von Isabella Caldart
Content Warnung: Vergewaltigung, psychische und physische Gewalt, Gaslighting, Kannibalismusfantasien, Mord
Es ist die Bilderbuchfamilie, die Bilderbuchkarriere, das Bilderbuchleben. Ein großer blonder Mann mit breiten Schultern und All-American-Lächeln, mit der perfekten Ehefrau, zwei Kindern, einer reichen Dynastie im Hintergrund, Filmhits wie „The Social Network“, „On The Basis of Sex“ und vor allem „Call Me By Your Name“. Auch die Scheidung nach zehn Jahren Ehe, die im Juli 2020 bekanntgegeben wurde, kratzte nicht an seinem Image. Die Zukunft sah großartig aus für Armie Hammer. Bis im Januar 2021 ein anonymer Instagram-Account namens „House of Effie“ den Hollywood-Schauspieler unerwartet zu Fall brachte.
Von „House of Effie” zu „House of Hammer”
Am 10. Januar 2021 veröffentlichte „House of Effie“ auf Instagram zahlreiche DMs, die angeblich von Armie Hammer stammten. In diesen DMs schilderte er detailliert seine sexuellen Vorlieben, viele davon mit gewalttätigem Inhalt, einige davon beschreiben kannibalistische Fantasien („Ich bin zu 100 % ein Kannibale“). Vor allem Letztere ging in den sozialen Medien viral und sorgte für viele Witze und Memes. Witzig ist diese Geschichte aber ganz und gar nicht: Im März 2021 wurde Hammer von einer Frau namens Effie (mutmaßlich der Inhaberin des Instagram-Accounts) der Vergewaltigung und des physischen und psychischen Missbrauchs bezichtigt. Laut Effie lernten sie sich im Jahr 2016 über Facebook kennen, als Effie 20 Jahre alt war (Armie Hammer ist 1986 geboren), und führten dann eine vier Jahre dauernde On/Off-Beziehung, in der Hammer Effie kontrolliert, dominiert und missbraucht haben soll.
„Am 24. April 2017 vergewaltigte mich Armie Hammer über vier Stunden lang in Los Angeles, wobei er meinen Kopf wiederholt gegen eine Wand schlug und mein Gesicht verletzte“, sagte Effie in einem Videostatement. „Er beging auch andere Gewalttaten gegen mich, in die ich nicht eingewilligt habe.“ Laut einer der vielen privaten Nachrichten, die „House of Effie“ im Januar veröffentlichte, habe Hammer ihr danach geschrieben: „Du warst die intensivste und extremste Version, die ich je hatte. Dich auf dem Boden zu vergewaltigen, ein Messer gegen dich gerichtet. Alles andere wirkt langweilig. Wie du geweint und geschrien hast und ich über dir stand. Ich fühlte mich wie ein Gott. Ich habe noch nie solche Macht und Intensität verspürt.“
Nur wenige Tage nach dem Nachrichten-Leak ging Armie Hammers Ex-Freundin Courtney Vucekovich an die Öffentlichkeit und bestätigte dessen angebliche kannibalistischen Neigungen: „Er sagte zu mir, er wolle meine Rippe brechen, sie grillen und essen.“ Vucekovich ist eine der Schlüsselfiguren der dreiteiligen Dokuserie „House of Hammer“, die Anfang September auf dem Streamingdienst Discovery+ anlief. „House of Hammer“ geht aber einen großen Schritt weiter. Es geht nicht nur um Armie Hammer und die Vorwürfe der Vergewaltigung, des Missbrauchs, der psychischen Gewalt, Manipulation und Nötigung – es geht um die gesamte Hammer-Dynastie und die Frage: Wird solches Verhalten möglicherweise vererbt?
Gegenderte Gewalt der Hammer-Männer
Gewalt, das dröselt die Doku auf, ist ein integraler Teil der Hammer-Männer, und sie reicht viele Generationen zurück. (Ein Jahr vor „House of Hammer“ hatte Vanity Fair schon ein sehr ausführliches Porträt über die Familie und die Missbrauchsvorwürfe gegen Armie veröffentlicht.) Casey Hammer, Armie Hammers Tante, ist neben Vucekovich die zweite wichtige Augenzeugin in „House of Hammer“. Sie ist seit langem von ihrer Familie entfremdet und hat die Machenschaften der Hammer-Dynastie bereits in ihrem selbstverlegten Memoir „Surviving My Birthright“ (2015) geschildert.
