Autor: Marcel Inhoff

Verstimmte Liebhaber – Der Bachmann-Preis 2021

von Marcel Inhoff

Die Tage der deutschsprachigen Literatur, in deren Rahmen der Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben wird, haben immer eine Aura des großen literarischen Ganzen. Literaturkritiker*innen, Journalist*innen und das Publikum vor Ort und vor dem Fernseher versuchen aus den Einladungen, den Texten, und nicht zuletzt aus der Stoßrichtung der Kritik auf breitere Themen zum Zustand der Literatur und der Literaturkritik zu schließen. 

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Ein Gegenentwurf – Warum Amanda Gorman die amerikanische Dichterin der Stunde ist

von Marcel Inhoff

 

Lyrik ist die literarische Gattung, die häufig ein Dasein im Schatten der erzählenden Prosa führt. Gerade im politischen Diskurs sind es die Reden, Romane und Fernsehserien, die die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Am 20. Januar 2021 stand jedoch eine junge Schwarze Lyrikerin im Zentrum der Aufmerksamkeit – Amanda Gorman las auf Einladung von Dr. Jill Biden ein Gedicht bei der Amtseinführung von Joe Biden und Kamala Harris. Es war erst das sechste Gedicht überhaupt, das bei einer Amtseinführung gelesen wurde – und die Wirkung ihres Textes und Vortrags war so außerordentlich, dass sie, als erste Lyrikerin, eingeladen wurde, auch beim Super Bowl am 7. Februar ein Gedicht zu lesen (“Chorus of the Captains”).

Dass sie außerdem auf dem Cover des Time Magazine am 15. Februar sein wird – als erste reine Lyrikerin, der diese Ehre zuteil wird, seit Robert Lowell 1967  – ist ein weiterer Beweis dafür, dass Gorman eine besondere und wichtige Position in der amerikanischen Lyrik einnimmt. Ihr Auftritt – vom Vortrag bis zu ihrem Outfit – war so bemerkenswert und entsprechend diskutiert, dass die Qualität des Textes selbst und seine Bezüge oft aus dem Blick gerieten. Um diese Bezüge zu erkennen und einzuordnen, bedarf es eines geweiteten Blicks in die Geschichte der amerikanischen Lyrik. Weiterlesen

Macht und Maske – Die Serie ‚Watchmen‘ in Zeiten des Protests

von Marcel Inhoff

 

Als Präsident Donald J. Trump ankündigte, am 19. Juni eine Wahlkampfveranstaltung in Tulsa, Oklahoma abhalten zu wollen, gab es Aufregung aus einer Vielzahl an Gründen. Der 19. Juni ist Juneteenth, ein Feiertag, an dem das Ende der Sklaverei gefeiert wird (das Wort ist zusammengesetzt aus June und Nineteenth). Ärger gab es aber auch aus einem anderen Grund: Tulsa, Oklahoma ist der Ort eines Massakers, das 1921 an der Schwarzen Bevölkerung begangen wurde. Ziel war besonders der Greenwood Bezirk von Tulsa, der auch unter den Begriff Black Wall Street bekannt war – ein Mob von weißen Bürgern, mit Waffen und Privatflugzeugen legte den wohlhabenden und aufstrebenden Stadtteil in Schutt und Asche. Über 800 Schwarze Amerikaner mussten ins Krankenhaus, und der rassistische Mob hatte am Ende mindestens 36 Menschen, wobei manche Schätzungen von bis zu 300 ausgehen, ermordet. Weiterlesen

Falsche Empathie – “Queen July” und die Debatte um „American Dirt“

von Marcel Inhoff

Der Anthropologe James Clifford beschreibt in Returns: Becoming Indigenous in the Twentieth Century unseren aktuellen zivilisatorischen Moment. Es ist der Zeitpunkt, da die Fliehkräfte von Dekolonisation und Globalisierung ein Projekt angestoßen haben, das noch unvollendet, aber letztlich irreversibel ist. Es wird die Beziehungen der Menschen zu Heimat, Reisen und Flucht grundlegend verändern. Hatte Clifford im vorherigen Werk Routes noch die Bewegungen von Menschen an sich im Blick, reisende Kulturen und vieles mehr, so widmet er sich nun der Dezentralisierung westlicher Narrative – und speziell dem Aufkommen starken indigenen Handelns. Weiterlesen