Verpuffter Skandal – Wie ein Schlüsselroman scheitern kann

von Johannes Franzen

 

Die Art, wie wir Literatur konsumieren, ist immer geprägt von einer gewissen Unaufrichtigkeit. Es gibt die Dinge, die wir mögen sollen, und die Dinge, die wir wirklich mögen. Der Schlüsselroman etwa, in dem es darum geht, reale Vorbilder hinter den scheinbar fiktiven Figuren zu entschlüsseln, ist eine dieser Gattungen, bei denen die Diskrepanz zwischen dem schlechten Ruf einerseits und der konstant hohen Nachfrage andererseits auf die Heucheleien ästhetischer Wertsetzung verweist. Das Ratespiel, das uns verspricht, dass hinter den fiktiven Figuren reale Vorbildern lauern, verstößt natürlich in jeder Hinsicht gegen die Reinheit der Kunst. Statt uns an schönen Sätzen oder psychologischer Tiefe zu erfreuen, weiden wir uns am boulevardesken Trash, am indiskreten Geheimnisverrat. Der Roman – doch eigentlich die bestimmende Kunstform der Moderne – wird hier degradiert zum Vehikel für das Waschen schmutziger Wäsche. 

Dieses etablierte Urteil über die Gattung steht in einem seltsamen Widerspruch zum Interesse, mit dem gerade das Kulturbürgertum sich immer wieder auf die Skandale stürzt, die durch Schlüsselromane ausgelöst werden. Auch Tratsch und Lästereien, das Aushandeln von Fehden, Rache und Indiskretion  können zu den Gründen gehören, weswegen wir zum Buch greifen. Wenn man sich das erst einmal eingesteht, dann könnte man sich darauf konzentrieren, die eigentlich wichtige Frage zu stellen: Was macht einen guten Schlüsselroman aus, und kann ein Schlüsselroman scheitern – nicht nach den offiziösen Kriterien des Literarischen, sondern nach den Gesetzen, die sich die Gattung selbst gegeben hat?

Gerade ist im Europa Verlag ein Roman erschienen, der den dräuenden Titel Machtergreifung trägt. Angekündigt wird die Geschichte einer rechten „Deutschlandpartei“, bei der nur ein*e Leser*in, die die letzten zehn Jahre unter einem Stein gelebt hat, nicht sofort erkennt, dass es sich um die AfD handelt. Um dieses Angebot noch etwas schmackhafter zu machen, wird das Gesamtpaket im Verlagsprogramm mit drei bündigen Verkaufsargumenten zusammengefasst: Es handele sich erstens um einen „Pageturner der Extraklasse über die drohende Gefahr von Rechts“, sei zweitens „hoch aktuell, politisch brisant und erschreckend realistisch“, und drittens ist der Autor „ein intimer Kenner der rechten Szene in Deutschland“.

So brisant, so erschreckend realistisch, so intim müssen die Informationen sein, dass der Autor nicht unter seinem eigentlichen Namen in Erscheinung tritt, sondern unter dem Pseudonym Ferdinand Schwanenburg – ein Name, bei dem man froh sein kann, dass nicht noch ein neckisches „von“ dazwischengeschoben wurde. Über den Verfasser erfahren wir dann, trotz aller Diskretion, erstaunlich viel. Es handele sich um einen deutschen Politikberater, der für viele Parteien tätig gewesen sei, unter anderem zwischen 2015 und 2017 auch für die AfD. Außerdem habe er als Journalist, Pressesprecher, Rüstungslobbyist gearbeitet und sei auch noch Reserveoffizier der Bundeswehr. Und nun also auch Romancier – eine Karriere, die für einen Enthüllungsroman recht vielversprechend erscheint. Die ganze Präsentation des Buches bringt die panische Hoffnung zum Ausdruck, hier möge sich nun ein aufmerksamkeitsökonomisch lukrativer Skandal ereignen.

