von Kais Harrabi
Sie gehört fest zum Repertoire zahlreicher Videospiele, Serien und Hollywoodfilmen: Die riesige, omnipräsente Firma, die mit ihren Produkten das Leben ihrer Kund*innen leichter macht, von außen wie ein fantastischer Arbeitgeber aussieht, vermutlich internationaler Marktführer in ihrer Sparte ist und hehre ideologische Ziele verfolgt: Der Menschheit nur helfen will. Am Ende stellt sich aber heraus, dass alles nur schöner Schein war und der weltumspannende Konzern in Wahrheit ein Imperium des Bösen ist. Von Filmen wie Soylent Green und RoboCop über Serien wie Mr. Robot und Homecoming bis hin zu Videospielen wie Resident Evil oder Fallout ist der böse Megakonzern fest in der Popkultur verankert.
Unter dem Begriff „Evil Inc.“ finden sich dann auch zahlreiche Beschreibungen der Trope, die die eben genannten Elemente miteinander verbinden: gigantische Firma, überall präsent, vermeintlich gute Ziele. Man könnte ins Stutzen kommen, denn das alles klingt auch ein wenig wie die Beschreibung von einem der sehr realen Tech-Giganten, die mit dem Internet in unzählige Lebensbereiche vordringen. Zum Beispiel Google: Das Unternehmen operiert schon seit einigen Jahren unter der Maxime „Don’t be evil!“, verfügt mittlerweile über ein Quasi-Monopol auf Online-Suchen und Internetvideos und besitzt Firmen, die smarte Thermostate für Heizungen herstellen – oder vierbeinige Kampfroboter. Damit keine Verwirrung entsteht, hat Google Inc. sich vor ein paar Jahren in Alphabet umbenannt, unter diesem Namen versammeln sich all die Firmen, die mit Google in Verbindung stehen. Die nette Unternehmensmaxime „Don’t be evil“ wurde dabei gleich mit ausgetauscht. „Do the right thing“ heißt es jetzt. Worin dieses „Richtige“ besteht, für wen es richtig ist und ob es irgendwelchen Schaden verursacht, ist erstmal zweitrangig.
Das Unternehmen Facebook hat vor wenigen Wochen, am 28. Oktober 2021, nachgezogen und sich ebenfalls umbenannt, der Name des sozialen Netzwerks bleibt davon aber unberührt. Aus Facebook wird Meta. Das Firmenschild an der Adresse 1 Hacker Way im kalifornischen Menlo Park zeigt statt des Like-Daumens nun ein leicht verstauchtes, blaues Unendlichkeitszeichen, das wohl gleichzeitig auch eine VR-Brille darstellen soll. Offiziell heißt die Firma, der unter anderem auch Instagram und WhatsApp angehören, jetzt Meta Platforms Inc. und will sich auf die Entwicklung eines Metaversums konzentrieren, einer fancy Version der gescheiterten Second Life-Welt. Mit einer VR-Brille vor den Augen soll man in Facebooks Metaversum dann Freund*innen treffen, gemeinsam spielen, VR-Kunst anschauen und natürlich jede Menge Geld ausgeben können. (Wie passend, dass Facebook mit diem auch gleich noch eine eigene Kryptowährung anbietet.) Das Ganze klingt nach einer gruseligen Totalitätsfantasie, in der Konsument*innen sich in einer vollständig vom Meta-Konzern kontrollierten Welt verlieren sollen – eine dystopische Vorstellung, die einer Evil Inc. aus Film, Game und Fernsehen in nichts nachsteht.