Begründer dieser Dynastie und Patriarch war Armand Hammer (1898-1990), der als Inhaber des Erdöl- und Erdgasunternehmens Occidental Petroleum das Familienvermögen erwarb. Sowohl Armand als auch sein Sohn Julian sowie dessen Sohn Michael – Caseys Bruder und Armies Vater – haben laut Casey und „House of Hammer“ Zeit ihres Lebens (Julian starb 1996, Michael lebt noch) Frauen unterdrückt und misshandelt. „Jede Generation in meiner Familie war in dunkle Machenschaften verwickelt, und es wird immer schlimmer“, sagt Casey Hammer in der Doku. Armand Hammer soll eine Geliebte gehabt haben, die stets auf Abruf all seinen sexuellen Forderungen bereitstand; in den Scheidungspapieren von seiner zweiten Frau heißt es über ihn, er sei „ein Meister der psychologischen Kriegsführung“ gewesen.
Julian feierte bei sich zu Hause oft Partys in großem Stil, auf denen es nicht nur Schalen voller Kokain gab, sondern immer auch sehr junge Frauen anwesend waren, viele sogar noch minderjährig; auch sein Sohn Michael war bei diesen Partys anwesend. Julian, so sagt Casey, habe seine Ehefrau regelmäßig verprügelt, die mit ihrer Tochter jedes Mal ins Motel floh, bis sie sich Jahre später endlich trennen konnte. Casey erinnert sich auch an eine dieser Partys, auf denen sie als kleines Mädchen ein Telefonbuch neben ihren Kopf halten solle, damit ihr Vater darauf schießen könne – zwecks Entertainments seiner Gäste. In der dritten Folge von „House of Hammer“ sagt Casey außerdem, durch eine triggernde Situation später in ihrem Leben habe sie sich an ein weiteres Kindheitstrauma erinnert: Ihr Vater habe sie sexuell missbraucht.
Korrupte Millionärsfamilie
Mindestens genauso brisant sind die politischen Verwicklungen der Familie. Julius Hammer, Armands Vater, wird nur kurz erwähnt – er wurde im 19. Jahrhundert im Russischen Kaiserreich geboren, war dann Mitbegründer der Kommunistischen Partei in den USA (daher auch der Name seines Sohns, der für „Arm and Hammer“ stehen soll), und auch Armand hatte Verbindungen zur Sowjetunion – zu keinem Geringeren als Lenin und Stalin –, half den Sowjets, Geld in den USA zu waschen und führte sein Ölimperium später zu so großem Erfolg, weil er freigiebig Bestechungsgelder zahlte. Doch nicht nur im Kreml ging Armand ein und aus, zum Weißen Haus und zum Buckingham Palast hatte er ebenfalls beste Beziehungen, veranstaltete etwa für Prinz Charles und Lady Di einmal einen großen Empfang.
Sein Sohn Julian wiederum, Armie Hammers Großvater, erschoss im Mai 1955 kaltblütig einen Bekannten, dem er 400 Dollar schuldete – ein Mord, der nie geahndet wurde (er galt als „Selbstverteidigung“), weil Armand mit genug Geld nachhalf. Schließlich musste der Name Hammer makellos bleiben. Aber nicht nur Julian, auch Armand war verantwortlich für den Tod anderer Menschen. In dem Fall sogar für den von 167: Eine Ölplattform namens Piper Alpha vor der Küste Schottlands fing im Juli 1988 Feuer, Schuld waren mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. Für Armand Hammer machte sich seine gute Beziehung zu den Royals damals bezahlt: Als er Betroffenheit heuchelte und kurz darauf mit Charles und Diana gesehen wurde, verzieh ihm die Öffentlichkeit diesen bis dato schwersten Unfall auf einer Bohrinsel.