Was aber taugt Machtergreifung als Schlüsselroman? Eines gleich vorweg: Das Buch entspricht der geläufigen Vorstellung von der Gattung insofern, als es sich um einen literarisch ausgesprochen unattraktiven Text handelt. Der Roman ist ungelenk geschrieben, die Handlung ist ausufernd und extrem unplausibel. Auch die politische Theorie des Romans, das Bild also, das die Erzählung von Politik vermittelt, ist nicht sonderlich tiefgründig. Die Politiker*innen sind korrupt und intrigant, die Journalist*innen karrieregeil und nihilistisch, das Volk natürlich dumm und manipulierbar. Das Ganze wirkt an vielen Stellen, als hätte man House of Cards bei Wish bestellt. 

Bei der Lektüre wird sehr schnell deutlich, dass der Autor die ethischen Implikationen seines Vorhabens nicht wirklich reflektiert hat. Von einem geläuterten (und wer weiß, auch ein bisschen beschämten?) ehemaligen Mitarbeiter der AfD hätte man jedenfalls mehr erwartet als eine frivoles Kaspertheater. Der Roman wird zwar damit angekündigt, dass er vor den Gefahren warnen wolle, die von der AfD für die Demokratie ausgehen, aber dieses Vorhaben geht im existentiellen Unernst des Handlung vollständig verloren. 

Dazu kommt, dass die Komik, die dieser sehr um satirische Zuspitzung bemühte Roman zu bieten hat, allenfalls unfreiwillig erscheint. Das liegt vor allem daran, dass er in einem Heftromanrealismus gehalten ist, der vor Sätzen wie diesem nicht zurückschreckt: „Sie waren beide nackt, ihre Körper ermattet und noch feucht vom wilden Liebesakt.“ Schlimmer noch, der Roman ist streckenweise ziemlich langweilig. Unzählige langatmige Dialoge werden ausgewalzt, in denen die Figuren ihre Pläne und Motive haarklein erläutern, als wären sie James Bond Bösewichte. Das klingt dann so:

Dr. Hausding seufzte. „Wie wollen Sie das denn anstellen? Die sind integraler Teil unserer Partei. Sie gehören dazu.“

„Als Erstes müssen wir diesen Sehlings loswerden. Der hat uns diese ganzen Nazis doch erst ins Haus geholt.“

„Wie soll das denn gehen?“ Dr. Hausding wollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. „Sie haben doch selbst so viel Wert darauf gelegt, jedes neue Mitglied vor seinem Eintritt zu kontrollieren. Das war ihnen doch so unheimlich wichtig.“ 

Über solche Anfängerfehler könnte man sich lustig machen. Natürlich sollte man Figuren, die miteinander reden, auch wirklich miteinander reden lassen. Hier reden sie aber nicht miteinander, sondern mit den Leser*innen, die über etwas informiert werden, was die Figuren natürlich schon lange wissen. Man könnte das auf die möglicherweise nicht sonderlich große Erfahrung des Autors mit dem Romanschreiben schieben, aber dann wiederum entspricht das Niveau im Wesentlichen der professionellen deutschen Erzählkunst. 

Der Roman erinnert zum Beispiel an den teuer produzierten Spielfilm (oder besser: das ‚Spielfilmereignis‘) Die Getriebenen über die sogenannte Flüchtlingskrise, in dem die Figuren, angeblich ja Porträts realer Politiker, ebenfalls in Gesprächen die allgemeinen Umstände erklären, als hätten die Zuschauer*innen noch nie eine Zeitung gelesen. Machtergreifung ist in dieser Hinsicht nur ein typisches Beispiel für deutsche Dialoge, die vor allem darauf beruhen, dass Figuren Sätze sagen, die nie ein Mensch geäußert hat. So wie diesen hier: Es ist schon ein bisschen komisch, dass deine vierte Ehe ausgerechnet an deinen fleischlichen Gelüsten gescheitert ist.“ 

Das ist aber nicht das eigentliche Problem. Wer zu dieser Art von Roman greift und Flaubert erwartet, ist vielleicht selber schuld. Ein viel größeres Problem ist, dass das Buch auf der Ebene dessen, was einen Schlüsselroman eigentlich ausmacht, nämlich dem instruktiven Geheimnisverrat, scheitert. Nichts von dem, was hier erzählt wird, kannte man nicht schon aus der oberflächlichen Zeitungslektüre. Im besten Fall ist der Schlüsselroman eine angenehm interaktive Gattung, da sie das gemeinsame Ratespiel ermöglicht, das natürlich noch an Spannung gewinnt, wenn es nicht nur darum geht, die Identität der Personen hinter den Figuren herauszufinden, sondern, wenn die Identität des Autors ebenfalls ein Geheimnis darstellt.

