von Isabella Caldart
Für die Fiktion stellt die Pandemie eine klare Zäsur dar. Bisher war es möglich, das Jahr beziehungsweise die Epoche einer Serie, eines Films oder eines Romans eher vage zu halten und dadurch eine Form der Gegenwärtigkeit zu vermitteln. Fiktionale Werke, die größere gesellschaftliche Ereignisse oder Namen von etwa Politiker*innen nicht oder höchstens am Rande in ihre Handlung einbauten, hatten diese gewisse Zeitlosigkeit, bei der allein durch weniger relevante Faktoren wie Smartphone-Modelle oder Mode konkrete Jahre festzustellen waren. Ob (im US-Kontext) eine Serie nun 2010, 2015 oder 2019 spielte, machte keinen großen Unterschied. Es war immer ein diffuses „Jetzt“.
Seit Corona geht das nicht mehr. Die Pandemie unterteilt die Serien- und Filmwelt in ein eindeutiges Davor und Danach. In unserer Realität ist es auf die nächsten Jahre kaum denkbar, in geschlossenen Räumen mit großen Menschenmengen (wie etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln) keine einzige Maske zu sehen. Als Zuschauer*innen wissen wir natürlich, dass Serien und Filme fiktional sind – trotzdem lassen wir uns bei jenen Werken, die nicht in einer Fantasiewelt angesiedelt sind, bewusst auf die Illusion ein, sie würden eine Teilrealität abbilden, eine Art unausgesprochener Vertrag, den Produzent*innen und Konsument*innen miteinander eingehen. Diese Illusion wird jetzt durch die Hintergrundbilder in Szenen aber aufgehoben. Fehlende Masken sind deutliche Fiktionsmarker, die uns signalisieren: Diese Serie, dieser Film ist unrealistisch oder aber spielt vor dem Jahr 2020.
Funktion von Entertainment
Schaut man sich die fiktionalen Werke der vergangenen zwei Jahre an, kann man drei Varianten ausmachen, wie mit der Pandemie umgegangen wird: a) sie existiert in der Welt nicht, b) als ein Ereignis der Vergangenheit oder c) als handfester Plot. Unter den letzten Punkt fallen natürlich auch die ganzen Schnellschüsse an Corona-Romanen, -Serien und Katastrophenfilmen, die vor allem das Jahr 2021 gesehen hat. Diese sollen hier aber keine Beachtung finden. Der Artikel dreht sich darum, wie sich jene Serien, Filme und Bücher, die eigentlich eine andere Geschichte erzählen wollen, mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob und wie die Pandemie dargestellt wird. Vor allem Serien, die bereits vor der Pandemie liefen und in unserer Gegenwart spielen, sind unter diesem Aspekt besonders interessant, weil sie explizit gezwungen sind, eine Frage auf diese Antwort zu finden.
Das wirft eine noch größere Frage auf: Welche Aufgabe hat Entertainment überhaupt? Soll es (mehr oder weniger realistisch) die Probleme und Themen unserer Gegenwart und Welt darstellen – oder dient es dem Eskapismus, eine nicht zu verachtende Funktion? Viele Serien haben sich dafür entschieden, die Pandemie nicht zu thematisieren, auch jene, die zweifelsfrei in den Jahren 2020 oder 2021 spielen, darunter Sex Education, The Chair, Harlem, Succession, On My Block, Mare of Easttown, Only Murders in the Building oder Ted Lasso.
Die Entscheidung, Corona komplett zu umgehen, wird natürlich sehr bewusst getroffen: Der Young-Adult-Roman Blackout mit sechs verschiedenen, miteinander verknüpften Storylines, verfasst von sechs Schwarzen Autorinnen (darunter Angie Thomas, bekannt von The Hate U Give), etwa spielt im New York der Jetztzeit. Covid wird aber nicht erwähnt, obwohl „dieses Buch während der COVID-19-Pandemie entstanden“ ist, wie Dhonielle Clayton in der Danksagung verrät. Die Hauptdarstellerin von Emily in Paris, Lily Collins, bringt konkret auf den Punkt, warum ihre Serie in der frischen zweiten Staffel die Pandemie auslässt: „Die erste Staffel erlaubte uns Eskapismus, und wir fanden, dass das fortgesetzt werden sollte – [die Pandemie] nicht zu erwähnen gibt uns in einer Zeit, in der wir es am meisten brauchen, ein Gefühl von Eskapismus und Freude und Lachen.“ Gleich zweimal verwendet Collins das Wort „Eskapismus“.
