dem der Versuch, der Lernkurve trotz der sich ständig verändernden Aufgaben und Zuständigkeiten stets einen Schritt voraus zu sein, während unser Kind aufwuchs.

Der Fahrer erlaubte es sich selbst, alles langsam angehen zu lassen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob denn sein eigenes Versagen, etwas zu veröffentlichen, den Tod seines persönlichen Strebens bedeutete.

„Hat Elena Farquahar denn jemals deine Arbeit zu Gesicht bekommen?“, fragte ich ihn.

Seine Eckzähne – diese Fangzähne, Hundszähne, Augenzähne – sie waren lang und feucht. Sie glänzten als er seinen Kopf in den Nacken legte und auflachte, fingen das Scheinwerferlicht eines Autos ein, das uns auf der zweispurigen Wüstenstraße entgegenkam.

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Mutter, Frau, Ehefrau und Autorin zu sein, ist etwas anderes als nur Autorin zu sein. Es ist wahrscheinlich unsicherer, prekärer, bildet andere Wege aus.

Fast simultan machen sich Worte in meinen Gedanken breit, mitsamt Klang und Bedeutung; ein ganzer Chor zweifelnder Stimmen hebt an, um mir das Gegenteil zu beweisen. „Schreiben ist schreiben!“, ruft eine tiefe, laute Stimme. „Immer weiter!“, sagt eine andere.

Und dann: „Wenn du gut darin bist, arbeite fleißig. Wenn du originelle Ideen hast, schaffst du es nach oben.“

Da ist womöglich auch was dran, muss ich zugeben. Ich habe schon von solchen Aufstiegen gehört, in Workshops und Absageschreiben. Das kommt höchstwahrscheinlich schon vor.

Die logische Folgerung daraus ist: Wenn du es nicht nach oben schaffst, bist du nicht gut genug; eine Philosophie des Es-aus-sich-selbst-heraus-Schaffens.

Dabei muss ich an eine gewisse Clique weißer Männer in Hollywood denken, an ihren Reichtum und wie lange sie ihn schon genießen, und an die berühmte, gut betuchte Gegend, in der mindestens einer von ihnen lebt, und an dieses eine Essen, dem ich erfreulicherweise zusammen mit einer Reihe von Schauspieler*innen und einem Showrunner beiwohnen durfte, bevor sie sich meine Idee, die es zu einem erfolgreichen Indie-Roman gebracht hatte, nahezu komplett und nur mit marginalen Änderungen angeeignet und das Geschlecht des Hauptcharakters geändert haben, um ihn an ihre eigenen Bedürfnisse anzupassen. Die Männer entwickelten unverzüglich ein Konzept für eine Serie, die mehr als große Ähnlichkeiten zu meiner Arbeit, über die wir gesprochen hatten, aufwies. Man machte mich zur namenlosen Muse, und gleichzeitig zerschlug sich so ein Filmdeal, auf den meine Verlegerin und ich über Jahre hinweg hingearbeitet hatten.

In Interviews erzählten die berühmten Männer, dass sie sich in einer misslichen Lage befunden hatten, die Ideen waren ihnen ausgegangen, und während sie sich abgemüht hatten, einen bereits geschlossenen Deal zu erfüllen, war ihnen die Zeit langsam davongelaufen. Die Idee sei ihnen dann quasi wie aus dem Nichts gekommen.

Sie haben sich gegenseitig um ihre Interessen gekümmert. Es war nicht darum gegangen, wer es aus kreativer Sicht nach oben geschafft hatte – oder wer nicht. Außerdem: Auch Scheiße findet ihren Weg nach oben.

„Mach dich frei davon“, legt mir ein Chor weiblicher Stimmen nahe. Diese Stimmen klingen freundlich, nett, auch wenn in einem Unterton mitschwingt, dass ich mich doch dafür schämen solle, dass ich so auf diese Gelegenheit zurückblicke, mit der ich mehr Geld hätte nach Hause bringen können als ich in meinem ganzen Leben bisher verdient hatte.

„So ist Hollywood eben! Was hast du denn erwartet?“, flöten mir die körperlosen Stimmen zu. „Gönn dir einen Drink“, sagen die Frauen. „Es ist Happy Hour!“

In letzter Zeit verhielten sich die Stunden, in denen ich Schlaf fand, antiproportional zu den auf meine Kreditkartenschulden anfallenden Zinsen – während das eine abnahm, wuchs das andere an. Mein Bankkonto gleicht mittlerweile eher einer Chipstüte, mehr enttäuschende Leere als Inhalt.

Meine finanziellen Probleme sind nicht darin begründet, dass ich kein Geld verdient habe. Denn das habe ich. Hoffentlich werde ich das auch wieder. Und es liegt auch nicht daran, dass ich nicht weiß, wie ich mein Geld sparen kann.