Im Fall von Machtergreifung kann allerdings von einem wirklichen Ratespiel nicht die Rede sein. Zumindest scheint der Autor wenig Vertrauen in die Vorkenntnisse seiner Leser*innen zu haben. Die „Deutschlandpartei“, wird als Verbund beschrieben, der sich als „Alternative“ zu den etablierten Parteien aufstellen möchte, die im Übrigen hier einfach „Christpartei“ oder „Liberalpartei“ heißen. Es handelt sich um einen Schlüsselroman, der wirklich alle mitnehmen möchte, indem er nicht nur mit dem Zaunpfahl, sondern mit dem ganzen Zaun winkt. 

Auch das Personal, beim Schlüsselroman das Wichtigste , ist nicht gerade gut versteckt. Der Gründer der Partei, Albert Hausding, wird als „ein leicht schwitzender älterer Herr mit Gartenzwergkrawatte und anthrazitfarbenem Trachtenjanker“ beschrieben, der die „perfekte bürgerliche Fassade“ der Partei darstelle. Eine andere Figur, ein gewisser Hans-Jürgen Lehmann ist zwar Lebensmittelhändler, hatte aber auch einmal Geschichte auf Lehramt studiert. Er ist der leicht erregbare Star der Partei, der nach einem gescheiterten Interview Sätze wie diese sagt: „Vielleicht werde ich mal eine interessante politische Person in diesem Lande. Könnte doch sein.“ Dass die Figur dabei die glücklose Journalistin mit seinen „stahlblauen Augen“ fixiert, ist noch ein zusätzliches Anzeichen dafür, dass wir uns nicht unbedingt im Zaubergarten der Subtilität befinden.

Aber muss ein Schlüsselroman subtil sein? Die Antwort lautet: nein, zumindest nicht auf der Ebene des Stils oder der Erzählung. Stattdessen muss er interessant sein, spannend auf der Ebene des Skandalpotentials, der Indiskretion, der Häme. Zwei Dinge allerdings schaden einem guten Schlüsselroman, der sich das ehrliche Ziel gesetzt hat, qualitativ hochwertigen Geheimnisverrat zu liefern, und das sind Satire und Analyse. Beides wird oft als Alibi verwendet, um das schmutzige Geschäft des Lästerns literarisch zu adeln. Es geht ja, heißt es dann, gar nicht um Person X, sondern um einen gesellschaftlichen Typus! Schlüsselromane behaupten oft, sie seien am kulturell Allgemeinen interessiert, Menschen lesen sie aber für das Konkrete.

Machtergreifung versucht beides zu sein, schonungslose Satire und knallharte Gegenwartsanalyse. Man hat allerdings den Eindruck, der Autor wolle dadurch nicht das Lästern adeln, sondern kompensieren, dass er nicht wirklich etwas zu Lästern hat. Und so wird man immer wieder mit längeren Passagen behelligt, die klingen wie eingeschobene Erklärpassagen im Bescheidwisserton eines durchschnittlichen Spiegel-Artikels. Was dadurch ausgelöst wird, ist das literarische Äquivalent des Gefühls von Hilflosigkeit, das einen überkommt, wenn man auf einer Familienfeier neben einem angetrunkenen Onkel sitzt, der sich sehr gut mit Politik auskennt:

Denn die Deutschlandpartei bestand eigentlich aus zwei Parteien. Ihr Erfolg lag darin, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik einen Brückenschlag zwischen konservativen Bürgerlichen und Völkischen zu erreichen. An der Kluft zwischen beiden Gruppen waren bisher alle Versuche gescheitert, in Deutschland ein Viertes Reich zu errichten. Bis zur Gründung der Deutschlandpartei hatte die Christpartei die konservativen Bürgerlichen im Griff. Kaum ein Konservativer wollte es wagen, den Mutterschoß der Christpartei zu verlassen und eine eigene Partei zu gründen.