Die achte Staffel von Friends, die damals nur zweieinhalb Wochen nach 9/11 anlief, thematisierte dem Anschlag auf das World Trade Center nicht, obwohl Monica, Chandler und Co. kaum eine halbe Stunde zu Fuß vom Ground Zero entfernt wohnen. Sie wurde zur meist geschauten Fernsehsendung der Saison 2001/02 mit einem Durchschnitt von 24,5 Millionen Zuschauer*innen pro Folge, was eine Steigerung um 17 Prozent im Vergleich zur vorherigen Staffel ausmachte. Die Botschaft ist ziemlich eindeutig: Das US-amerikanische Publikum wollte von der Angst und Unsicherheit, die nach dem Attentat herrschte, abgelenkt werden.
Was die Pandemie betrifft, darf aber vermutet werden, dass in den Writers‘ Rooms nicht nur deswegen auf ihre Darstellung verzichtet wurde, weil man auf die Frage nach der Funktion fiktionaler Werke „Eskapismus“ geantwortet hat, sondern auch, weil es gar nicht so einfach ist, Corona schlüssig in die Handlung einzubauen.
Krankenhausserie I: Grey’s Anatomy
Seit 18 Staffeln läuft die Erfolgsserie Grey’s Anatomy inzwischen. Vor Schicksalsschlägen und dramatischen Plots sind Produzentin Shonda Rhimes und ihr Drehbuchteam noch nie zurückgeschreckt: Zwischen Bomben, Amokläufen, Flugzeugabstürzen, Flutwellen, zahlreichen Explosionen und vielen toten Protagonist*innen sind die Ärzt*innen des fiktiven Grey Sloan Memorial Hospital katastrophenerprobt. Und so macht es inhaltlich gleich doppelt Sinn, dass sich Grey’s Anatomy intensiv mit den Auswirkungen der Pandemie beschäftigte – zum einen als Serie, die in einem Krankenhaus spielt, und zum anderen, weil ein globaler Virus so ziemlich die einzige Tragödie ist, die in diesem Repertoire noch fehlt.
Die Produktion der 16. Staffel musste am 12. März 2020 unterbrochen werden, zu einem Zeitpunkt, als 21 der geplanten 25 Episoden bereits abgedreht waren; die 21. Folge stellte schließlich das Staffelfinale dar, das am 09. April ausgestrahlt wurde. Die bereits im Jahr zuvor bestellte und im Zuge der Pandemie auf 17 Folgen verkürzte 17. Staffel wurde ab September 2020 gefilmt. Die erste Folge dieser Staffel lief am 12. November 2020 auf den Bildschirmen, anderthalb Monate später als Staffelauftakte normalerweise.
Inhaltlich setzt die Folge im April 2020 ein. Für Fans von Grey’s Anatomy bedeutet Corona ästhetisch zunächst keinen großen Bruch; man ist daran gewöhnt, die Protagonist*innen in jeder Folge mit Maske im Gesicht und Einweghandschuhen zu sehen, zumal einige Flashbacks auf die prä-pandemische Zeit der Serie ermöglichen, weitere, nicht von Corona beeinflusste Storylines zu erzählen. Die dritte Folge dann ist die erste „richtige“ Covid-Folge. In dieser erkrankt mit Meredith Grey (Ellen Pompeo) die wichtigste Figur an Corona. Ihre Halbschwester Maggie Pierce (Kelly McCreary) erwähnt zudem, dass bis dato 53 Patient*innen, die sie betreut hat, gestorben sind – die meisten davon Schwarze Frauen. Stichwort (struktureller) Rassismus: Antiasiatischer Hass wird in dieser Staffel ebenso thematisiert wie die Tatsache, dass BPoC sehr viel stärker von der Pandemie betroffen sind als weiße Menschen.