Geld ist ein abstraktes Konzept, das sich nur allzu oft in Systemen aus Dominanz und Subordination – Reichtum und Armut – wiederfindet. In meinen Zwanzigern, in der Reagan-Ära voller Kokain und Geld, entschied ich mich dazu, mir meine Kleidung kostenlos aus verschiedenen Kisten im Keller meines Mietshauses zusammenzustellen, wodurch ich mich in einen Mix aus ironisch zerlumpter High Fashion und zweckmäßigem, unauffälligem Grunge-Look kleidete. Den demonstrativen Konsum vermied ich ganz bewusst. Als unsere Tochter in der Grundschule war, verdiente ich mehr, aus einer tief in mir sitzenden Motivation heraus, für sie zu sorgen, aber auch, weil ich aufgrund meiner jahrzehntelangen Lebenserfahrung gut verdienen konnte. Mein Mann und ich hatten, abgesehen von unserem Haus, keine nennenswerten Schulden. Plötzlich hatten wir Ersparnisse auf dem Konto, und nicht zu wenig. Ich kaufte einen Subaru als Familienauto, den sichersten Wagen, den ich ausfindig machen konnte, und bezahlte ihn komplett.

„Versuch doch mal, als queere Person zu schreiben“, flüstert mir eine andere Stimme in meinem Kopf zu, und mit einem Nicken bedeute ich ein Zugeständnis. Es ist mit Sicherheit ein schwieriger Weg, für manche mehr als für andere.

„Versuch es doch mal als PoC“, sagt eine Stimme, jeden Buchstaben betonend. Ich kann nicht widersprechen. Ich höre zu.

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Wenn ich von den Problemen spreche, mit denen sich eine Autorin, eine Ehefrau, eine Mutter konfrontiert sieht, meine ich eigentlich etwas Konkretes. Was ich sagen möchte, ist, dass am Abend des Tages, an dem mein Verlag und ich die Pläne für mein drittes Buch bekanntgegeben hatten, als ich mit meiner Tochter beim Abendessen saß, nachdem ich sie von der Schule abgeholt und zum Schwimmen gebracht hatte, nach der Arbeit, an diesem sonst so normalen Tag – einem Tag, an dem ich zur gleichen Zeit die Rolle der Hausfrau und Mutter und, während einer angeblich „nebenher“ vorhandenen Zeit, mit meinem kreativen Job die Rolle der Ernährerin der Familie ausgefüllt hatte – an diesem Abend kam mein Ehemann, ihr Vater, nach Hause und zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Deine Mama…“, während er die Hand zur Faust ballte und seine Brustmuskeln anspannte.

Er ist ebenfalls Autor, mehr oder weniger jedenfalls; zwei Romane bei Kleinverlagen, wenige bis keine Bücherverkäufe. Die Schätzung, dass ich auf seine zwei oder drei oder vielleicht sechs Exemplare etwa 20 000 Bücher oder mehr verkauft habe, wäre noch eine vorsichtige.

Im Laufe der Jahre wurde ich nicht nur in einem Interview gefragt: „Wie ist es denn, mit einem Autor verheiratet zu sein, zwei Schreibende unter einem Dach?“

„Es ist toll“, antwortete ich dann, ein Lächeln auf den Lippen. Und manchmal war es das auch. Zu Beginn vermittelte ich meinem Mann Möglichkeiten für Buchrezensionen, wir gingen gemeinsam zu Veranstaltungen. Ich hatte seine Arbeit angepriesen, meine Familie, meinen Partner unterstützt.

Heute würde ich nicht mehr so antworten.

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An diesem Abend, an dem wir die bevorstehende Geburt meines dritten Buches hätten feiern können, hatten meine Tochter und ich Trader Joe’s Orange Chicken – eine süße, klebrige Sauerei – zubereitet, weil sie Lust darauf und ich einen langen Tag hinter mir hatte. Später sollte ich Anwält*innen dann genau das nacherzählen: „Wir saßen da, aßen Trader Joe’s Orange Chicken…“ Ich sagte es in dem erstaunten Ton, in dem jemand sagen würde: „Ich lief einfach so die Straße entlang…“, wenn es darum ging, den Hergang eines Autounfalls zu beschreiben. Oder: „Wir dachten, alles sei in Ordnung, ich war gerade im Garten…“, um von den letzten Augenblicken zu berichten, bevor ein Haus einem Wirbelsturm zum Opfer fällt.

Wir aßen Trader Joe’s Orange Chicken…

Es gab keinen Streit. Nichts. Nur die Familie.