Das Weiße Haus soll hier nicht unerwähnt bleiben: Armand Hammer war in den Watergate-Skandal verwickelt. 1972 hatte er illegale Spenden in Höhe von 54.000 Dollar an Nixon getätigt (inflationsbereinigt heute eine Summe von gut 380.000 Dollar). Im Jahr 1989 wurde er vom damals amtierenden US-Präsidenten George H. W. Bush begnadigt.
Machtspiele gab es auch innerhalb der Familie: Wenige Monate vor seinem Tod im Alter von 92 Jahren änderte Armand Hammer sein Testament. Die aktuelle Version ließ seinen Sohn Julian, mit dem er sich nie verstanden hatte, sowie Enkelin Casey so gut wie außen vor, Enkel Michael, Armie Hammers Vater, erbte fast das gesamte Familienimperium. Sie habe versucht, die Serie „Succession“ zu schauen, sagt Casey Hammer in „House of Hammer“. „Ich musste es ausschalten. Nimm ‚Succession‘ mal eine Million, und das ist meine Familie.“
Erbe der Gewalt
Zurück zu Armie Hammer. Armand, Julian, Michael, Armie – sie alle haben Frauen äußert brutal behandelt und auch sonst in vielerlei Hinsicht geringe Moral und eine hohe Gewaltbereitschaft gezeigt. Sein Frontallappen (unter anderem zuständig für das Sozialverhalten, für Empathie, Gefühle und die Persönlichkeit) sei noch nicht vollständig ausgebildet, hatte Armie Hammer früher einmal gescherzt. „Du wachst nicht eines Tages auf und wirst ein Monster – das ist erlerntes Verhalten“, sagt seine Tante Casey in der Dokuserie. Ob Armie Hammers Gewalttätigkeit und die Gewalt der Hammer-Männer generell nun genetisch oder erlernt ist, das sollen Neurolog*innen, Psycholog*innen oder Genetiker*innen erforschen. Fakt ist: Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Familie und scheint mit Armie Hammer einen negativen Höhepunkt erreicht zu haben.
Während sich die zweite Folge von „House of Hammer“ mit der Familienhistorie auseinandersetzt, legt die erste ihren Fokus auf die Opfer Hammers. Im Zentrum steht vor allem bereits erwähnte Ex-Freundin Courtney Vucekovich, eine eigentlich selbstbewusste (so wirkt sie) Frau, Gründerin, erfolgreich. Wie konnte es passieren, dass Armie Hammer so viel Macht und Kontrolle über sie ausgeübt hat?
Vucekovich beschreibt den Beginn ihrer Beziehung, wie Hammer sie mit Geschichten aus seiner Kindheit früh einlullte, um ihr Vertrauen zu gewinnen, wie er Love bombing betrieb (ihr ununterbrochen Nachrichten voller Aufmerksamkeit und Zuneigung schickte), wie es ihm immer wieder gelang, dass sie selbst die zahlreichen Red Flags ignorierte – so bekam sie, bevor sie sich jemals verabredet hatten, von ihm ein Foto ihrer Wohnung in Dallas, als sie verreist war. „Ich weiß noch, dass ich dachte: Flirten wir? Oder ist das beängstigend?“, sagt sie in der Doku. Man merkt, wie Vucekovich versucht, sich im Nachhinein einen Reim darauf zu machen, wie Hammer sie dermaßen manipulieren konnte: „Es ist verrückt, was der Verstand bereit ist zu übersehen oder zu rechtfertigen, wenn man jemanden wirklich mag.“
Für Außenstehende wirkt das Verhalten von Courtney Vucekovich unglaublich naiv und wenig nachvollziehbar, aber genau darum geht es: Jede*r, auch erfolgreiche, selbstbewusste, populäre Frauen kann das passieren, auch sie können in einen Zyklus aus Zwang, Unterdrückung, Gewalt und übertriebener Zuneigungsbekundung abrutschen. Dadurch wird nochmal deutlich: Die Schuld trägt immer der Täter.