Neben Meredith steckt sich mit Tom Koracick (Greg Germann) ein weiterer Arzt an, und auch die Mutter von Miranda Bailey (Chandra Wilson) wird positiv getestet. Die Serie zeigt dadurch mehrere schwere Verläufe: Meredith liegt fast die gesamte Staffel lang im Koma, Tom geht es mehrere Folgen lang schlecht und Baileys Mutter stirbt am Ende der fünften Folge an Corona, während sich ihre Tochter Vorwürfe macht, weil sich ihre Mutter im Altenheim, in das Bailey sie einweisen ließ, angesteckt hat. Am Ende dieser Episode werden Namen echter Opfer eingeblendet.
Auch wenn die Staffel weitere Storylines hat (so stirbt einer der Ärzte einen nicht coronabedingten Tod), steht fast alles im Zeichen der Pandemie: Verzweiflung, Überarbeitung, Trauer, Stress und der Druck auf das medizinische Personal („Pretty soon we’re gonna start losing our own. Not to the disease, but to the toll it’s taking. I fear this will hurt us in a way we can’t even begin to understand“, sagt Oberarzt und Vaterfigur Richard Webber in einer Episode). Dazu kommen eine in eine Coronastation umgewandelte Cafeteria, Angst um infizierte Angehörige, Coronaleugner*innen, die Auswirkungen von Isolation und Quarantäne auf Süchtige, Long-Covid und systemischer Rassismus (mit einer Folge, die sich um die Black-Lives-Matter-Proteste dreht). Die 17. Staffel von „Grey’s Anatomy“ lässt nichts aus, auch wenn einige dieser Themen nur angerissen werden.
Meredith, die monatelang dem Tod näher ist als dem Leben, findet sich in einer Art Zwischenwelt wieder, einem Strand, an dem ihre verstorbenen Nahestehenden von früher auftauchen. Für die Serie hat dieser Limbus einen doppelten Vorteil: Die Szenen konnten dank der Einsamkeit und der physischen Entfernung von Meredith zu den Toten auch mit Sicherheitsbedingungen leicht gefilmt werden. Gleichzeitig handelt es sich um eine recht einfache Lösung, um alte beliebte Figuren nochmal in die Serie zu holen – Derek, Lexie, Mark und George haben alle Gastauftritte. Allerdings kann die Botschaft, die Grey’s Anatomy dadurch sendet, auch kontrovers aufgefasst werden: Es wird im Laufe der Staffel mehrfach suggeriert, Meredith könne sich aussuchen, ob sie Derek in den Tod folgt oder sich zurück ins Leben kämpft. Das ist in Anbetracht der vielen Corona-Toten, die nicht das Privileg der fiktiven Figur hatten, sich fürs Leben zu entscheiden, narrativ eine gefährliche Gratwanderung.
Das Finale der Staffel, das am 3. Juni 2021 ausgestrahlt wurde, ist schließlich ein Schnelldurchlauf von August 2020 bis April 2021: Das Krankenhauspersonal wird geimpft, Meredith überwindet Long-Covid und am Ende bekommt eine Patientin eine Spenderlunge. Man endet also mit Hoffnung. Auch wenn einige Handlungsstränge (so kümmern sich die Ärzt*innen mehr um die Patient*innen, während es in der Realität zumeist Krankenpfleger*innen sind) und Szenen (baumelnde Masken) kritisiert werden können, zeigt die 17. Staffel von Grey’s Anatomy die bisher realistischste Schilderung der Pandemie in allen US-Serien.