Zusätzlich zu meinem dritten Buch war ich gerade kurz davor, mein erstes und vermutlich einziges Sabbatical meines Lebens zu beginnen, nachdem ich über zwanzig Jahre lang unterrichtet hatte. Es war angedacht, dass ich ein ganzes Jahr lang mit der Hälfte meines Jahresgehalts von der Arbeit freigestellt wäre. Finanziell hätte das für uns gepasst. Tatsächlich hätte ich dann einmal sowohl Zeit als auch Geld zur Verfügung gehabt. Endlich wäre ich finanziell mehr oder weniger gut aufgestellt und relativ ungebunden gewesen.

Eine Bemerkung aus einer Abschlussrede von Nora Ephron geht dieser Tage als Meme herum, das als inspirierender Ratschlag dienen soll: „Das Wichtigste ist: Sei die Heldin deines eigenen Lebens, nicht das Opfer.“ An diesem Abend spürte ich in mir dieses tiefgreifende Gefühl, dass ich mir meinen Weg geebnet hatte, alles zusammenhielt, Ziele, auf die ich hingearbeitet hatte, erreicht hatte.

Mein Ehemann platzte in unser Zuhause wie ein Wirbelsturm, der unser Haus niederreißen wollte. Er war wie ein Autounfall, ein Sturmangriff.

Er plusterte seinen breiten Oberkörper auf, stand auf den Zehenspitzen, wie um seiner kleinen Statur entgegenzuwirken, schritt im Haus umher. Dann sagte er: „Deine Mama… kommt mit zu viel durch…“

Er machte aus der Einschüchterung einen performativen Akt, führte für seine Familie ein Bühnenstück der patriarchalen Wut auf. Und wir sahen zu. Seine Drohungen und tiergleichen Posen waren so verwirrend wie erschreckend. Er verhielt sich irrational, brüllte etwas von Ausgaben, führte falsche Zahlen an. Gewalt und Geld – so wie ich es wahrnahm, griff er darauf zurück, um seine finsteren Gefühle zu befriedigen und nach außen zu tragen. Ich bin mir sicher, dass er als Reaktion von mir die Einnahme einer bestimmten Rolle erwartete. Ich glaube, in seinen Augen sollte ich mich kleinmachen.

„Waa-as?“, sagte ich stattdessen.

Sein Akt eskalierte. Er trieb sich überall in unserem Haus herum, stand hinter mir, hinter unserer Tochter, ständig brüllend, brüllend, brüllend… Da war dieser Moment auf der Treppe hinter unserem Haus, neben einem Haufen Bauschutt, Nägel und Holz und Draht und Zement, als er meine Handgelenke packte. Ich dachte, ich würde hinstürzen, mir den Kopf aufschlagen, von rostigem Metall aufgespießt werden. Ich schrie um mein Leben.

Niemand kam mir zu Hilfe. Trotzdem ließ er von mir ab, als ich losschrie, und ging nach drinnen. Ich bin jeden einzelnen Tag dankbar dafür, dass ich davongekommen bin.

Hinter der Gewalt steckt mehr – da ist immer mehr – aber männliche Gewalt ist klischeebehaftet, angelernt und wird stets wiederholt wie eine schlechte Sitcom ohne Lachspur. Das Nacherzählen empfinde ich zur gleichen Zeit als ermüdend und traumatisierend. Jede Einzelheit dieses grotesken zwischenmenschlichen Grauens wiederzugeben, beschwört diesen oberflächlichen, unnötig brutalen Film in meinem Kopf herauf, den ich lieber nicht weiterschauen würde. Man kann sich das alles vorstellen, wie man möchte. Ja, ich hatte blaue Flecken. Ja, ich war verängstigt. Nein, ich meldete mich nicht bei der Polizei, ich wollte nicht, dass unsere Tochter mit ansah, wie ihr Vater verhaftet wurde. Ich versuchte, das ganze Drama herunterzuspielen, um ihretwillen. Ja, bevor es ganz schlimm wurde, bat ich meinen damaligen Ehemann, eine Runde spazieren zu gehen. Ich bat ihn, runterzukommen. Ich schlug vor, dass wir uns später weiter unterhielten, wenn unsere Tochter in der Schule war. Aber er wollte seine Gewalt vor ihr zur Schau stellen. Er beabsichtigte das alles als die Herabsetzung der Mutter vor den Augen des Kindes.

In seinen Augen wollte er darstellen, was er später erschreckenderweise als „Unterweisung“ bezeichnete.

Ein Mensch, der als Personifizierung einer geladenen Waffe nach Hause kommt, ist nicht zu kontrollieren. Er wollte sowohl eine Zeugin als auch eine Person, an der er seine Aggression ausleben konnte. Er trank Wein, begann zu lallen. Vor Gericht würde er später aussagen, dass er nicht betrunken gewesen sei. Möglicherweise war er völlig berauscht gewesen von seiner reinen, hochgradigen, groben beruflichen Eifersucht.