Auf diesem Niveau ist auch die Satire, an der sich der Roman versucht. An einer Stelle sind junge Berliner*innen in ihrem Viertel, nämlich dem Prenzlauer Berg (wo sonst), unterwegs, und dann heißt es: „Sie saßen gerade in einer hippen Kneipe, tranken Matcha-Latte und aßen Tofu-Snacks, als ihr Handy klingelte.“ 

Für Satire und Gegenwartsanalyse gelten andere Kriterien als für einen guten Schlüsselroman. Das lässt sich im Vergleich mit einem Buch zeigen, der sich ebenfalls mit dem Phänomen der neuen Rechten beschäftigt. Im Mittelpunkt von Jörg-Uwe Albigs Zornfried (2019) steht eine Figur, die sehr stark an den Publizisten Götz Kubitschek erinnert. Es handelt sich insofern um einen Schlüsselroman, als Personen und Diskurse der Gegenwart klar identifizierbar sind. Allerdings hat der Roman von Anfang an gar nicht den Anspruch, Insiderinformationen zu liefern. 

Die Parallelen zwischen Realität und Fiktion sind schon fast provozierend offensichtlich. Dafür ist Zornfried ein stilistisch ansprechender, genuin komischer Roman, der kluge Dinge über die politische Gegenwart und insbesondere über ihr Mediensystem zu sagen hat. Die Rechtsradikalen erscheinen als monströse Lifestyle-Spießer, die von narrationsgeilen Journalist*innen zu dämonischen Intellektuellen aufgeblasen werden. Vor allem gelingt es Albig aber, die Protagonist*innen seines Romans zu entlarven, ohne sie zu verharmlosen. Der Autor von Machtegreifung dagegen macht aus seinen Figuren dermaßen unplausible Witzfiguren, dass am Ende ausgerechnet in einem Roman, der damit kokettiert, einen realen Hintergrund zu haben, ein fiktiv anmutendes Register von Schurken entsteht.

Die konkreten Qualitätsunterschiede zwischen Machtergreifung und Zornfried werden da deutlich, wo sich Machtergreifung ebenfalls an der Parodie eines rechtsradikalen intellektuellen Gurus versucht. Der heißt im Roman Barbarossa (bei Albig ein Freiherr von Schierling) und ist der Stichwortgeber der „Diskrepanten Bewegung“. Über diesen Barbarossa heißt es nun:

Kerzengerade schritt er mit seinen wehenden roten Haaren durch den Stall. “Schafe sind ein gutes Beispiel, wie die Gesellschaft funktionierte, wenn sie nicht von Dekadenz unterhöhlt und ihrer Natürlichkeit beraubt wäre.” Er watete durch das Meer der Schafskörper, das sich vor ihm teilte. “Die Rangordnung der Tiere regelt das Zusammenleben. Der Widder dominiert die weiblichen Tiere, er deckt sie, verteidigt seine Position, misst seine Kräfte mit anderen Widdern im Zweikampf.”

Das sind ziemlich krude Scherze, die der selbst schon an der Parodie kratzenden Selbstinszenierung des Vorbilds nicht viel anhaben können. Bei Albig dagegen enttarnen die teilweise ins Absurde gehenden Verlautbarungen der Figur den ganzen anmaßenden Habitus des “Rechtsintellektuellen”: “Bevor die Kartoffel aus Amerika kam, sagte er, war Hirse die Speise des Volkes.” “Ich will eine Gemeinschaft aus herrschenden und dienenden Bäumen.” Und über Löwenzahn: “Sein Honig ist ja delikat. Im Mangold hat man ihn aber trotzdem nicht gern.”

Dergleichen hat Machtergreifung nicht zu bieten. Und diese literarischen Defizite werden eben auch nicht durch aufregende Schlüsselromaninformationen ausgeglichen. Stattdessen wird das fehlende Geheimnis des Romans durch das Geheimnis des Autors ersetzt. Dessen Pseudonymität ist in diesem Fall ein Trick der Autorinszenierung. Der Verzicht auf den Klarnamen soll die Gefahr andeuten, in die der Autor sich begibt. Dabei steht diese Zurückhaltung in einem verdächtigen Kontrast mit der ansonsten ziemlich umfangreichen Biographie. Die vielen Jobs, die der Autor angeblich schon hatte, sollen andeuten, dass es sich um den ultimativen Insider handelt, der sein entsprechendes Wissen nun in einem Roman verkauft. 