Wie aus einem (schlechten) Film
Passend dazu bedient sich Meta auch noch der Ästhetik solcher Evil Incs. Das stilisierte Unendlichkeitszeichen auf weißem Hintergrund spricht weniger von Innovationsgeist, als vielmehr von einem Totalitätsanspruch und von faulem Grafikdesign, wie man es sonst eben nur aus Filmen kennt. Das Logo erinnert zum Beispiel an das lieblose Logo von „Greene Planet“, jener Umweltinitiative aus dem James-Bond-Film Ein Quantum Trost, die sich am Ende als – Überraschung – Evil Inc. herausstellt und hinter bolivianischen Wasservorräten her ist. Ähnlich schrecklich und gleichzeitig ikonisch sind die Logos solcher fiktiven Schurkenkonzerne wie „Omni Consumer Products“ aus RoboCop, „Weyland-Yutani“ aus dem Alien-Franchise oder „E Corp.“ aus Mr. Robot. Die Lieblosigkeit der Filmlogos ergibt durchaus Sinn. Dort beschäftigen sich keine Designer*innen jahrelang damit, welches Signet und welche Schriftart die Firma ihrem Geist ästhetisch entsprechend repräsentiert. Entworfen werden diese Logos in den allermeisten Fällen von den „Production Designer*innen“, die für das Szenenbild verantwortlich sind und dafür, dass die Firmenzentralen dieser Schurkenkonzerne möglichst was hermachen. Das Logo ist nur ein Teilaspekt, der vor allem wiedererkennbar sein soll. Ein anderes Problem dieser Fantasie-Logos ist, dass den Zuschauer*innen ihre Bedeutung eben nicht so verinnerlicht ist, wie etwa die des Nike-Swoosh oder des Apple-Apfels. Ähnliches ließe sich auch über die Logos solcher Firmen wie Uber, AirBnB oder eben jetzt Meta sagen – sie sind erst einmal quasi leere Zeichen, die noch nicht in ein kollektives Bewusstsein eingegangen sind. Wo der Facebook-Daumen eben noch ikonischen Charakter hatte, ist das neue Logo Tabula Rasa und wirkt deswegen fake, wie ein Logo aus einem Film.
Apropos Szenenbild: Nicht nur die Ideen, Logos und Schriftzüge dieser Tech-Firmen wirken, wie aus Hollywood-Filmen. Auch das Design ganz realer Dinge wie der Firmenhauptquartiere scheint sich voll und ganz auf die Ästhetik des Schurkenkonzerns zu stürzen. Apples kreisrunder, von Norman Foster entworfener Hauptsitz in Cupertino ist ein Beispiel. Autor*innen haben ihn – nicht zu unrecht – mit der Zentrale von Dave Eggers‘ datenhungrigem „Circle“-Konzern in seinem gleichnamigen Roman verglichen. Die Journalistin Alyssa Walker schrieb für Architektur-Seite „Curbed“ im Mai 2017, kurz vor der offiziellen Eröffnung, dass die Berichte über Apples neuen Campus kaum von den Beschreibungen aus Eggers‘ Roman zu unterscheiden seien. Wie es der Zufall so will, hat Eggers eine Fortsetzung zu The Circle mit dem Titel Every geschrieben. In der hat sich das titelgebende soziale Netzwerk in „Every“ umbenannt und will in alle Lebensbereiche vordringen. Das klingt – schon wieder – ziemlich nach Facebook bzw. Meta.
Wesentlich mehr noch als Apples Kreis wirken Amazons Kugeln in Seattle wie aus einem Bond-Film entnommen. Die „Seattle Spheres“ – ein Gebäude aus drei gläsernen Kugeln, in denen unter anderem Büros und eine Cafeteria untergebracht sind – gehören sicherlich zu den aufsehenerregendsten architektonischen Werken des Tech-Sektors. Wo Apple mit seinem Campus den cleanen Minimalismus des Produktdesigns (und des Logos) auf die Architektur übertragen hat, verweist Amazon (ob beabsichtigt oder nicht, ist nicht ganz klar) eher auf einen ideologisch-historischen Hintergrund der Tech-Szene. Das Design erinnert stark an die geodätischen Kuppeln des Architekten und Theoretikers R. Buckminster Fuller, einer Ikone der Gegenkultur. Neben Cafeteria und Büros finden sich in den Kugeln auch jede Menge Pflanzen, die von eigens dafür angestellten Fachkräften gepflegt werden. Darunter auch zwei Titanwurze. Diese Pflanzen bringen die größten Blüten der Botanik hervor – und stinken bestialisch nach Aas, wenn sie blühen. Den Symbolismus dahinter kann man sich eigentlich nicht schöner ausdenken: Größenwahn trifft Verwesungsgeruch. Ein*e Drehbuchautor*in hätte Jeff Bezoz wahrscheinlich eher ein Becken voller Piranhas in sein Büro geschrieben. So oder so fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, wie Tom Cruise im nächsten Mission: Impossible-Film nachts das Glas einer der Kugeln zerschneidet und sich durch ein Loch abseilt, um dort Beweise gegen den Oberschurken zu sichern.