Krankenhausserie II: New Amsterdam
Eine weitere Serie, die die Pandemie als Hauptplot hat, ist New Amsterdam. Ähnlich wie bei Grey’s Anatomy war es auch für New Amsterdam als Krankenhausserie fast unumgänglich, die Pandemie stark in die Handlung einzubauen – vor allem, da die Serie in New York spielt, der Stadt, die in den USA im Frühling 2020 mit am stärksten von Corona betroffen war. Nach einer fast einjährigen Pause lief die dritte Staffel am 2. März 2021 an.
Aber schon davor nahm Corona Einfluss auf die Serie: Das Finale der zweiten Staffel, das am 14. April 2020 ausgestrahlt wurde, hätte eigentlich eine (fiktive) Pandemie zeigen sollen. Hauptdarsteller Ryan Eggold, der Klinikleiter Max Goodwin spielt, und Daniel Dae Kim, der in dem Finale als neue Figur eingeführt wird, erklären in einer Videonachricht, dass diese Episode aufgrund von Corona neu geschnitten wurde, weil die Fiktion zu nahe an der Realität und auch, weil Kim selbst an Corona erkrankt war; das ursprüngliche Finale soll eines Tages gezeigt werden. (New Amsterdam ist nicht die einzige Serie, bei der Schauspieler*innen die vierte Wand durchbrechen. AuchThe Blacklist spricht in der letzten Folge der siebten Staffel die Fans direkt an, weil die Dreharbeiten pandemiebedingt unterbrochen werden mussten; mehrere Szenen des Finales sind deswegen animiert.)
In der dritten Staffel nun bekommt mit Vijay Kapoor (Anupam Kher) ein Protagonist Corona und liegt wie Meredith Grey länger im Koma; wie sie überlebt er, muss bedingt durch Long-Covid aber seinen Beruf niederlegen (Kher verließ die Serie wegen der Krankheit seiner Frau). Weitere Pandemie-Storylines drehen sich vor allem um die fehlende Ausrüstung und mangelnde Kommunikation zwischen den Krankenhäusern New Yorks, um antiasiatischen Rassismus und einen falschen Corona-Impfstoff.
In New Amsterdam ist Corona aber nur eine Storyline von mehreren. Im Verlaufe der Staffel gibt es immer mehr Plots, die unabhängig davon ablaufen. Die Pandemie verliert ihren narrativen Schrecken. Innerhalb der Serie mag das mit etwas Augenzudrücken Sinn ergeben. Da es aber unmöglich ist, die Realität beim Zuschauen auszublenden, erscheint die Art, wie Corona im New Amsterdam Medical Center behandelt wird, irritierend. Vor allem, wenn es um Sicherheitsmaßnahmen geht, die ziemlich willkürlich wirken: Im Krankenhaus selbst werden kaum Masken getragen – etwas ungelenk wird in einigen Szenen erwähnt, dass Besucher*innen oder Personal getestet und/oder geimpft sind. Dadurch wird suggeriert, das Krankenhaus sei ein coronafreier Ort, was extrem realitätsfern anmutet.
Im Verlaufe der Staffel sind weniger und weniger Masken zu sehen, Corona verschwindet langsam aus diesem fiktiven New York. Im Finale, ausgestrahlt am 8. Juni 2021, gibt es sogar eine Szene, in der die Mutter einer Ärztin wegen Husten (!) in eine Praxis muss und dort im Wartezimmer bis auf eine Familie keine*r Masken trägt, auch die Mutter selbst nicht. Zu Beginn der vierten Staffel, die 18 Monate nach dem Coronaausbruch in New York ansetzt (und die seit dem 21. September 2021 ausgestrahlt wird), gehört die Pandemie der Vergangenheit an. Ihre Auswirkungen werden zwar erwähnt, vor allem, dass das Krankenhaus deswegen in starken finanziellen Schwierigkeiten steckt, davon abgesehen spielt sie narrativ keine Rolle mehr. Einen kleinen Rückzieher macht New Amsterdam aber doch: In Szenen mit vielen Menschen sind in der vierten Staffel immer ein paar zu sehen, die Masken tragen.