Nach Stunden der anhaltenden Aggression ging er ins Badezimmer. Ich sah unseren Moment gekommen. „Lauf!“, flüsterte ich.

Ohne zu zögern, lief unsere Tochter los. Sie sah ebenso wie ich, dass wir das tun mussten, und sie vertraute mir.

Ich schnappte mir meine Schlüssel.

Er trat aus der Tür, zog seinen Reißverschluss hoch. Wir waren schon zur Haustür draußen. Er rannte uns nach, hämmerte gegen die Scheiben des Subaru, dieses aus Liebe gekauften Familienautos, das ich im Bemühen, alles richtig zu machen und uns vor jeder Wetterlage zu schützen, gekauft hatte. Nun schützte es uns vor einem von uns, vor einem Familienmitglied, meinem Ehemann, ihrem Papa. Er hatte aus sich selbst ein Monster gemacht. Ich trat auf das Gaspedal und schaute nicht zurück.

Wenn ich also sage, dass das Schreiben als Frau ein anderes ist, insbesondere als Mutter und Autorin, meine ich damit, dass Autoren, wenn ihnen ein Fünkchen an Erfolg zukommt, von ihren Ehepartnerinnen nicht tätlich angegriffen werden. In ihrem Fall ist es unwahrscheinlicher, dass sie dafür, sich auf dem Weg nach oben zu befinden, gewaltsam angegangen werden.

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Aus kultureller Sicht tragen wir Vorstellungen von Geschlechtern und Geld in uns, und ebenso von Geschlechtern und Genialität.

Die Eifersucht ist eine andere, wenn in einer Ehe kreativer Ehrgeiz und Geschlechterdynamiken zusammenwirken. Häusliche Gewalt kann in jeder erdenklichen Personenkonstellation vorkommen, innerhalb des gesamten Geschlechterspektrums, doch statistisch gesehen tauchen bestimmte Elemente dieser altbekannten Struktur mit erhöhter Frequenz auf: männliches Anspruchsdenken und Dominanz, die auf die weibliche Unterordnung angelegt sind.

Da sie jeder Wahrscheinlichkeit trotzen, dürfen sich schreibende Mütter und Ehefrauen gemäß dieser gestörten Logik „zu viel erlauben“. Indem Frauen die Freiheit auf Erfolg verwehrt wird, wird der beharrliche Mythos des von Natur aus erfolgreicheren Mannes aufrechterhalten.

In Studien wurde nachgewiesen, dass sich einige Männer „verunsichert fühlen“ – um es milde, und wahrscheinlich euphemistisch, auszudrücken – wenn eine Frau mehr verdient als der Ehemann. In entsprechenden Artikeln findet etwas anderes jedoch keine Erwähnung: Das Leben einer Frau ist potentiell gefährdet, wenn sie auf ihrem gewählten Karriereweg an ihrem Partner vorbeizieht und sich dadurch die Waagschalen zu Ungunsten der abgenutzten patriarchalen Mythologie verschieben.

Anscheinend machen einige Menschen, die in Partnerschaft in einem Haushalt zusammenleben, dem Statistikamt gegenüber falsche Angaben, fast so als würden sie einen allwissenden Gott der Bürokratie anlügen. Und das alles, um ein falsches Narrativ aufrechtzuerhalten und schwache Egos nicht zu erschüttern, um althergebrachte Geschichten über Männer und Geld zu wahren und zu bestätigen, anstatt mithilfe von unbequemen Tatsachen über Frauen und ihre Erwerbskraft mit all dem aufzuräumen.

All die Erziehungsarbeit, die ich leistete, all die Mahlzeiten, die Hausarbeit und meine Karriere als Hochschuldozentin vor dem Hintergrund der ständig durch meinen Ehemann vorgetragenen finanziellen Ängste und seinem Beharren auf der vollständigen Kontrolle unserer Investitionen und Finanzen, und niemals die Möglichkeit, von außen Hilfe, Unterstützung oder Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen – all das war darauf ausgelegt, mich in dieses Narrativ, meine eigene Existenz in dieser Ideenwelt kleinzuhalten, zurückzudrängen, damit auch ich im Rauschen der weiblichen Häuslichkeit unterginge, wie es so vielen anderen Autorinnen vor mir ergangen war. Aber zu dieser Zeit weigerte ich mich noch, anzuerkennen, dass da ein falsches Spiel gespielt wurde. Ich tat einfach nur, was allem Anschein nach getan werden musste.

„Eine Ehe ist anstrengend“, hörte ich Leute zu mir sagen.

Sie war anstrengend. Ich arbeitete daran, sie einfacher zu machen, und besser.