Echte Superschurken?
Gleichzeitig machen es einem die Gründer leicht, sie mit Superschurken aus Filmen zu vergleichen (es sind eigentlich ausschließlich Männer, um die es hier geht). Elon Musk, der bei der Eröffnung seiner Tesla-Fabrik in Brandenburg einen Reporter auslacht, der fragt, ob die Fabrik zu Wasserknappheit in der Region führen könnte, oder Jeff Bezoz‘ Flug in den Weltraum sind da nur kleine Beispiele. Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub attestiert in Was das Valley denken nennt dem amerikanischen Tech-Sektor eine „Genie-Ästhetik“, eine verquere, von der Romanautorin Ayn Rand beeinflusste Sichtweise auf eigentlich (moralisch) fragwürdiges Verhalten. „Es erfordert lediglich, dass man tut, was man ohnehin bereits tut, wobei Rand diese gewohnten Tätigkeiten jedoch um den Nimbus des politischen erweitert: Sie wollen keine Steuern zahlen? Kein Problem, das ist von jetzt an eine ideologische Haltung. Bürokratie und langatmige Sitzungen gehen Ihnen auf die Nerven? Herzlichen Glückwunsch, das ist jetzt eine Philosophie. Diese wohlfeile Nobilitierungsgeste haben Denker wie Rand im heutigen Diskurs tief verankert.“ Rand gilt als Vordenkerin des modernen Silicon-Valley-Kapitalismus, bei dem es reicht, Taxis (oder eine gescheiterte Plattform wie Second Life) nochmal zu erfinden, um sich als Genie feiern zu lassen. Dass dabei soziale Sicherungssysteme unterlaufen werden, Datenschutz in den Wind geschossen wird und Menschen in prekären Beschäftigungen ausgebeutet werden, wird billigend in Kauf genommen.
Der Ökonom Milton Friedman hat in den Sechzigern die These aufgestellt, dass die einzige soziale Verpflichtung, die Firmen haben, die gegenüber ihren Shareholdern sei. Diese Friedman-Doktrin hat sich spätestens seit der Reagan-Ära im amerikanischen Bewusstsein festgesetzt. Friedman war der Überzeugung, dass der alte Spruch, dass „für alle gesorgt ist, wenn jeder für sich sorgt“ ein tatsächlich funktionierendes System beschreibt. Die imaginierten Konsequenzen dieser Doktrin haben spätestens ab den Achtzigern die Popkultur ergriffen, schreibt die Journalistin Angela Allan im US-Magazin The Atlantic: In Filmen wie RoboCop und Total Recall, Aliens, Terminator 2 oder auch Jurassic Park taucht die Trope der Evil Inc. erstmals ausgearbeitet auf; etwa zeitgleich mit der voranschreitenden Privatisierung des öffentlichen Sektors in den USA, so Allan. RoboCop ist beispielsweise vier Jahre nach der Gründung der Corrections Corporation of America entstanden, einer privaten Firma, die in den USA unzählige Gefängnisse betreibt und die mittlerweile den unauffälligen Namen CoreCivic Inc. trägt.