Corona als Hauptplot
Neben den Krankenhausserien gibt es eine Handvoll weiterer, die Corona zum Hauptplot gemacht haben, darunter das Grey’s Anatomy-Spin-off Station 19 über eine Feuerwache, dessen vierte Staffel sich dem Thema (sowie in mehreren Folgen dem BLM-Sommer) widmet. Auch bei The Morning Show, eine Serie über zwei Nachrichtensprecherinnen, geht es in der zweiten Staffel um die Pandemie. Bereits früh wird in der fiktiven Sendung, die Jennifer Anistons und Reese Witherspoons Figuren moderieren, darüber diskutiert, ob dieser neue Virus es wert ist, darüber zu berichten. Später sind zwei Hosts in Italien in Quarantäne, bis Anistons Charakter in der vorletzten Folge an Corona erkrankt und sich das Virus im Finale in den USA ausbreitet.
Die Sitcom Superstore, die in der Filiale einer fiktiven Supermarktkette spielt und sich somit um einen systemrelevanten Beruf dreht, behandelte die Pandemie in ihrer sechsten Staffel. Zwar nimmt sich auch diese Serie Freiheiten, wenn es um Sicherheitsmaßnahmen geht – mit Kund*innen wird Maske getragen, bei Interaktionen der Mitarbeiter*innen untereinander nicht –, davon abgesehen wurde die Darstellung der Pandemie generell von Kritiker*innen gelobt, sowohl der schwarze Humor und die Witze als auch Themen wie Warenmangel und verschiedene politische Auffassungen unter den Angestellten des Supermarkts.
Auch Queen Sugar, eine Serie von Ava DuVernay über drei Schwarze Geschwister im Louisiana, dreht sich in ihrer fünften Staffel um die Pandemie und erzählt davon, welche Auswirkungen sie auf ländliche Communitys in den Südstaaten hat(te), über soziale Isolation, Verlust von Angehörigen und die Black-Lives-Matter-Bewegung. The Conners, eine Spin-off des Neunziger-Jahre-Hits Roseanne, beschreibt in ihrer dritten Staffel den Einfluss von Covid auf eine Arbeiterfamilie: finanzielle Einbußen, Jobverlust, nicht bezahlte Hypotheken und den Verlust der Krankenversicherung.
Pandemie? Ach, damals!
In Romanen wird die Pandemie oft nur am Rande in die Handlung integriert. Oyinkan Braithwaites 100-Seiten-Roman The Baby Is Mine (Mai 2021) nimmt den ersten Lockdown als Ausgangspunkt, um dann eine andere Geschichte, die nichts mit Corona zu tun hat, aber sich in einem Haus abspielt, zu erzählen. Sally Rooneys neuer Roman Schöne Welt, wo bist du über das Leben und Lieben von vier jungen Menschen erwähnt in den letzten Kapiteln, die einige Zeit später angesiedelt sind, die Pandemie, ebenso die High-School-Serie Grand Army, deren letzte Folge im Februar 2020 spielt (und die dann recht überraschend abgesetzt wurde).
Während Rooney und Grand Army somit klar markieren wollen, dass sie nicht ein vages „Jetzt“ abbilden, sondern konkret in unserer Gegenwart verankert sind, unternehmen die meisten Serien eher halbherzige Ansätze, die Pandemie narrativ in ihr Setting zu integrieren. The Good Doctor, immerhin auch, wie der Titel schon verrät, eine Krankenhausserie, behandelt die Pandemie nur in den ersten beiden Folgen ihrer vierten Staffel. Ab der dritten Folge wird so getan, als gäbe die Pandemie nicht mehr. Man stelle die Hoffnung für die Zukunft dar, sagt Schauspieler Freddie Highmore in einer Nachricht an die Zuschauer*innen, „eine Zukunft, in der niemand mehr eine Maske tragen oder andere Maßnahmen ergreifen muss, um sich vor Covid zu schützen“. Weitere Serien unternahmen zunächst den Versuch, die Pandemie zu fiktionalisieren, wie This Is Us, NCIS: New Orleans, Law & Order: Special Victim Unit, FBI, Bull oder Chicago Med, bis sie Covid als Plot nach wenigen Folgen aber wieder fallenlassen.