„Schreiben ist anstrengend“, wird gerne mal angeführt, und ich weiß, dass es das ist. Anstatt mich dem hinzugeben, machte ich weiter, arbeitete daran, alles zusammenzuhalten. Ich korrigierte Aufsätze, während unsere Tochter beim Schwimmtraining war, oder in anderen kurzen Momenten, die sich mir boten; ich schrieb bis in die Nacht hinein. Ich vernachlässigte die Hausarbeit, wenn ich kurz davor war, einen Buchentwurf fertigzustellen, und machte dann alles sauber, wenn ich mit dem Schreiben fertig war.

„Deine Mama…“, hatte er gesagt. Seine hingezischten Worte dringen bis heute immer wieder in meine Gedanken ein, nach diesem ersten abgründigen Abend. „Deine Mama kommt mit zu viel durchdarf sich zu viel erlauben…“

Dadurch, dass ich unter all diesem Druck Erfolg hatte, brach ich die übliche Erzählung von Weiblichkeit und mütterlicher Überforderung und die dazugehörigen narrativen Erwartungen auf, anhand derer die kreative Schaffenskraft einer Frau herabgesetzt wird. Es war unglaublich anstrengend, aber das Schreiben erfordert Beharrlichkeit; Kinder großzuziehen ist toll, am College unterrichten ist ein guter Job, wir mussten Rechnungen zahlen, und ich war mit vollem Einsatz dabei.

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Als ich in sozialen Medien über all das berichtete, kommentierte ein Mann darauf: „Du kannst dich glücklich schätzen. Als Frau kann man Liebesromane schreiben. Mit denen lässt sich gut Geld verdienen.“

Er meinte damit solche Romane, die die Erwartungen von Leser*innen erfüllen anstatt sie zu unterlaufen, und deren Handlung sich in einem bestimmten Rahmen bewegt, mit zwei Charakteren, die sich ineinander verlieben, im Mittelpunkt und einem eindeutig „optimistischen Ende“.

Wenn ein Mann das Bedürfnis hat, einen Liebesroman zu schreiben, stehen ihm die Möglichkeiten dazu, glaube ich, ebenso offen wie jeder anderen Person auch. Ich kann das nicht mit absoluter Sicherheit sagen, das Romance-Genre ist nicht wirklich mein Gebiet. Ein Buch zu schreiben, egal welcher Art, erfordert Zeit. Ebenso erfordert es Zeit, über Geschlechtervorurteile im Verlagswesen aufzuklären, und die Zahlen von VIDA haben dies zur Genüge getan. Francine Prose hat genau das schon in ihrem Essay „Scent of a Woman’s Ink“ behandelt. Sie klang nicht sehr glaubhaft, diese Fantasievorstellung des Mannes, der seiner Meinung nach Unterdrückung erfuhr, weil er aufgrund seiner Männlichkeit in der romantischen Literatur angeblich nicht willkommen war. Es war sein Versuch, die Rollen umzudrehen, als Mann, der noch kein Buch geschrieben hatte. Es war der Versuch, ein Konstrukt heraufzubeschwören, in dem Frauen es leichter haben, um so sein eigenes Versagen zu rechtfertigen.

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Es gibt anständige Männer, und es gibt Männer, die anderen Menschen Schaden zufügen möchten. Mein Ehemann war klug, lustig und konnte liebenswürdig wirken, aber als ich Wege fand, meinen Worten in der Welt Gehör zu verschaffen, offenbarte sich für mich, dass sein Handeln der aus meiner Sicht düstereren und zerbrechlicheren Seite des Männlichkeitsspektrums entsprang.

Als er mich angriff, nachdem ich ihm vom Vertrag für mein drittes Buch berichtet hatte – er mit seinen kleinen Händen, mit denen er seine Buchrezensionen verfasste, und der Wut eines gescheiterten Romanautors – ließ ich alles stehen und kehrte nie wieder zurück.

Sei die Heldin deines eigenen Lebens, hatte Nora Ephron gesagt.

Mein Gott, wie ich es versuchte. Wie ich es immer noch versuche.

Seit diesem Tag, seit vier Jahren schon, sind einstweilige Verfügungen auf der Grundlage von anhaltenden Bedrohungen und Gewalt in Kraft. Sieben oder mehr Richter*innen haben sich meiner Bedenken angenommen und jedes Mal entschieden, dass eine klare Bedrohung besteht. Aufgrund des unberechenbaren, gewalttätigen Verhaltens meines Ex habe ich das volle Sorgerecht.

Trotz der auf unbestimmte Zeit gültigen einstweiligen Verfügung habe ich schon öffentliche Literaturveranstaltungen abgesagt. Man kann keine Lesung geben, wenn es da draußen jemanden gibt, der einem körperlichen Schaden zufügen möchte. Es ist gefährlich, das eigene Gesicht auf einem Plakat oder an einem Veranstaltungsort öffentlich zu präsentieren, den eigenen Aufenthaltsort zu bewerben, alleine an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit hinter einem Podium oder auf einer Bühne zu stehen.