Spuren in der Gegenkultur
Der Literaturwissenschaftler Mark T. Decker sieht in seinem Buch „Industrial Society and the Sci-Fi Blockbuster“ eine ähnliche Bewegung am Werk. Die Entstehung der Evil-Inc.-Trope sei vor allem eine Reaktion auf die Auseinandersetzung mit der Hypothese Herbert Marcuses, dass eine industrialisierte Gesellschaft immer den Menschen von seiner Umwelt und seinen eigenen Bedürfnissen entfremdet, indem sie Bedürfnisse nach materiellen Gütern überhaupt erst erschafft. Laut Decker wurde diese Hypothese vor allem von der amerikanischen Gegenkultur aufgenommen, in der sich Regisseure wie George Lucas, James Cameron oder auch Ridley Scott in ihren Anfangsjahren bewegt haben. „Cyberdyne Systems“ aus Terminator 2, der „Weyland Yutani“-Konzern aus Alien oder die „Tyrell Corporation“ aus Blade Runner, seien aus dem kalifornischen Geist des Widerstands gegen die herrschende Konsumkultur entstanden.
Adrian Daub stellt in seinem Buch die Verbindung dieses widerständigen Geistes der Gegenkultur und der heutigen Tech-Branche her. Grob zusammengefasst: Wo in Deutschland der „Marsch durch die Institutionen“ angetreten wurde, haben die Hippies und die Ideen der Gegenkultur sich in den USA eher in der wesentlich offeneren Wirtschaft niedergelassen. So kommt es, dass manche Firmencampusse heute eher Spielplätzen als Büros gleichen und der Staat und Regulation als das absolut Böse betrachtet werden. Und so kommt es auch, dass viele der Tech-Firmen immer noch diesen Hippie-Geist atmen, der eigentlich erstmal relativ harmlos wirkt. Es kann doch, sollte man meinen, nichts Böses an einem Ort entstehen, der mitten im Grünen liegt und veganes Essen, Betriebsyoga und flexible Arbeitszeiten für seine Angestellten anbietet.
Gleichzeitig ist es eine Binsenweisheit, dass Popkultur den Geschmack einer Generation prägen kann. Mit Grunge und Nirvana wurden auf einmal Flanellhemden populär, als Zac Efron in High School Musical ein weißes Baseball-Longsleeve mit roten Ärmeln trug, hing es wenig später auch bei H&M in den Läden. Und sicher bestimmt die Welt der Evil-Inc.s im Film auch, wie wir uns große Konzerne vorstellen wollen. Dazu kommt, dass viele Evil-Inc.s in Science-Fiction-Stoffen auftauchen, von Alien bis RoboCop, ein Genre, zu dem die Tech-Branche sowieso eine innige Beziehung unterhält. Der Begriff „Metaversum“, mit dem Meta sein neues Produkt bewirbt, stammt offenbar aus dem Roman Snow Crash des Cyberpunk-Schriftstellers Neil Stephenson. Aus dem gleichen Werk soll auch der Begriff Avatar stammen. Warum jemand wie Elon Musk sich dann trotzdem dafür entscheidet, die Raumanzüge seines Unternehmens an Storm Trooper erinnern zu lassen, oder Mark Zuckerberg ein Logo entwickeln lässt, dass verdammt nah an den lieblosen Logos der Schurkenfirmen ist, lässt sich dadurch aber auch nicht wirklich erklären. Denn dass die Firmen evil sind, daran lässt keiner der Filme, Romane oder Serien einen Zweifel. Vielleicht ist der Grund dann doch in der Ästhetik dieser Erzählungen zu suchen: Denn sie umgibt diese Firmen, ihre Logos, Hauptgebäude oder Arbeitsuniformen stets auch mit einer Aura des kompromisslos Visionären. Eine Aura, mit der sich auch die Zuckerbergs dieser Welt gerne schmücken. Dazu kommt, alle Tech-CEOs sind in dem Alter, in dem sie Filme wie Alien, Total Recall oder RoboCop vielleicht sogar noch im Kino gesehen haben können, mindestens aber im TV oder als Heimvideo. Eine gewisse ästhetische Prägung bringen sie also auch mit. Immerhin machen sie es uns popkulturell geschulten Menschen so aber recht leicht zu durchschauen, dass sie näher am bösen Genie sind, als sie selbst vielleicht denken.
Beitragsbild von Carles Rabada