In gewisser Hinsicht erinnert diese Verkaufsstrategie an den Fall Primary Colors, einen Politroman, der 1996 für Furore sorgte, weil der anonyme Autor ein ausgesprochen unschmeichelhaftes Bild von Bill Clinton (der im Roman Jack Stanton heißt) zeichnete. Über die Identität des Autors wurde viel gerätselt und man kann davon ausgehen, dass diese Detektivarbeit einen Hauptteil der Spannung in der Rezeption erzeugte. Schließlich wurde der Autor, ein Journalist namens Joe Klein, vom literarischen Forensiker Donald Foster enttarnt, der Klein aufgrund eines Stilvergleichs öffentlich mit der Autorschaft konfrontierte. 

Ein Wiederauflage dieses Diskursereignisses wurde immer wieder versucht. Der Schlüsselroman O. A Presidential Novel über Barack Obama von 2011 etwa wurde damit beworben, dass der Autor und seine Figur sich zumindest schon mal zusammen in einem Zimmer aufgehalten haben. Insiderwissen ist, wie sich zeigt, ein rares Gut, und schon die gemeinsame Anwesenheit im selben Raum muss zuweilen die Qualität der ausgeplauderten Informationen beglaubigen. 

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das Ratespiel zur Identität der Autor*in von Schlüsselromanen oft zu herben Enttäuschungen führt. Als 2004 der Roman Das bleiche Herz der Revolution erschien, ein ziemlich reaktionäres Anti-68er-Buch, war eine der Hauptattraktionen die Pseudonymität der Autorin. Darüber, wer sich hinter “Sophie Dannenberg” verbergen sollte, gab es regelrechte Rätselorgien. Klaus Harpprecht schlug in seiner Rezension unter anderem Mariam Lau, Cora Stephan, Katharina Rutschky, Tilman Spengler und Christian Semmler als mögliche Verfasser*innen vor. Allerdings hatte er auch so seine Zweifel über das Geschlecht der Autor*in: „Aber nimmt sich der Lustschrei beim Sex in der Damentoilette über ‚stalinstarken stahlharten Schwanz‘ nicht doch eher als ein Produkt des männlichen Humors aus?“

Harpprecht lag in jeder Hinsicht daneben. Die Autorin outete sich bald als Annegret Kunkel, eine bis dahin unbekannte Journalistin, die vor allem ihre Eltern habe schützen wollen. So verpuffte dann nicht nur die Aufregung über eine angeblich bekannte Autorin, sondern auch der Wert der Informationen aus dem Schlüsselroman. Abgesehen von ein paar (zugegebenermaßen gar nicht unwitzigen) Namensspielereien, die aus Klaus Croissant und Horst Mahler die linken Anwälte Borsalino von Baguette und Bodo Streicher machten, blieb wenig übrig von dem literarischen Spiel mit der Wirklichkeit. Die Pseudonymität hatte hier vor allem die Funktion, eine Betroffenheit herbeizuzaubern, die es gar nicht gab. Weder die Informationen im Roman, noch die Informationen über die Autorin hatten die Qualität des Geheimnisverrats, den die Leser*innen von einem Schlüsselroman erwarten. 

So scheint sich das auch im Fall von Machtergreifung zu verhalten. Wenn der Autor sich im Herbst, wie bereits angekündigt, selbst enttarnen wird, dann wäre es nicht verwunderlich, wenn das vor allem Ratlosigkeit statt Rätselfreude erzeugt. Zumal das interessanteste Rätsel dieses Buches nicht ansatzweise geklärt wurde. Man hätte gerne mehr darüber erfahren, wie der Autor überhaupt dazu gekommen ist, bei der AfD zu arbeiten. Die Antwort auf diese Frage würde für viele Menschen ein genuines gesellschaftliches Rätsel lösen. Stattdessen wird eine bruchlose biographische Linie vom AfD Insider zum AfD-Warner präsentiert, die über den Umweg eines frivolen Roman beglaubigt werden soll. Nach der Lektüre kauft man dem Autor aber weder den Insider noch den Warner so richtig ab.

 

 

Beitragsbild von ALEXANDRE LALLEMAND 

 

 

 

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