Ich muss noch immer vor Gericht erscheinen, jedes Mal wenn er wütend wird.

„Mach dich frei davon!“, ruft der Chor der freundlichen Stimmen. „Es ist Happy Hour!“

Wenn das Familiengericht mein Erscheinen anordnet, kann ich mich nicht einfach „frei davon machen“.

Mein Ex und einer seiner Anwälte haben ein Bild aus einem meiner Social-Media-Accounts genommen, um es im Gerichtssaal herumzuzeigen: Ich in einem Kleid. Ich mit einem Glas Weißwein in der Hand, wie ich bei einer Buchveröffentlichung, bei der ich andere Autor*innen unterstützte, herumstand. Die unterschwellige Botschaft vor Gericht war, dass ich als hübsche Frau aus war und Spaß hatte. Anscheinend war das etwas Verachtenswertes.

Mein gesamtes Sabbatical, mein erstes und einziges, verbrachte ich vor dem Scheidungsgericht.

Ich musste 200 000 US-Dollar an Anwalts- und anderen Kosten zahlen, ungefähr das Vierfache meines Jahreseinkommens, um mir meine Freiheit zu erkaufen. Ich wurde in tiefe Armut getrieben, weil ich es gewagt hatte, einen Vertrag für ein drittes Buch zu bekommen und meinen Ehemann, den gescheiterten Autor, zu übertreffen.

Während das Scheidungsgericht noch in vollem Gange ist, lässt sich nicht darüber schreiben. Man kann nicht über Gewalt schreiben, ohne Angst vor Vergeltung zu haben. Man kann nicht über die seltsamen Dinge schreiben, die ein Richter vor sich hinmurmelt, ohne den Anschein zu erwecken, sich über einen nuschelnden Richter lustig zu machen.

Kafka war Anwalt. Er verstand das Absurde, erlebte die menschlichen Schwächen und die Grausamkeiten in vorgeblich zivilen Prozessen. Ich musste an Kafka denken, als ich auf der Zeugenbank saß und versuchte, mich gegen oftmals nicht ausgesprochene, im Raum stehende Annahmen und Anschuldigen zu behaupten. Der Alptraum, sein eigenes Leben verteidigen zu müssen, bildet die Grundlage für Kafkas Roman Der Proceß.

Ein Anwalt für Männerrechte blaffte mich an, dass ich, wenn ich ja drei Bücher geschrieben hätte, nicht besonders viel Erziehungsarbeit geleistet haben konnte. Die Worte „Autorin“ und „Autor“ wurden öfter erwähnt, als man meinen sollte, insbesondere in Anbetracht einer einvernehmlichen Scheidung. „Autorin“ war eine Anschuldigung gegen mich, „Autor“ ein unerfülltes Bedürfnis auf Seiten meines Mannes.

Ständig wurden mir unsichtbare Steine an den Kopf geworfen, innerhalb des Gerichtssaals und außerhalb. Das Gericht mutete immer mehr wie eine andauernde Indoktrination einer Sekte an.

Der sich als Verteidiger der Männerrechte stilisierende Anwalt meines Ex-Manns war ein schmächtiger Typ mit wucherndem, ungepflegtem Bart und einer Anzugsjacke mit zu kurzen Ärmeln, die seine knotigen weißen Handgelenke hervorblitzen ließen. Er nahm sich die Zeit, mich während einer Pause in einem Korridor des Gerichtsgebäudes abzupassen. „Wissen Sie, wer mein Lieblingsautor ist?“, fragte er mich.

Gefangen in einem Gerichtskampf über mein Leben, meine Lebensgrundlage und mein Wohlbefinden interessierte mich die Leseliste des gegnerischen Anwalts nicht im Geringsten.

„Chuck Palahniuk,“ sagte er. Speichel trat zwischen seinen Lippen hervor.

Vom gegenüberliegenden Ende des Gerichtskorridors klatschte der Geist meines alten Kumpels Kafka langsam zynisch in die Hände für diese Absurdität.

Die Worte des Anwalts klangen wie eine Art Kodex. Der im Gericht allem zugrunde liegende Subtext schien das Schreiben zu sein. Der Scheidungsprozess drehte sich letztendlich darum, eine Autorin in ihre Schranken zu weisen.