Und damit kommen wir zur populärsten Form, wie Corona in Serien „behandelt“ wird – als ein Thema der Vergangenheit. Brooklyn Nine-Nine erwähnt Corona in der ersten Szene seiner finalen Staffel, die im Sommer 2020 spielt, um dann einen Zeitsprung ins Frühjahr 2021 zu machen – die Polizei-Sitcom hatte einen anderen Fokus, sie musste Polizeigewalt, Rassismus und Black Lives Matter in ihren Plot integrieren, eine Aufgabe, die groß genug war. Die Serie ist mit diesem Ansatz nicht allein. Ob Harlem, Curb Your Enthusiasm, The Big Leap, Mr. Mayor, Last Man Standing, The Sex Lives of College Girls, Gossip Girl oder You – all diese Serien nehmen Bezug auf die Pandemie, die allerdings der Vergangenheit angehört. Sie sind dabei unterschiedlich deutlich. Einige erwähnen nur vage Zeiten von Homeschooling und Lockdown, andere machen Witze („White people don’t get vaccinated“ in Harlem, oder über Hamsterer, Curb Your Enthusiasm), alle vermitteln ein „Puh, ein Glück haben wir die schwierigen Zeiten hinter uns“-Gefühl.
Was fast all diesen Serien gemeinsam ist, ist auch das Framing von „Wir gegen die Pandemie“ – was natürlich die Realität verzerrt, in der viele Menschen nicht an Covid und/oder den Impfstoff glauben. Gerade den Impfstoff zu fiktionalisieren ist eine fast noch größere Herausforderung. Seit es ihn gibt, ist es sogar noch schwieriger geworden, spannende Covid-Storylines zu entwickeln, wie New Amsterdam–Showrunner David Schulner festhält: „Was gibt es über den Impfstoff anderes zu sagen als: ‚Lasst euch um Himmels Willen bitte impfen, damit wir dieser endlosen Hölle entkommen?‘“
Die Pandemie in die Vergangenheit zu verfrachten ist also der Weg des geringsten Widerstands – man räumt zwar ein, dass Corona existiert hat und bleibt somit in der Realität verhaftet, entscheidet sich zugleich aber für diese Zukunftsutopie, die erzähltechnisch einfacher ist. Die Serien, die in einer Art Paralleluniversum spielen und Covid überhaupt nicht thematisieren, funktionieren als Eskapismus. Es kann jedoch durchaus zu einer kognitiven Dissonanz bei den Zuschauer*innen führen, wenn fiktionale Werke vermitteln, Corona sei vorbei, während Omikron die Zahlen explodieren lässt wie nie zuvor in den zwei Jahren. Das Fernsehen hat die Pandemie hinter sich gelassen, wir allerdings nicht.
Man kann stark davon ausgehen, dass Filme und Serien, die nicht explizit darauf aufgebaut sind, die Pandemie zu erzählen, Corona zukünftig ebenfalls komplett ignorieren oder als Ereignis der Vergangenheit schildern werden, ein Ereignis, das einen Zeitstrahl mit eindeutigem Anfang, Mitte und Ende hat. Wie schwierig es ist, Covid langfristig zu erzählen, zeigt uns gerade die Serie, die das bisher am besten gelöst hat: In ihrer 18. Staffel beschließt selbst Grey’s Anatomy, die Pandemie hinter sich zu lassen. „In dieser Staffel von Grey’s Anatomy wird eine fiktive Welt nach der Pandemie gezeigt, die unsere Hoffnungen für die Zukunft repräsentiert”, heißt es zu Beginn jeder Folge. Und, als wüssten wir es nicht: „Im wirklichen Leben wütet die Pandemie noch immer in der medizinischen Community.”
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