Erzählweise der Dokumentation
Auch wenn „House of Hammer” einen starken Fokus auf die Opfer legt – neben den zentralen Figuren Courtney Vucekovich und Casey Hammer werden unter anderem eine weitere Frau, mit der Armie Hammer Nachrichten austauschte, die sich am Ende aber nie mit ihm traf, und ein ehemaliger Mitarbeiter vom Filmset interviewt –, so hat die Doku auch einige kritikwürdige Elemente. Da ist zum Beispiel die Erzählweise, die es nicht schafft, sich gänzlich vom konventionellen True Crime Storytelling zu lösen, teils mit Cliffhangern arbeitet, mit unheimlicher Musik und nachgestellten Szenen. Auch die These, das Böse sei vererbbar, flammt in dem Versuch, alle Hammer-Generationen und ihren Hang zur Gewalt miteinander zu verknüpfen, immer wieder auf. Und diese These ist mindestens angreifbar.
Ein größeres Problem ist aber, dass „House of Hammer“ die Moral und die Ideale, die hochgehalten werden, selbst missachtet. So wird mehrfach erwähnt, dass die Opfer im Vordergrund stehen sollen, und mit Vucekovichs und Casey Hammers Perspektiven stimmt das auch. Allerdings werden von der Frau, mit der Hammer nach Vucekovich eine Beziehung einging, die nahezu identisch war (dasselbe Motel, dieselbe Playlist, vergleichbare Verhaltensweisen), und Effie, die mutmaßlich auch „House of Effie“ ist, nur alte Videoaufnahmen eingeblendet. Der Grund: Beide Frauen wollten nicht Teil der Doku sein.
Effie beziehungsweise der Instagram-Account „House of Effie“ postete nach der Ankündigung der Doku in ihren Stories, die archiviert sind, sie habe nicht ihr Einverständnis dazu gegeben, dass die Screenshots ihrer DMs in der Dokuserie verwendet werden dürften. „Es ist so traumatisch und schmerzhaft für mich, wenn andere Menschen über mein Trauma sprechen oder versuchen, meine Geschichte nachzuerzählen”, schreibt sie. Natürlich sind die Screenshots der Hammer-DMs elementar für die Doku, und ohne „House of Effie“ wäre die Geschichte niemals ins Rollen gekommen. Aber gleichzeitig verlässt „House of Hammer“ hier die moralische Grauzone, indem die Wünsche eines der Opfer komplett ignoriert werden.
Konsequenzen
Wie geht es jetzt weiter mit Armie Hammer? Bereits wenige Tage nach dem DM-Leak durch „House of Effie“ veröffentlichte die britische Boulevardzeitung Daily Mail am 13. Januar 2021 ein Video, das den Schauspieler zeigt, der hinter dem Steuer trinkt und Drogen konsumiert. Noch am selben Tag stieg er aus der Rom-Com „Shotgun Wedding“ aus, in der er den Love Interest von Jennifer Lopez hätte spielen sollen, angeblich um mehr Zeit für seine Kinder zu haben; auch seine Agentur ließ ihn fallen. Der Film „Death on the Nile“ mit Hammer in einer der Rollen – eine Neubesetzung sei zu teuer gewesen – kam noch im Februar 2022 ins Kino (er floppte). Armie Hammer ging im Mai 2021 für sechs Monate in Reha – bezahlt übrigens von Robert Downey, jr. Im Juli dieses Jahres wurde bekannt, dass er wohl auf den Cayman Islands, wo er als Kind einige Jahre lang verbracht hatte, als Concierge arbeiten würde.
Ob für Hammer eine Art Wiedergutmachung möglich ist, wenn er öffentlich genug Reue zeigt, zu Kreuze kriecht und Besserung gelobt, ist schwer vorherzusehen. Die Entertainment-Industrie beweist regelmäßig, dass auch sexualisierte Gewalt kein Grund für dauerhafte Ächtung ist (siehe den Heard/Depp-Prozess, den anhaltenden Support für Roman Polanski oder die Rückkehr von Louis C.K.). Die Vorwürfe gegen Armie Hammer jedoch sind so massiv, dass es selbst für ihn schwierig sein wird, wieder mit offenen Armen empfangen zu werden. Allerdings: Angeklagt wurde er bisher noch nicht. Vielleicht ändert das die Doku „House of Hammer“ jetzt.
Foto von Josh Nuttall auf Unsplash