In ihrer mittlerweile berühmt gewordenen Abschlussrede sagt Nora Ephron in einem vielleicht eher unbekannteren Teil: „Es war nicht vorgesehen, dass jede von uns eine Zukunft hat, es war vorgesehen, dass wir uns eine anheirateten.  Es war nicht vorgesehen, dass wir politische Ansichten hatten, oder bedeutende Karrieren, oder Meinungen, oder ein Leben; es war vorgesehen, dass wir all das anheirateten. Wenn man Architektin sein wollte, heiratete man einen Architekten. Non Ministrare sed Ministrari – es ist der altbekannte Witz, nicht Pfarrerinnen sondern Pfarrersfrauen zu sein.“

In den Augen meines Ex-Manns hätte ich anscheinend die Rolle der Ehefrau eines genialen Autors spielen sollen. Stattdessen wurde ich die Autorin.

Deine Mama… kommt mit zu viel durchdarf sich zu viel erlauben…

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Dies könnte wie eine persönliche Geschichte wirken, eine kleine heimelige Erzählung einer Frau und ihres schwächlichen und gewalttätigen Ehemanns. Aber wenn man erst einmal tief in diese Unterwelt gestürzt wurde, trifft man auf all die anderen. Überall auf der Welt arbeiten Frauen, schreiben, erziehen Kinder, erheben ihre literarischen Stimmen und entkommen der Gewalt. Sie sprechen miteinander, kommen zusammen in Solidarität, über Social Media, in Essays und bei persönlichen Treffen. Dieser Austausch treibt die Veränderung an.

Wenn ich also „Ich“ sage, meine ich eigentlich „Wir“ damit.

Wenn ich „Mich“ sage, meine ich „Uns“.

Dies ist die Wesensart des Patriarchats. Manchmal ist das Patriarchat bequem und freundlich. Manchmal ist es schlicht brutal, und manchmal institutionell.

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Als es für die Richterin an der Zeit war, die Aufteilung unserer Vermögenswerte zu verkünden, nach Jahren des finanziellen Ausblutens, gestand sie unerklärlicherweise meinem gewalttätigen Ex-Mann die Gesamtheit der verbleibenden gemeinsamen Mittel aus unserer Ehe zu. Die Richterin machte häusliche Gewalt damit finanziell lukrativ. Es gab keine gerechte Aufteilung. Das Scheidungsrecht wurde damit für hinfällig erklärt.

Ich habe das volle Sorgerecht, weil ich eine gute Mutter bin und nichts falsch gemacht habe. Eine Scheidung ist kein Verbrechen, aber der gerichtliche Vergleich hatte etwas Bestrafendes. Von ihrer Bank aus sprach die Richterin das richterliche Äquivalent von Deine Mama… Deine Mama kommt mit zu viel durchdarf sich zu viel erlauben…

Die Leute fragen sich, wie eine Richterin zu diesem Urteil kommen kann, entgegen aller Gesetze. Ich habe darauf keine Antwort. Mit einer schnellen Internetrecherche lässt sich herausfinden, dass die Richterin einstmals ebenfalls kurz den Traum gehegt hatte, Autorin zu werden. In einem Interview hat sie diesen unerfüllten Traum erwähnt.

Als ich schließlich gezwungenermaßen vor ihrer Richterinnenbank stand, warf die ausgebrannt erscheinende Richterin mit den Titeln der Bücher um sich, die sie angeblich gerade las. Ihr Traum war verpufft, vermutlich vor Jahrzehnten schon.

Das Gericht gestaltete sich als Sekte des Patriarchats, in der das weibliche Schreiben ein Vergehen war.

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Heute findet mein Schreiben im Unsichtbaren statt. Ich schreibe spät am Abend, nachdem ich den Tag über dafür gearbeitet habe, die Schulden aus der Scheidung begleichen zu können, ständig Erziehungsarbeit leistend. Ein Leben, Überleben unter Druck, in dem ich Texte unter Pseudonym oder überhaupt nicht veröffentliche. Ich bewege mich auf zwei Bahnen: Liebe und Angst. Einen Roman, der ganz der Liebe zur Welt und der Menschlichkeit entspringt, habe ich so gut wie vollendet. Doch meine Gedanken sind vollkommen übervölkert von Essays über die Angst vor dem, was ich gesehen, erlebt habe, zu was ich gezwungen worden war, einschließlich dem kafkaesken Prozess, in dem ich mein alltägliches Leben hatte verteidigen müssen.

Angst, Gewalt und aufgezwungene Armut dienen stets dazu, Menschen zum Schweigen zu bringen. Ich fürchte mich, versuche jedoch, mich der Angst, die mir meine Stimme rauben möchte, zu widersetzen.

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Solltet ihr euch also jemals in einem Auto wiederfinden, auf dem Weg nach Hause von einem Schreib-Workshop, oder spät abends in einer Bar, oder beim Brunch, oder im Bus, oder überhaupt irgendwo, und jemand fragt sich in diesem romantisierend-tragischen Ton: „Was ist eigentlich mit [Name der Autorin entfernt] passiert?“, in Bezug auf die auffälligen Lücken in meiner öffentlichen Produktivität, beantwortet diese Frage bitte in meinem Namen.

Zuerst sagt ihr „Danke“. Eine*n Autor*in in guter Erinnerung zu behalten, bedeutet, deren Werk zu würdigen, auch wenn es auf eine Art geschieht, in der die Stimme droht, unterzugehen.

Aber sorgt dafür, dass niemand diese Geschichte in das romantisierte und sanfte Abgleiten in die Häuslichkeit umdeutet. Wie für so viele andere Frauen war das Stummmachen alles andere als sanft.

Sagt den Leuten Sie hatte gerade Trader Joe’s Orange Chicken gekocht, als ob es sich dabei um dieses eine bedeutsame Detail handelte, dieses eine Detail, das alltägliche Liebe und Wohlwollen ausdrückt.

Sagt ihnen, sie hat ein Sabbatical genommen.

Sagt, dass die Veröffentlichung meines dritten Buches angedacht war.

Sagt, dass ich den Gerichten vertraut hatte. Sagt, es gibt kein Recht. Sagt, es gibt keine Gerechtigkeit. Es gibt nur die Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählen, und psychologische Fallstricke, Käfige, die aus Kleinlichkeit und Egos und Zorn bestehen. Sagt ihnen, dass ich in die Unterwelt gestürzt wurde. Ich bin gefallen, in eine Welt der patriarchalen Gewalt.

Ich fiel nicht ohne Protest. Ich kämpfte mich wieder nach oben und setzte meinen Zorn ein, meinen Ärger, meine Wut, um mich gegen das Verlöschen der Flamme in meinem Namen oder meinen Werken oder meinem menschlichen Bestreben zu wehren. Und die Happy Hour, die Zeit zum Glücklichsein, ist schön, aber sie ist nicht die Antwort. Und manchmal gibt es so etwas wie zu viel Zorn nicht, wenn man für sein Kind eintritt, für das eigene Grundrecht auf Leben und Schreiben, dafür, auf einer Bühne zu stehen und gemeinsam mit Fremden zu lachen, denn darauf läuft eine Schreibkarriere in meiner Indie-Literaturszene oftmals hinaus.

Irgendwie war aus mir ein Charakter aus einem Horrorfilm geworden, der zwar rennt, aber nicht schnell genug, der springt, aber nicht hoch genug. Man hielt meine Beine umklammert. Auf meine eigene Art und Weise war ich erfolgreich, wenngleich noch nicht erfolgreich genug. Ich wurde als austauschbar behandelt. Jetzt steige ich auf aus einer Unterwelt wie aus einem Grab, Blätter im Haar, Dreck im Gesicht.

Aber ich atme.

Gewalt und institutionelle Bestechlichkeit hatten ganz offen versucht, meinen Geist zu brechen, so wie sich jemand einen Knochen brechen würde. Ich bin die Heldin meiner eigenen Geschichte. Integrität ist heldinnenhaft, ebenso wie Durchhaltevermögen, und alle Frauen der Welt wissen das. Geld macht einen Menschen nicht zum Gewinner, zur Gewinnerin, nicht im Geringsten.

Ich befinde mich in meinem Körper, lebe ein Leben des Geistes, im Geistigen annähernd geschlechtslos, so wie es für mich immer war.

Sagt ihnen, die Strukturen des Patriarchats sind immer näher auf mich zugerückt, doch niemals ließ ich mich von ihnen niederdrücken. Ich bin die Person, die ich immer gewesen bin, pleite, aber gestärkt.

Sagt denen, die danach fragen, dass ich immer noch hier bin, und dass ich – was nichts anderes heißt als wir, uns, weibliche Stimmen, meine und andere – dass wir nicht verschwinden werden. Wir erheben unsere Stimmen, schaffen die Privilegien des Patriarchats ab, indem wir sie herausfordern.

Sagt ihnen, dass ich immer noch schreibe.

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Anonym hat drei Bücher geschrieben, ist Lehrerin und Mutter. Sie ist eine erwachsene Tochter, eine ehemalige Beschäftigte der Fast-Food-Branche, Verkäuferin, Rezeptionistin, wie so viele andere Rezeptionist*innen stets mit einem Lächeln auf den Lippen, dann M.A.-Studentin mit anschließender Lehrtätigkeit. Sie war diejenige, die den Papierstau im Kopierer mit einem Baby auf dem Arm beseitigt hatte, die bis spät in den Abend Lehrmaterialien für die Studierenden vorbereitet hatte, noch bevor ihr Ehemann nach Hause kam, und irgendwo im sich langsam legenden Staub der Scheidung, zwischen dem Antrag auf Erneuerung einer einstweiligen Verfügung und dem Ablaufen dieser einstweiligen Verfügung, mit einer optimistischen Aussicht auf die eigene Sicherheit, hat sie diesen Essay geschrieben.

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